Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Unfallversicherungsschutz gem § 2 Abs 2 S 1 iVm Abs 1 Nr 1 SGB 7. Wie-Beschäftigung. arbeitnehmerähnliche Tätigkeit. objektivierte Handlungstendenz. Nichtvorliegen einer Sonderbeziehung. Ausführen eines Pferdes während der Abwesenheit der Halterin
Leitsatz (amtlich)
1. Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Person bei der Betreuung (hier dem Ausführen) eines Pferdes während des Urlaubs der Halterin (hier Unternehmerin einer privaten Reittierhaltung) wie eine Beschäftigte tätig wird.
2. Eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit liegt insbesondere vor, wenn die Tätigkeit nach Art und Umfang entsprechend den konkreten Vorgaben der Tierhalterin durchgeführt wird und ihr Gepräge nicht in einer Sonderbeziehung zwischen den beteiligten Personen findet, wie sie zB bei einer Reitbeteiligung vorliegen kann.
3. Allein der Umstand, dass die verletzte Person Freude am Umgang mit Pferden (Pferdeliebhaberei) bzw Tieren hat, führt nicht dazu, dass eine sog Wie-Beschäftigung zu verneinen wäre. Denn das bloße Motiv für das Tätigwerden ist von der mit der Verrichtung verbundenen Handlungstendenz zu unterscheiden.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beigeladenen und die Anschlussberufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 18.05.2021 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 20.05.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.02.2020 verpflichtet, das Ereignis vom 06.08.2017 als Arbeitsunfall der Klägerin anzuerkennen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin und der Beigeladenen die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob es sich bei dem Ereignis vom 06.08.2017 um einen Arbeitsunfall der Klägerin im Sinne von § 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) handelt.
Die Beigeladene (und Berufungsklägerin) ist Halterin eines Reitpferdes, der Stute Z. Es handelt sich um eine private Tierhaltung zu Hobbyzwecken. Das Pferd war in einem Pensionsstall in S eingestellt; das Vertragsverhältnis umfasste u.a. die Leistungen "Füttern mit Heu/Grünfutter und Tränken" sowie "Misten der Pferde". Vom 31.07.2017 bis 10.08.2017 war die Beigeladene urlaubsbedingt ortsabwesend. Die Klägerin hatte sich für diesen Zeitraum bereit erklärt, Z spazieren zu führen. Nachdem die Klägerin das Pferd bereits dreimal ohne Probleme ausgeführt hatte, ging sie in Begleitung ihres Ehemannes am Nachmittag des 06.08.2017 mit dem Pferd in der Nähe des Stalles einen asphaltierten Flurweg entlang, der als Radweg ausgewiesen und für landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge freigegeben war. Als dort aus einer Unterführung ein Mähdrescher auftauchte, blieb die Klägerin stehen und ging mit dem Pferd auf den grasbewachsenen Rand neben der Fahrbahn. Der Mähdrescher fuhr zunächst relativ langsam vorbei; als der Fahrer jedoch anschließend wieder Gas gab, erschrak das Pferd durch das Geräusch. Z stieg vorne hoch und sprang über den Graben. Dabei zog das Pferd die Klägerin mit, so dass diese zu Sturz kam; außerdem trat das Pferd der Klägerin auf das rechte Bein. Die Klägerin erlitt Verletzungen im Bereich des rechten Beines sowie des linken Kniegelenkes. Sie stellte sich noch am Unfalltag in der Notaufnahme der S Klinik A vor, wo sie stationär aufgenommen und eine "Unterschenkelkontusion rechts" sowie eine "vordere Kreuzbandruptur Knie links" diagnostiziert wurden. Bei einem Krankenbesuch übergab die Beigeladene der Klägerin eine kleine Flasche Prosecco, an der ein 50-Euro-Schein befestigt war.
Die Klägerin hat bereits seit etwa 30 Jahren Erfahrung mit Pferden und ist selbst gerne geritten; ein eigenes Pferd besitzt sie nicht. Sie trägt vor, dass es ihr seit dem Unfall aufgrund von unfallbedingten Verletzungen nicht mehr möglich sei zu reiten. In einem Fragebogen der Beklagten gab die Klägerin außerdem an, dass sie Freude und Spaß am Umgang mit Pferden habe; diesem Zweck habe die unfallbringende Tätigkeit gedient.
Zu dem Kontakt zwischen der Beigeladenen und der Klägerin war es über die damalige Arbeitgeberin der Klägerin, K H (H), gekommen. H war Eigentümerin mehrerer Pferde; die Klägerin war damals seit einigen Monaten bei H bzw. deren damaligen Lebensgefährten im Rahmen der sog. Minijob-Regelung als Stallhilfe (Arbeitszeit etwa zwei Stunden täglich) beschäftigt gewesen. Hauptberuflich ist H Tierärztin und behandelte u.a. auch das Pferd der Beigeladenen. Der Stall, in dem Z eingestellt war, gehört einem Familienmitglied der H und liegt nur wenige hundert Meter von dem Stall der H entfernt. Einige Tage vor dem Urlaub der Beigeladenen trafen sich die Beigeladene und die Klägerin bei Z, um die Einzelheiten zu besprechen. Die Klägerin sollte das Pferd mehrmals pro Woche (etwa zwei- bis dreimal) ausführen. Dabei war es der Klägerin freigestellt, wann und wie lange sie das Pferd ausführen werde; zur Auswahl standen eine kleinere und eine größ...