Hauptversammlungsteilnahme

Die Zulassung von Aktionären trotz Ablaufs der starren Anmeldefrist verletzt den Grundsatz der Gleichbehandlung. Die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds ist trotz Abweichung von den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex wirksam.

Hintergrund

Die Einladung zur Hauptversammlung der Beklagten, einer börsennotierten Aktiengesellschaft, sah die Wahl von zwei Aufsichtsratsmitgliedern vor. Zur Wahl stand nach dem Vorschlag des Aufsichtsrats u.a. ein Kandidat, dessen Wahl aufgrund seiner weiteren Aufsichtsratsmandate eine bisher nicht von der Beklagten erklärte Abweichung von den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex („DCGK“) zur Folge hatte.

Zudem hieß es in der Einladung „Anmeldung und Nachweis des Anteilsbesitzes müssen der Gesellschaft mindestens sechs Tage vor der Hauptversammlung, … zugehen.“ Mehrere Aktionäre meldeten sich erst nach Ablauf der Frist zur Hauptversammlung an oder legten erst danach den Legitimationsnachweis vor. Mindestens einer dieser Aktionäre erschien zur Hauptversammlung und wurde von der Beklagten zugelassen. Die Kläger erhoben gegen den Wahlbeschluss des Aufsichtsratsmitglieds Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage. Das Landgericht wies die Klage ab und auch die Berufung wurde zurückgewiesen.

Das Urteil des BGH vom 09.10.2018, Az. II ZR 78/17

Die Revision beim BGH hatte dagegen Erfolg. Zwar hat der BGH die in der Literatur umstrittene Frage, ob die Gesellschaft einen Aktionär nach Ablauf der Anmeldefrist noch zulassen darf, offen gelassen. Wenn jedoch die Einladung wie im zu entscheidenden Fall ausdrücklich darauf hinweise, dass sich der Aktionär innerhalb der Frist anmelden und legitimieren muss, dürfe ein Aktionär bei Versäumen der Frist nicht nachträglich noch zur Hauptversammlung zugelassen werden. Anderenfalls liege ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 53a AktG vor, der grundsätzlich die Anfechtbarkeit der Hauptversammlungsbeschlüsse zur Folge haben könne. Nach dem BGH würden nicht nur diejenigen Aktionäre, denen die Teilnahme konkret verweigert würde, sondern auch diejenigen Aktionäre, die nach Ablauf der Frist von einer Anmeldung absehen würden, ungleich behandelt. Diese Ungleichbehandlung führe jedoch noch nicht zur Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse. Stattdessen nimmt der BGH an, dass die Stimmen der nachträglich zugelassenen Aktionäre nicht hätten mitgezählt werden dürfen. Nur dann, wenn die Stimmen der nachträglich zugelassenen Aktionäre für das Erreichen des Beschlussergebnisses maßgeblich waren, sei der Beschluss anfechtbar.

Dagegen entschied der BGH die ebenfalls in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage, ob Wahlvorschläge des Aufsichtsrats nichtig sind, wenn es bei vorschlagsgemäßer Wahl der Kandidaten in der Hauptversammlung zu einer bisher nicht von der Gesellschaft erklärten Abweichung vom DCGK kommt. Nach Ansicht des BGH ziehe eine Abweichung des Wahlvorschlags von der Entsprechenserklärung oder den Empfehlungen des DCGK weder die Unwirksamkeit des Wahlvorschlags oder seiner Bekanntmachung noch die Anfechtbarkeit des Wahlbeschlusses der Hauptversammlung nach sich. Eine etwaige daraus folgende Aktualisierungspflicht der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG sei von der Beschlussfassung des Aufsichtsrats über den Wahlvorschlag und der Wahl durch die Hauptversammlung zu trennen. Die Aktualisierungspflicht trete außerdem erst dann ein, wenn die Abweichung eingetreten sei, d.h. mit Annahme der Wahl durch den gewählten Kandidaten. Es bestehe auch keine Pflicht, die Hauptversammlung zu informieren, dass die Wahl des vorgeschlagenen Kandidaten eine Aktualisierungspflicht der Entsprechenserklärung erforderlich mache. Damit fehle es auch an einem zur Anfechtbarkeit des Hauptversammlungsbeschlusses führenden Verstoß gegen eine hauptversammlungsbezogene Informationspflicht.

Anmerkung

Der BGH hat mit seinem Urteil zu einigen für die Hauptversammlungspraxis relevanten Fragen Stellung genommen. Begrüßenswert ist die Klarstellung, dass Wahlvorschläge und entsprechende Beschlüsse nicht wegen nicht erklärter Abweichungen von den Empfehlungen des DCGK anfechtbar sind. Der Kodex enthält zwar viele sinnvolle Empfehlungen und Anregungen für eine gute Unternehmensführung, er ist jedoch weder Gesetz noch Bestandteil der Satzung. Daher darf den Empfehlungen, wie der BGH zu Recht betont, auch nicht durch die Hintertür der Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen quasi Gesetzeskraft zukommen.

Im Hinblick auf die Anmeldefrist und die Formulierung in der Einladung zur Hauptversammlung legt das Urteil nahe, dass Aktiengesellschaften sich die nachträgliche Zulassung von Aktionären vorbehalten oder die Einladung entsprechend offen formulieren könnten. Allerdings beruht die Formulierung der Teilnahmevoraussetzungen in der Hauptversammlungseinladung auf den Vorgaben der Satzung der Gesellschaft zur Einberufung der Hauptversammlung gemäß § 123 Abs. 2 AktG. Diese Regelungen sind regelmäßig als zwingende Vorgabe formuliert und erlauben daher in den wenigsten Fällen, in der Einladung einen Vorbehalt der nachträglichen Zulassung aufzunehmen. Zumindest wenn die betroffenen Aktionäre Aktienpakete halten, die das Beschlussergebnis bei knappen Mehrheitsverhältnissen beeinflussen können, droht bei nachträglicher Zulassung verspätet angemeldeter Aktionäre die Anfechtbarkeit der Beschlüsse. Bis zu einer Entscheidung des Meinungsstreits durch den BGH sollten Aktiengesellschaften deshalb davon absehen, Aktionäre aus Kulanz bei Nichteinhaltung der Anmelde- oder Legitimationsfrist nachträglich zur Hauptversammlung zuzulassen.


Rechtsanwalt Dr. Albert Schröder,  Rechtsanwältin Stephanie von Riegen, Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Freiburg


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