Gläubigerschutz beim grenzüberschreitenden „Herausformwechsel“ einer GmbH
Hintergrund
Eine in Deutschland ansässige GmbH meldete die von der Gesellschafterversammlung beschlossene und grenzüberschreitende Sitzverlegung und damit einhergehende formwechselnde Umwandlung in die Rechtsform einer französischen Kapitalgesellschaft unter Annahme des französischen Rechtsstatuts und mit Sitz in Frankreich zur Eintragung in das Handelsregister an. Das Registergericht wies die Anmeldung zurück, da der Formwechsel mangels vorheriger Bekanntmachung des Umwandlungsbeschlusses im Handelsregister nichtig sei. Außerdem sei der von den Gesellschaftern erklärte Verzicht auf die Erstellung eines Umwandlungsberichts nicht möglich. Gegen den Beschluss des Registergerichts legte die Gesellschaft Beschwerde ein, allerdings ohne Erfolg.
Der Beschluss des OLG Saarbrücken vom 07.01.2020, Az. 5 W 79/19
Nach Auffassung des OLG Saarbrücken lehnte das Registergericht die Eintragung des grenzüberschreitenden Formwechsels zu Recht ab, da wesentliche, bei europarechtskonformer Auslegung anwendbare nationale Schutzvorschriften des deutschen Umwandlungsrechts unbeachtet geblieben seien.
Zwar sehe das deutsche Recht anders als für die grenzüberschreitende Verschmelzung derzeit noch keine Regelungen für den grenzüberschreitenden Formwechsel vor. Der Gesetzgeber habe vielmehr noch bis zum 31.01.2023 Zeit, die zum 01.01.2020 geänderte Richtlinie (EU) 2017/1132 (sog. Gesellschaftsrechts-Richtlinie) umzusetzen und entsprechende Regelungen vorzusehen. Dennoch stellte das OLG klar, dass bereits heute der grenzüberschreitende Formwechsel angesichts der europäischen Niederlassungsfreiheit zulässig sei.
Bis zu der bestehenden Neuregelung durch den deutschen Gesetzgeber seien zunächst die für einen Formwechsel geltenden Vorschriften der §§ 190 ff. UmwG anzuwenden und richtlinienkonform auszulegen. Ergänzend seien die für grenzüberschreitende Verschmelzungen geltenden Vorschriften der §§ 122d, 122e UmwG zur Bekanntmachung des Verschmelzungsplans und Erstellung eines Verschmelzungsberichts analog anzuwenden, sofern dies der Schutz Außenstehender, insbesondere von Gläubigern und Arbeitnehmern, erfordere.
Das Registergericht habe die drittschützenden Bestimmungen der §§ 122d, 122e UmwG zutreffend auf den grenzüberschreitenden Formwechsel angewendet, da die dort geregelten Berichtspflichten eine frühzeitige Information und Beteiligung der betroffenen Personenkreise ermöglichten. Denn auch wenn der Rechtsträger nach dem Formwechsel fortbestehe, sei aufgrund des grenzüberschreitenden Bezugs und des damit verbundenen Wechsels der Rechtsordnung ein Informationsbedürfnis insbesondere der betroffenen Gläubiger und Arbeitnehmer anzuerkennen. Dies entspreche auch den umzusetzenden Regelungen der Richtlinie (vgl. Art. 86a ff.). Die unterlassene vorherige Bekanntmachung des Umwandlungsbeschlusses im Handelsregister stelle daher ein Eintragungshindernis dar. Ob dies auch wie vom Registergericht angenommen für den Verzicht auf den Umwandlungsbericht gilt, ließ das OLG dagegen offen.
Anmerkung
Während die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Verschmelzung in Deutschland bereits seit 2005 in den §§ 122a ff. UmwG geregelt ist, fehlen bislang noch Vorschriften für grenzüberschreitende Spaltungen und Formwechsel. Auch ohne gesetzliche Regelung ist jedoch die Möglichkeit, innerhalb der EU grenzüberschreitend den Satzungssitz zu verlegen und sich dabei in eine Rechtsform des Aufnahmemitgliedstaates umzuwandeln (grenzüberschreitender Formwechsel), als zulässig anerkannt. Dies gilt sowohl für den Hereinformwechsel nach Deutschland als auch für den Herausformwechsel aus Deutschland.
Seit Inkrafttreten der Änderung der Gesellschaftsrechts-Richtlinie ist der deutsche Gesetzgeber zwar aufgefordert, bis zum 31.01.2023 entsprechende gesetzliche Regelungen vorzusehen, gleichwohl ist angesichts der Komplexität mit einer Umsetzung vor 2022 nicht zu rechnen. Sowohl für die Beratungspraxis als auch für die Registergerichte stellt sich daher die Frage, wie ein grenzüberschreitender Formwechsel nach der geltenden Rechtslage im Einzelnen durchzuführen ist. Unstreitig anwendbar sind zunächst die für den (inländischen) Formwechsel geltenden Regelungen der §§ 190 ff. UmwG. Nach Meinung einiger Oberlandesgerichte und einem Teil der Literatur genügt dies nicht; die verbleibenden Schutzlücken sollen durch Rückgriff entweder auf die Vorschriften für einen Sitzwechsel der Europäischen Aktiengesellschaft nach Art. 8 SE-VO, §§ 12 ff. SEAG oder – wie vom OLG Saarbrücken entschieden – die für die grenzüberschreitende Verschmelzung geltenden drittschützenden Vorschriften in §§ 122d, 122e UmwG geschlossen werden.
Bis zu einer Regelung durch den Gesetzgeber ist eine vorherige Abstimmung des Verfahrens mit dem Registergericht unbedingt empfehlenswert. Außerdem sollten etwaige formale Erfordernisse vorsorglich überobligatorisch erfüllt werden. Die einzelnen Voraussetzungen ergeben sich zum einen aus den bislang bestehenden nationalen Vorschriften zum Formwechsel und der grenzüberschreitenden Verschmelzung, die Praxis sollte aber auch im Vorgriff auf die umzusetzende Änderung der Gesellschaftsrechts-Richtlinie die dort genannten Regelungen in den Fokus nehmen. Da die Richtlinie dem Gesetzgeber wenig Umsetzungsspielraum überlässt, ist davon auszugehen, dass die dort in den Art. 86a ff. geregelten Voraussetzungen für den grenzüberschreitenden Formwechsel nahezu identisch in nationales Recht umgesetzt werden. Dies betrifft auch das Erfordernis der Bekanntmachung des grenzüberschreitenden Formwechsels nach Art. 86g der Richtlinie. Darüber hinaus sollte vorsichtshalber ein Umwandlungsplan und -bericht erstellt und darin alle nach den genannten Vorschriften relevanten Angaben aufgenommen werden. Im Falle von unterschiedlich langen Fristen empfiehlt sich vorsorglich die Einhaltung der längeren Frist.
Mit dieser kombinierten Anwendung der passenden Vorschriften liegt ein gangbarer Weg für einen grenzüberschreitenden Formwechsel vor, der im Vergleich zu der in der Praxis sonst vorgeschlagenen rechtssicheren Alternative der Gründung einer Gesellschaft nach ausländischem Recht und anschließenden Verschmelzung der inländischen auf die ausländische Gesellschaft in vielen Fällen kostengünstiger und steuerlich vorzugswürdig ist.
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