Entscheidungsstichwort (Thema)
Verlust des Rechts auf Richterablehnung; Auslegung von Erklärungen als Ablehnungsgesuch
Leitsatz (NV)
1. Eine Partei kann einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich vor ihm in eine Verhandlung eingelassen hat, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung oder des Erörterungstermins ordnungsgemäß geltend gemacht zu haben. Einlassung bedeutet entsprechend der nach ständiger Rechtsprechung weiten Auslegung dieses Begriffs jedes prozessuale, der Erledigung eines Rechtsstreits dienende Handeln der Partei unter Mitwirkung des betreffenden Richters.
2. Ein Ablehnungsgesuch kann nicht schon daraus entnommen werden, daß ein Prozeßbeteiligter lediglich Bedenken gegen die Unabhängigkeit und Unbefangenheit eines Richters geäußert hat. Ein Ablehnungsgesuch muß als Prozeßhandlung eindeutig erklärt werden. Diesem Erfordernis kommt aus Gründen der Prozeßklarheit und im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters besondere Bedeutung zu. Diese Klarheit ist gleichermaßen unentbehrlich, um einen Verlust des Ablehnungsrechts sicher feststellen zu können.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; ZPO § 42 Abs. 2, §§ 43, 44 Abs. 1, § 47
Tatbestand
I. Im Klageverfahren war streitig, ob der Beklagte, Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) den bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerbescheid für 1993 nach §173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) zu Ungunsten der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) in der Weise ändern durfte, daß ein zunächst gewährter Ausbildungsfreibetrag für den im Studium befindlichen Sohn aberkannt wurde.
Der Rechtsstreit wurde dem Berichterstatter, Richter am Finanzgericht (RiFG) A, als Einzelrichter nach §6 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Entscheidung übertragen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Einzelrichter am 14. August 1997 wies der Einzelrichter die Beteiligten darauf hin, seines Erachtens seien die Voraussetzungen für die Änderungsvorschrift gegeben. Laut der vom Einzelrichter gefertigten Niederschrift über die mündliche Verhandlung hat er den Klägern deshalb empfohlen, die Klage zurückzunehmen. Wörtlich heißt es weiter: "Der Kläger bittet daraufhin um die Protokollierung folgendes Textes: Ihm fehlen die Rechtskenntnisse, um diese Sache umfassend beurteilen zu können. Er sei auch nicht in der Lage, jetzt noch einen Prozeßbevollmächtigten hinzuzuziehen, weil eine Vertagung und erneute Verhandlung der Sache nicht in Betracht komme. Gleichwohl erklären die Kläger: Wir nehmen die Klage zurück. Der Verhandlungsleiter schließt die mündliche Verhandlung und verkündet folgenden Beschluß: Der Einstellungsbeschluß wird den Beteiligten zugestellt."
Mit auf den 14. August 1997 datiertem Schreiben des Klägers an den Präsidenten des Finanzgerichts (FG), welches am 15. August 1997 beim FG eingegangen ist, lehnte der Kläger den Einzelrichter in dem obengenannten Klageverfahren wegen Besorgnis der Befangenheit ab und machte im einzelnen die nachfolgenden Gründe geltend. Der Richter habe gegenüber den Klägern in der mündlichen Verhandlung erklärt, die Erwiderung des FA auf die Klageschrift sei rechtlich unzutreffend. Er habe jedoch dem FA eine zutreffende Begründung aufgezeigt und sich damit als Rechtsberater des FA betätigt. Der Richter habe die Kläger wegen angeblich geringer Erfolgsaussichten zur Rücknahme der Klage gedrängt. Sie hätten sich des Eindrucks nicht erwehren können, der Richter habe die Entscheidung zuvor mit dem FA-Vertreter, Herrn B, abgesprochen. Der Richter habe auf entsprechenden klägerischen Vorhalt erwidert, er hätte zu Herrn B einen sehr guten persönlichen Kontakt. Das FA habe sich in der mündlichen Verhandlung zur Sache nicht geäußert. Sämtliche Aktivitäten seien vom Richter ausgegangen. Der Richter habe sich nicht bereit erklärt, den Termin zu verschieben, um den Klägern zu ermöglichen, einen Rechtsanwalt oder Steuerberater hinzuzuziehen. Der Richter habe zunächst dem Wunsch der Kläger entsprochen, den auf sie ausgeübten Druck zur Klagerücknahme zu protokollieren, das Protokoll dann jedoch wieder geändert. Auf seine Frage, ob Berufung möglich sei, habe der Richter geantwortet, die Angelegenheit liege nicht im öffentlichen Interesse. Er, der Antragsteller, beantrage eine neue, faire und objektive Gerichtsverhandlung. Mit Schriftsatz vom 9. September 1997 an das FG begründeten die zwischenzeitlich von den Kläger beauftragten Prozeßbevollmächtigten den Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens.
Zu dem Befangenheitsantrag haben sich der abgelehnte Richter, RiFG A, mit dienstlicher Stellungnahme vom 2. Oktober 1997 und der Vertreter des FA, B, mit Schriftsatz vom 26. September 1997 geäußert.
Der zuständige Senat beim FG hat -- ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters -- das Ablehnungsgesuch als unzulässig abgelehnt, weil der Ablehnungsantrag nicht vor Schluß der mündlichen Verhandlung vom 14. August 1997 gestellt worden sei.
Gegen den am 12. Januar 1998 zugestellten Beschluß des FG vom 23. Dezember 1997 legten die Kläger mit am 26. Januar 1998 beim FG eingegangenen Schriftsatz Beschwerde ein, welcher das FG nicht abgeholfen hat.
Die Prozeßbevollmächtigten der Kläger tragen vor, die Kläger hätten in der mündlichen Verhandlung vom 14. August 1997 RiFG A nach Erörterung der Sach- und Rechtslage vorgeworfen, den Rechtsstreit vorher mit dem FA abgesprochen und das zu fällende Urteil verabredet zu haben. Diese Erklärung hätte RiFG A als Ablehnungsgesuch verstehen müssen. Die Kläger seien in dieser mündlichen Verhandlung nicht anwaltschaftlich vertreten gewesen. Deshalb könne von ihnen nicht verlangt werden, ein Ablehnungsgesuch noch in der mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß zu formulieren. Die Erklärung sei auszulegen. Der Kläger habe durch seine Äußerung kundgetan, daß er RiFG A für voreingenommen halte und dieser einseitig die Interessen des FA vertrete. Ein Ablehnungsgesuch könne auch nach §44 der Zivilprozeßordnung (ZPO) mündlich in der Verhandlung angebracht werden. Der Kläger habe darauf bestanden, seine Äußerung zu protokollieren. Dies habe RiFG A jedoch abgelehnt. Später sei ohne Zustimmung der Kläger eine Protokollierung vorgenommen worden, aus welcher der Ablehnungswille nicht mehr hervorgehe. Der Kläger habe sich im übrigen nur gegen seinen geäußerten Willen und auf Drängen des Richters A weiterhin in die Verhandlung eingelassen. Er habe eine Unterbrechung der Verhandlung gewollt, um juristischen Beistand hinzuzuziehen. Richter A habe dies mit dem Bemerken abgelehnt, "der Fall werde noch heute abgeschlossen". Der Kläger habe nur auf die Äußerung von Richter A vertrauen können, es liege kein Grund für eine Unterbrechung der Verhandlung vor. Daraufhin habe er die Klage zurückgenommen, um sie -- nach seiner Ansicht -- in einer höheren Instanz vor einem unvoreingenommenen Richter fortzusetzen. Unmittelbar nach Beendigung der mündlichen Verhandlung habe er dann sein Ablehnungsgesuch gestellt.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben. Das FG hat das Ablehnungsgesuch im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.
1. a) Nach §51 Abs. 1 FGO i.V.m. §42 ZPO ist Voraussetzung für die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit, daß ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Entscheidend ist hierbei nicht, ob der Richter tatsächlich voreingenommen ist. Es kommt vielmehr darauf an, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, bei Anlegung eines objektiven Maßstabes Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 30. Oktober 1991 III B 95/90, BFH/NV 1992, 524, 525, m.w.N., und vom 21. Juli 1993 IV B 183/92, BFH/NV 1994, 558, 559).
b) Eine Partei kann einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat (vgl. §43 ZPO i.V.m. §51 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Die Begriffe "Anträge gestellt" und "in eine Verhandlung eingelassen" werden in ständiger Rechtsprechung weit ausgelegt (vgl. BFH-Beschluß vom 7. Februar 1996 X B 195/95, BFH/NV 1996, 616). Einlassung bedeutet jedes prozessuale, der Erledigung eines Streitpunktes dienende Handeln der Partei unter Mitwirkung des Richters. §43 ZPO dient nämlich dem Zweck, den Ablehnungsberechtigten zu veranlassen, sich sofort nach Kenntnis von dem möglichen Befangenheitsgrund zu entscheiden, ob er sich darauf berufen will oder nicht. Es soll nicht in der Schwebe bleiben, ob ein Richter am Verfahren mitwirken darf oder nicht (vgl. BFH-Beschluß vom 21. Juli 1993 IX B 50/93, BFH/NV 1994, 50, 51, m.w.N.). Vermeintliche Ablehnungsgründe, z.B. eine erkennbar gewordene Voreingenommenheit des Berichterstatters oder eine lückenhafte Protokollierung seiner von ihm geäußerten Rechtsansichten (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 9. Dezember 1992 VI B 46/92, BFH/NV 1993, 318), die im Verlauf einer mündlichen Verhandlung oder auch eines Erörterungstermins entstehen, müssen danach bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß geltend gemacht werden (vgl. BFH-Beschluß in BFH/NV 1994, 558). Will der Ablehnungsberechtigte sein Ablehnungsrecht hinsichtlich dieser Gründe nicht verlieren, so muß er sich außerdem weigern, den Verhandlungstermin weiterhin wahrzunehmen (vgl. BFH-Beschluß in BFH/NV 1996, 616, 617, m.w.N.).
2. Die Kläger haben mit ihrem Ablehnungsgesuch ausschließlich Gründe geltend gemacht, die in der mündlichen Verhandlung vom 14. August 1997 vor dem abgelehnten Richter, RiFG A, entstanden sind. Bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung haben sie indes kein ordnungsgemäßes Ablehnungesuch gestellt gehabt. Der erst am folgenden Tag schriftlich eingereichte Ablehnungsantrag ist hingegen verspätet.
Den in der mündlichen Verhandlung vom 14. August 1997 abgegebenen Erklärungen des Klägers kann auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die Kläger keine prozeßrechtlichen Erfahrungen besitzen und auch nicht anwaltschaftlich vertreten waren, entgegen der von den zwischenzeitlich hinzugezogenen Prozeßbevollmächtigten erstmals geäußerten gegenteiligen Rechtsansicht, kein Ablehnungsgesuch entnommen werden.
Die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit erfordert zur Geltendmachung des Ablehnungsgrundes ein Ablehnungsgesuch (vgl. §44 Abs. 1 ZPO i.V.m. §51 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das Ablehnungsgesuch ist eine Prozeßhandlung. Es muß sich eindeutig um ein Ablehnungsgesuch handeln. Aus Gründen der Prozeßklarheit und angesichts des verfassungsrechtlichen Grundsatzes des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes) ist dieses Erfordernis von besonderer Bedeutung. Ein abgelehnter Richter darf bis zur Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur noch unaufschiebbare Amtshandlungen vornehmen (vgl. §47 ZPO i.V.m. §51 Abs. 1 Satz 1 FGO). Schon diese eingeschränkte Handlungskompetenz des abgelehnten Richters macht es unerläßlich, daß insoweit Klarheit besteht, ob ein Ablehnungesuch vorliegt. Gleichermaßen ist diese Klarheit erforderlich, um einen Verlust des Ablehnungsrechtes nach §43 ZPO sicher feststellen zu können (vgl. BFH-Beschluß vom 18. Oktober 1994 VIII S 11/93, BFH/NV 1995, 540, 542).
Ein Ablehnungsgesuch kann deshalb nicht schon daraus entnommen werden, daß ein Prozeßbeteiligter Bedenken gegen die Unabhängigkeit und Unbefangenheit eines Richters erhoben hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 12. April 1994 VII B 39/93, BFH/NV 1994, 886, und vom 11. Oktober 1985 III R 201/82, BFH/NV 1986, 227, 228, m.w.N.).
Der Kläger hat sich selber nicht in seinem am folgenden Tag beim FG eingegangenen schriftlichen Ablehnungsantrag darauf berufen, ein Ablehnungsgesuch bereits in der mündlichen Verhandlung am 14. August 1997 gestellt zu haben. Vielmehr haben die Kläger sich bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung auf das Klageverfahren eingelassen und sich auch nicht geweigert, weiterhin daran teilzunehmen. Die bloße Bemühung um Vertagung des Termins, um sich juristisch beraten zu lassen, kann nicht als Weigerung in diesem Sinne gewertet werden, zumal die Kläger auch nach eigenem Bekunden tatsächlich weiter verhandelt haben. Schließlich haben sie, was die Kläger auch im Beschwerdeverfahren nicht in Abrede stellen, eine Prozeßerklärung in Gestalt der Klagerücknahme abgegeben.
Bezüglich des erst am 15. August 1997 beim FG eingegangenen schriftlichen Ablehnungsantrags, mit welchem die Kläger ausschließlich im Rahmen der mündlichen Verhandlung am Vortag entstandene Ablehnungsgründe geltend machen, haben die Kläger ihr Ablehnungsrecht nach §43 ZPO verloren (vgl. BFH-Beschluß in BFH/NV 1992, 524, 525). Es bedarf insoweit keiner weiteren Prüfung, ob das Ablehnungsgesuch auch deshalb mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig ist, weil es nach Beendigung der FG-Instanz gestellt worden ist (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 11. August 1992 III B 101/92, BFH/NV 1993, 309, 310), oder ein solcher Antrag deshalb zulässig ist, weil die Kläger gemäß §72 Abs. 2 Satz 3 FGO die Unwirksamkeit der Klagerücknahme geltend gemacht haben und sich die Ablehnung deshalb noch auf die Sachentscheidung des Gerichts auswirken könnte (vgl. BFH-Beschluß vom 11. August 1994 IV B 98/93, BFH/NV 1995, 410, 411, m.w.N.; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §51 Rz. 21, m. umf. N.).
Fundstellen