Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtlicher Vergleich. Öffentlich-rechtlicher Vertrag. Prozesshandlung. Anfechtung. Irrtum. Unverzüglichkeit
Leitsatz (redaktionell)
Ein gerichtlicher Vergleich kann unter den Voraussetzungen des § 119 BGB wegen Irrtums angefochten werden, allerdings nur unverzüglich nach Kenntnis der für die Anfechtung maßgeblichen Tatsachen.
Normenkette
BGB § 119 Abs. 1, § 121 Abs. 1, § 123 Abs. 1, § 124 Abs. 1, § 779 Abs. 1; SGB X § 53 Abs. 1 S. 2, § 54 Abs. 1; ZPO §§ 162-163; SGG § 96 Abs. 1, § 101 Abs. 1, § 123
Tenor
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 30. August 2007 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob ein zwischen dem Kläger und der Beklagten zur Beendigung eines Gerichtsverfahrens geschlossener Vergleich wirksam ist.
Der Kläger, der 1947 geboren ist, ist als Vertriebener anerkannt (Ausweis A) und hat seinen ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland seit dem 20. April 1990. Vom 1. September 1962 bis 26. Juni 1965 absolvierte er in der ehemaligen Tschechoslowakei eine Bergmannslehre und vom 15. August 1977 bis 16. November 1977 einen Schweißerlehrlang. Vom 5. Oktober 1965 bis 10. Februar 1977 leistete er Ersatzdienst. In der Zeit vom 21. Februar 1977 bis 31. Januar 1983 war er als Schweißer tätig, vom 14. März 1983 bis 31. Juli 1985 als Streckenarbeiter und vom 1. August 1985 bis 4. April 1990 als Zugaufbereiteter und Streckenarbeiter. Nach seinem Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland arbeitete er vom 1. August 1991 bis 31. Januar 1992 als Personenzugreiniger, vom 2. Juli 1996 bis 15. Februar 1997 als Schweißer und vom 11. Juni 1997 bis 15. Juli 1998 als Schweißerhelfer.
Am 30. Juli 2003 beantragte er eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte gewährte ihm ab 1. Juli 2003 Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau in Höhe von 136,74 EUR (Bescheid vom 5. Dezember 2003), einen weiteren Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 26. November 2003). Gegen beide Bescheide legte der Kläger Widerspruch ein.
Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 26. November 2003 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 6. September 2004 zurück. Klage, Berufung und Nichtzulassungsbeschwerde blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts München - SG - vom 1. Dezember 2005, Az.: S 4 KN 233/04, Beschluss des Bayer. Landessozialgerichts - LSG - vom 30. Mai 2006, Az.: L 13 KN 3/06, Beschluss des Bundessozialgerichts - BSG - vom 16. Mai 2007, Az.: B 8 KN 32/06 B).
Im Widerspruchsverfahren zum Bescheid vom 5. Dezember 2003 machte der Kläger fehlerhafte Angaben in den Anlagen des Bescheides geltend, insbesondere bezüglich der Zeit 5. Oktober 1965 bis 30. Juni 1968, eine fehlerhafte Eingruppierung in die Qualifikationsgruppe 4 und das Fehlen von Anrechnungszeiten wegen Fachschulausbildung. Mit Widerspruchsbescheid vom 6. September 2004 wies die Beklagte diesen Widerspruch wegen Fristversäumung zurück. Der Bescheid sei am 13. Dezember 2003 "zugestellt" worden. Die Frist zur Erhebung des Widerspruchs habe damit am 13. Januar 2004 geendet. Die Beklagte führte erläuternd aus, die Zeiten der Fachschulausbildung könnten nicht angerechnet werden, da diese erst nach dem vollendeten 17. Lebensjahr als Anrechnungszeit und somit rentenrechtliche Zeit gelten würden. Die ersten 36 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen für Zeiten einer versicherten Beschäftigung bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres würden als Zeiten einer beruflichen Ausbildung gelten.
Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat der Kläger Klage zum SG erhoben (Az.: S 4 KN 232/04). Anzuerkennen seien die Zeiten vom 1. September 1962 bis 26. Juni 1965 als berufliche Ausbildung, die Anerkennung von 24 Monate Hauerarbeiten im Zeitraum 1. September 1962 bis 26. Juni 1965 für den Leistungszuschlag und es sei die Einstufung in einen anderen Wirtschaftsbereich sowie in eine andere Qualifikationsgruppe für den Zeitraum 21. Februar 1977 bis 31. Dezember 1983 vorzunehmen. Der Sozialversicherungsträger in B. übersandte der Beklagten eine neue Auskunft vom 18. November 2004 über die vom Kläger zurückgelegten Versicherungszeiten, worauf die Beklagte den Bescheid der Beklagten vom 5. Dezember 2003 überprüfte und mit Bescheid vom 22. April 2005 die Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau ab 1. Juli 2003 neu feststellte. Die Beklagte wies darauf hin, der Bescheid werde hinsichtlich der Rentenhöhe teilweise zurückgenommen und berücksichtigte den Zeitraum 1. September 1962 bis 26. Juni 1965 als Zeiten beruflicher Ausbildung.
Bereits vorher übermittelte die Beklagte dem Kläger die Rentenauskunft vom 18. Juni 2004, gegen die der Kläger Widerspruch einlegte, mit der Begründung, in der Anlage 12 (Zusammenstellung der Tätigkeiten für den Leistungszuschlag) sei die Zeit der Ausbildung vom 1. September 1962 bis 26. Juni 1965 nicht berück...