Arzneimittelpreise steigen – wer bezahlt dafür?

Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und Pharmaverbände streiten über steigende Arzneimittelpreise. Doch was ist mit den Interessen der Versicherten? Welche Auswirkungen haben die Preissteigerungen? Und was unternimmt die Politik?

Patienten und Versicherte sind von der aktuellen Diskussion so gut wie ausgeschlossen. Dabei sind sie unmittelbar betroffen. Denn die Arzneimittelpreise kommen spätestens mit den steigenden Zusatzbeiträgen auch beim Versicherten an. Der am 26.09.2016 in Berlin vorgestellte «Arzneiverordnungsreport 2016» unterstreicht dies.

Bekommen Versicherte die höheren Preise auch selbst zu spüren?

Arzneimittel gehören zu den «Top 3» der Kostentreiber im Gesundheitswesen. Die gesamten Ausgaben der GKV haben 2015 erstmals «die Schallmauer von 200 Milliarden Euro überschritten». Die Ausgaben für Arzneimittel erreichten dabei ein neues Rekordniveau von knapp 37 Milliarden Euro. Sie legten in den vergangenen beiden Jahren um 4,8 Milliarden Euro oder 15 Prozent zu, so der AOK-Bundesverband. Die Steigerungen schlagen sich auf die Zusatzbeiträge der Krankenkassen nieder und damit ausschließlich auf den Geldbeutel der Versicherten.

Ist ein teures Medikament automatisch auch ein gutes?

Für den unmittelbar auf Medikamente angewiesenen Patienten ist es wichtig, dass das viele Geld tatsächlich auch in Präparate gesteckt wird, die für ihn etwas bringen. Das Hepatitis-C-Präparat Sovaldi beispielsweise, das als eines der teuersten Medikamente in den vergangenen Jahren auf den Markt kam, hatte eine auch von den Kassen anerkannt positive Wirkung.


Doch einige der Medikamente, bei denen eine Tablette schon mal 700 Euro und eine Standardtherapie 60.000 Euro kosten kann, seien nicht ohne Risiko, sagt der Autor des Reports, Ulrich Schwabe. So seien bei neuen, die Blutgerinnung hemmenden Mitteln 11.000 Fälle von schwerwiegenden Blutungen gemeldet worden, darunter etwa zehn Prozent tödliche Blutungen.

Gibt es Mechanismen, um hohe Arzneimittelpreise zu verhindern?

Ja. 2011 wurde unter der schwarz-gelben Bundesregierung das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) in Kraft gesetzt. Ziel war es, dem Patienten die beste Therapie angedeihen zu lassen bei gleichzeitig günstigen Kosten. Neue Arzneimittel müssen seither einen Zusatznutzen für Patienten haben. Man versprach sich Einsparungen von zwei Milliarden Euro im Jahr. Bisher liegt der Spareffekt bei nur 925 Millionen.

Warum wurden die Einsparziele nicht erreicht?

Schwabe sieht den Grund vor allem in einer nachträglichen Aufweichung des AMNOG. So wurde für sogenannte Orphan Drugs, Arzneimittel zur Behandlung von seltenen Krankheiten, eine Ausnahmeregelung geschaffen. Deren Zusatznutzen gilt bereits durch die europäische Zulassung als belegt. Auch der Bestandsmarkt - die Arzneimittel, die vor 2011 eingeführt wurden - werde nicht ausreichend überprüft.

Hat die Industrie auf AMNOG reagiert?

Ja, sagt der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Wolf-Dieter Ludwig. Angesichts der niedrigen Zulassungsschwelle habe sich die Industrie in den vergangenen Jahren mehr und mehr auf die medikamentöse Krebsbehandlung konzentriert. Hier seien um ein Vielfaches höhere Preise zu erzielen als in den klassischen Feldern wie Herz-Kreislauf- oder Zucker-Erkrankungen. Fast ein Drittel der 37 im vergangenen Jahr neu eingeführten Arzneimittel seien für die Krebsbehandlung Sterbender zugelassen, darunter wiederum sechs Mittel für seltene Leiden.

Was unternimmt die Politik gegen Preissteigerungen?

Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will mit einem Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz weitere Preisbremsen einziehen. Doch von den Experten der Krankenkassen wird sein Referentenentwurf regelrecht zerrissen. Dieser setze praktisch Eins zu Eins um, was die Pharmaverbände im April im sogenannten Pharmadialog gefordert hätten, sagt Schwabe. «Was der Markt bereit sei zu zahlen, das wird als Preis angenommen.» Dabei sollen die Preise zwischen Krankenkassen und Pharmaunternehmen künftig auch noch im Geheimen ausgehandelt werden. «Das ist eine Veralberung der Öffentlichkeit», kritisierte Schwabe.

Leider zwingen die großen Reserven im Gesundheitssystem Gröhe nicht zum Sparen, heißt es bei den Krankenkassen. Und so muss sich der CDU-Politiker im Wahljahr 2017 mit niemandem ernsthaft anlegen.

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Und was sagt die Pharmaindustrie?

Viel Lärm um nichts. «Die Kosten bleiben unter Kontrolle und sind mit Blick auf den Fortschritt durch Innovationen gerechtfertigt», heißt es beim Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa).

dpa