Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherung. tätlicher Angriff aus Eifersucht auf eine Kellnerin auf dem Weg zur Pause. erforderlicher innerer Zusammenhang zwischen Angriff und versicherter Tätigkeit. privates Motiv der Täter. sozialgerichtliches Verfahren. Missbrauchskosten von 1000 Euro. offensichtliche Aussichtslosigkeit einer Klage trotz wertender Betrachtung des inneren Zusammenhangs im Unfallversicherungsrecht. unbegrenzte Höhe der Missbrauchsgebühr. Bemessung des Kostenbeitrags nach dem geschätzten Kostenmehraufwand für den Steuerzahler
Leitsatz (amtlich)
1. Ein vorsätzlicher tätlicher Angriff auf eine Versicherte schließt einen Arbeitsunfall nur dann nicht aus, wenn das Opfer vor dem Überfall nicht einer eigenwirtschaftlichen Verrichtung nachgegangen ist und die Beweggründe des Täters nicht seinem persönlichen Bereich zugeordnet werden können oder die Tat von den besonderen Verhältnissen des Tatortes (zB Dunkelheit, Dämmerung, einsam gelegener Tatort, örtliche Gegebenheiten) entscheidend begünstigt worden ist (vgl BSG, Urteile vom 19.12.2000 - B 2 U 37/99 = BSGE 87, 224 = SozR 3-2200 § 548 Nr 41 und vom 19.3.1996 - 2 RU 19/95 = BSGE 78, 65 = SozR 3-2200 § 548 Nr 28). Allein ein zeitlicher und örtlicher Zusammenhang des vorsätzlichen tätlichen Angriffs mit der versicherten Tätigkeit begründet nicht den inneren Zusammenhang.
2. Ein Unterfall der Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung im Sinne des § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG ist die offensichtliche Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung. Offensichtliche Aussichtslosigkeit ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 34 Abs 2 BVerfGG auch für das sozialgerichtliche Verfahren unter anderem dann zu bejahen, wenn ein verständiger Dritter die offensichtliche Aussichtslosigkeit erkannt hätte bzw wenn die Rechtsverfolgung von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19.12.2002 - 2 BvR 1255/02 = juris RdNr 3). Durch § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG soll verhindert werden, dass wegen des nicht vorhandenen Kostenrisikos völlig aussichtslose Verfahren (fort)geführt werden (vgl LSG Mainz, Urteil vom 1.4.2004 - L 6 SB 197/03 = NZS 2005, 502 = juris RdNr 21).
Orientierungssatz
1. Der für die Anerkennung als Arbeitsunfall erforderliche innere Zusammenhang zwischen dem vorsätzlichen tätlichen Angriff und der versicherten Tätigkeit ergibt sich auch nicht daraus, dass im vorliegenden Verfahren der Anlass für den vorsätzlichen tätlichen Angriff der Eheleute auf die Klägerin ein Essen von sieben Arbeitskollegen am Arbeitsort der als Kellnerin in der Gaststätte tätigen Klägerin mit anschließender Veröffentlichung von Fotos des Ehemanns und der Klägerin, die zur Eifersucht der Ehefrau geführt haben, gewesen ist.
2. Dass sich der innere Zusammenhang zwischen dem vorsätzlichen tätlichen Angriff und der eigentlichen arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in diesem Fall "bei wertender Betrachtung" nicht begründen lässt, ist so offensichtlich, dass die Verhängung einer Missbrauchsgebühr gerechtfertigt ist.
3. Da der gesetzliche Mindestbetrag von 225 Euro bei weitem nicht zur Deckung des letztlich von den Steuerzahlern zu tragenden Kostenaufwands für das Berufungsverfahren ausreicht, kann die Höhe der festgesetzten Missbrauchsgebühr durch Schätzung des tatsächlichen Kostenaufwands (insbesondere für die Urteilsabsetzung) bestimmt werden (hier: 1000 Euro).
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 29.09.2020 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Die Klägerin hat wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit der Berufung Gerichtskosten (Missbrauchskosten) in Höhe von 1.000,00 € an die Staatskasse zu zahlen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das Ereignis vom 05.01.2017 im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.
Die 1973 geborene Klägerin ist als Servicekraft/Kellnerin der Gaststätte H bei der Beklagten versichert.
Am 05.01.2017 hatte die Klägerin nach ihren Angaben in den Fragebögen "Streit" (vom 09.02.2017) und "Unfallhergang/Zeugen" (vom 09.02.2017) im H seit 10.00 Uhr Dienst. Im Fragebogen "Zweck des Weges und Räumlichkeiten" vom 09.02.2017 gab die Klägerin an, dass sie gegen 15.00 Uhr zur Garderobe gewollt habe, um dort eine kurze Zigarettenpause zu machen. Sie habe sich im Gastraum vor dem Vorhang der Eingangstür befunden, als sie ihrem Arbeitskollegen E (E), dessen Ehefrau E1 (E1) und deren Tochter (T) begegnete. Als E mit der Klägerin ein Gespräch habe beginnen wollen, habe sie dies unter Hinweis darauf abgelehnt, dass sie arbeiten müsse. E1 habe der Klägerin sodann vorgeworfen, mit ihrem Mann im Sommer sexuelle Kontakte gehabt zu haben, was die Klägerin abgestritten habe. Sodann habe E1 die Klägerin an den Haaren gezogen, woran sich auch E ...