Entscheidungsstichwort (Thema)
(Haftungsbescheid bzw. Nachforderungsbescheid nach § 73g EStDV: örtliche Zuständigkeit, Auswahlermessen des FA, Abgeltungswirkung gem. § 50a EStG - zur Anwendung des § 127 AO 1977 bei Ermessensentscheidungen des FA - Besteuerung der Einnahmen eines im Ausland ansässigen Fußballnationalspielers)
Leitsatz (amtlich)
Örtlich zuständig für den Erlaß eines Nachforderungsbescheids gemäß § 73g Abs.1 EStDV gegen den Vergütungsgläubiger (Steuerschuldner) ist das für die Besteuerung des Vergütungsschuldners nach dem Einkommen zuständige FA (§ 73e Satz 1 EStDV).
Orientierungssatz
1. Die Ermessensentscheidung gem. § 73g EStDV über die Inanspruchnahme des Vergütungsschuldners oder des Vergütungsgläubigers kann nur von einem FA getroffen werden. Dabei ist eine Inanspruchnahme des Vergütungsschuldners insbesondere dann zulässig, wenn der Vergütungsgläubiger seinen Wohnsitz im Ausland hat (vgl. BFH-Urteil vom 20.6.1990 I R 157/87 zur Zuständigkeit für vergleichbare Lohnsteuernachforderungsbescheide). Die Abgeltungswirkung des § 50 Abs.5 EStG gilt auch beim Erlaß eines Nachforderungsbescheids gegenüber dem Vergütungsgläubiger (vgl. BFH-Urteil vom 26.4.1978 I R 97/76).
2. Bei Ermessensentscheidungen ist grundsätzlich nicht anzunehmen, daß keine andere Entscheidung in der Sache i.S. des § 127 AO 1977 möglich gewesen wäre (vgl. BFH-Urteil vom 20.6. 1990 I R 157/87).
3. Tagesentschädigungen und Prämien, die ein in Spanien ansässiger Fußball-Nationalspieler für die Teilnahme an Trainingslagern, Länderspielen und internationalen Meisterschaften vom Deutschen Fußballbund erhält, unterliegen, sofern es sich um Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit handelt, gem. § 49 Abs.1 Nr.4 EStG, Art. 15 Abs.1 und 2 des DBA-Spanien der Besteuerung nur insoweit, als die Tätigkeit nicht im Ausland ausgeübt wird. Handelt es sich um gewerbliche Einkünfte, kommt eine Besteuerung nach deutschem Steuerrecht nur gem. § 49 Abs.1 Nr.2a EStG in Betracht.
Normenkette
EStDV § 73e Abs. 1 S. 1, § 73g Abs. 1; EStG § 50 Abs. 5; AO 1977 § 127; DBA ESP Art. 15 Abs. 1-2; EStG § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Nr. 4
Tatbestand
I. 1. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wohnte in den Streitjahren 1980 bis 1984 im Ausland. Er arbeitete dort als Berufsfußballspieler. Daneben nahm er als Auswahlspieler an Spielen und Trainingslagern der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) und im Ausland teil. Für die Teilnahme an diesen Veranstaltungen erhielt der Kläger vom Deutschen Fußballbund (DFB) jeweils eine Tagesentschädigung von 100 DM und zusätzlich Weltmeisterschafts- und Europameisterschaftsprämien. Außerdem verteilte der DFB im Jahr 1982 Pauschalhonorare für Interviews gleichmäßig unter den Spielern.
Insgesamt zahlte der DFB in den Streitjahren 1980 bis 1984 folgende Beträge ohne Steuerabzug an den Kläger:
1980 2 400,-- DM Tagesentschädigungen
1981 2 100,-- DM Tagesentschädigungen
1982 6 500,-- DM Tagesentschädigungen
1 363,63 DM anteilige Interviewhonorare
18 000,-- DM Weltmeisterschaftsprämie
1983 1 200,-- DM Tagesentschädigungen
1984 9 000,-- DM Europameisterschaftsprämie.
In den Steuerbescheiden vom 23. Mai 1986 qualifizierte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) sämtliche Zahlungen als inländische Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des § 49 Abs.1 Nr.4 des Einkommensteuergesetzes 1980/1983 (EStG) und forderte Einkommensteuer gemäß § 50a Abs.4 EStG in Höhe von 6 084,54 DM (= 15 v.H. des Gesamtbetrages in Höhe von 40 563,63 DM) vom Kläger.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob der Kläger gegen diese Steuerbescheide Klage. Während des Klageverfahrens erließ das FA am 5. November 1988 für die Bezüge 1982 einen Änderungsbescheid, in dem die Bemessungsgrundlage um die anteiligen Honorareinnahmen in Höhe von 1 363,63 DM gekürzt wurde. Dadurch verminderte sich die für 1982 festgesetzte Steuer um 204,54 DM. Insoweit haben beide Beteiligten die Hauptsache für erledigt erklärt.
2. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Der Kläger habe beschränkt steuerpflichtige Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen (§ 49 Abs.1 Nr.4 EStG).
3. Der Kläger rügt mit seiner Revision Verletzung der §§ 49 Abs.1 Nr.4, 19 EStG. Er habe eine selbständige gewerbliche Tätigkeit ausgeübt, für die er in der Bundesrepublik weder eine Betriebsstätte unterhalten noch einen ständigen Vertreter eingesetzt habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil des FG und die Steuerbescheide
über Abzugssteuer 1980 bis 1984 ersatzlos aufzuheben,
hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Der Kläger habe für den DFB eine nichtselbständige Tätigkeit ausgeübt. Soweit er im Ausland gespielt habe, sei seine Tätigkeit im Inland verwertet worden (§ 49 Abs.1 Nr.4 2.Alternative EStG).
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und der gegen den Kläger ergangenen Steuerbescheide 1980 bis 1984 in Gestalt der Einspruchsentscheidung (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Die Steuerbescheide sind rechtswidrig, weil sie unter Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit ergingen und nicht feststeht, daß keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können (§ 127 der Abgabenordnung --AO 1977--).
a) Das beklagte FA war für die Entscheidung über den Erlaß des angefochtenen Bescheids örtlich nicht zuständig.
Die Bescheide sind sog. Nachforderungsbescheide, mit denen die an sich vom Vergütungsschuldner abzuführende Abzugssteuer (§ 50a Abs.4 EStG) gemäß § 73g Abs.1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) vom Vergütungsgläubiger nachgefordert wurde. Für derartige Bescheide ist das für die Besteuerung des Vergütungsschuldners vom Einkommen zuständige FA (§§ 73e Abs.1 Satz 1 i.V.m. § 73g EStDV) örtlich zuständig. Vergütungsschuldner war im Streitfall der DFB, der seine Geschäftsleitung nicht im Bezirk des FA hatte (§ 73e EStDV i.V.m. § 20 Abs.1 AO 1977).
§ 73e EStDV regelt zwar ausdrücklich nur die örtliche Zuständigkeit für die Abführung der Abzugssteuer. Die Zuständigkeitsregelung des § 73e EStDV gilt jedoch auch für den Erlaß von Haftungs- oder Nachforderungsbescheiden gemäß § 73g EStDV. Das ergibt sich aus dem inhaltlichen Zusammenhang der §§ 73a bis g EStDV und aus dem Umstand, daß Haftungsbescheid oder Nachforderungsbescheid gemäß § 73g Abs.1 EStDV durch "das Finanzamt" zu erlassen sind, ohne daß die Vorschrift eine von § 73e EStDV abweichende Zuständigkeitsregelung enthielte. Die Regelung ist auch sinnvoll, weil die Ermessensentscheidung über die Inanspruchnahme des Vergütungsschuldners oder des Vergütungsgläubigers nur von einem FA getroffen werden kann (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. Juni 1990 I R 157/87, BFHE 161, 117, BStBl II 1992, 43 zur Zuständigkeit für vergleichbare Lohnsteuernachforderungsbescheide; Giloy, Betriebs-Berater 1978, 549). Da die Einkommensteuer des Klägers für die Vergütungen durch die Abzugssteuer abgegolten ist, kann es nicht zu widersprüchlichen Entscheidungen zwischen dem für den Nachforderungsbescheid zuständigen FA und dem für die Besteuerung vom Einkommen des Vergütungsgläubigers gemäß § 19 AO 1977 zuständigen FA kommen. Die Abgeltungswirkung des § 50 Abs.5 EStG besteht auch beim Erlaß eines Nachforderungsbescheids, da die Nachforderung dem Steuerabzug gleichsteht (vgl. BFH-Urteil vom 26. April 1978 I R 97/76, BFHE 125, 375, BStBl II 1978, 628; Blümich/Krabbe, Einkommen steuergesetz, § 50a Rz.68).
b) Es steht nicht fest, daß von dem örtlich zuständigen FA keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können.
Ist ein Verwaltungsakt unter Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit ergangen, so kann seine Aufhebung allein wegen dieses Mangels nur beansprucht werden, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können (§ 127 AO 1977). Im Streitfall lag eine Ermessensentscheidung vor, da das FA ein Auswahlermessen zwischen der Inanspruchnahme des Vergütungsschuldners und des Steuerschuldners ausüben mußte (§ 73g Abs.1 EStDV). Bei Ermessensentscheidungen ist grundsätzlich nicht anzunehmen, daß keine andere Entscheidung in der Sache möglich gewesen wäre (BFH in BFHE 161, 117, BStBl II 1992, 43 m.w.N.). Das Ermessen war im Streitfall auch nicht in dem Sinne eingeengt, daß nur der Kläger in Anspruch genommen werden konnte. Eine Inanspruchnahme des Vergütungsschuldner ist insbesondere dann zulässig, wenn der Vergütungsgläubiger seinen Wohnsitz im Ausland hat (vgl. BFH in BFHE 161, 117, BStBl II 1992, 43).
c) Für eine evtl. Inanspruchnahme des Klägers durch das zuständige FA weist der Senat ohne Bindungswirkung darauf hin, daß nach innerstaatlichem Recht eine Besteuerung nur bestehen dürfte, wenn der Kläger Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des § 49 Abs.1 Nr.4 EStG erzielte. Bezog er gewerbliche Einkünfte, käme eine Besteuerung nach deutschem Steuerrecht nur in Betracht, wenn der Kläger eine inländische Betriebsstätte unterhielt oder einen ständigen Vertreter bestellt hatte (§ 49 Abs.1 Nr.2 a EStG). Dafür bestehen keine Anhaltspunkte. Sollten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit vorliegen, dürften Vergütungen für eine im Wohnsitzstaat des Klägers oder in Drittländern ausgeübte nichtselbständige Tätigkeit in der Bundesrepublik gemäß Art.15 Abs.1 und 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Wohnsitzstaat des Klägers zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen steuerbefreit sein.
Fundstellen
Haufe-Index 65083 |
BFH/NV 1994, 71 |
BStBl II 1994, 697 |
BFHE 174, 430 |
BFHE 1995, 430 |
BB 1994, 1627 |
BB 1994, 1627 (L) |
DB 1994, 1907-1908 (LT) |
HFR 1994, 658 (LT) |
StE 1994, 494-495 (K) |