Entscheidungsstichwort (Thema)

Bayerisches Landesblindengeld. Schwerbehindertenrecht. sehbehinderter Rollstuhlfahrer. fehlende Blindheit bzw hochgradige Sehstörung. keine analoge Anwendung des Bayerischen Blindengeldgesetzes bei Mehrfachbehinderung. Vergleichbarkeit der Gesamtbeeinträchtigung. fehlende Regelungslücke. Verfassungsrecht. Diskriminierungsverbot. Völkerrecht. politische Entscheidung des Gesetzgebers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Einen Anspruch auf Blindengeld gemäß dem Bayerischen Blindengeldgesetz (juris: BlindG BY) hat nur, wer blind oder hochgradig sehbehindert im Sinne von Art 1 dieses Gesetzes ist.

2. Zur Verfassungsmäßigkeit des Bayerischen Blindengeldgesetzes.

3. Es kann hier offen bleiben, ob die durch das Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (juris: UNBehRÜbk) in innerstaatliches einfaches Bundesrecht transformierten völkerrechtlichen Regelungen der UN-BRK dem behinderten Menschen ein subjektiv-öffentliches Recht auf bestimmte Leistungen unabhängig von deren Ausgestaltung im sonstigen Bundesrecht einräumen.

 

Orientierungssatz

1. Die Beschränkung der Blindengeldleistungen auf blinde (und hochgradig sehbehinderte) Menschen und der Ausschluss für andere ebenfalls schwerbehinderte Menschen von solchen Leistungen verstoßen weder gegen das verfassungsrechtliche Benachteiligungs- noch gegen das konventionsrechtliche Diskriminierungsverbot. Gleiches gilt für die Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG und die inhaltsgleiche Verbürgung (vgl zB VerfGH München vom 19.7.2007 - Vf.6-V-06 = VerfGHE BY 60, 151) des Art 118 Abs 1 S 1 Verf BY.

2. Nicht zu entscheiden war, ob die Entscheidung des (bayerischen) Gesetzgebers, für Betroffene mit eingeschränkten bzw aufgehobenen sonstigen Sinneswahrnehmungen oder für sonstige behinderte Menschen keine dem einkommensunabhängigen Blindengeld entsprechenden Leistungen im Rahmen des sozialen Förderungsrechts vorzusehen. Eine insoweit alternative Lösung zu schaffen, ist jedenfalls nicht Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt.

 

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 9. März 2017 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Leistungsanspruch gegen den Beklagten hinsichtlich der Gewährung von Blindengeld im Sinne eines Nachteilsausgleichs für behinderte Menschen aufgrund erweiternder bzw. analoger Anwendung des Bayer. Blindengeldgesetzes (BayBlindG) i.V.m. verfassungsrechtlichen Bestimmungen und der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) hat.

Der 1946 geborene Kläger leidet vor allem an einer chronisch progredienten Multiplen Sklerose seit 1993/1994 sowie an einer hochgradigen Sehschwäche des linken Auges mit Fehlen des räumlichen Sehens und einer ausgeprägten Rot-Grün-Schwäche. Wie sich aus einem augenärztlichen Gutachten vom 04.07.1975 ergibt, handelt es sich hinsichtlich der Sehbeeinträchtigung um eine linksseitige hochgradige anlagebedingte Sehschwäche infolge einer einseitigen starken Weitsichtigkeit des Auges. Beim rechten Auge wurden hinsichtlich Visus und Gesichtsfeld keine Einschränkungen seiner Sehfunktion festgestellt.

Mit Bescheid vom 10.05.1999 stellte der Beklagte für den Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) von 100 wegen den Behinderungen organisches Nervenleiden und hochgradige Sehschwäche links mit Fehlen des räumlichen Sehens sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen B, G und aG fest.

Am 23.05.2015 stellte der Kläger Antrag auf einen finanziellen Zuschuss "in Höhe von 544 Euro als Nachteilsausgleich, wie er den Blinden auch zusteht" beim Beklagten. Bei objektiver Betrachtung, so der Kläger, gehe es ihm mit seinen Behinderungen wesentlich schlechter als blinden Menschen. Diesen Antrag untermauerte er durch eine von ihm verfasste Gegenüberstellung der Nachteile von blinden Menschen und Rollstuhlfahrern.

Daraufhin teilte der Beklagte dem Kläger am 08.06.2015 schriftlich mit, dass das Leistungsspektrum des Schwerbehindertenrechts den vom Kläger angestrebten Nachteils-ausgleich nicht vorsehe. Der Beklagte übersandte an den Kläger ein Informationsblatt mit Antrag auf Blindengeld.

Am 16.11.2015 erhob der Kläger über seinen Bevollmächtigten "gegen den nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid vom 08.06.2015", mit dem der Beklagte den Antrag auf Zuerkennung eines finanziellen Nachteilsausgleichs analog zu den Leistungen des BayBlindG abgelehnt habe, Widerspruch. Die Benachteiligung des Klägers im Alltag sei keinesfalls geringer als die eines Blinden, in vielfacher Hinsicht sei er sogar noch weiter benachteiligt. So habe ein blinder Mensch keine Schwierigkeiten in seiner Mobilität als solcher; dieser könne Barrieren ohne Weiteres überwinden. Auch brauche ein Blinder keine speziellen ...

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