Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen aG. außergewöhnlich Gehbehinderter. Rückengeschädigter. Gleichbehandlungsgrundsatz
Leitsatz (amtlich)
Merkzeichen aG steht nur außergewöhnlich Gehbehinderten zu. Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG gebietet nicht eine Gleichbehandlung von Rückengeschädigten mit außergewöhnlich Gehbehinderten.
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30. November 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens werden nicht erstattet.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Höherbewertung des Grads der Behinderung (GdB) seit 1993 und die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG (außergewöhnliche Gehbehinderung).
Für die 1937 geborene Klägerin war mit Bescheid vom 20.09.1988 ein GdB von 30 für die Behinderung "Funktionseinschränkung der Gelenke, rezidivierende Lumbalgien bei degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, Krampfaderleiden, postthrombotisches Syndrom" festgestellt worden.
Mit Antrag auf Neufeststellung vom 05.12.1997 machte die Klägerin geltend, dass es immer öfter passiere, dass es beim Gehen, Treppensteigen oder anderen Bewegungen plötzlich im Rücken steche und sie längere Zeit ruhig stehen bleiben müsse. Der Beklagte erhöhte den GdB mit Änderungsbescheid vom 12.02.1998 für die Zeit ab 05.12.1997 auf 40 und berücksichtigte dabei Unterlagen des Hausarztes Dr. F. ("Im Vordergrund der Beschwerden stehen immer wieder Schmerzen vom Rücken ausgehend in das rechte Bein ziehend ...") und des Orthopäden Dr. E.. Den Antrag der Klägerin vom 20.02.1998, den Grad der Schwerbehinderung für die Kalenderjahre 1993 bis 1996 rückwirkend festzustellen und eine entsprechende steuerliche Bescheinigung auszustellen, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 05.03.1998 ab und wies zur Begründung darauf hin, dass die Voraussetzungen für den GdB von 40 erst seit 1997 nachgewiesen seien.
Im Widerspruchsverfahren gegen beide Bescheide wurde vorgebracht, dass die 1976 eingetretene Wirbelkörperfraktur und deren Folgen in keinem der bisherigen Bescheide berücksichtigt worden sei. Die Klägerin unterscheide zwischen normalen Kreuzschmerzen, wühlenden bzw. bohrenden (wimmernden) Kreuzschmerzen und stechenden Schmerzen. Die stechenden Schmerzen seien auf den Wirbelkörperbruch zurückzuführen und würden sich von den anerkannten rezidivierenden Lumbalgien deutlich abheben. Nach versorgungsärztlicher Untersuchung am 26.10.1998 wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18.11.1998 zurückgewiesen. Die Behinderungen seien mit einem GdB von 40 vollständig erfasst. Nicht berücksichtigt werden könnten die geltend gemachten Folgen der Wirbelkörperfraktur, da keine statisch wirksam werdenden Wirbelkörperverformungen nachweisbar seien. Bei Behinderungen mit wechselndem Ausmaß der Beschwerden sei von der durchschnittlichen Auswirkung auszugehen. Die geltend gemachten Schmerzen seien schon angemessen berücksichtigt. Die Auswirkungen der Behinderung im Beruf könnten nicht berücksichtigt werden. Die Erwerbs-, Berufs- und Arbeitsunfähigkeit im Sozialversicherungsrecht entspreche nicht dem Grad der Behinderung nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG). Der höhere GdB könne auch nicht für die Zeit vor 1997 festgestellt werden, da eine Verstärkung der Beschwerden im Zeitraum von 1993 bis 1996 nicht nachgewiesen sei. Erst durch die Aufnahmen von 1997 lasse sich ein stärkeres Fortschreiten der Umbauveränderungen der Wirbelsäule objektivieren.
Die Klägerin erhob am 22.12.1998 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (S 15 SB 1132/98) mit dem Antrag, den GdB für die Zeit ab 1997 auf 70 und für die Jahre 1993 bis 1996 auf 50 festzustellen sowie das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen aG festzustellen. In der umfangreichen Klagebegründung wurde beanstandet, dass die Folgen der Wirbelkörperfraktur samt dadurch bedingter plötzlicher, stechender Schmerzen mit ihren besonders schweren, den gesamten Lebensbereich beeinflussenden Auswirkungen nicht GdB-erhöhend berücksichtigt worden seien. Außerdem sei überhaupt nicht auf die Beckenvenenthrombose, also ein äußerst lebensgefährliches Leiden, das bis heute noch die Bewegung beeinträchtigende Beschwerden zur Folge habe, eingegangen worden. Schließlich wurde auf belastungsabhängige Knöchelbeschwerden rechts mit Umknickneigung bei Bodenunebenheiten hingewiesen. Die Gesamtauswirkung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen sei als besonders schwer anzusehen, so dass ein Gesamt-GdB von 70 durchaus gerechtfertigt sei. Wegen der Beckenvenenthrombose und der stechenden Schmerzen nach Wirbelkörperfraktur sei der GdB schon 1990 und damit auch bereits zum 01.01.1993 höher als 30 gewesen. Die Klägerin sei außergewöhnlich gehbehindert, weil sie wegen der stechenden Schmerzen stehen bleiben müsse, z.B. auch beim Überqueren der Straße, was u.U. lebensgefährlich sei, und deswegen ständig auf die Begleitung ihres Ehemanns oder auf ...