Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsweg in Angelegenheiten der Sozialversicherung
Orientierungssatz
1. Eine Angelegenheit der Sozialversicherung iS von § 51 Abs 1 SGG liegt nur dann vor, wenn die Möglichkeit besteht, daß die aus dem vorgetragenen Sachverhalt hergeleitete Rechtsfolge ihre materiell-rechtliche Grundlage im Sozialversicherungsrecht findet. Dabei ist der Begriff der Sozialversicherung bzw des Sozialversicherungsrechts in § 51 Abs 1 SGG auf die klassischen Zweige der Sozialversicherung beschränkt und erfaßt damit die herkömmlichen Bereiche der gesetzlichen Krankenversicherung, Unfallversicherung, Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, der Knappschaftsversicherung sowie andere Bereiche, die die charakteristischen Merkmale der Sozialversicherung iS ihrer überlieferten sozialpolitischen Strukturen aufweisen. Dazu gehören nicht die Versorgungseinrichtungen (hier: Versorgungswerk der Ärztekammer des Saarlandes) der freien Berufe.
2. In Regelungsbereichen, die nicht unmittelbar von § 51 Abs 1 SGG erfaßt werden, kann eine Zuständigkeit der Sozialgerichte nach dieser Bestimmung nicht kraft Sachzusammenhangs oder unter dem Gesichtspunkt der Sachnähe begründet werden, weil es nach der Systematik des § 40 Abs 1 VwGO iVm § 51 Abs 4 SGG grundsätzlich einer ausdrücklichen Zuweisung an die Sozialgerichte bedarf.
3. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß wurde nicht zur Entscheidung angenommen (Gründe vgl BVerfG 1. Senat 3. Kammer vom 19.1.1989 - 1 BvR 1589/88).
Normenkette
SGG § 51 Abs 1; SGG § 51 Abs 4; VwGO § 40 Abs 1
Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Entscheidung vom 02.12.1987; Aktenzeichen L 1 Ka 7/85) |
SG für das Saarland (Entscheidung vom 23.10.1985; Aktenzeichen S 2 Ka 30/85) |
Gründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Klägers, die allein auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützt ist, ist zulässig, aber unbegründet.
Als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung hat der Kläger - sinngemäß - die Frage bezeichnet, ob für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten, die Rentenansprüche aus Versorgungseinrichtungen der Ärztekammern betreffen, der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben ist. Die Frage hat keine grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sie ist nicht mehr klärungsbedürftig, weil sich ihre Beantwortung unmittelbar aus dem Gesetz ergibt und im übrigen durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits geklärt ist.
Nach der Generalklausel des § 40 Abs 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz oder in Streitigkeiten auf dem Gebiet des Landesrechts durch Landesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Eine ausdrückliche Zuweisung in diesem Sinne enthält § 51 Abs 1 SGG, der hier allein in Betracht kommt, nur für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung und der übrigen Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit (BA) sowie der Kriegsopferversorgung. Die Eröffnung des Sozialrechtsweges durch ein anderes Gesetz iS von § 51 Abs 4 SGG oder ein Landesgesetz iS von § 40 Abs 1 Satz 2 VwGO ist nicht erfolgt. Eine Angelegenheit der Sozialversicherung iS von § 51 Abs 1 SGG liegt nur dann vor, wenn die Möglichkeit besteht, daß die aus dem vorgetragenen Sachverhalt hergeleitete Rechtsfolge ihre materiell-rechtliche Grundlage im Sozialversicherungsrecht findet (BSG SozR 1500 § 51 Nr 43 und SozR Nr 61 zu § 51 SGG; BVerwG Buchholz 310 § 40 VwGO Nrn 218 und 220 mwN). Dabei ist der Begriff der Sozialversicherung bzw des Sozialversicherungsrechts in § 51 Abs 1 SGG auf die klassischen Zweige der Sozialversicherung beschränkt und erfaßt damit die herkömmlichen Bereiche der gesetzlichen Krankenversicherung, Unfallversicherung, Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, der Knappschaftsversicherung sowie andere Bereiche, die die charakteristischen Merkmale der Sozialversicherung im Sinne ihrer überlieferten sozialpolitischen Strukturen aufweisen (BVerwGE 17, 74; Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, § 51 RdNr 22). Dazu gehören nicht die Versorgungseinrichtungen der freien Berufe.
Der streitige Anspruch des Klägers auf Gewährung höherer Berufsunfähigkeitsrente hat - wie er selbst vorträgt - seine materiell-rechtliche Grundlage nicht in der Sozialversicherung im vorgenannten Sinne, sondern beruht auf einer Satzung des Versorgungswerks der Ärztekammer des Saarlandes, deren Mitglied er als ehemaliger Zahnarzt ist. Dieses Versorgungswerk ist eine rechtlich unselbständige Einrichtung der Ärztekammer, die - als Körperschaft des öffentlichen Rechts - gemäß § 4 Abs 4 des Saarländischen Ärztekammergesetzes -SÄKG- (idF vom 14. Mai 1975, ABl S 529) für ihre Mitglieder und deren Angehörige Versorgungseinrichtungen, insbesondere ein Versorgungswerk unterhält, das nach eigener Satzung für den Fall der Invalidität, des Erreichens der Altersgrenze und im Falle des Todes zugunsten der Hinterbliebenen Rente gewährt. Die Satzungen zur Errichtung und Unterhaltung des Versorgungswerks werden von der Delegiertenversammlung der Ärztekammer beschlossen, bedürfen der Genehmigung des zuständigen Ministers und sind für die Mitglieder bindend. Der Rechtsstreit betrifft damit eine eigenständige berufsständige Rentenversicherung für Selbständige in einem besonderen Berufsversorgungswerk, die weder dem herkömmlichen Bereich der Rentenversicherung noch dem Begriff der Sozialversicherung iS von § 51 Abs 1 SGG unterfällt. Für öffentliche-rechtliche Streitigkeiten, die Ansprüche aus derartigen Versorgungseinrichtungen der Ärztekammern betreffen, ist deshalb nicht der Weg zu den Sozialgerichten, sondern der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mit ausführlicher Begründung zur Entstehungsgeschichte des § 51 Abs 1 SGG, zu Entwicklung und Begriff der Sozialversicherung und zur Bedeutung der Versorgungseinrichtungen der Ärztekammern dargelegt (BVerwGE 17, 74). Dem ist das Bundessozialgericht (BSG) gefolgt (BSGE 28, 9, 11).
Danach gehört die Versorgung des ärztlichen Berufsstandes, wie sie auch im vorliegenden Fall in Rede steht, nicht zur herkömmlichen Sozialversicherung, wie sich schon daraus entnehmen läßt, daß das Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) in § 7 Abs 1 ein Recht auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung demjenigen einräumt, der aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung seiner Berufsgruppe ist. Hierbei handelt es sich um autonome Einrichtungen von Angehörigen eines selbständigen Berufs, die keine Anlehnung an die Träger der klassischen Versicherung aufweisen, wie sie auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) für die Einbeziehung in den - weiter gefaßten - Begriff der Sozialversicherung in Art 74 Nr 12 GG noch für bedeutsam hält (BVerfGE 11, 105, 111 ff, 113; neuerdings BVerfG, Beschluß vom 8. April 1987, SGb 1988, 104, 108). Das BVerwG hat hierzu betont, daß derartige Versorgungswerke nicht nur vom Gedanken kollektiver Eigenvorsorge geprägt sind, sondern auch spezielle berufspolitische Ziele verfolgen, indem sie durch ihre Vorsorge einer Überalterung des Berufsstandes vorbeugen und damit der Erhaltung eines voll leistungsfähigen Arztstandes dienen wollen. Damit erschöpft sich die berufsständische Versorgungseinrichtung nicht in einer bloßen Ersatzfunktion für die gesetzliche Sozialversicherung (hier: die Rentenversicherung), so daß auch unter dem Aspekt einer Sachnähe eine Einbeziehung in den Begriff der Sozialversicherung iS des § 51 Abs 1 SGG nicht in Betracht kommt. Im übrigen kann in Regelungsbereichen, die nicht unmittelbar von § 51 Abs 1 SGG erfaßt werden, eine Zuständigkeit der Sozialgerichte nach dieser Bestimmung ohnehin nicht kraft Sachzusammenhangs oder unter dem Gesichtspunkt der Sachnähe begründet werden, weil es nach der Systematik des § 40 Abs 1 VwGO iVm § 51 Abs 4 SGG grundsätzlich einer ausdrücklichen Zuweisung an die Sozialgerichte bedarf (vgl Redeker/von Oertzen, Kommentar zur VwGO, 9. Aufl, § 40 RdNr 65). Das BVerwG hat insoweit - zu Recht - darauf hingewiesen, daß eine Reihe von neueren Gesetzeswerken, die der Sache nach der Sozialversicherung zugerechnet werden können, für die sich aus ihnen ergebenden öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten ausdrücklich eine Überweisung an die Sozialgerichtsbarkeit vorsehen (zB § 27 Abs 1 Bundeskindergeldgesetz -BKGG-, § 30 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte; vgl die weitere Aufzählung bei Beuster, SGb 1978, 268 und bei Meyer-Ladewig, aaO, § 51 RdNr 32). Fehlt es für die öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten aus Versorgungseinrichtungen der Ärztekammern an einer derartigen ausdrücklichen Zuweisung, ist der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs 1 VwGO gegeben (BVerwGE 17, 74, 82/83). Daß hiergegen beachtenswerte Bedenken erhoben worden wären, ist nicht erkennbar und auch vom Kläger nicht aufgezeigt worden. Die vorgenannte Rechtsprechung entspricht auch der allgemeinen Meinung (vgl die Nachweise bei Meyer-Ladewig, aaO, § 51 RdNr 22).
Da mithin eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht gegeben ist, kann die Beschwerde nicht zum Erfolg führen.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen