Leitsatz (amtlich)
a) Zu den Pflichten eines Anwalts, der den Mandanten beim Abschluß eines Abfindungsvergleichs berät.
b) Leistungen des Sozialhilfeträgers wegen unfallbedingt vermehrter Bedürfnisse sind dem Anspruch des Empfängers auf Ersatz seines Erwerbsschadens nicht kongruent (im Anschluß an BGH NJW 1997, 256).
Normenkette
BGB §§ 675, 843; SGB X § 116
Verfahrensgang
OLG Karlsruhe |
LG Mannheim |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 26. Januar 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagten – in einer Sozietät verbundene Rechtsanwälte – wegen Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrages auf Schadensersatz in Anspruch.
Am 26. September 1992 erlitt die damals 25jährige, verheiratete Klägerin aus dem alleinigen Verschulden des bei der Versicherung AG (i.f. nur noch: Versicherung) haftpflichtversicherten Unfallgegners einen Verkehrsunfall. Seit dem 1. September 1992 lebte sie von ihrem Ehemann getrennt; ihr am 6. Dezember 1990 geborener, schwerbehinderter Sohn, der nicht von dem Ehemann abstammt, wurde in einer Pflegestelle betreut. Die Klägerin ging keiner Erwerbstätigkeit nach und bezog – allerdings erst seit kurzem – Sozialhilfe. Ob die Klägerin vor dem Unfall jemals einen selbständigen Haushalt geführt hatte, ist streitig.
Bei dem Unfall wurde die Klägerin schwer verletzt. Sie sitzt seither im Rollstuhl. Im Schwerbehindertenausweis ist der Grad ihrer Behinderung seit dem 29. Oktober 1997 mit 100 % angegeben [GA II 105]. Sie bezieht weiterhin Sozialhilfe (mit einem 20 %igen Aufschlag zum Regelsatz) und außerdem Pflegegeld gemäß § 69 a Abs. 2 BSHG. Nach dem Unfall nahmen die Klägerin und ihr Ehemann die eheliche Gemeinschaft wieder auf. Den – nach dem Vortrag der Klägerin seit 20. August 1993 (wieder) bestehenden – gemeinsamen Haushalt führt der nicht mehr berufstätige Ehemann, der zudem die Klägerin und deren Sohn versorgt.
Anfang 1995 beauftragte die Klägerin die Beklagten mit der Geltendmachung von Schadensersatz und Schmerzensgeld gegenüber der Versicherung. Diese zahlte aufgrund von Verhandlungen mit dem sachbearbeitenden Beklagten zu 2 als Vorschuß auf das Schmerzensgeld bis Dezember 1995 insgesamt 50.000 DM. Anschließend bemühte sich der Beklagte zu 2 um eine abschließende Regulierung. Mit Schreiben vom 26. November 1996 bat er die Klägerin, sie möge, nachdem ihr inzwischen eine restliche Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 46.000 DM zugegangen sei, die anliegende Abfindungserklärung unterzeichnen. Mit ihrer am 4. Dezember 1996 geleisteten Unterschrift erklärte sich die Klägerin wegen aller Ersatzansprüche aus dem Schadensereignis vom 26. September 1992 gegen Zahlung eines Abfindungsbetrages von 96.000 DM abzüglich bereits bezahlter 50.000 DM endgültig und vorbehaltlos (ausgenommen weitere immaterielle Ansprüche für den Fall, daß der Klägerin unfallbedingt das linke Bein abgenommen werden müßte) für abgefunden.
Die Klägerin wirft den Beklagten vor, sie hätten sie nicht darüber aufgeklärt, daß sie, wenn sie die Abfindungserklärung abgebe, auf Ansprüche wegen des materiellen Schadens verzichte. Eines solchen Hinweises hätte es um so mehr bedurft, als die Positionen Haushaltsführungs- und Kinderbetreuungskosten für sie überragende Bedeutung hätten. Die Beklagten hätten ihr den Abschluß des Abfindungsvergleichs überhaupt nicht vorschlagen dürfen, weil er für sie handgreiflich ungünstig gewesen sei.
Die auf Zahlung eines Betrages von 112.451,95 DM sowie einer monatlichen Rente gerichtete Klage haben die Vorinstanzen abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.
Das Berufungsgericht hat sein Urteil wie folgt begründet:
Es spreche zwar einiges dafür, daß die Beklagten die Klägerin nicht hinreichend über die Tragweite der Abfindungsvereinbarung belehrt hätten. Letztlich könne dies aber dahinstehen. Denn der geltend gemachte Regreßanspruch scheitere jedenfalls an dem fehlenden Nachweis, daß die Klägerin bei richtiger und vollständiger Aufklärung die Abfindungserklärung nicht unterschrieben hätte. Es sei auch nicht dargetan, daß die Versicherung den Schmerzensgeldanspruch im November 1996 reguliert hätte, wenn Ansprüche wegen des materiellen Schadens offengeblieben wären.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Die Beklagten haben ihre anwaltlichen Pflichten schuldhaft verletzt.
a) Die Klägerin ist pflichtwidrig nicht darüber aufgeklärt worden, daß sie nach dem Wortlaut des Abfindungsvergleichs keine Ansprüche wegen eines materiellen Schadens mehr geltend machen kann.
aa) Da der Mandant eigenverantwortlich zu entscheiden hat, wie er seine Interessen in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht zur Geltung bringt, ist es auch seine Sache, darüber zu befinden, ob und mit welchem Inhalt er einen Rechtsstreit durch Vergleich beendet. Will der Prozeßbevollmächtigte einen solchen abschließen, hat er sich deshalb grundsätzlich der vorherigen Zustimmung der Partei zu versichern. Zuvor muß er diese darüber informieren, mit welchem Inhalt er den Vergleich abzuschließen gedenkt, und sie über die Vor- und Nachteile ins Bild setzen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Rechtsanwalt Anhaltspunkte dafür hat, daß der Mandant sich mehr davon verspricht. Selbst wenn der Rechtsanwalt der Meinung ist, das von ihm ausgehandelte Ergebnis sei schon das Äußerste, was bei der Gegenseite zu erreichen sei, entbindet ihn das nicht von seiner Aufklärungspflicht (BGH, Urt. v. 14. Januar 1993 – IX ZR 76/92, WM 1993, 1197, 1199; vgl. auch Urt. v. 7. Dezember 1995 – IX ZR 238/94, NJW-RR 1996, 567). Für einen Abfindungsvergleich gilt das in besonderem Maße (BGH, Urt. v. 21. April 1994 – IX ZR 23/93, NJW 1994, 2085, 2086; v. 13. April 2000 – IX ZR 372/98, NJW 2000, 1944).
bb) Das Berufungsgericht hat es letztlich zwar offengelassen, ob die Beklagten dieser Aufklärungspflicht gerecht geworden sind. Nach seinen – durchaus erschöpfenden – tatsächlichen Feststellungen ist die Frage jedoch zu verneinen.
Danach haben die Beklagten zunächst die Erwartungshaltung der Klägerin durch ein Schreiben vom 1. Dezember 1995 [Anlage K 1] geprägt. Darin teilten sie mit, daß die Versicherung dem Grunde nach Haushaltsführungs- sowie Kinderbetreuungskosten anerkenne, daß also eines „hoffentlich nicht mehr allzufernen Tages ein Gesamtkapitalbetrag für die Gesamtkosten ausgeschüttet … (wird), die bis zum 16. Lebensjahr Ihres Sohnes auflaufen werden”. Daß die Klägerin angenommen hat, auf die Positionen Haushaltsführung und Kinderbetreuung werde ein größerer Betrag gezahlt, geht aus ihrem Schreiben vom 2. April 1996 [Anlage B 20] hervor. Darin bat sie den Beklagten zu 2, eben dies mit der Versicherung zu klären. Mit Schreiben vom 6. November 1996 [Anlage K 3 = GA II 63] teilten die Beklagten der Klägerin u.a. mit: „Aufgrund Ihrer persönlichen Situation ist eszunächst einmal (Unterstreichung nicht im Original) sinnvoll, jetzt im Zusammenhang mit den Unfallfolgen nur die Schmerzensgeldfrage zu regeln.” Dies ließ es möglich erscheinen, daß der materielle Schaden später geregelt werden sollte. Zwar fuhren die Beklagten in dem Schreiben fort: „Ansprüche auf Verdienstausfall oder andere stehen offensichtlich nicht im Raum. Sie waren bereits bei Eintritt des Unfalls Sozialhilfeempfängerin, Sie sind dies bis zum heutigen Tage.” Schon das Berufungsgericht hat es aber als „zumindest fraglich” bezeichnet, ob die einfach strukturierte Klägerin die Bedeutung dieses Satzes verstanden hat. Davon kann in der Tat nicht ausgegangen werden, weil ein rechtlicher Laie Haushaltsführungs- und Kinderbetreuungskosten nicht als Verdienstausfall qualifiziert. Die erforderliche Aufklärung hat auch nicht das Schreiben der Beklagten vom 26. November 1996 gebracht, in dem nur das Schmerzensgeld angesprochen wurde: „… nachdem Ihnen die restliche Schmerzensgeldzahlung in Höhe von DM 46.000,– zugegangen ist …” [Anlage K 2 = GA II 61]. Das Aufklärungsdefizit wird schließlich auch dadurch belegt, daß die Beklagten selbst keine zutreffenden Vorstellungen über die Rechtslage hatten (dazu Näheres unter b ee).
cc) Daß sie an der Pflichtverletzung kein Verschulden trifft, haben die darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten (vgl. BGH, Urt. v. 18. September 1986 – IX ZR 204/85, WM 1986, 1500, 1501; v. 20. Juni 1996 – IX ZR 106/95, WM 1996, 1832, 1835) nicht dargetan.
b) Nach dem Vortrag der Klägerin [GA I 6, 61], mit dem sich das Berufungsgericht nicht befaßt hat, kommt als weitere schuldhafte Pflichtverletzung in Betracht, daß die Beklagten der Klägerin überhaupt den Abschluß des Abfindungsvergleichs vorgeschlagen haben. Dieser war für die Klägerin insofern nachteilig, als sie sich darin – zumindest dem Wortlaut nach – wegen ihrer Ansprüche auf Ersatz materiellen Schadens für abgefunden erklärte, ohne daß ihr eine entsprechende Leistung zufloß.
aa) Auf der Grundlage des für die Revisionsinstanz zu unterstellenden Sachverhalts hatte die Klägerin einen Anspruch auf Schadensersatz für den Wegfall ihrer Arbeitskraft als Hausfrau und Mutter, durch deren Einsatz sie gemäß § 1360 Satz 2 BGB ihre Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind und – nach Beendigung des Getrenntlebens – dem Ehegatten hätte erfüllen können (vgl. BGHZ 38, 55, 58; 50, 304, 306; 77, 157, 160 ff.; Palandt/Thomas, BGB 60. Aufl. Vorbem. vor § 249 Rn. 42 und § 845 Rn. 2). Insoweit stellte sich die Einschränkung der Fähigkeit, Hausarbeiten zu verrichten, als Erwerbsschaden im Sinne von § 843 Abs. 1 Alt. 1 BGB dar (BGH, Urt. v. 8. Oktober 1996 – VI ZR 247/95, NJW 1997, 256 f.). Allerdings begründet der bloße Ausfall der Arbeitskraft noch keinen Vermögensschaden (BGHZ 54, 45, 50 ff.; BGH, Urt. v. 31. März 1992 – VI ZR 143/91, NJW-RR 1992, 852), ebensowenig die abstrakte Minderung der Erwerbsfähigkeit (BGHZ 38, 55, 58 f.; BGH, Urt. v. 17. Januar 1995 – VI ZR 62/94, NJW 1995, 1023, 1024). Erforderlich ist vielmehr ein konkreter Ausfall an Arbeitsleistung oder Verdienst. Daran fehlt es aber nicht schon deshalb, weil die Klägerin im Zeitpunkt des Unfalls keinen eigenen Haushalt unterhielt und das Kind in einer Pflegestelle betreut wurde [vgl. GA I 38, 64, 79]. Etwas anderes hätte zwar zu gelten, wenn die Klägerin auch schon vor dem Unfall nie in der Lage gewesen wäre, einen eigenen Haushalt zu führen und ein Kind zu versorgen, und dies demgemäß auch nie getan hätte. Das haben die Beklagten – unter Berufung auf „chronischen Alkoholabusus” der Klägerin – in der Tat behauptet [GA I 77-79]. Indes hat die Klägerin das Gegenteil vorgetragen und dafür Beweis angetreten [GA I 40, 65, 91, II 31]. Dieser Beweis ist – wie die Revision mit Recht rügt – nicht erhoben worden. Es ist deshalb zu unterstellen, daß die Klägerin vor dem Unfall – wenn auch nicht im Unfallzeitpunkt – einen eigenen Haushalt hatte und ohne den Unfall mit Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen gewesen wäre (§ 252 Satz 2 BGB), daß sie irgendwann wieder einen solchen haben würde. Das genügt für die Annahme eines konkreten Erwerbsschadens.
bb) Der Schaden entfiel nicht dadurch, daß der unterhaltsberechtigte Ehemann nach Beendigung des Getrenntlebens den Ausfall der „Hausfrau” ausglich, indem er deren Rolle selbst mit übernahm. Dies folgt aus dem allgemeinen Rechtsgedanken, wonach ein Schadensersatzanspruch nicht dadurch geschmälert oder ausgeschlossen wird, daß der Vermögensnachteil durch freiwillige Leistung eines Dritten ausgeglichen wird (BGHZ 21, 112, 117; 54, 269, 274; 91, 357, 364; Palandt/Heinrichs, Vorbem. vor § 249 BGB Rn. 131).
cc) Der Anspruch auf Ersatz des Erwerbsschadens war nicht auf den Sozialhilfeträger übergegangen und konnte auch nie auf diesen übergehen.
Wegen des Erwerbsschadens hatte der Sozialhilfeträger keine Leistungen erbracht, und etwas Derartiges war auch in Zukunft nicht zu erwarten. Der Beklagte bezieht sich in diesem Zusammenhang vergeblich auf den 20 %igen Aufschlag zum Regelsatz der Hilfe zum Lebensunterhalt (monatlich 86,40 DM) und das in wechselnder Höhe gewährte Pflegegeld gemäß § 69 a Abs. 2 BSHG [vgl. Bescheide v. 21. September 1995, Anlage B 7, v. 5. Juli 1996, Anlage B 5, v. 18. Februar 1998, GA II 67, ferner Mitteilungen der Sozialämter GA I 28, II 101, Anlage K 13 alter Zählung]. Diese Leistungen des Sozialhilfeträgers waren dem Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihres Erwerbsschadens nicht kongruent (vgl. BGH, Urt. v. 8. Oktober 1996 – VI ZR 247/95, aaO S. 257). Der 20 %ige Aufschlag soll vermehrte Bedürfnisse zum Lebensunterhalt der Klägerin selbst abdecken und hat mit ihrem Beitrag zum Familienunterhalt nichts zu tun. Ähnlich verhält es sich mit dem Pflegegeld. Nach § 69 a Abs. 1 BSHG erhalten Pflegebedürftige, die bei der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität für mehrere Verrichtungen mindestens einmal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen, ein Pflegegeld; dieses wird gemäß § 69 a Abs. 2 BSHG auf das Doppelte angehoben, wenn die Notwendigkeit der Hilfe bei den Verrichtungen zur Körperpflege, Ernährung und Mobilität mindestens dreimal täglich besteht. Dabei geht es immer um Hilfen für den Pflegebedürftigen selbst, nicht um einen Ersatz für Leistungen, die er ohne seine Behinderung Dritten erbracht hätte.
dd) Der Anspruch auf den Erwerbsschaden ist durch den – nach seinem Wortlaut umfassend angelegten – Abfindungsvergleich ausgeschlossen. Da die Klägerin die Versicherung insoweit aus eigenem Recht und nicht nur aufgrund einer Einziehungsbefugnis (vgl. dazu unten ee) in Anspruch nehmen konnte, stellt sich die Frage nicht, ob sich die Versicherung gegenüber dem Sozialhilfeträger auf den Abfindungsvergleich hätte berufen können (vgl. BGHZ 131, 274, 284 ff.).
ee) Die im Vorstehenden beschriebene Rechtslage haben die Beklagten, als sie der Klägerin den Abschluß des Abfindungsvergleichs empfahlen, verkannt. Sie haben damals gemeint, es gebe – abgesehen vom Schmerzensgeld – keine Ansprüche der Klägerin, die nicht auf den Sozialhilfeträger übergegangen seien; mit den übergegangenen Ansprüchen habe die Klägerin nichts zu tun. Diese Vorstellungen der Beklagten kommen in ihrem oben (1 a bb) bereits wiedergegebenen Schreiben an die Klägerin vom 6. November 1996 zum Ausdruck. An diesem Irrtum haben die Beklagten auch später festgehalten. Dies ergibt sich zum einen aus ihrem Schreiben an die Klägerin vom 16. März 1998 [Anlage K 8], in dem sie ausführen: „Die Vereinbarung, die wir seinerzeit mit der … (Versicherung) getroffen haben, betrifft eindeutig nur solche Ansprüche, über die Sie selbst zum damaligen Zeitpunkt überhaupt noch verfügen konnten. Nicht beinhaltet sind damit alle Ansprüche, die zum damaligen Zeitpunkt bereits auf eine der vorgenannten Stellen im Wege des gesetzlichen Forderungsübergangs übergegangen waren. Ich verweise hierzu auf die Bestimmung des § 116 SGB X. Es ist grundsätzlich nicht Ihre und auch nicht unsere Sache, sich in den Regressstreit zwischen den vorgenannten Stellen und der … Versicherung einzumengen. Die Ansprüche stehen Ihnen insoweit nicht mehr zu. Es handelt sich dabei vor allem um die Dinge, deren Fehlen Sie heute aufs Schärfste monieren”, sowie – nach Geltendmachung des Regreßanspruchs – aus dem Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 27. April 1998 [Anlage K 15 neuer Zählung]: „Es wurde nicht übersehen, dass die Abfindungserklärung nur Schmerzensgeldansprüche betrifft. Zum Zeitpunkt der Abfindungserklärung war klar, dass außer dem immateriellen Schmerzensgeldanspruch sonstige materielle Schadensersatzansprüche der Frau … (Klägerin) wegen der Bestimmung des § 116 SGB X mit der … (Versicherung) nicht zu regulieren sind, da diese Ansprüche aufgrund der vorgenannten Rechtsvorschrift zumindest zum Zeitpunkt der Abfindungserklärung samt und sonders auf die beteiligten Sozialhilfe- und Versorgungsträger übergegangen waren. Über diese Ansprüche hat Frau … (Klägerin) auch nicht verfügt, was zwischen ihr und der … (Versicherung) klar war.” In dieselbe Richtung zielt der Prozeßvortrag der Beklagten [GA I 21]: „Damit wäre ein eventueller Erwerbs- und Fortkommensschadensersatzanspruch des den Haushalt führenden Ehepartners und Lebensgefährten gemäß § 116 SGB X bereits mit dem Unfallereignis auf die jeweils beteiligten Träger der Sozialhilfe übergegangen.”
Selbst wenn die Beklagten im Ausgangspunkt Recht gehabt hätten – Ansprüche wegen Haushaltsführung und Kinderbetreuung also auf den Sozialhilfeträger übergegangen gewesen wären oder noch hätten übergehen können –, wäre die Ansicht verfehlt gewesen, die Klägerin könne solche Ansprüche nicht geltend machen. Im Hinblick auf den Nachrang der Sozialhilfe und das Zusammenspiel des § 116 SGB X mit § 2 BSHG ist der Geschädigte sogar nach dem Rechtsübergang auf den Sozialhilfeträger – der nicht stets bereits mit dem Unfallereignis stattfindet (BGHZ 131, 274, 278 ff.) – ermächtigt, zur Vermeidung der Hilfsbedürftigkeit die Ersatzleistung im eigenen Namen vom Schädiger einzufordern (BGHZ 131, 274, 282 ff.; 133, 129, 135 f.,140).
Tatsächlich stand hier – wie bereits ausgeführt – in bezug auf den Erwerbsschaden der Klägerin ein Übergang auf den Sozialhilfeträger nicht in Rede.
ff) Der Rechtsirrtum der Beklagten war schon deshalb schuldhaft, weil sie die anstehenden (insbesondere im Lichte der am 12. Dezember 1995 ergangenen Entscheidung BGHZ 131, 274 ff. zu sehenden) Rechtsfragen weder eigenverantwortlich noch gar mit der gebührenden Sorgfalt geprüft haben. Sie haben sich vielmehr insoweit auf die gegnerische Haftpflichtversicherung verlassen. Das ergibt sich aus dem von dem Beklagten zu 2 gefertigten Aktenvermerk vom 1. Dezember 1995 [Anlage K 4]: „Herr … (Sachbearbeiter der Versicherung) versprach in der Zwischenzeit abzuklären, wieweit die Haushaltsführung und Kinderbetreuung überhaupt noch Anspruchsgegenstand bei unserer Mandantin sein kann”, sowie aus seinem inhaltsgleichen Schreiben vom selben Tage an die Versicherung [Anlage K 2 neuer Zählung].
2. Hatte die Klägerin – was vom Berufungsgericht nicht aufgeklärt worden ist – Ansprüche wegen eines Erwerbsschadens, besteht der regreßfähige Schaden darin, daß sie nach dem Wortlaut des Abfindungsvergleichs solche Ansprüche nicht mehr geltend machen kann, obwohl sie darauf nichts erhalten hat.
a) Allerdings muß sich die Versicherung möglicherweise wegen eines „doppelten Motivirrtums” auf eine Anpassung des Vergleichs nach den Grundsätzen über das Fehlen der Geschäftsgrundlage einlassen (vgl. BGHZ 25, 390, 392 f.; 58, 355, 361 f.; 62, 20, 24 f.; BGH, Urt. v. 13. November 1975 – III ZR 106/72, NJW 1976, 565 f.; Palandt/Heinrichs, § 119 BGB Rn. 30 und § 242 BGB Rn. 149). Das kommt dann in Betracht, wenn nicht nur die Klägerin, sondern auch die Versicherung bei Abschluß des Vergleichs davon ausgegangen ist, materieller Schaden werde davon nicht erfaßt. Das Vorbringen der Beklagten [GA II 85] könnte in diese Richtung deuten (vgl. auch deren – oben teilweise wiedergegebenes – Schreiben vom 27. April 1998 [Anlage K 15 neuer Zählung]).
Falls danach noch ein Anspruch der Klägerin gegen die Versicherung bestehen sollte, entfällt deswegen aber nicht ihr Schaden. Denn es ist durchaus fraglich, ob die Versicherung sich nicht doch auf die Abfindungsklausel berufen wird. Gegebenenfalls droht der Klägerin ein langwieriger Prozeß mit ungewissem Ausgang. Diese von den Beklagten zu verantwortende Unsicherheit darf nicht zu Lasten der Klägerin gehen (vgl. Senatsurt. v. 19. Juli 2001 – IX ZR 62/00, WM 2001, 1605, 1607). Die Beklagten können nur analog § 255 BGB Abtretung etwa noch bestehender Ansprüche gegen die Versicherung verlangen.
b) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht gemeint, die Klägerin habe „wohl schon damals” (als sie durch die Beklagten ihre Ansprüche gegen die Versicherung geltend machte), „wie auch jetzt im Prozess”, keinen ausreichenden Vortrag „für einen konkreten Schaden … erbracht”.
Nach dem – hier anzuwendenden – § 287 ZPO reicht eine deutlich überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit, daß ein Schaden entstanden ist, für die richterlicher Überzeugungsbildung aus (BGH, Urt. v. 2. Juli 1992 – IX ZR 256/91, NJW 1992, 2694, 2695; v. 5. November 1992 – IX ZR 12/92, NJW 1993, 734). § 287 ZPO erleichtert dem Geschädigten darüber hinaus die Darlegungslast. Die Klage darf nicht wegen eines lückenhaften Vortrags zum Schaden abgewiesen werden, solange greifbare Anhaltspunkte für eine Schätzung vorhanden sind (BGH, Urt. v. 23. Oktober 1991 – XII ZR 144/90, NJW-RR 1992, 202, 203; v. 2. Juli 1992 – IX ZR 256/91, aaO S. 2695 f.; v. 5. November 1992 – IX ZR 12/92, aaO). § 252 Satz 2 BGB bringt für den Geschädigten eine zusätzliche Erleichterung, soweit er entgangenen Gewinn darzulegen und nachzuweisen hat. Nach dieser Vorschrift gilt als entgangen der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Entscheidend ist somit eine Prognose über die künftige Entwicklung (BGH, Urt. v. 14. Januar 1997 – VI ZR 366/95, NJW 1997, 937, 938). Fällt die Arbeitskraft einer Hausfrau aus, kann der Schaden anhand der in der Praxis entwickelten Berechnungsmodelle hinreichend genau erfaßt werden (vgl. etwa BGH, Urt. v. 8. Oktober 1996 – VI ZR 247/95, NJW 1997, 256, 257 m.w.N.). Daß die Klägerin nach ihrem Vortrag gewisse hausfrauliche Tätigkeiten im Sitzen verrichten kann, sie also insoweit nicht zu 100 % ausfällt, steht einer Schätzung des konkreten Schadens nicht entgegen.
3. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts scheitert die Haftung der Beklagten auch nicht an der fehlenden Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden.
a) Liegt die Pflichtverletzung in der Empfehlung eines der Klägerin nachteiligen Vergleichs (vgl. oben 1 b), ist die Frage des Ursachenzusammenhangs möglicherweise noch weniger problematisch als bei einer bloßen Aufklärungspflichtverletzung. Die zuerst genannte Alternative hat das Berufungsgericht nicht geprüft.
b) Aber auch dann, wenn man – wie das Berufungsgericht – nur die Aufklärungspflichtverletzung im Auge hat, kann die Kausalität für den Schaden nicht verneint werden.
aa) Das Berufungsgericht hat nicht verkannt, daß grundsätzlich ein Anscheinsbeweis dafür spricht, der Mandant hätte sich bei pflichtgemäßer Beratung durch seinen Rechtsanwalt „beratungsgerecht” verhalten (grundlegend BGHZ 123, 311, 315; st. Rspr.). Es hat indes gemeint, hier hätten die Beklagten den Anscheinsbeweis erschüttert. Sie hätten dargetan, daß es der Klägerin darauf angekommen sei, möglichst schnell eine möglichst hohe Summe von der Versicherung zu erhalten. Sie habe noch „im November/Dezember 1996” einen Abfindungsbetrag erhalten wollen. Daraus ergebe sich zumindest die ernsthafte Möglichkeit, daß sie den Abfindungsvergleich auch bei pflichtgemäßer Aufklärung über dessen weittragende Folgen abgeschlossen hätte.
bb) Dem kann nicht gefolgt werden. Soweit das Berufungsgericht zur Bekräftigung seines Standpunkts den Gedanken herangezogen hat, die Klägerin habe zunächst selbst nicht behauptet, daß sie im Falle ordnungsgemäßer Aufklärung den Abfindungsvergleich nicht unterschrieben hätte, hat es gegenteiligen Vortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 17. Dezember 1999 [GA I 97] übersehen.
Ferner ist zwar zutreffend, daß die Klägerin im November/Dezember 1996 Geldbedarf anmeldete, weil sie eine behindertengerechte Kücheneinrichtung bestellt hatte, die am 5. Dezember 1996 geliefert und deren Preis von ca. 17.000 DM bar bezahlt werden sollte. Auch darf davon ausgegangen werden, daß die Klägerin zur Bezahlung mit vorhandenen Mitteln nicht in der Lage war. Es erscheint jedoch wenig lebensnah, daß die Klägerin – wenn die Beklagten ihr gesagt hätten, daß sie bei Annahme des vorgeschlagenen Abfindungsvergleichs auf andere Ansprüche als Schmerzensgeld verzichte – sich auf diesen Vergleich eingelassen hätte, nur um die bestellte Küche zu erhalten, die ohne Bezahlung wohl nicht ausgeliefert worden wäre. Es ist nicht vorgetragen, daß die neue Küche zur Behebung einer dringenden Notlage unabweisbar gebraucht wurde. Die Lieferung hätte ohne weiteres zurückgestellt werden können. Zwar hatte die Klägerin eine neue Wohnung bezogen. Der Umzug hatte aber [ausweislich der Anlage B 6] spätestens im Juli 1996 stattgefunden. In der Zwischenzeit hatte sich die Klägerin offenbar mit der alten Küche beholfen. Das hätte auch künftig geschehen können. Selbst wenn die neue Küche dringend benötigt wurde, ist die Ansicht des Berufungsgerichts nicht nachvollziehbar, daß die Klägerin die Mittel zu ihrer Bezahlung von der Versicherung nur erhalten konnte, wenn sie den Abfindungsvergleich akzeptierte. Nach den Vorstellungen der Versicherung hatte die Klägerin allein als Schmerzensgeld noch 46.000 DM (allerdings darüber hinaus nichts) zu erwarten. Daß die Versicherung nicht bereit gewesen wäre, eine weitere Abschlagszahlung in Höhe von 17.000 DM zu leisten, haben die Beklagten nicht dargetan. Dazu sind sie wohl auch nicht in der Lage, weil sie in der bezeichneten Richtung keine Bemühungen entfaltet haben. Die Bereitschaft der Versicherung, den Betrag von 17.000 DM (oder auch mehr) als weiteren Abschlag zu zahlen, wäre überdies gefördert worden, wenn die Beklagten ihr pflichtgemäß deutlich gemacht hätten, daß wegen eines Haushaltsführungsschadens kein Anspruchsübergang auf den Sozialhilfeträger stattgefunden hat. Wieso die Klägerin bei pflichtgemäßem Verhalten der Beklagten mit einem „langwierigen Prozeß mit … ungewissem Ausgang” hätte rechnen müssen, ist deshalb nicht ohne weiteres ersichtlich.
III.
Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§ 564 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO), weil sie noch nicht entscheidungsreif ist. Das Berufungsgericht wird zunächst feststellen müssen, ob die Klägerin ohne den Unfall wahrscheinlich irgendwann (wieder) einen Haushalt geführt und ihr Kind betreut hätte, also dem Grunde nach einen Erwerbsschaden hatte (vgl. oben II 1 b aa). Gegebenenfalls wird es die Höhe des Schadens schätzen müssen.
Unterschriften
Kreft, Stodolkowitz, Ganter, Raebel, Kayser
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 08.11.2001 durch Preuß Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BB 2002, 119 |
NJW 2002, 292 |
BGHR 2002, 103 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2001, 2455 |
DAR 2002, 63 |
MDR 2002, 179 |
NZV 2002, 114 |
VersR 2002, 188 |
ZfS 2002, 127 |
VRA 2002, 24 |
BRAK-Mitt. 2002, 22 |
KammerForum 2002, 92 |