Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für die Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 30. März 2023 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen wird abgelehnt.
Gründe
I
Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger blieb mit seinem Antrag auf Versorgung mit einer Akupunkturbehandlung mit Reizstrom ("kombinierte Physiokey-Akupunktur") durch die internistisch-kardiologische Praxis Dres. L1 ua zur Behandlung seiner Riechminderung bei Zustand nach Encephalitis 1993 ohne Erfolg: Die Akupunktur sei als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode grundsätzlich von der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen und nur bei chronischen Schmerzen der Lendenwirbelsäule oder chronischen Schmerzen im Kniegelenk bei Arthrose eine Kassenleistung. Auch die Voraussetzungen des§ 2 Abs 1a SGB V seien nicht erfüllt(Bescheid vom 16.9.2020; Widerspruchsbescheid vom 4.3.2021) . Die hiergegen erhobene Klage hat das SG abgewiesen(Gerichtsbescheid vom 27.6.2022) .
In der Zwischenzeit verschaffte sich der Kläger eine Akupunkturbehandlung durch die Heilpraktikerin C beim Zentrum für Chinesische Medizin, W. Die Übernahme der hier entstandenen Kosten von 930 Euro hat die Beklagte abgelehnt(bestandskräftiger Bescheid vom 9.11.2021). Des Weiteren begehrte der Kläger erfolglos die Versorgung mit einer Akupunkturbehandlung durch die Ärztin L2(Bescheid vom 8.12.2021; Widerspruchsbescheid vom 19.5.2022) . Die hiergegen gerichtete Klage hat das SG mit rechtskräftigem Gerichtsbescheid vom 26.9.2022 abgewiesen(Az S 2 KR 161/22 ) .
Nach Einlegung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 27.6.2022 (Akupunkturbehandlung mit Reizstrom) hat das LSG den am 26.7.2022 gestellten Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) abgelehnt(Beschluss vom 16.3.2023, zugestellt am 18.3.2023) und knapp zwei Wochen später die Berufung zurückgewiesen: Nachdem der Kläger mitgeteilt habe, keine Akupunkturbehandlung mit Reizstrom mehr zu begehren, sei das Rechtsschutzbedürfnis für die hierauf gerichtete Klage entfallen und die Klage daher unzulässig geworden. Soweit der Kläger die Einbeziehung des Bescheids vom 9.11.2021 (Heilpraktikerin C) im Wege der Klageerweiterung begehre, sei dies mangels Sachdienlichkeit oder Zustimmung der Beklagten ebenfalls unzulässig. Einer Einbeziehung der Klage auf Versorgung mit "klassischer" Akupunktur durch L2 stehe das rechtskräftige SG-Urteil vom 26.9.2022 entgegen. Die Bescheide vom 9.11. und vom 8.12.2021 seien auch nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Sie hätten unterschiedliche Ansprüche zum Gegenstand(Urteil vom 30.3.2023) . Den vier Tage nach Urteilsverkündung gestellten Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung hat das LSG abgelehnt(Beschluss vom 17.4.2023) .
Der Kläger hat PKH für die Durchführung des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das ihm am 12.4.2023 zugestellte Urteil unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt.
II
Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen.
Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Das ist hier nicht der Fall. Aus diesem Grund kommt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts nicht in Betracht( § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm§ 121 Abs 1 ZPO ) .
Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat(Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht(Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden(Nr 3) .
Dagegen ist die bloße Behauptung der Unrichtigkeit einer Berufungsentscheidung kein Revisionszulassungsgrund.
Die Durchsicht der Akten und das Vorbringen des Klägers in seinen beim BSG eingegangenen Schreiben haben keinen Hinweis auf das Vorliegen einer der oben genannten Revisionszulassungsgründe ergeben.
1. Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall des Klägers hinausgehende grundsätzliche Bedeutung(§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) . Soweit der Kläger die Frage aufwirft, "ob die Kosten für eine Akupunktur wegen fehlendem Geruchssinn nach der neuen Lage der Forschung doch von den KV’s getragen werden müssen", ist weder ersichtlich, dass diese Frage für das vorliegende Verfahren entscheidungserheblich ist, noch handelt es sich um eine der Grundsatzrevision zugängliche Rechtsfrage. Denn die Frage nach den Therapiemöglichkeiten für ein einzelnes Leiden und dem darauf bezogenen krankenversicherungsrechtlichen Behandlungsanspruch ist regelmäßig keine Rechtsfrage von "grundsätzlicher" Bedeutung(vglBSG vom 14.5.2007 - B 1 KR 16/07 B - RdNr 6 ;BSG vom 7.10.2005 - B 1 KR 107/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 9 zur Behandlungsmethode nach Prof. Kozijavkin) .
2. Es bestehen ferner keine Anhaltspunkte dafür, dass das LSG entscheidungstragend von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abgewichen sein könnte(Zulassungsgrund gemäߧ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) . Erforderlich hierfür wäre, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat(vgl zBBSG vom 19.11.2019 - B 1 KR 72/18 B - juris RdNr 8 ) . Dies ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
Die vom Kläger insoweit angeführten BSG-Urteile(vom 5.7.1995 - 1 RK 6/95 - BSGE 76, 194 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5 - Drogensubstitution durch Remedacen; vom 16.9.1997 - 1 RK 28/95 - BSGE 81, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 - Duchennesche Muskeldystrophie, nachfolgendBVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 - BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 - zum Anspruch auf nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethoden in Fällen regelmäßig tödlicher oder lebensgefährlicher Erkrankungen) befassen sich nicht mit der hier einschlägigen Problematik der Nichteinbeziehung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund von Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses bei einer nunmehr wesentlich geänderten Rechtslage. Anhaltspunkte für einen Sachverhalt nach§ 2 Abs 1a SGB V liegen nicht vor.
3. Schließlich ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger einen die Revisionszulassung rechtfertigenden Verfahrensfehler des LSG bezeichnen könnte(Zulassungsgrund gemäߧ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) . Danach ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Die Bescheide vom 9.11. und vom 8.12.2021 waren, ausgehend von den vom LSG festgestellten Regelungsgegenständen, schon deswegen nicht in das Berufungsverfahren einzubeziehen. Die Auffassung des LSG, dass eine Klageänderung unzulässig sei, begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Gleiches gilt auch für den Wegfall der Klagebefugnis hinsichtlich des ursprünglichen Klagebegehrens, und damit für die Entscheidung durch Prozessurteil über die Klagebegehren.
Es liegen auch keine Anhaltspunkte für einen Verfahrensverstoß durch eine unterlassene notwendige Beiladung vor. Nach § 75 Abs 2 Alt 2 SGG sind Dritte beizuladen, wenn sich in dem Verfahren ergibt, dass bei Ablehnung des Anspruchs ein anderer Versicherungsträger, ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, ein Träger der Sozialhilfe, ein Träger der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts ein Land als leistungspflichtig in Betracht kommt. Hierfür ist es nicht erforderlich, dass es für das LSG als erkennendes Gericht bereits feststeht, dass der Beklagte nicht leistungspflichtig ist; vielmehr genügt die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Leistungsverpflichteten(vgl nurBSG vom 5.7.2016 - B 1 KR 18/16 B - juris RdNr 5 mwN) . So liegt der Fall hier nicht. Der Kläger behauptet lediglich, dass Ursache seiner Beschwerden auch ein Arbeitsunfall sein könne. Eine ernsthafte Möglichkeit ergibt sich daraus aber nicht.
Auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist angesichts der Möglichkeit des Klägers, sich in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG vom 30.3.2023 zu äußern, nicht nachvollziehbar.
Es stellt keinen Verfahrensfehler dar, dass der Kläger vor dem LSG nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten war. Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde kann als Verfahrensmangel nicht die Rechtswidrigkeit der Ablehnung von PKH als solche geltend gemacht werden, sondern nur, dass die Ablehnung verfassungsrechtlich fundierte prozessuale Gewährleistungen verletzt. Das kann der Fall sein, wenn die Ablehnung willkürlich ist, weil sie unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Verfassungsrechtlich fundierte Gewährleistungen können aber auch verletzt sein, wenn die PKH-Ablehnung darauf hindeutet, dass das Gericht die Bedeutung und Tragweite der Rechtsschutzgleichheit grundlegend verkannt hat(vglBSG vom 10.11.2022 - B 5 R 117/22 B - juris RdNr 17 mwN) . Die Ablehnung von PKH dürfte hier nicht gegenArt 3 Abs 1 GG und das Gebot der Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten verstoßen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Ablehnung willkürlich war. Vielmehr hatte die Berufung des Klägers aus den vom LSG genannten Gründen keine Erfolgsaussicht.
Unerheblich ist deshalb auch, dass die ablehnende Entscheidung über den PKH-Antrag zeitnah vor der mündlichen Verhandlung erfolgte. Denn selbst in den Fällen, in denen - anders als im Falle der angegriffenen Entscheidung - das Berufungsgericht zeitgleich in der Hauptsache und über den PKH-Antrag entscheidet, liegt ein Verfahrensfehler nur dann vor, wenn bei rechtzeitiger Entscheidung ausgehend von dem damaligen Sach- und Kenntnisstand eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zu bejahen und deshalb PKH zu bewilligen gewesen wäre(stRspr; vglBSG vom 4.12.2007 - B 2 U 165/06 B - SozR 4-1500 § 62 Nr 9;BSG vom 22.7.2020 - B 13 R 20/19 BH - juris RdNr 7 ; dort jeweils unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des rechtlichen Gehörs) . So liegt der Fall hier nicht.
Fundstellen
Dokument-Index HI16468954 |