Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufstockungsbeträge. Grundsicherung. Anspruchsübergang. Jobcenter. sittenwidriger Lohn. Lohnwucher. übliche Vergütung
Leitsatz (amtlich)
1. Das Jobcenter kann von einem Arbeitgeber Aufstockungsbeträge, die es im Rahmen der Grundsicherung als Hilfe zum Lebensunterhalt an Arbeitnehmer leisten muss, weil der Arbeitgeber sittenwidrige Löhne zahlt, erstattet verlangen. Die Ansprüche der Arbeitnehmer gegen ihren Arbeitgeber auf Zahlung angemessener Löhne, die der Arbeitgeber nur zu einem kleinen Teil erfüllt, gehen auf das Jobcenter bis zur Höhe der geleisteten Hilfen über, sofern die Arbeitnehmer bei Zahlung des angemessenen Lohnes nicht hilfebedürftig wären, ansonsten in Höhe der Differenz zwischen geleisteter Hilfe und trotz angemessener Lohnzahlung zustehender Aufstockungsbeträge.
2. Ein Arbeitgeber, der an seine Arbeitnehmer Stundenlöhne von 1,59 Euro, 1,65 Euro, 2,48 Euro, 2,72 Euro und 3,46 Euro brutto zahlt, betreibt Lohnwucher.
3. Das Jobcenter kann die im Hotel- und Gaststättengewerbe in der Wirtschaftsregion des Landkreises an gering Qualifizierte üblicherweise gezahlte Vergütung ermitteln, in dem es seine aus den Arbeitsvermittlungen erworbenen Kenntnisse über die durchschnittlich gezahlten Löhne zur Grundlage macht.
Normenkette
SGB X § 115 Abs. 1; SGB II § 1; BGB § 612 Abs. 2, § 138 Abs. 1-2
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.726,11 Euro nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB seit dem 05.06.2013 zu zahlen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Der Streitwert wird festgesetzt auf 10.726,11 Euro.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Zahlung angemessener Vergütung aus übergegangenem Recht.
Der Beklagte, der mit seiner Firma P. P. seit 2008 Mitglied der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe ist, betreibt einen Pizza Lieferservice mit zwei Filialen in Sch. und in P.. Er beschäftigt insgesamt 26 Arbeitnehmer als Pizzabäcker, Küchenhilfen und Fahrer; mit einigen von ihnen hat er nur Teilzeitarbeitsverträge geschlossen.
Acht Arbeitnehmer erhielten im Zeitraum Oktober 2012 bis März 2013 vom Kläger aufstockende Leistungen im Rahmen der Grundsicherung nach dem SGB II. Diese Arbeitnehmer hatten mit dem Beklagten die folgenden Monatsvergütungen und Wochenarbeitszeiten schriftlich vereinbart:
Frau S. 600,– EUR brutto |
für 40 Stunden |
[= 3,46 EUR pro Stunde] |
Frau B. 430,– EUR brutto |
für 40 Stunden |
[= 2,48 EUR pro Stunde] |
Herr B. 430,– EUR brutto |
für 40 Stunden |
[= 2,48 EUR pro Stunde] |
Herr Br. 430,– EUR brutto |
für 40 Stunden |
[= 2,48 EUR pro Stunde] |
Frau E. 165,– EUR brutto = netto |
für 14 Stunden |
[= 2,72 EUR pro Stunde] |
Frau M. 100,– EUR brutto = netto |
für 14 Stunden |
[= 1,65 EUR pro Stunde] |
Frau H. 100,– EUR brutto = netto |
für 14 Stunden |
[= 1,65 EUR pro Stunde] |
Frau Bi. 100,– EUR brutto = netto |
für 14,5 Stunden |
[= 1,59 EUR pro Stunde] |
Die monatlichen Festgehälter und die Arbeitszeiten sind in allen Arbeitsverträgen unter § 2 und § 3 vereinbart. In allen Arbeitsverträgen ist unter § 10 vereinbart, dass Änderungen und Ergänzungen dieses Vertrages zu ihrer Rechtswirksamkeit der Schriftform bedürfen. § 9 enthält eine zweistufige Verfallklausel, nach der Ansprüche innerhalb von 6 Monaten schriftlich geltend gemacht und innerhalb von 3 Monaten nach Ablehnung eingeklagt werden müssen.
Die betreffenden Arbeitnehmer erhielten vom Kläger folgende Aufstockungsbeträge pro Monat:
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von 10/12 bis 12/12 |
von 01/13 bis 03/13 |
Frau S. |
732,45 EUR |
719,10 EUR |
Frau B. |
658,16 EUR als Ehepaar gemeinsam |
674,54 EUR |
Herr B. |
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Herr Br. |
524,71 EUR |
532,71 EUR |
Frau E. |
849,88 EUR |
860,84 EUR |
Frau M. |
978,00 EUR |
994,00 EUR |
Frau H. |
1376,19 EUR nur für 10/12 |
0,0 EUR |
Frau Bi. |
407,27 EUR |
423,27 EUR |
Diese Zahlungen ergeben sich aus den vom Kläger eingereichten Auszügen aus den Fallkonten, auf die Bezug genommen wird (Bl. 116-118, 136 – 139, 143 d.A.).
Der Kläger führte am 7.03.2013 mit dem Beklagten ein Gespräch mit dem Ziel der Erhöhung der Löhne. Nach anfänglicher Kooperationsbereitschaft erhöhte der Beklagte die Entgelte aber nicht. Mit Schreiben vom 11.04.2013, auf das Bezug genommen wird (Bl. 111 – 120 d.A.) forderte der Kläger vom Beklagten die Zahlung von 10.726,11 EUR aus übergegangenen Vergütungsansprüchen. Das Schreiben wurde dem Beklagte am12.04.13 zugestellt (Zustellungsurkunde Bl. 109 f. d.A.). Diese Forderung ist Gegenstand der Klage, die beim Arbeitsgericht Eberswalde am 31.05.2013 eingegangen ist.
Der Kläger trägt vor, die zwischen dem Beklagten und den acht Arbeitnehmern getroffenen Vergütungsvereinbarungen seien sittenwidrig und damit nichtig. Die gezahlten Vergütungen stünden in einem auffälligen Missverhältnis zur erbrachten Arbeitsleistung, da sie nicht einmal die Hälfte der in dieser Branche und in dieser Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Entgelte erreichen würden. Das Unternehmen des Beklagten sei dem Hotel- und Gaststättengewerbe zuzuordnen. Im Hotel- und Gaststättengewerbe des Landkreises Uckermark verdien...