Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Einigungsgebühr. Klagerücknahme anlässlich eines anderweitigen Vergleichs. keine Anrechnung der Beratungshilfegebühr auf die im Gerichtsverfahren angefallenen Gebühren. Änderung der Rechtsprechung des Senats. Erledigungsgebühr
Leitsatz (amtlich)
1. Die Rücknahme einer Klage löst nicht dadurch eine Einigungsgebühr aus, dass sie anlässlich eines anderweitigen Vergleichs erfolgt, das Verfahren also "miterledigt" wird.
2. Entgegen Nr 2503 Abs 2 S 1 VV RVG (juris: RVG-VV) in der bis 27.5.2011 geltenden Fassung ist die (Beratungshilfe-) Geschäftsgebühr nicht zur Hälfte auf die im Gerichtsverfahren angefallenen Gebühren anzurechnen (Änderung der Rechtsprechung des Senats).
Orientierungssatz
Zum Entstehen einer Erledigungsgebühr.
Tenor
I. Der Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 4. März 2010 wird abgeändert.
II. Unter Abänderung der Kostenfestsetzung vom 13. November 2009 wird die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung des Beschwerdeführers auf insgesamt 537,88 Euro festgesetzt. Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
I.
Gegenstand des Verfahrens ist die Höhe des Rechtsanwaltshonorars nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), das dem Beschwerdeführer nach Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe aus der Staatskasse zusteht. Streitig sind die Höhe der Verfahrensgebühr, die Erledigungs- bzw. Einigungsgebühr dem Grunde nach und die Anrechenbarkeit der Geschäftsgebühr für Beratungshilfe auf die Gebühren für ein anschließendes gerichtlichen Verfahrens.
In dem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Bayreuth mit dem Aktenzeichen S 15 AS 1002/07 ging es um die Rechtmäßigkeit eines Sanktionsbescheids der beklagten Arbeitsagentur vom 13.06.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 27.09.2007 (Absenkung der Leistungen nach SGB II wegen Verstoßes gegen eine Eingliederungsvereinbarung). Mit Klageerhebung am 11.10.2007 stellte der Beschwerdeführer Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung. Die Entbindungserklärung legte er im Juli 2008 vor. Nach Einsicht in die Akten begründete er die Klage mit einem dreiseitigen Schriftsatz vom 04.08.2008 und einem zweiseitigen Schriftsatz vom 15.09.2008. Im März 2009 wies er darauf hin, dass über den Prozesskostenhilfeantrag noch nicht entschieden worden sei. Im April 2009 nahm er nochmals Einsicht in die Akten und fertigte einen weiteren zweiseitigen Schriftsatz vom 24.04.2009. Am 23.07.2009 fand ein Erörterungstermin statt, in dem das Verfahren erledigt wurde. Am 01.09.2009 legte der Beschwerdeführer dem Gericht die Erklärung der Klägerin über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vor, derzufolge die Klägerin Leistungen nach dem SGB II bezieht. Das Sozialgericht bewilligte mit Beschluss vom 02.09.2009 Prozesskostenhilfe ab 23.07.2009 und ordnete den Beschwerdeführer bei.
In einem weiteren Klageverfahren zwischen den Beteiligten (S 15 AS 382/09) ging es um die Rechtmäßigkeit eines Bescheids vom 11.08.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 08.04.2009, mit dem die Beklagte einen Antrag vom August 2007 auf Überprüfung eines Sanktionsbescheids vom 14.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.09.2007 abgelehnt hatte. Für diese Klage wurde Prozesskostenhilfe weder bewilligt noch beantragt.
Im Erörterungstermin am 23.07.2009 schlossen die Beteiligten folgenden Vergleich:
1. Die Beklagte hebt den Sanktionsbescheid vom 14.11.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 27.09.2007 sowie den Bescheid nach § 44 SGB X vom 13.07.2009 auf.
2. Die Beklagte erstattet die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Verfahren S 15 AS 382/09.
3. Die Klägerin nimmt die Klage zum Aktenzeichen S 15 AS 1002/07 sowie den Antrag nach § 44 SGB X vom 01.08.2008 hinsichtlich der Anrechnung eines fiktiven Einkommens zurück.
4. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass mit diesem Vergleich die Rechtsstreite S 15 AS 382/09 sowie S 15 AS 1002/07 in vollem Umfang erledigt sind.
Die Ladung der Beteiligten war unter dem Aktenzeichen S 15 AS 1002/07 erfolgt. Bei der Abschlussverfügung wurde für beide Klageverfahren von einer Erledigung durch Vergleich ausgegangen.
Im Klageverfahren S 15 AS 382/09 setzte das Sozialgericht Bayreuth die Kosten gegen den Verfahrensgegner in Höhe von 681,39 Euro fest. Der Beschwerdeführer erhielt antragsgemäß die Verfahrensgebühr in Höhe von 170 Euro (Nr. 3103 VV RVG) und die Einigungs-/ Erledigungsgebühr in Höhe von 190 Euro (Nr. 1006 VV RVG); nicht anerkannt wurde u.a. die Terminsgebühr (Nr. 3106 VV RVG), die der Beschwerdeführer auf 200 Euro veranschlagt hatte. Die gegen diese Kostenfestsetzung einlegte Erinnerung wurde mit Beschluss vom 26.07.2010 zurückgewiesen (S 10 SF 18/10 E).
Der Beschwerdeführer stellte mit Schriftsatz vom 08.09.2009 784,92 Euro für seine anwaltliche Tätigkeit im Verfahren S 15 AS 1002/07 im Wege der Prozesskostenhilfe in Rechnung. Er verlangte eine Verfahrensgebühr (Nr. 3103 VV RVG) in Höh...