Entscheidungsstichwort (Thema)
Zurücknahme der Berufung unter Rechtsanwälten nach Ablauf der Rechtsmittelfrist als Berufungsverzicht
Leitsatz (amtlich)
Eine von einem Rechtsanwalt nach Ablauf der Rechtsmittelfrist gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten des Gegners abgegebene Erklärung, die fristwahrend eingelegte Berufung sei zurückgenommen worden, er möge sich nicht bestellen, kann als Verzicht auf die Berufung auszulegen sein.
Normenkette
ZPO § 514 a.F.
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 09.10.2000) |
LG München II |
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 9. Oktober 2000 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Kläger begehren von dem Beklagten Schadensersatz mit der Begründung, er habe sie als Geschäftsführer der D.-D. GmbH in betrügerischer Weise dazu veranlaßt, diese Gesellschaft als Mieterin aus einem bis zum 31. Dezember 2002 laufenden Mietverhältnis zu entlassen und das Mietverhältnis statt dessen ab 1. April 1993 mit einer anderen – damals schon notleidenden und kurz darauf aufgelösten – GmbH, deren Geschäftsführer ebenfalls der Beklagte gewesen sei, fortzusetzen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Gegen dieses ihnen am 30. März 2000 zugestellte Urteil haben die Kläger fristgerecht Berufung eingelegt. Am 4. Mai 2000 übermittelte ihr Prozeßbevollmächtigter dem Beklagtenvertreter ein Telefax mit folgendem Wortlaut: „In dieser Angelegenheit habe ich am 02.05.2000 fristwahrend die Berufung eingelegt, sie aber zwischenzeitlich wieder zurückgenommen. Ich bitte Sie, sich nicht zu bestellen.” In einem weiteren Telefax vom 9. Mai 2000 teilte der Klägervertreter mit, die Berufungsrücknahme sei versehentlich nicht an das Oberlandesgericht abgesandt worden. Daraufhin sei er von seinen Mandanten beauftragt worden, die Möglichkeit einer Prozeßfinanzierung zu überprüfen. Aus diesem Grunde werde er die Berufung vorläufig nicht zurücknehmen.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Oberlandesgericht die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Revision der Kläger, die ihr Klagebegehren weiterverfolgen.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Kläger hätten mit dem Telefax ihres Prozeßbevollmächtigten vom 4. Mai 2000 wirksam auf die Berufung verzichtet. Diese sei deshalb auf die von dem Beklagten erhobene Einrede als unzulässig zu verwerfen gewesen. Die Berufung wäre zudem unbegründet, denn die Klageansprüche seien verjährt.
II.
Die gemäß § 547 ZPO a.F. zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Kläger zu Recht als unzulässig verworfen (§ 519 b Abs. 1 ZPO a.F.).
1. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß ein Berufungsverzicht (§ 514 ZPO a.F.) nicht nur gegenüber dem Gericht, sondern auch gegenüber dem Prozeßgegner erklärt werden kann (BGH, Urteil vom 6. März 1985 – VIII ZR 123/84 – NJW 1985, 2335 m.w.N.). Es handelt sich dabei wie bei dem gegenüber dem Gericht erklärten Berufungsverzicht um eine einseitige Prozeßhandlung (BGH aaO sowie Urteil vom 14. Juni 1967 – IV ZR 21/66 – NJW 1968, 794, 795). Anders als der gegenüber dem Gericht erklärte Berufungsverzicht, der von Amts wegen zu beachten ist, führt der gegenüber dem Gegner erklärte Berufungsverzicht allerdings erst auf dessen Einrede zur Verwerfung der Berufung als unzulässig (BGH, Beschluß vom 8. Mai 1985 – IVb ZB 56/84 – NJW 1985, 2334; Senatsurteil vom 28. März 1989 – VI ZR 246/88 – VersR 1989, 602 f.; Urteil vom 14. Mai 1997 – XII ZR 184/96 – NJW-RR 1997, 1288 m.w.N.).
2. Das Berufungsgericht hat die in dem Telefax der Prozeßbevollmächtigten der Kläger vom 4. Mai 2000 enthaltene Erklärung als Verzicht auf die Berufung angesehen. Das ist nicht zu beanstanden.
a) Der erkennende Senat hat die Erklärung ohne Bindung an die Erwägungen des Berufungsgerichts selbst auszulegen (Senatsurteil vom 28. März 1989 – VI ZR 246/88 – aaO; BGH, Urteile vom 19. März 1991 – XI ZR 138/90 – VersR 1991, 1421 und vom 20. Juli 1999 – X ZR 175/98 – NJW 1999, 3564, 3565). Für die Auslegung einer Erklärung als Rechtsmittelverzicht ist Zurückhaltung geboten. Hier gelten wegen der Unwiderruflichkeit und Unanfechtbarkeit einer solchen Erklärung strenge Anforderungen (Senatsbeschluß vom 7. November 1989 – VI ZB 25/89 – VersR 1990, 172, 173). Nicht erforderlich ist jedoch, daß ausdrücklich von einem „Verzicht” die Rede ist. Unabhängig von der Wortwahl ist ein Rechtsmittelverzicht dann anzunehmen, wenn in der Erklärung klar und eindeutig der Wille zum Ausdruck gebracht wird, das Urteil endgültig hinzunehmen und es nicht anfechten zu wollen (Senatsbeschluß vom 7. November 1989 – VI ZB 25/89 – aaO; vgl. auch RGZ 161, 350, 355; BGH, Urteil vom 20. Juli 1999 – X ZR 175/98 – aaO m.w.N.).
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze versteht der Senat den Inhalt des Telefaxschreibens mit dem Berufungsgericht dahin, daß die Kläger gegenüber dem Beklagten auf das Rechtsmittel der Berufung verzichtet haben.
Allerdings enthält das Telefax seinem Wortlaut nach zunächst nur die Mitteilung, die bereits eingelegte Berufung sei zurückgenommen worden. Da es dem Rechtsmittelführer im Falle der Rücknahme einer Berufung freisteht, innerhalb der Berufungsfrist eine neue Berufung einzulegen (vgl. BGHZ 124, 305, 308 ff.), beinhaltet die bloße Mitteilung, eine Berufung sei zurückgenommen, für sich allein keinen Verzicht auf die Berufung. Vorliegend kommt jedoch hinzu, daß zum Zeitpunkt der Übermittlung des Telefaxschreibens die Berufungsfrist bereits abgelaufen war, so daß die Kläger eine neue Berufung nicht mehr einlegen konnten. Deshalb wäre die Rücknahme der Berufung ihrer Wirkung nach einem Verzicht gleichgekommen.
Im Hinblick darauf war dem Telefax nicht nur eine Information über die Erklärung der Berufungsrücknahme gegenüber dem Gericht zu entnehmen. Die Telefaxerklärung war vielmehr, weil sie gegenüber dem Prozeßgegner erfolgte, von diesem ihrem objektiven Erklärungsgehalt nach auch dahin zu verstehen, daß die Kläger das Urteil hinnehmen und nicht anfechten. Für diese Auslegung spricht entscheidend auch die angefügte – einschränkungslose – Bitte gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten der Beklagten, er möge sich nicht bestellen. Auch darin kommt klar und eindeutig der Wille der Kläger zum Ausdruck, endgültig kein Rechtsmittel einzulegen. Wenn die Kläger diesbezüglich noch unentschlossen gewesen wären, hätte nämlich eine schwächere Formulierung etwa des Inhalts nahegelegen, der Prozeßbevollmächtigte möge sich „zunächst” oder „bis auf weiteres” nicht bestellen. Daß die Kläger zu diesem Zeitpunkt tatsächlich gewillt waren, von einer Anfechtung des Urteils abzusehen, zeigt der Inhalt des Telefaxschreibens vom 9. Mai 2000, denn daraus geht hervor, daß die Berufungsrücknahme seinerzeit sehr wohl beabsichtigt war und nur infolge eines Versehens unterblieben ist. Das Schreiben läßt weiter erkennen, daß die Kläger ihren Willen später offenbar geändert und ihren Prozeßbevollmächtigten nunmehr beauftragt haben, die Möglichkeit einer Prozeßfinanzierung zu überprüfen.
c) Der Verzicht auf die Berufung hat mit der seitens des Beklagten erhobenen Einrede im Prozeß Wirkung erlangt. Dem steht der Inhalt des Telefaxschreibens vom 9. Mai 2000 nicht entgegen. Die Wirksamkeit eines dem Gegner gegenüber erklärten Verzichts kann nämlich nur durch eine dem Gegner früher oder gleichzeitig zugehende Erklärung, daß ein Rechtsmittelverzicht nicht gewollt sei, verhindert werden (vgl. BGH, Urteil vom 19. März 1991 – XI ZR 138/90 – aaO). Daran fehlt es hier.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Dressler, Dr. Greiner, Wellner, Pauge, Stöhr
Fundstellen
Haufe-Index 738411 |
BB 2002, 1067 |
HFR 2002, 1142 |
NJW 2002, 2108 |
BGHR 2002, 705 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 2002, 807 |
MDR 2002, 900 |
SGb 2002, 500 |
VersR 2002, 1125 |
KammerForum 2002, 298 |