Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung: Anerkennung eines Unfallereignisses als Arbeitsunfall. Wie-Beschäftigung bei Mitwirkung als Peitschenführer an einer Hengstkörung
Leitsatz (amtlich)
- Umfang oder Einseitigkeit freiwilliger Hilfeleistungen wandeln eine enge freundschaftliche Beziehung nicht in ein Beschäftigungsverhältnis mit Arbeitspflichten im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII um. Eine empfundene „moralische Verpflichtung“ zur Mithilfe wegen enger Freundschaft ist nicht mit einer rechtlichen Verpflichtung im Sinne eines Beschäftigungsverhältnisses gleichzusetzen. Dass sich jemand Bitten enger Freunde nicht entziehen oder schlecht „nein“ sagen kann, macht ihn nicht zum abhängig Beschäftigten seiner Freunde.
- Die Mitwirkung als Peitschenführer (Treiber) an einer Hengstkörung hat wegen der Auswirkungen auf die Präsentation des Hengstes, den Erfolg der Körung, die Bewertung und die mögliche Verwendung zur Zucht einen erheblichen wirtschaftlichen Wert für ein Unternehmen der Pferdezucht.
- Ob eine Wie-Beschäftigung gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII ausgeschlossen ist, weil die zum Unfall führende Verrichtung im eigenen Interesse oder aufgrund einer Sonderbeziehung zum Unternehmer ausgeführt wurde, ist anhand der objektiven Gesamtumstände des Einzelfalls zu prüfen. Allein der Wunsch der Klägerin, bei einer Veranstaltung - hier der Hengstkörung - dabei zu sein, vermag kein Eigeninteresse an der Mitwirkung als Peitschenführerin zu begründen, das die fremdwirtschaftliche Zweckbestimmung für den Unternehmer entfallen ließe.
- Die Mitwirkung der Klägerin an einer Hengstkörung als Peitschenführerin ging angesichts der objektiven Gesamtumstände über das hinaus, was im Rahmen der sehr engen Freundschaft mit der Ehefrau des Unternehmers als selbstverständliche Hilfe erwartet werden durfte. Dabei hat der Senat u.a. fehlende Fachkenntnisse der Klägerin im Umgang mit Pferden und das erhebliche Gefahrenpotential beim Zusammentreffen von Hengsten im Rahmen einer Körung für die Peitschenführer berücksichtigt.
Normenkette
SGB VII § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1, § 8 Abs. 1 Sätze 1-2; SGB IV § 1 Abs. 1 S. 1, § 7 Abs. 1 Sätze 1-2; BGB §§ 315, 631, 662; GewO § 106; SGG § 193
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 14.01.2016 sowie der Bescheid der Beklagten vom 23.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.09.15 aufgehoben und es wird festgestellt, dass das Ereignis vom 01.03.2013 ein Arbeitsunfall ist.
II. Die Beklagte hat der Klägerin und dem Beigeladenen die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin als Peitschenführerin bzw. Treiberin bei einer Hengstkörung am 01.03.2013 eine versicherte Verrichtung ausgeübt und einen Arbeitsunfall erlitten hat.
Die 1969 geborene Klägerin ist ausgebildete Hotelfachfrau und war zum Unfallzeitpunkt abhängig beschäftigt im Betrieb ihres Lebensgefährten R. P., der P. IT GmbH, als Teamassistentin, wobei sie sich die Arbeitszeit im Wesentlichen frei einteilen konnte. Sie war mit der Zeugin C., der Ehefrau des Beigeladenen, befreundet und hatte auf deren landwirtschaftlichem Hof zwei eigene Pferde gegen Entgelt eingestellt.
Der Beigeladene C. betreibt einen bei der Beklagten versicherten Betrieb mit Landwirtschaft, u.a. Milchviehwirtschaft, Vermietung von Ferienwohnungen sowie seit ca. Mai 2004 eine Pferdezucht von Tinker-Pferden. Die im landwirtschaftlichen Betrieb anfallenden Arbeiten werden vom Ehepaar C. ausgeführt. Angestellte haben sie nicht. Angeboten werden u.a. Reitunterricht und Veranstaltungen auf dem Hof wie Kindergeburtstage. Der Beigeladene C. ist ausgebildeter Landwirt. Seine Ehefrau reitet seit ihrer Kindheit und hat den Sachkundenachweis für Pferdehaltung. Ausgebildete Pferdewirte sind beide nicht. Tinker bzw. Irish Tinker gehören zur Rasse Irish Cob und sind kräftige Arbeits- und Zugpferde mit eher gedrungenem, starkknochigen Körperbau.
Am Freitag, dem 01.03.2013, fand in der O. in M-Stadt eine Körungsveranstaltung für Kleinpferde- und Spezialpferderassen statt, an der Frau C. mit dem Hengst D. teilnahm. Es handelte sich um die erste Teilnahme eines Hengstes aus dem Betrieb der Familie C. an einer Körung.
Auf der Körung werden die im Zuchtprogramm definierten Rassemerkmale bewertet, also die Merkmale der äußeren Erscheinung (Rasse und Geschlechtstyp, Qualität des Körperbaus) unter besonderer Berücksichtigung des Bewegungsablaufs (u.a. Korrektheit des Gangs), Zuchttauglichkeit und Gesundheit (vgl. die Zuchtbuchordnung - ZBO - des Bayerischen Zuchtverbandes für Kleinpferde und Spezialpferderassen e.V., Stand 22.03.2015).
Die Körentscheidung bei einem ungekörten Hengst kann lauten (§ 16 ZBO):
- "gekört", wenn der Hengst die Anforderungen in Bezug auf Exterieur sowie Zuchttauglichkeit und Gesundheit voll erfüllt,
- "vorläufig nicht gekört", wenn der Hengst die Anforderungen i...