Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsweg – Arbeitnehmerähnliche Person (Rundfunkgebührenbeauftragter)
Leitsatz (amtlich)
Ein Rundfunkgebührenbeauftragter kann arbeitnehmerähnliche Person sein. Für dessen Klage auf Erteilung einer Arbeitsbescheinigung nach § 312 SGB III ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet.
Normenkette
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. e, § 5 Abs. 1 Sätze 1-2; GVG § 13; SGB III § 25 Abs. 1, § 312; SGB IV § 7 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Die weitere sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Köln vom 7. Februar 2000 – 13 Ta 396/99 – wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten der weiteren sofortigen Beschwerde zu tragen.
3. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 500,00 DM festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Beklagten, dem Kläger eine Arbeitsbescheinigung nach § 312 SGB III zu erteilen.
Der Kläger war seit dem 2. März 1981 als sog. Rundfunkgebührenbeauftragter für den Beklagten tätig. Darüber schlossen die Parteien zuletzt am 24. Juni 1991 eine schriftliche Vereinbarung. Danach hatte der Kläger die Rundfunkteilnehmer über die Anmeldung von Geräten und den Gebühreneinzug zu informieren und zu beraten, Auskünfte über das Bereithalten von Geräten einzuholen und Anmeldungen oder Änderungsmeldungen für den Beklagten entgegenzunehmen. Laut Vertrag führte der Kläger diese Tätigkeiten „selbständig” aus und unterlag „hinsichtlich der Gestaltung seiner Tätigkeit, seiner Arbeitszeit usw. keinem Weisungsrecht” des Beklagten. Ferner heißt es im Vertrag, durch ihn werde kein Arbeitsverhältnis begründet, darüber bestehe zwischen den Parteien Einigkeit. Der Kläger war ausschließlich für den Beklagten tätig und erzielte keine weiteren Einnahmen. Aus seiner Tätigkeit bezog er jährlich zuletzt etwa 50.000,00 DM.
Mit Schreiben vom 10. Dezember 1998 kündigte der Beklagte das Vertragsverhältnis der Parteien zum 30. Juni 1999. Seitdem ist der Kläger arbeitslos. Er beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Das Arbeitsamt forderte ihn zur Vorlage einer Arbeitsbescheinigung auf. Die Bitte des Klägers auf Erteilung einer solchen Bescheinigung lehnte der Beklagte ab. Der Kläger erhob daraufhin beim Arbeitsgericht die vorliegende Klage.
Im Beschwerdeverfahren streiten die Parteien über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs. Der Kläger meint, der Rechtsstreit falle in die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen. Er sei zumindest als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen. Der Beklagte hält den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig. Der Kläger sei freier Mitarbeiter und nicht Arbeitnehmer gewesen. Für eine Arbeitnehmerähnlichkeit habe es an der sozialen Schutzbedürftigkeit gefehlt.
Das Arbeitsgericht hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht verwiesen. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers hat das Landesarbeitsgericht den beschrittenen Rechtsweg für zulässig erklärt. Mit der zugelassenen weiteren sofortigen Beschwerde bittet der Beklagte um die Wiederherstellung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung.
II. Die weitere sofortige Beschwerde ist nicht begründet. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 e ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern über Arbeitspapiere. Das Landesarbeitsgericht hat das Vorliegen dieser Voraussetzungen zu Recht bejaht.
1. Der Streit der Parteien ist ein bürgerlicher Rechtsstreit. Ein solcher liegt vor, wenn der Streitgegenstand eine unmittelbare Rechtsfolge des Zivilrechts darstellt(BAG 22. September 1999 – 5 AZB 27/99 – NZA 2000, 55, 56). Dafür ist die Natur des Rechtsverhältnisses entscheidend, aus dem der Klageanspruch abgeleitet wird(Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes 10. April 1986 – GmS-OGB 1/85 – BGHZ 97, 312, 313). Maßgeblich ist, ob der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt für die aus ihm hergeleitete Rechtsfolge von Rechtssätzen des bürgerlichen oder des öffentlichen Rechts geprägt wird. Dabei ist es Aufgabe der Gerichte, darüber zu entscheiden, ob und ggf. welche Anspruchstatbestände aufgrund des ermittelten Sachverhalts erfüllt sind. Die Auswahl der anzuwendenden Anspruchsgrundlage ist nicht Sache der klagenden oder der beklagten Partei(BAG 16. Februar 2000 – 5 AZB 71/99 – AP ArbGG 1979 § 2 Nr. 70 = EzA ArbGG 1979 § 2 Nr. 49).
Danach ist der Streit über den Anspruch auf Erteilung einer Arbeitsbescheinigung zwischen Privatrechtssubjekten eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit. Zwar begründet § 312 SGB III eine gegenüber der Arbeitsverwaltung bestehende öffentlich-rechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers, bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses eine Arbeitsbescheinigung mit Antworten auf die in dem entsprechenden amtlichen Formblatt gestellten Fragen auszustellen(BAG 13. Juli 1988 – 5 AZR 467/87 – BAGE 59, 169; BSG 12. Dezember 1990 – 11 RAr 43/88 – NZA 1991, 696). Von dieser öffentlich-rechtlichen Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitsverwaltung ist jedoch die Rechtsbeziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu unterscheiden. Aus der Fürsorgepflicht gegenüber dem Arbeitnehmer folgt ebenfalls eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Hilfe bei der Erlangung sozialrechtlicher Leistungen, ggf. durch Ausfüllung und Herausgabe dazu benötigter Bescheinigungen. Diese Pflicht ist ebenso wie das ihr zugrunde liegende Rechtsverhältnis bürgerlich-rechtlicher Art. Der Senat hat dies zuletzt mit Urteil vom 15. Januar 1992(– 5 AZR 15/91 – BAGE 69, 204) entschieden und hält an seiner Auffassung fest.
Auch im Streitfall kann der Anspruch, soweit er denn materiell-rechtlich besteht, nur erwachsen aus dem Beschäftigungsverhältnis der Parteien. Dieses ist privatrechtlicher Art.
2. Liegt damit eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit zwischen den Parteien vor, so kommt als zulässiger Rechtsweg entweder der zu den ordentlichen Gerichten nach § 13 GVG oder der zu den Gerichten für Arbeitssachen in Betracht. Die Arbeitsgerichte sind nur zuständig, wenn es sich um einen Streit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer handelt oder wenn die dem Streit zugrunde liegenden Tatsachen doppelrelevant sind, dh. wenn bei fehlender Arbeitnehmerstellung des Anspruchstellers auch der Anspruch selbst nicht begründet sein kann (sog. sic-non-Fall).
a) Ob der Streitfall einen sic-non-Fall darstellt, kann dahinstehen. Dagegen könnte sprechen, daß der zivilrechtliche Anspruch auf Erteilung einer Arbeitsbescheinigung nach § 312 SGB III zur Vorlage beim Arbeitsamt auch dann begründet sein könnte, wenn der Anspruchsteller kein Arbeitnehmer war. Versicherungspflichtige Beschäftigung nach § 7 Abs. 1 SGB IV, § 25 Abs. 1 SGB III und Arbeitsverhältnis sind nicht deckungsgleich. Schon nach öffentlichem Recht ist deshalb derjenige nach § 312 SGB III zur Ausstellung verpflichtet, bei dem der Arbeitslose in einem „Beschäftigungsverhältnis” gestanden hat(Steinmeyer in Gagel SGB III Stand März 2000 § 312 Rn. 15 – anders Gagel AFG Stand Januar 1998 § 133 Rn. 8, der das Vorliegen eines „Arbeitsverhältnisses” verlangt; auch das Bundesarbeitsgericht hat im Urteil vom 14. Dezember 1988 (– 5 AZR 759/87 – nv.) nur den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für die Klage eines Sozialhilfeempfängers auf Erteilung einer Arbeitsbescheinigung und nicht schon die Möglichkeit des materiell-rechtlichen Anspruchs verneint). Die zivilrechtliche Fürsorgepflicht geböte dabei nur, dem Beschäftigten bei der Antragstellung durch Ausfüllung der Arbeitsbescheinigung behilflich zu sein. Die mögliche Existenz einer solchen vertraglichen Pflicht auch außerhalb eines Arbeitsverhältnisses würde nichts darüber besagen, ob eine öffentlich-rechtliche Versicherungspflichtigkeit tatsächlich bestanden hat. Dies festzustellen ist Sache der Sozialversicherungsträger und ggf. der Sozialgerichte.
b) Die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen folgt hier jedenfalls daraus, daß der Kläger als Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes anzusehen ist. Gemäß § 5 Abs. 1 ArbGG sind Arbeitnehmer Arbeiter und Angestellte; darüber hinaus gelten als solche auch sonstige Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind. Für die Rechtswegbestimmung ist eine Wahlfeststellung zwischen beiden zulässig(BAG 14. Januar 1997 – 5 AZB 22/96 – AP ArbGG 1979 § 2 Nr. 41 = EzA ArbGG 1979 § 5 Nr. 16).
Der Kläger ist zumindest arbeitnehmerähnliche Person. Dies hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen. Das Arbeitsgerichtsgesetz bestimmt nicht selbst, wer arbeitnehmerähnliche Person ist. Es setzt den Begriff als bekannt voraus. Arbeitnehmerähnliche Personen sind Selbständige. Sie unterscheiden sich von Arbeitnehmern durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit. Arbeitnehmerähnliche Personen sind – in der Regel wegen ihrer fehlenden oder gegenüber Arbeitnehmern geringeren Weisungsgebundenheit, oft auch wegen fehlender oder geringerer Eingliederung in eine betriebliche Organisation – in wesentlich geringerem Maße persönlich abhängig als Arbeitnehmer. An die Stelle der persönlichen Abhängigkeit tritt das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit. Eine arbeitnehmerähnliche Person kann für mehrere Auftraggeber tätig sein, wenn die Beschäftigung für einen von ihnen überwiegt und die daraus fließende Vergütung die entscheidende Existenzgrundlage darstellt. Der wirtschaftlich Abhängige muß außerdem seiner gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar schutzbedürftig sein(BAG 17. Juni 1999 – 5 AZB 23/98 – AP GVG § 17 a Nr. 39 = EzA ArbGG 1979 § 5 Nr. 34 mwN).
Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger war vom Beklagten wirtschaftlich abhängig. Neben seiner Tätigkeit für diesen ist er keiner anderen Beschäftigung nachgegangen. Die aus seiner Tätigkeit als Rundfunkgebührenbeauftragter erzielte Vergütung stellte seine einzige wirtschaftliche Existenzgrundlage dar. Ob es ihm vertraglich erlaubt war, daneben einer anderen Tätigkeit nachzugehen, ist für die tatsächlich bestehende wirtschaftliche Abhängigkeit vom Beklagten ohne Bedeutung.
Der Kläger war auch vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig. Die Höhe seiner monatlichen Einkünfte von durchschnittlich etwa 4.200,00 DM und die Notwendigkeit, seine Dienste für den Beklagten persönlich zu erbringen, weisen ihn als ähnlich schutzbedürftig aus.
Entgegen der Ansicht des Beklagten steht dem die Entscheidung des Senats vom 26. Mai 1999(– 5 AZR 469/98 – AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 104 = EzA BGB § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 75) nicht entgegen. Der dortige Kläger wurde vom Senat aufgrund der tatsächlichen Umstände, die seine Tätigkeit als Rundfunkgebührenbeauftragter prägten, nicht als Arbeitnehmer angesehen. Darüber, ob er arbeitnehmerähnliche Person war, war nicht zu befinden.
3. Die Parteien führen einen Streit „über Arbeitspapiere” iSd. § 2 Abs. 1 Nr. 3 e ArbGG. Die Arbeitsbescheinigung nach § 312 SGB III fällt unter diesen Begriff(BAG 15. Januar 1992 – 5 AZR 15/91 – AP ArbGG 1979 § 2 Nr. 21; Germelmann/Matthes/Prütting ArbGG 3. Aufl. § 2 Rn. 81).
Unterschriften
Griebeling, Müller-Glöge, Kreft
Fundstellen
Haufe-Index 537494 |
BB 2001, 104 |
BB 2001, 264 |
DB 2001, 824 |
NWB 2000, 4440 |
FA 2001, 23 |
JR 2001, 396 |
NZA 2000, 1359 |
ZAP 2001, 132 |
ZTR 2001, 86 |
AP, 0 |
SGb 2001, 131 |
ZUM-RD 2001, 100 |