Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingruppierung einer Leiterin einer Kindertagesstätte
Leitsatz (amtlich)
- Das Tatbestandsmerkmal der “Kindertagesstätte für Behinderte im Sinne des § 39 BSHG oder für Kinder oder Jugendliche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten” z. B. der VergGr. IVa Fallgr. 6 des Teils I Abschn. B Unterabschn. 1 TV TM ist nicht bereits dann erfüllt, wenn in der Kindertagesstätte auch Personen der genannten Gruppen betreut werden.
- Vielmehr muß die Kindertagesstätte zur Betreuung von Behinderten etc. bestimmt sein. Dies ist dann der Fall, wenn in der Einrichtung nach ihrer Konzeption (Aufgabenstellung, Struktur, personelle und sachliche Ausstattung, Inhalt und Methoden der Förderung) Behinderte usw. betreut werden sollen. Eine Widmung der Kindertagesstätte für diese spezielle Aufgabenstellung i.S. eines Formalaktes ist nicht erforderlich.
Leitsatz (redaktionell)
Das Tatbestandsmerkmal “Kindertagesstätten für Behinderte” usw. findet sich gleichlautend auch in den Eingruppierungsmerkmalen der Anl. 1a zum BAT für die Angestellten im Sozial- und Erziehungsdienst.
Normenkette
Bundes-Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt (BMT-AW II) § 22; Tarifvertrag über die Tätigkeitsmerkmale zum Bundes-Manteltarifvertrag (BMT-AW II) vom 1. November 1977 (TV TM) Teil I Abschn. B Unterabschn. 1 VergGr. IVa Fallgr. 6
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 03.08.1994; Aktenzeichen 9 Sa 2000/93) |
ArbG Siegen (Urteil vom 10.09.1993; Aktenzeichen 3 Ca 1484/92) |
Tenor
- Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 3. August 1994 – 9 Sa 2000/93 – wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die tarifgerechte Vergütung der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 1991 bis zum 31. März 1993.
Die am 11. Juni 1955 geborene Klägerin ist ausgebildete Erzieherin. Sie stand seit September 1974 in den Diensten der Firma K…, für die sie als Erzieherin in deren Werkskindergarten in S… tätig war. Deren Werkskindergärten wurden zum 1. Januar 1981 von der Arbeiterwohlfahrt übernommen. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin als Gruppenleiterin und stellvertretende Leiterin im Kindergarten R… in S… eingesetzt. Unter dem 14. Januar 1981 schlossen die Klägerin und die Arbeiterwohlfahrt, Bezirk Westliches Westfalen, vertreten durch Arbeiterwohlfahrt, Kreisverband S…, einen schriftlichen Arbeitsvertrag, in dem sie vereinbarten, die Klägerin werde “ab 1. Januar 1981 als Erzieherin eingestellt”; als Tag des Diensteintritts gelte “der 10. September 1974, Beginn des Beschäftigungsverhältnisses im Kindergarten der S…”. In § 2 dieses Arbeitsvertrages ist bestimmt, daß auf das Arbeitsverhältnis die Bestimmungen und Vorschriften des Bundes-Manteltarifvertrages, der zwischen der Arbeiterwohlfahrt, der Gewerkschaft ÖTV und der DAG abgeschlossen ist, mit den dazu ergangenen und noch ergehenden Zusatzbestimmungen Anwendung finden. In § 3 des Arbeitsvertrages ist vereinbart, daß die Vergütung “nach den zur Zeit gültigen Bestimmungen des Vergütungs- und Lohntarifvertrages unter Einreihung in die VergGr. Vc BMT-AW” erfolgt.
Nachdem dies im ersten Rechtszug noch zwischen den Parteien streitig war, gehen diese nunmehr davon aus, Arbeitgeber der Klägerin ab 1. Januar 1981 sei der Beklagte, ein nicht eingetragener Verein, gewesen.
Nach zwischenzeitlicher Tätigkeit der Klägerin als Gruppenleiterin und stellvertretende Kindergartenleiterin ab 1. September 1981 im Kindergarten B… in S… war die Klägerin ab 1. Juni 1982 als Kindergartenleiterin in dem Kindergarten S… -L… beschäftigt. Seit diesem Zeitpunkt erhielt sie zunächst Vergütung nach der VergGr. Vb, ab 1. September 1991 nach VergGr. IVb. Diese Tätigkeit übte die Klägerin, lediglich unterbrochen durch Erziehungsurlaub in der Zeit von Juni 1986 bis April 1987 und von Dezember 1989 bis August 1991, bis zu ihrem Ausscheiden aus den Diensten des Beklagten wegen einer Rehabilitationsmaßnahme am 31. März 1993 aus.
In dem Kindergarten S… -L… wurden (Stand: November 1991) 75 Kinder in drei Gruppen in der Zeit von 7.00 – 13.00 Uhr, zum Teil auch von 14.00 – 15.00 Uhr betreut, darunter 36 Kinder ausländischer Familien. Wegen des hohen Anteils an Kindern von Asylbewerbern, Aussiedlern und Ausländern und Kindern aus problematischen Familiensituationen erkannte der Landschaftsverband Westfalen-Lippe für die Kindergartenjahre 1991/1992 und 1992/1993 die Notwendigkeit des Einsatzes einer zusätzlichen sozialpädagogischen Fachkraft mit 38,5 Wochenstunden an. Diese und die Klägerin selbst mitgerechnet waren im Kindergarten L… vier Erzieherinnen, eine ganztags- und zwei halbtagsbeschäftigte Helferinnen tätig. Die Klägerin, seinerzeit Betriebsratsvorsitzende, leistete wegen der im Kindergarten in starkem Maße anfallenden Verwaltungsarbeit neben ihrer Leitungstätigkeit lediglich als Springerin Gruppenarbeit.
Durch Änderungstarifvertrag vom 28. Mai 1991 wurden die Eingruppierungsmerkmale des Tarifvertrages über die Tätigkeitsmerkmale zum Bundes-Manteltarifvertrag (BMT-AW II) für die Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt vom 1. November 1977 (im folgenden kurz: TV TM) mit Wirkung vom 1. Januar 1991 neugefaßt. Im Hinblick darauf beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 4. Dezember 1991 rückwirkend ab 1. Januar 1991 die Eingruppierung in die “VergGr. IVa Fallgr. 6 BMT/AW II” und begründete dies damit, im Kindergarten L… würden überwiegend Kinder mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten betreut. Der Beklagte hält die Eingruppierung der Klägerin in die VergGr. IVb Fallgr. 3 TV TM für zutreffend.
Mit ihrer Feststellungsklage hat die Klägerin den Anspruch auf Vergütung nach VergGr. IVa TV TM weiterverfolgt, und zwar erstinstanzlich sowohl gegen den Beklagten als auch gegen die Arbeiterwohlfahrt, Kreisverband S… -W…, einen eingetragenen Verein.
Sie hat vorgetragen, weit mehr als die Hälfte der im Kindergarten L… betreuten Kinder seien solche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten. Dazu rechneten auch Kinder ohne Kenntnisse der deutschen Sprache oder mit nur mangelhaften deutschen Sprachkenntnissen, da diese zur Kommunikation nur unzureichend fähig seien. Dies erschwere ihre planmäßige körperliche, geistige und sittliche Formung. Sprachauffälligkeiten unter Einbeziehung der Fälle fehlender und unzureichender Deutschkenntnisse wiesen 28 Kinder auf. Eine Logopädin werde von den Eltern trotz Drängens der Erzieherinnen nur selten eingeschaltet. Die Sprachförderung werde daher im Kindergarten geleistet. Bei vielen Kindern sei auch deren Grundversorgung – Ernährung, Kleidung, Körperpflege – nicht ausreichend gewährleistet. Dem Personal des Kindergartens falle daher die Aufgabe zu, diese Defizite auszugleichen. Besondere Aufmerksamkeit gelte der Förderung von Störungen der Grob- und Feinmotorik. Der Einsatz, der den Erzieherinnen abverlangt werde, liege erheblich über den Anforderungen, die an Erzieherinnen in Kindertagesstätten mit Kindern ohne Erziehungsschwierigkeiten gestellt würden.
Als Leiterin des Kindergartens sei sie in starkem Maße mit der Elternarbeit betraut gewesen. Diese habe sich äußerst schwierig gestaltet. Die Eltern hätten vielfach von sich aus kein Interesse gezeigt. Als Leiterin des Kindergartens sei sie auch für die Kontaktaufnahme zu Behörden und anderen Einrichtungen zuständig gewesen.
Das Eingruppierungsmerkmal des Leiters von Kindertagesstätten für Behinderte im Sinne des § 39 BSHG oder für Kinder oder Jugendliche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten setze entgegen der Auffassung des Beklagten nicht voraus, daß der Träger der Kindertagesstätte diese zur Betreuung der genannten Personenkreise bestimmt habe. Vielmehr sei entscheidend, ob in der Kindertagesstätte tatsächlich Kinder mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten betreut würden.
Die Klägerin hat im ersten Rechtszug zuletzt beantragt,
festzustellen, daß die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin ab 1. Januar 1991 Vergütung aus der VergGr. IVa des Tarifvertrages über die Tätigkeitsmerkmale zum Bundesmanteltarifvertrag (BMT-AW II) für die Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 28. Mai 1991, gültig ab 1. Januar 1991, bis zum 31. März 1993 zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen. Sie haben geltend gemacht, das Eingruppierungsmerkmal der VergGr. IVa Fallgr. 6 TV TM setze voraus, daß die Kindertagesstätte speziell zur Förderung von Behinderten im Sinne des § 39 BSHG oder von Kindern oder Jugendlichen mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten bestimmt sei. Diese Voraussetzung erfülle der Kindergarten in L… – streitlos – nicht. Schon dies müsse zur Abweisung der Klage führen. Darüber hinaus habe die Klägerin nicht hinreichend dargelegt, inwiefern es sich bei mindestens 50 % der in der Kindertagesstätte betreuten Kinder um solche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten handele. Aus ihrem Vortrag werde an keiner Stelle deutlich, welche der pädagogischen Maßnahmen normale Erziehungsmaßnahmen seien, wie sie in jedem beliebigen Kindergarten anzuwenden seien, und bei welchen Maßnahmen und in welchem Umfang es sich dabei um besondere, vom pädagogischen Ansatz her von den normalen Maßnahmen zu unterscheidende handele.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Im Berufungsrechtszug hat die Klägerin ihre Klage lediglich gegen den – damaligen – Beklagten zu 1) weiterverfolgt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Sie hat gegenüber dem Beklagten für die Zeit vom 1. Januar 1991 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien am 31. März 1993 keinen Anspruch auf Vergütung nach der VergGr. IVa TV TM.
I. Die Klage ist zulässig. Die Klägerin hat eine der allgemein üblichen Eingruppierungsfeststellungsklagen erhoben. Für solche Klagen besteht auch außerhalb des öffentlichen Dienstes das nach § 256 ZPO erforderliche besondere Feststellungsinteresse (Senatsurteile vom 25. September 1991 – 4 AZR 87/91 – AP Nr. 7 zu § 1 Tarifverträge: Großhandel = EzA § 4 TVG Großhandel Nr. 2, zu I der Gründe; vom 26. Mai 1993 – 4 AZR 358/92 – AP Nr. 2 zu § 12 AVR Caritasverband, zu B I der Gründe). Dies gilt auch dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – der Feststellungsantrag auf einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum beschränkt ist (vgl. Urteil des Senats vom 20. Oktober 1993 – 4 AZR 47/93 – AP Nr. 173 zu §§ 22, 23 BAT 1975, m.w.N.).
II. Die danach zulässige Klage ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin ist beim Beklagten bis zum 31. März 1993 nicht als Leiter(in) einer Kindertagesstätte für Kinder mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten im Sinne des Eingruppierungsmerkmals der VergGr. IVa Fallgr. 6 TV TM in der Fassung des am 1. Januar 1991 in Kraft getretenen Änderungstarifvertrages vom 28. Mai 1991 tätig gewesen.
1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung “die Bestimmungen und Vorschriften des Bundesmanteltarifvertrages, der zwischen der Arbeiterwohlfahrt, der Gewerkschaft ÖTV und der DAG abgeschlossen ist, mit den dazu ergangenen und noch ergehenden Zusatzbestimmungen Anwendung”.
1.1 Damit ist der BMT-AW II vom 1. November 1977 in Bezug genommen. Die Grundsätze der Eingruppierung für die Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt sind in § 22 BMT-AW II geregelt. Dieser hatte, soweit hier von Interesse, bis zum 31. Dezember 1991 folgenden Wortlaut:
§ 22
Eingruppierung
- Der Arbeitnehmer wird nach dem Tarifvertrag über die Tätigkeitsmerkmale in die Vergütungs- bzw. Lohngruppe eingruppiert, die der von ihm überwiegend auszuübenden Tätigkeit entspricht.
Durch den Änderungstarifvertrag vom 3. Februar 1992 hat § 22 BMT-AW II mit Wirkung vom 1. Januar 1992 (§ 3 des Änderungstarifvertrages) folgende Fassung erhalten:
§ 22
Eingruppierung
- Der Arbeitnehmer ist nach dem Tarifvertrag über die Tätigkeitsmerkmale in die Vergütungs- bzw. Lohngruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmale der gesamten, von ihm nicht nur vorübergehend auszuübenden Tätigkeit entspricht.
Die gesamte auszuübende Tätigkeit entspricht den Tätigkeitsmerkmalen einer Vergütungs- bzw. Lohngruppe, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Vergütungsgruppe bzw. Lohngruppe erfüllen. Kann die Erfüllung einer Anforderung in der Regel erst bei der Betrachtung mehrerer Arbeitsvorgänge festgestellt werden (z. B. vielseitige Fachkenntnisse), sind diese Arbeitsvorgänge für die Feststellung, ob diese Anforderung erfüllt ist, insoweit zusammen zu beurteilen.
Werden in einem Tätigkeitsmerkmal mehrere Anforderungen gestellt, gilt das in Unterabsatz 1 Satz 1 bestimmte Maß, ebenfalls bezogen auf die gesamte auszuübende Tätigkeit, für jede Anforderung.
Ist in einem Tätigkeitsmerkmal ein von Unterabsatz 1 oder 2 abweichendes zeitliches Maß bestimmt, gilt dieses.
Ist in einem Tätigkeitsmerkmal als Anforderung eine Voraussetzung in der Person des Arbeitnehmers bestimmt, muß auch diese Anforderung erfüllt sein.
- Die Vergütungs- bzw. Lohngruppe des Arbeitnehmers ist im Arbeitsvertrag anzugeben.”
Zu Absatz 2 haben die Tarifvertragsparteien folgende Protokollnotizen vereinbart:
“Protokollnotizen zu Abs. 2:
1. Arbeitsvorgänge sind Arbeitsleistungen (einschließlich Zusammenhangsarbeiten), die bezogen auf den Aufgabenkreis des Arbeitnehmers, zu einem bei natürlicher Betrachtung abgrenzbaren Arbeitsergebnis führen (z. B. unterschriftsreife Bearbeitung eines Aktenvorganges, Erstellung eines EKG, Fertigung einer Bauzeichnung, Bearbeitung eines Antrags auf Wohngeld). Jeder einzelne Arbeitsvorgang ist als solcher zu bewerten und darf dabei hinsichtlich der Anforderungen zeitlich nicht aufgespalten werden.
2. Eine Anforderung im Sinne des Unterabsatz 1 ist auch das in einem Tätigkeitsmerkmal geforderte Herausheben der Tätigkeit aus einer niedrigeren Vergütungsgruppe bzw. Lohngruppe.”
1.2 Das Arbeitsgericht ist für den gesamten Anspruchszeitraum, also auch für die Zeit vor dem 1. Januar 1992, von der erst ab diesem Zeitpunkt in Kraft getretenen Fassung des § 22 BMT-AW II ausgegangen. Es hat angenommen, die gesamte Tätigkeit der Klägerin als Kindergartenleiterin bilde einen großen Arbeitsvorgang. Diese Auffassung teilt das Landesarbeitsgericht, ebenfalls ohne auf die Änderung des § 22 BMT-AW II einzugehen.
1.3 Der Auffassung der Vorinstanzen ist für die ab 1. Januar 1992 geltende Rechtslage zuzustimmen. Zum Begriff des Arbeitsvorgangs im Sinne des § 22 BMT-AW II gelten im wesentlichen dieselben Grundsätze wie zum Bundes-Angestelltentarifvertrag (ebenso Ihlenfeld, Eingruppierungsrecht Arbeiterwohlfahrt, 1995, Rz 40 – 50), da der Wortlaut der Tarifverträge zum großen Teil einander entspricht; insbesondere sind die jeweiligen zweiten Absätze des § 22 beider Tarifverträge – bis auf die zusätzliche Verweisung auf Lohngruppen in § 22 BMT-AW II – wortlautgleich.
Die Auffassung der Vorinstanzen, daß die gesamte Tätigkeit der Klägerin einen großen Arbeitsvorgang bildete, entspricht der Rechtsprechung des Senats zur Bildung der Arbeitsvorgänge bei Leitungstätigkeiten. Für die Leitung eines Schulkindergartens hat der Senat in seiner Entscheidung vom 18. Mai 1988 – 4 AZR 765/87 – BAGE 58, 283 = AP Nr. 24 zu §§ 22, 23 BAT Lehrer ausgeführt, die Klägerin habe als Leiterin eines Schulkindergartens eine vorgegebene Leitungsfunktion inne. Im Hinblick darauf dienten alle ihre Einzelaufgaben einem einheitlichen Arbeitsergebnis. Da sie diese Aufgaben allein und alleinverantwortlich ausführe, stünden Verwaltungsübung und Zusammenhangstätigkeiten fest. Aus den dargelegten Gründen sei die Tätigkeit der Klägerin auch weder nach tatsächlichen Gesichtspunkten weiter aufteilbar noch anders als tarifrechtlich einheitlich bewertbar. Die gesamte Leitungstätigkeit der Klägerin bilde daher einen Arbeitsvorgang. Diese Beurteilung entspreche der Senatsrechtsprechung in vergleichbaren Fällen (aaO, m.w.N.). Daran ist festzuhalten.
Die Leitungsaufgabe hat die Klägerin ununterbrochen während ihrer gesamten Arbeitszeit selbst dann ausgeübt, wenn sie sich gerade mit anderen Aufgaben als mit Leitungsaufgaben beschäftigt hat, etwa als Springerin eine Gruppe von Kindern (mit)betreut hat. Denn auch dann mußte die Klägerin jederzeit und sofort in der Lage sein, aktiv durch Erteilung der erforderlichen Anordnungen und fachlichen Weisungen Leitungsaufgaben im Kindergarten wahrzunehmen (vgl. Urteil des Senats vom 29. April 1992 – 4 AZR 458/91 – AP Nr. 162 zu §§ 22, 23 BAT 1975, m.w.N.). Der Wille der Tarifvertragsparteien, bei der Eingruppierung des Leiters einer Kindertagesstätte nicht zwischen der eigentlichen Leitungstätigkeit und der Arbeit des Leiters in einer Gruppe zu unterscheiden, wird daraus deutlich, daß sie ein eigenes Eingruppierungsmerkmal bereits für den Leiter einer Kindertagesstätte mit einer Durchschnittsbelegung von bis zu 39 Plätzen vereinbart haben (vgl. VergGr. Vc Fallgr. 10 und VergGr. Vb Fallgr. 7 TV TM). Der Leiter einer Kindertagesstätte bis zu dieser Größe wird aber regelmäßig auch eine Gruppe leiten oder in einer solchen mitarbeiten. Gleichwohl soll seine Tätigkeit nach dem Willen der Tarifvertragsparteien eingruppierungsrechtlich einheitlich als die eines Leiters einer Kindertagesstätte bewertet werden.
1.4 Für die Zeit bis zum 31. Dezember 1991, in der nach § 22 Abs. 1 BMT-AW II a. F. die überwiegend auszuübende Tätigkeit die Grundlage ihrer Eingruppierung bildete, muß von einer einheitlich zu bewertenden Gesamttätigkeit der Klägerin ausgegangen werden. Die Tätigkeit des Leiters von Kindertagesstätten haben die Tarifvertragsparteien in der ab 1. Januar 1991 geltenden Neufassung des TV TM zum Eingruppierungsmerkmal erhoben. Damit bringen sie zum Ausdruck, daß sie alle Tätigkeiten des Leiters einer Kindertagesstätte tariflich einheitlich bewerten wollen. Für eine zusammenfassende Betrachtung von Tätigkeiten auf der Beurteilungsgrundlage der überwiegenden oder mindestens der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit entsprechenden Tätigkeit gelten vergleichbare Regeln und Kriterien wie bei der Bildung von Arbeitsvorgängen, lediglich die anzuwendenden Maßstäbe sind weniger streng (Urteil des Senats vom 25. August 1993 – 4 AZR 577/92 – AP Nr. 5 zu § 12 AVR Diakonisches Werk).
2. Zwar enthält § 22 BMT-AW II nicht – wie § 22 Abs. 1 Satz 2 BAT – die ausdrückliche Bestimmung, daß der Angestellte Vergütung nach der Vergütungsgruppe erhält, in der er eingruppiert ist. Diese Rechtsfolge ergibt sich jedoch aus Sinn und Zweck der Eingruppierungsvorschriften. Diese sollen die zutreffende Vergütung des Arbeitnehmers bestimmen.
Für die Eingruppierung verweist § 22 BMT-AW II auf den TV TM. Dessen Geltung als zum BMT-AW II ergangene Zusatzregelung haben die Parteien in § 2 des Arbeitsvertrages vom 14. Januar 1981 ebenfalls vereinbart.
Die für den streitigen Vergütungsanspruch der Klägerin in Betracht kommenden Tätigkeitsmerkmale des Teils I Abschn. B Unterabschn. 1 TV TM in der ab 1. Januar 1991 in Kraft getretenen Neufassung des Änderungstarifvertrages vom 28. Mai 1991 haben folgenden Wortlaut:
Vergütungsgruppe IVa
…
6. Angestellte als Leiter von Kindertagesstätten für Behinderte im Sinne des § 39 BSHG oder für Kinder oder Jugendliche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten mit einer Durchschnittsbelegung von mindestens 70 Plätzen (Fußnote 1).
Vergütungsgruppe IVb
…
3. Angestellte als Leiter von Kindertagesstätten mit einer Durchschnittsbelegung von mindestens 70 Plätzen (Fußnote 1).
(Hierzu Protokollnotizen Nr. 9 und 10)
Protokollnotizen:
…
9. Kindertagesstätten im Sinne dieses Tätigkeitsmerkmals sind Krippen, Krabbelstuben, Kindergärten, Horte, Kinderbetreuungsstuben, Kinderhäuser sowie andere Kinderbetreuungseinheiten und Tageseinrichtungen der örtlichen Kindererholungsfürsorge.
…
Die Fußnote 1 und die Protokollnotiz Nr. 10 sind für den Streitfall nicht von Bedeutung.
3. Das Landesarbeitsgericht hat in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht die Auffassung vertreten, das Tatbestandsmerkmal der “Kindertagesstätte für Behinderte” usw. bedeute, daß die Einrichtung zweckbestimmt sein müsse zur Betreuung der genannten Personenkreise. Die Tarifvertragsparteien hätten die Problematik der Mitbetreuung Nichtbehinderter oder Kinder oder Jugendlicher ohne wesentliche Erziehungsschwierigkeiten in Gruppen von Behinderten usw. gesehen und dafür verschiedene Klarstellungen und Sonderregelungen getroffen. Dies verbiete eine ausdehnende Auslegung des Eingruppierungsmerkmals der VergGr. IVa Fallgr. 6 TV TM auf den Fall, daß in einer dafür nicht speziell bestimmten Kindertagesstätte in rechtserheblichem Ausmaß Kinder oder Jugendliche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten tatsächlich betreut würden.
4. Dieser Auffassung der Vorinstanzen ist zuzustimmen (ebenso Urteil des Arbeitsgerichts Hanau vom 12. März 1992 – 1 Ca 520/91 – rechtskräftig, und Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 25. Juni 1993 – 6 Ca 1028/92 – rechtskräftig, in: Hofmann, Das Tarifrecht im öffentlichen Dienst – Eingruppierung von A – Z, Stand März 1996, unter “Leiter von Kindertagesstätten” ≪L 760≫, zu II und IV).
Der Senat hatte erst kürzlich (Urteil vom 6. März 1996 – 4 AZR 671/94 –, n.v.) einen Eingruppierungsrechtsstreit zu entscheiden, in dem die Parteien über die Auslegung desselben Tatbestandsmerkmals der VergGr. IVa Fallgr. 6 TV TM gestritten haben wie in diesem Rechtsstreit. In jener Entscheidung hat der Senat offengelassen, ob die Voraussetzung der “Kindertagesstätte … für Kinder oder Jugendliche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten” nur dann erfüllt sei, “wenn der Träger der Kindertagesstätte diese ausdrücklich als eine solche Tagesstätte widmet oder sich dies aus objektiven Umständen, wie z. B. Einrichtung und entsprechende Qualifizierung des Personals ergibt”. Der vorliegende Fall sowie die sonstige zu den Tatbestandsmerkmalen des “Leiters einer Kindertagesstätte für Behinderte” usw. vorliegende Rechtsprechung zeigen, daß sich die Bedeutung der Auslegungsfrage – insbesondere wegen der Wortgleichheit des TV TM hinsichtlich der Eingruppierungsmerkmale für den Sozial- und Erziehungsdienst mit derjenigen des BAT – nicht auf seltene Einzelfälle beschränken wird. Sie bedarf daher der Beantwortung durch den Senat, der sich darin der Auffassung der Vorinstanzen anschließt. Für sie sprechen eindeutig Wortlaut und Gesamtzusammenhang des Tarifvertrages.
4.1. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Soweit der Tarifwortlaut jedoch nicht eindeutig ist, ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. z. B. Senatsurteil vom 21. Juli 1993 – 4 AZR 468/92 – AP Nr. 144 zu § 1 TVG Auslegung).
4.2. Bereits der Wortlaut des Eingruppierungsmerkmals der VergGr. IVa Fallgr. 6 TV TM spricht dafür, daß die Kindertagesstätte, deren Leitung unter den im Eingruppierungsmerkmal im einzelnen genannten weiteren Voraussetzungen zu dem Anspruch auf Vergütung nach der VergGr. IVa TV TM führt, dazu bestimmt sein muß, Behinderte usw. aufzunehmen und dort zu betreuen. Eine Bedeutung der Präposition “für” (Leiter einer Kindertagesstätte “für” Behinderte usw.) ist es, den Zweck, die Bestimmung des Bezugswortes zu beschreiben (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 2. Aufl., unter “für”). Eine “Werkstatt für Behinderte” im Sinne der VergGr. IVb Fallgr. 1 TV TM z. B. ist gewiß keine Werkstatt wie jede andere, also ohne jegliche konzeptionelle Besonderheit, in der neben nichtbehinderten Arbeitnehmern auch eine mehr oder weniger große Anzahl von Behinderten arbeiten. Vielmehr ist darunter eine Einrichtung zu verstehen, die für die genannte Zielgruppe (“Behinderte”) bestimmt ist und ein auf sie zugeschnittenes Ziel verfolgt, nämlich ihre Eingliederung in das Arbeitsleben (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SchwbG). Dementsprechend meint die “Kindertagesstätte für Behinderte” usw. eine Einrichtung, die nach ihrer Konzeption (Aufgabenstellung, Struktur, personelle und sachliche Ausstattung, Inhalt und Methoden der Förderung) zur Aufnahme und Betreuung der Zielgruppen – Behinderte oder Kinder oder Jugendliche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten – bestimmt ist.
4.2.1. Hätten die Tarifvertragsparteien mit diesem Tatbestandsmerkmal auch Einrichtungen erfassen wollen, in denen neben den im Eingruppierungsmerkmal der VergGr. IVa Fallgr. 6 TV TM genannten Zielgruppen auch Nichtbehinderte oder Kinder oder Jugendliche ohne wesentliche Erziehungsschwierigkeiten betreut werden, so hätten sie dies unschwer eindeutig bestimmen können, etwa durch die Formulierung: “Angestellte als Leiter von Kindertagesstätten, in denen auch/ein Drittel/überwiegend Behinderte” usw. betreut werden. Das Problem der Betreuung von Mischgruppen – hier im Sinne der Betreuung von Behinderten etc. einerseits sowie Nichtbehinderten etc. andererseits zu verstehen – für die Bewertung der Tätigkeiten von Angestellten im Sozial- und Erziehungsdienst und ihre Vergütung haben die Tarifvertragsparteien gesehen, wie die Protokollnotiz Nr. 1 ausweist. Dort haben sie für Angestellte in Heimen den Anspruch auf eine Zulage in Höhe von 120,-- DM monatlich vereinbart, “wenn in dem Heim überwiegend Behinderte im Sinne des § 39 BSHG oder Kinder oder Jugendliche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten zum Zwecke der Erziehung, Ausbildung oder Pflege ständig untergebracht sind”. Die Zulage beträgt 60,-- DM monatlich, wenn in dem Heim “nicht überwiegend solche Personen” ständig untergebracht sind.
4.2.2. Hätten die Tarifvertragsparteien das Eingruppierungsmerkmal der VergGr. IVa Fallgr. 6 TV TM so regeln wollen, wie die Klägerin es versteht, hätten sie – alternativ – auch die Formulierung übernehmen können, die sie z. B. in der Protokollnotiz 2. unter c vereinbart haben (dortiger Text: “Tätigkeiten in …-gruppen mit einem Anteil von mindestens einem Drittel von Behinderten …”) und die Kindertagesstätte in dem Eingruppierungsmerkmal der VergGr. IVa Fallgr. 6 TV TM dahin beschreiben können: “Kindertagesstätten mit einem Anteil von … Behinderten” usw.
4.2.3. Schließlich hätten sie – bei der von ihnen gewählten Fassung des Eingruppierungsmerkmals – den Begriff der “Kindertagesstätte für Behinderte” usw. in einer Protokollnotiz klarstellen können, wie dies etwa in der Protokollnotiz Nr. 11 für Erziehungsheime geschehen ist. Dort haben sie den Begriff des Erziehungsheims hinsichtlich der darin betreuten Zielgruppen dahin definiert, daß dies Heime seien, “in denen überwiegend behinderte Kinder oder Jugendliche im Sinne des § 39 BSHG oder Kinder oder Jugendliche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten ständig untergebracht sind”.
4.2.4. Die Tarifvertragsparteien haben also den Fall der Mischgruppenbetreuung oder der Mischbelegung im Sozial- und Erziehungsdienst gesehen, verschiedene Fälle derselben behandelt und daraus einzelne Folgerungen für die Vergütung der Angestellten gezogen. Bei dem hier behandelten Eingruppierungsmerkmal ist dies nicht geschehen. Ersichtlich beruht dies nicht auf mangelndem Problembewußtsein oder unzureichender sprachlicher Präzision, sondern auf ihrem Willen, mit dem Merkmal der VergGr. IVa Fallgr. 6 TV TM lediglich die Tätigkeit von Angestellten zu regeln, die eine speziell für Behinderte usw. konzipierte Kindertagesstätte leiten.
4.3. Damit ist eine Widmung der Kindertagesstätte für ihre spezielle Aufgabenstellung zur Betreuung von Behinderten etc. im Sinne eines Formalaktes nicht erforderlich. Ausreichend ist vielmehr, daß die Einrichtung für die Betreuung von Behinderten usw. bestimmt, für diese konzipiert ist. Eine solche Einrichtung wird regelmäßig ausschließlich mit Behinderten usw. belegt sein (Breier/Kiefer/Hoffmann/Pühler, Eingruppierung und Tätigkeitsmerkmale für Angestellte im öffentlichen Dienst, Stand 1. April 1996, B Teil II G, Anm. 7). In diesem Sinne ist den Ausführungen von Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese (BAT, Stand Januar 1996, VergO BL Teil II, Anm. 65) zuzustimmen, um welche Art von Kindertagesstätte es sich handele, lasse sich in der Regel nach der Zweckbestimmung der Tagesstätte ohne Schwierigkeiten beantworten. Es sei nicht erforderlich, daß die Kindertagesstätte von vornherein für die Aufnahme von Behinderten usw. bestimmt sei. Maßgebend für die Beurteilung sei letztlich die tatsächliche Belegung der Kindertagesstätte. Diese wird regelmäßig ihrer Zweckbestimmung, ihrer Konzeption entsprechen.
4.4. Dieses Auslegungsergebnis wird gestützt durch den Vergleich der Eingruppierungsmerkmale für Leiter von “normalen” Kindertagesstätten mit denjenigen für Leiter von Kindertagesstätten für Behinderte usw. So ist z. B. der Leiter einer “normalen” Kindertagesstätte mit einer Belegung von 40 – 69 Plätzen in VergGr. Vb Fallgr. 7 TV TM, der einer Kindertagesstätte für Behinderte usw. mit einer gleichgroßen Durchschnittsbelegung in VergGr. IVb Fallgr. 10 TV TM eingruppiert; der Leiter einer “normalen” Kindertagesstätte mit einer Durchschnittsbelegung ab 70 Plätzen erhält Vergütung nach der VergGr. IVb (Fallgr. 3) TV TM, derjenige einer Kindertagesstätte für Behinderte usw. mit derselben Durchschnittsbelegungsmindestzahl Vergütung nach VergGr. IVa (Fallgr. 6) TV TM. Die Tarifvertragsparteien gehen also ersichtlich davon aus, daß die an den Leiter einer Kindertagesstätte für Behinderte usw. gestellten Anforderungen höher sind als diejenigen an einen Leiter einer “normalen” Kindertagesstätte mit gleicher Belegungszahl. Diese höheren Anforderungen resultieren zum wesentlichen Teil daraus, daß die Arbeit in einer Kindertagesstätte für Behinderte usw. deutlich personalintensiver ist als diejenige in einer normalen Kindertagesstätte; zum einen sind die zu betreuenden Gruppen kleiner, zum anderen kommen zusätzlich besondere Fachkräfte zum Einsatz. Auch daraus wird deutlich, daß es für das Tatbestandsmerkmal der “Kindertagesstätte für Behinderte” usw. auf die spezielle Aufgabenstellung der Einrichtung ankommt.
4.5. Nur dieses Auslegungsergebnis entspricht den bei der Tarifauslegung besonders wichtigen Grundsätzen der Rechtsklarheit und Praktikabilität, denen Tarifvertragsparteien bei der Abfassung von Tarifnormen im allgemeinen gerecht werden wollen (BAG Urteil vom 6. Dezember 1972 – 4 AZR 56/72 – AP Nr. 23 zu § 59 HGB). Die Auffassung der Klägerin, bereits eine Kindertagesstätte, in der auch Behinderte usw. betreut werden, sei eine “Kindertagesstätte für Behinderte” usw., führt zu kaum überwindbaren praktischen Schwierigkeiten in der Anwendung der Eingruppierungsmerkmale für Leiter von “normalen” Kindertagesstätten und solche von Kindertagesstätten für Behinderte usw.
Fraglich ist bereits, welcher Anteil von Behinderten oder Kindern mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten erforderlich ist, um eine Kindertagesstätte als eine solche “für Behinderte” usw. im Tarifsinne zu bewerten. Die Klägerin hat zwar in ihrem Vortrag in beiden Tatsacheninstanzen stets betont, in dem von ihr seinerzeit geleiteten Kindergarten S…-L… hätten mehr als 50 % der betreuten Kinder wesentliche Erziehungsschwierigkeiten gehabt. Andererseits hat sie die Auffassung vertreten, darauf komme es nicht an; entscheidend sei vielmehr, daß sich überhaupt Kinder mit dieser Benachteiligung in rechtserheblichem Ausmaß im Kindergarten befänden. Offenbar will sie sich dabei auf die Rechtsprechung des Senats zur Erfüllung tariflicher Qualifizierungsmerkmale stützen. Nach dieser liegen tarifliche Qualifizierungsmerkmale dann vor, wenn Arbeitsvorgänge, die den im jeweiligen Tätigkeitsmerkmal geforderten Anteil an der Gesamtarbeitszeit ausmachen, überhaupt in rechtserheblichem Ausmaß die Anforderungen dieser Qualifizierungsmerkmale erfüllen. Dagegen ist es nicht erforderlich, daß darüber hinaus auch innerhalb jedes Arbeitsvorganges das Qualifizierungsmerkmal diesen Anteil an der Gesamtarbeitszeit erreicht (vgl. z. B. Urteil des Senats vom 20. Oktober 1993 – 4 AZR 45/93 – AP Nr. 172 zu §§ 22, 23 BAT 1975 sowie Beschluß des Senats vom 11. März 1995 – 4 AZN 1105/94 – AP Nr. 193 zu §§ 22, 23 BAT 1975).
Welcher größenmäßige Anteil von Kindern mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten bei einer Mischbelegung der Kindertagesstätte für das Tatbestandsmerkmal der “Kindertagesstätte für Behinderte” usw. auch immer gefordert wird, es treten Abgrenzungsschwierigkeiten auf, die kaum oder nur mit erheblichem Aufwand zulösen sind. Da die Belegung der Kindertagesstätte zu Beginn eines jeden Kindergartenjahres wechselt, müßte jeweils jährlich neu geprüft werden, ob der maßgebliche Anteil von Kindern mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten erreicht wird. Ob ein Kind wesentliche Erziehungsschwierigkeiten hat, ist eine Wertungsfrage, die vielfach nicht eindeutig zu beantworten ist. Die Folge wäre die Erforderlichkeit der gutachterlichen Beurteilung aller Zweifelsfälle. Diese wird vielfach bei den Eltern der betroffenen Kindern auf Unwillen und Ablehnung stoßen, wenn einziger Zweck der Begutachtung die Entscheidung über die Eingruppierung des Leiters der Kindertagesstätte oder seines Stellvertreters ist. Die Belegung der Kindertagesstätte kann auch im Laufe des Kindergartenjahres wechseln, was bei einer an der Grenze des erforderlichen Belegungsgrades von Kindern mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten liegenden Kindertagesstätte die erneute Überprüfung der Anspruchsvoraussetzung “Kindertagestätte für Behinderte” usw. erforderlich machen würde. Auch kann sich ein zunächst unauffällig scheinendes Kind einige Zeit nach seiner Aufnahme in die Kindertagesstätte als ein solches mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten erweisen oder zu einem solchen entwickeln; der jeweils umgekehrte Fall kann ebenfalls auftreten.
Zuzustimmen ist der Klägerin darin, daß diese Abgrenzung in all denjenigen Fällen erforderlich ist, in denen die Eingruppierung des Angestellten oder sein Anspruch auf eine Zulage die Betreuung von Mischgruppen oder die Tätigkeit in einer Einrichtung mit einer Mischbelegung voraussetzt (s.o. zu II 4.2.1 – 4.2.3 der Gründe). Sie wird also von den Tarifvertragsparteien in diesen Fällen bei der Normanwendung gefordert. Diese Eingruppierungsmerkmale und Zulagenregelungen betreffen aber eine überschaubare Zahl von Fällen, während bei den zehntausenden von Kindertagesstätten die Prüfung, ob in diesen die für erforderlich gehaltene Anzahl von Kindern mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten mitbetreut werden, zu einer Flut von Abgrenzungsproblemen führen würde. Für diese Eingruppierungsfälle ist die von der Klägerin für richtig gehaltene Auslegung daher unpraktikabel.
4.6. Nach alledem kommt es bei dem Tatbestandsmerkmal der “Kindertagesstätte für Behinderte” usw. darauf an, ob die Einrichtung die spezielle Bestimmung hat, dafür konzipiert ist, Behinderte oder Kinder oder Jugendliche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten zu betreuen.
Diese Voraussetzung hat die von der Klägerin geleitete Kindertagesstätte S… -L… in der Zeit bis zum 31. März 1993 nicht erfüllt. Die Klägerin hat daher für die Zeit vom 1. Januar 1991 bis 31. März 1993 keinen Anspruch auf Vergütung nach der VergGr. IVa TV TM.
4.7 Unter welchen Voraussetzungen ein Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Trägers der Kindertagesstätte vorliegt, bedarf hier keiner Erörterung. Der Sachverhalt des vorliegenden Falles bietet dazu keinen Anlaß. Der Kindergarten S…-L… war insbesondere nach seiner personellen Ausstattung eindeutig nicht zur Betreuung von Kindern mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten bestimmt.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Unterschriften
Schaub, Friedrich, Bott, Brocksiepe, Hecker
Fundstellen