Entscheidungsstichwort (Thema)
(Gesonderte Feststellung nach § 17 Abs.3 GrEStG 1983: Feststellung aller Besteuerungsgrundlagen in einem Verwaltungsakt, Änderung nur aufgrund der Korrekturvorschriften der AO 1977, Ergänzungsbescheid nicht zulässig - Voraussetzungen eines Ergänzungsbescheids gem. § 179 Abs.3 AO 1977)
Leitsatz (amtlich)
Die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen nach § 17 Abs.3 GrEStG 1983 hat für alle von einem der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgang betroffenen Grundstücke in einem Verwaltungsakt zu erfolgen. Hat das FA in einem derartigen Fall durch Bescheid die Besteuerungsgrundlagen festgestellt, ist es gehindert, für denselben Rechtsvorgang in einem weiteren Bescheid Feststellungen über Besteuerungsgrundlagen (z.B. für ein bisher nicht berücksichtigtes Grundstück) zu treffen, wenn nicht die Voraussetzungen für eine Änderung des ursprünglichen Bescheids nach den allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften vorliegen.
Orientierungssatz
Die Vorschrift des § 179 Abs.3 AO 1977 durchbricht nicht die Bestandskraft ergangener Feststellungsbescheide, sondern gestattet nur die Vervollständigung lückenhafter Feststellungsbescheide, d.h. nachholbar sind nur im vorausgegangenen Bescheid unterbliebene Feststellungen. Inhaltliche Fehler in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht können daher nicht in einem Ergänzungsbescheid nach § 179 Abs.3 AO 1977 korrigiert werden.
Normenkette
GrEStG 1983 § 1 Abs. 3, § 17 Abs. 2-3; AO 1977 §§ 173, 179 Abs. 3
Tatbestand
I. Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 12. Dezember 1984 übertrugen fünf Gesellschaften, die zum X-Konzern gehören, von ihnen gehaltene Anteile an der A I GmbH (A I) mit Wirkung vom 31. Dezember 1984, 24 Uhr, auf die B-GmbH. Die A I ist die Holdinggesellschaft des X-Konzerns. Auch die B-GmbH wird vom X-Konzern gehalten. Durch die Anteilsübertragung wurde die B-GmbH Alleingesellschafterin der A I. Zum Vermögen der A I und ihrer hundertprozentigen Tochtergesellschaften sowie ihrer hundertprozentigen Enkelgesellschaften gehörten Grundstücke in verschiedenen Orten der Bundesrepublik Deutschland.
Mit Schreiben vom 7. Januar 1985 zeigte die A I dem beklagten Finanzamt (FA) diesen grunderwerbsteuerbaren Vorgang an und fügte dem Schreiben für jede betroffene Gesellschaft eine Liste aller dieser gehörenden Grundstücke (insgesamt 56) bei. Ein der C-GmbH, die seit dem 1. April 1984 ebenfalls eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der A I war, gehörendes Grundstück, welches im örtlichen Zuständigkeitsbereich des beigeladenen FA belegen ist, wurde in diesem Schreiben nicht erwähnt.
Durch Bescheid vom 26. Juni 1985 stellte das beklagte FA nach § 17 Abs.3 Satz 1 Nr.2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG 1983) die Besteuerungsgrundlagen gesondert fest. Dieser Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs.1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977). Hinsichtlich eines Grundstücks erging der Bescheid zudem vorläufig nach § 165 Abs.1 AO 1977. Das Grundstück im örtlichen Zuständigkeitsbereich des beigeladenen FA wurde in dem Feststellungsbescheid nicht erfaßt.
Aufgrund einer Prüfungsanordnung vom 19. Februar 1985 fand bei der B-GmbH eine verkehrsteuerrechtliche Außenprüfung für sämtliche zum X-Konzern gehörenden Gesellschaften statt. Die Prüfung erstreckte sich insbesondere auch auf die grunderwerbsteuerrechtlichen Auswirkungen der Anteilsvereinigung aufgrund des notariell beurkundeten Vertrags vom 12. Dezember 1984. Die Nichterfassung des Grundstücks der C-GmbH wurde bei dieser Prüfung nicht aufgedeckt.
Nach Abschluß dieser Außenprüfung hob das beklagte FA mit Bescheid vom 23. Juli 1987 den Vorbehalt der Nachprüfung im Feststellungsbescheid vom 26. Juni 1985 auf. Die Vorläufigkeit gemäß § 165 Abs.1 AO 1977 hinsichtlich des einen Grundstücks blieb bestehen.
Bei einer späteren verkehrsteuerrechtlichen Außenprüfung beim X-Konzern, bei der eine weitere Vereinigung aller Anteile bei der Konzernmutter zu prüfen war, erkannte der Prüfer nunmehr die Nichterfassung des Grundstücks der C-GmbH im Feststellungsbescheid vom 26. Juni 1985. Darauf stellte das beklagte FA mit (erstmaligem) Bescheid vom 19. August 1988 nach § 17 Abs.3 Satz 1 Nr.2 GrEStG 1983 die Besteuerungsgrundlagen hinsichtlich dieses Grundstücks gesondert fest. Der Bescheid wurde der Rechtsvorgängerin der Klägerin, der A III GmbH als Rechtsnachfolgerin der A II GmbH) --vormals B-GmbH-- erteilt.
Durch weiteren Bescheid --ebenfalls vom 19. August 1988-- änderte das beklagte FA nach § 175 AO 1977 den Feststellungsbescheid vom 26. Juni 1985 hinsichtlich der Bemessungsgrundlage für einige Grundstücke, für die zunächst unzutreffende Einheitswerte angesetzt worden waren. Dieser Bescheid erging wegen des einen Grundstücks weiterhin vorläufig nach § 165 AO 1977. Das Grundstück der C-GmbH war in diesem Bescheid nicht erfaßt.
Mit der Klage wurde geltend gemacht, daß der Feststellungsbescheid vom 19. August 1988 ersatzlos aufzuheben sei. Der bestandskräftige, nach § 173 Abs.2 AO 1977 mit erhöhtem Bestandsschutz versehene Bescheid vom 26. Juni 1985 zur gesonderten Feststellung der Besteuerungsgrundlagen wegen der Anteilsvereinigung aufgrund des Vertrags vom 12. Dezember 1984 regele diesen gesamten Lebenssachverhalt, soweit er der Grunderwerbsteuer unterliege, abschließend. Er könne nicht mehr geändert werden. Während des Klageverfahrens änderte das beklagte FA durch Bescheid vom 30. Mai 1991 den angefochtenen Feststellungsbescheid dahin, daß (nunmehr) das beigeladene FA für das Grundstück als zuständiges FA im Bescheid angeführt wurde. Die Klägerin stellte den Antrag nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Das FA widersetzte sich dem Klagebegehren mit der Begründung, daß es durch verfahrensrechtliche Gründe nicht daran gehindert gewesen sei, den weiteren Feststellungsbescheid zu erlassen.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und den geänderten Feststellungsbescheid aufgehoben. Die Besteuerungsgrundlagen für die Anteilsvereinigung aufgrund des Vertrags vom 12. Dezember 1984 seien bereits durch den bestandskräftigen Feststellungsbescheid vom 26. Juni 1985 für die Beteiligten bindend abschließend festgestellt worden. Für einen weiteren Feststellungsbescheid sei daneben kein Raum. Auch § 179 Abs.3 AO 1977 biete dafür keine Grundlage.
Hiergegen richtete sich die Revision des beklagten FA. Dieses rügt die Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Das beigeladene FA schließt sich den Ausführungen des beklagten FA im wesentlichen an.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist unbegründet.
Das FG hat im Ergebnis zu Recht den angefochtenen Feststellungsbescheid für rechtswidrig erachtet und aufgehoben. Mit dem Bescheid vom 26. Juni 1985 hat das FA die Besteuerungsgrundlagen für die durch die Anteilsvereinigung i.S. § 1 Abs.3 Nrn.1 und 2 GrEStG 1983 auf Grund des Vertrages vom 12. Dezember 1984 verwirklichten Grundstückserwerbe bereits abschließend festgestellt. Das FA konnte danach die Besteuerungsgrundlagen für ein von derselben Anteilsvereinigung betroffenes --aber bisher nicht erfaßtes-- Grundstück nicht in einem weiteren (neuen) Bescheid feststellen.
1. Gehört zum Vermögen einer Gesellschaft ein inländisches Grundstück, so unterliegt der Grunderwerbsteuer ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile der Gesellschaft begründet, wenn durch die Übertragung alle Anteile der Gesellschaft u.a. in der Hand des Erwerbers allein vereinigt würden (§ 1 Abs.3 Nr.1 GrEStG 1983). Ist der Vereinigung der Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft kein schuldrechtliches Geschäft vorausgegangen, so unterliegt die Vereinigung aller Anteile an ihr der Grunderwerbsteuer (§ 1 Abs.3 Nr.2 GrEStG 1983). Werden von dem Rechtsvorgang "Vereinigung aller Anteile" Grundstücke betroffen, die außerhalb des Bezirks des für die Geschäftsleitung der Gesellschaft zuständigen FA liegen, so ordnet § 17 Abs.3 Satz 1 Nr.2 GrEStG 1983 an, daß eine gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen stattzufinden hat (vgl. § 179 Abs.1 AO 1977) und diese von einem FA --dem der Geschäftsleitung der Gesellschaft-- vorzunehmen ist. Der Tatbestand des § 1 Abs.3 Nrn.1 oder 2 GrEStG 1983 besteuert zwar im Grunde genommen eine spezifisch grunderwerbsteuerrechtliche Veränderung der Zuordnung von Grundstücken (vgl. Senatsurteil vom 20. Oktober 1993 II R 116/90, BFHE 172, 538, BStBl II 1994, 121 m.w.N.); rechtstechnisch knüpft er jedoch an den Rechtsvorgang "Vereinigung aller Anteile" an. Dieser Aufbau des Steuertatbestands ist bei der Auslegung der auf ihn zugeschnittenen Verfahrensvorschrift des § 17 Abs.3 Satz 1 Nr.2 GrEStG 1983 zu berücksichtigen. Das bedeutet, daß die in § 17 Abs.3 Satz 1 Nr.2 GrEStG 1983 angeordneten Rechtsfolgen --gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen, Zuständigkeit des FA der Geschäftsleitung der Gesellschaft-- sich auf den Rechtsvorgang beziehen, der zur Vereinigung aller Anteile führt und der die Steuerpflicht auslöst.
Daraus folgt, daß die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für diesen Rechtsvorgang und mithin für alle von diesem betroffenen Grundstücke in (nur) einem Verwaltungsakt zu erfolgen hat.
Diese Auslegung berücksichtigt die in der Regelung des § 17 Abs.2 und 3 GrEStG 1983 insgesamt angelegte Tendenz zur Konzentration bei einem FA und in einem Verfahren. Sie ermöglicht eine sachgerechte Lösung insbesondere auch in den Fällen, in denen nicht nur die Frage nach dem Steuertatbestand einheitlich zu beantworten ist, sondern eine "Verzahnung" hinsichtlich der Gegenleistung besteht, da diese für jedes Grundstück aus einer Gesamtgegenleistung abzuleiten ist (z.B. bei Einbringung von Betrieben, Verschmelzungen und übertragenden Umwandlungen). Sie steht deshalb auch in Einklang mit der Gesetzesbegründung, die es für solche Fälle geboten hält, daß die für die Besteuerung wesentlichen Merkmale durch ein FA in einem förmlichen Verfahren erfolgen.
Da das FA für die durch Vertrag vom 12. Dezember 1984 bewirkte Anteilsvereinigung die Besteuerungsgrundlagen mit Bescheid vom 26. Juni 1985 bereits gesondert festgestellt hatte, war es gehindert, für dieselbe Anteilsvereinigung in einem weiteren Bescheid Feststellungen über Besteuerungsgrundlagen zu treffen.
2. Der angefochtene Feststellungsbescheid des FA kann auch nicht auf § 179 Abs.3 AO 1977 gestützt werden. Nach dieser Vorschrift ist, soweit in einem Feststellungsbescheid eine notwendige Feststellung unterblieben ist, diese in einem Ergänzungsbescheid nachzuholen. Es kann dahingestellt bleiben ob der angefochtene Bescheid überhaupt als Ergänzungsbescheid betrachtet werden könnte. Nachholbar sind nur solche Feststellungen, die in dem vorausgegangenen Feststellungsbescheid "unterblieben" sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. September 1977 IV R 120/73, BFHE 123, 467, BStBl II 1978, 152 m.w.N.). Der vorangegangene Feststellungsbescheid muß mithin lückenhaft sein. Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Zwar sind nach § 17 Abs.3 Nr.2 GrEStG 1983 die Besteuerungsgrundlagen für alle Grundstücke festzustellen, auf die sich die Anteilsvereinigung bezieht. Unterbleibt jedoch zu Unrecht die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für ein Grundstück, das materiell-rechtlich von der Anteilsvereinigung betroffen ist, so wird der Feststellungsbescheid dadurch nicht lückenhaft, sondern falsch. Insoweit liegt eine inhaltliche Unrichtigkeit des Feststellungsbescheids vor. Es kann daher nichts anderes gelten, als wenn das FA das betreffende Grundstück absichtlich --wenn auch materiell-rechtlich zu Unrecht-- nicht als von der Anteilsvereinigung erfaßt angesehen hätte. Ein derartiger Fehler in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht kann jedoch nicht durch einen Ergänzungsbescheid nach § 179 Abs.3 AO 1977 korrigiert werden. Die Vorschrift ist keine die Bestandskraft ergangener Feststellungsbescheide durchbrechende Vorschrift, sondern gestattet nur die Vervollständigung lückenhafter Feststellungsbescheide (vgl. Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16.Aufl., § 179 AO 1977 Anm.6).
3. Hat das FA bei einer Feststellung nach § 17 Abs.3 Nr.2 GrEStG 1983 ein Grundstück irrtümlich zunächst nicht erfaßt, und erfährt es später, daß auch dieses Grundstück von der Anteilsvereinigung bzw. Anteilsübertragung erfaßt ist, so hat eine Änderung des Feststellungsbescheids im Regelfall nach § 173 Abs.1 AO 1977 zu erfolgen. Diese Möglichkeit ist im Streitfall jedoch deswegen ausgeschlossen, da der Feststellungsbescheid --wovon die Beteiligten und das FG zutreffend ausgehen-- der erhöhten Bestandskraft nach § 173 Abs.2 AO 1977 unterliegt. Die Voraussetzungen für eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung sind vom FG nicht festgestellt.
Fundstellen
Haufe-Index 65290 |
BFH/NV 1994, 73 |
BStBl II 1994, 819 |
BFHE 174, 465 |
BFHE 1995, 465 |
BB 1994, 1628 |
BB 1994, 2406 |
BB 1994, 2406-2407 (LT) |
DB 1994, 2119-2120 (LT) |
DStR 1994, 1610-1611 (KT) |
HFR 1994, 727-728 (LT) |
StE 1994, 497 (K) |