Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsprechung. Abweichung. Vertragspsychotherapeutische Versorgung. Beschäftigungsverhältnis. Behandlungsstunden. Rechtliches Gehör. Verletzung. Eignung. Öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis. Hochschullehrer
Leitsatz (redaktionell)
1. Allein der Umstand, dass das Berufungsgericht von einer anderen Zahl von Behandlungsstunden während des in § 95 Abs. 10 S. 1 Nr. 3 SGB V genannten Zeitraums ausgegangen ist als die Klägerin, rechtfertigt nicht den Vorwurf, das Berufungsgericht habe der Klägerin nicht hinreichend rechtliches Gehör gewährt.
2. Auf eine Verletzung des § 103 SGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nur gestützt werden, wenn in der Beschwerdebegründung ein Beweisantrag benannt wird, dem das Berufungsgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
3. Ein in einem Beschäftigungsverhältnis stehender Bewerber um die Zulassung als Vertragsarzt oder als Vertragspsychotherapeut steht für die Versorgung der Versicherten nur dann gemäß § 20 Abs. 1 Ärzte-ZV im erforderlichen Umfang zur Verfügung, wenn die Arbeitszeit im Beschäftigungsverhältnis nicht mehr als 13 Stunden wöchentlich beträgt.
4. Unter dem Gesichtspunkt, dass Vertragsärzte und -psychotherapeuten nach § 20 Abs. 1 Ärzte-ZV im hinreichenden Umfang für die Versorgung der Versicherten zur Verfügung stehen müssen, ist es unerheblich, ob es sich bei dem Beschäftigungsverhältnis des Bewerbers um ein Arbeitsverhältnis oder ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis als Beamter, Richter oder Soldat handelt; unbeachtlich ist dabei auch der Umstand, dass ein im Beamtenverhältnis stehender Hochschullehrer seine Arbeitszeit freier einteilen kann als andere Beschäftigte und die Durchführung von Lehrveranstaltungen nur einen kleineren Teil seiner Arbeitszeit beansprucht.
5. Es liegt auf der Hand, dass ein im Rahmen einer Vollzeitbeschäftigung als Hochschullehrer beschäftigter Zulassungsbewerber, der geltend macht, seine Vorlesungsverpflichtungen so einrichten zu können, dass er auch während der Semesterzeit im erforderlichen Umfang für die Versorgung der Versicherten zur Verfügung steht, die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Ärzte-ZV nicht erfüllt.
Normenkette
SGG §§ 62, 160 Abs. 2, § 160a Abs. 3 S. 2; SGB V § 95 Abs. 10 S. 1 Nr. 3; Ärzte-ZV § 1 Abs. 3, § 20 Abs. 1; BRRG § 36 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 19. Juni 2002 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die außergerichtlichen Kosten des Beklagten auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die 1950 geborene Klägerin ist Diplom-Psychologin und seit März 1995 im Rahmen einer Vollzeitbeschäftigung als Professorin im Fachbereich Sozialpädagogik an der Fachhochschule P … tätig. Ihren Antrag auf bedarfsunabhängige Zulassung als Psychologische Psychotherapeutin in B … – … lehnte der Zulassungsausschuss mit der Begründung ab, die Klägerin stehe im Hinblick auf ihre Tätigkeit als Hochschullehrerin für die Versorgung der Versicherten nicht im erforderlichen Maße zur Verfügung. Der beklagte Berufungsausschuss wies den Widerspruch zurück.
Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat seine Entscheidung damit begründet, die Klägerin erfülle die Voraussetzungen des § 95 Abs 10 Satz 1 Nr 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht, weil sie während der Zeit vom 25. Juni 1994 und 24. Juni 1997 nicht im erforderlichen Umfang an der psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten der Krankenkassen teilgenommen habe. Im Übrigen habe sie keinen Anspruch auf Zulassung, da sie wegen ihrer Tätigkeit als Hochschullehrerin für die Versorgung der Versicherten nicht im Sinne des § 20 Abs 1 Zulassungsverordnung für Ärzte (Ärzte-ZV) im erforderlichen und üblichen Umfang zur Verfügung stehe (Urteil vom 19. Juni 2002).
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin einen Verfahrensmangel (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz – SGG –), trägt weiter vor, das berufungsgerichtliche Urteil beruhe auf einer Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG), und macht schließlich geltend, im Rechtsstreit seien Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die Beschwerde ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.
Soweit die Klägerin als Verfahrensmangel rügt, im berufungsgerichtlichen Verfahren sei ihr Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht hinreichend beachtet worden, ist die Beschwerde unzulässig. Ihre Begründung entspricht insoweit nicht den aus § 160a Abs 3 Satz 2 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung von Verfahrensmängeln.
Die Klägerin trägt lediglich vor, das Berufungsgericht habe die Anzahl der von ihr während des sog Zeitfensters absolvierten Behandlungsstunden falsch berechnet und diese Berechnung seiner Entscheidung zu Grunde gelegt. Die nicht näher ausgeführte Wendung, durch diese (unterstellt) falsche Berechnung seien das rechtliche Gehör sowie der Amtsermittlungsgrundsatz verletzt, ersetzt nähere Darlegungen zu dem behaupteten Verfahrensmangel nicht. Allein der Umstand, dass das Berufungsgericht von einer anderen Zahl von Behandlungsstunden während des in § 95 Abs 10 Satz 1 Nr 3 SGB V genannten Zeitraums ausgegangen ist als die Klägerin, rechtfertigt nicht den Vorwurf, das Berufungsgericht habe der Klägerin nicht hinreichend rechtliches Gehör gewährt. Im Übrigen kann nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) eine Nichtzulassungsbeschwerde nur gestützt werden, wenn in der Beschwerdebegründung ein Beweisantrag benannt wird, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dazu fehlen Ausführungen in der Beschwerdebegründung.
Unzulässig ist die Nichtzulassungsbeschwerde weiterhin, soweit eine Abweichung zum Urteil des Senats vom 30. Januar 2002 B 6 KA 20/01 R (BSGE 89, 134 = SozR 3-5520 § 20 Nr 3) gerügt wird. Wird eine Rechtsprechungsabweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG geltend gemacht, so muss die behauptete Divergenz entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG durch Gegenüberstellung miteinander unvereinbarer Rechtssätze im Berufungsurteil und in einer höchstrichterlichen Entscheidung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG „bezeichnet” werden. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie bezeichnet keine rechtliche Aussage des genannten Senatsurteils vom 30. Januar 2002, von dem das Berufungsgericht mit einer bestimmten Rechtsaussage abgewichen sein könnte. Die Klägerin ist der Auffassung, das Berufungsgericht habe die Grundsätze des Senatsurteils vom 30. Januar 2002, das die Tätigkeit einer Psychologischen Psychotherapeutin in einer studentischen Beratungsstelle zum Gegenstand hat, unzutreffend auf ihren Fall angewandt. Damit wird eine Rechtsprechungsdivergenz jedoch schon im Ansatz nicht ausreichend dargelegt.
Soweit die Klägerin für grundsätzlich bedeutsam hält, ob eine Vollzeittätigkeit als Hochschullehrerin mit der Tätigkeit als Psychologische Psychotherapeutin im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung vereinbar ist, ist die Beschwerde zulässig, aber in der Sache nicht begründet. Die von der Klägerin aufgeworfene Frage ist nicht klärungsbedürftig, weil sich ihre Beantwortung auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung des Senats zu § 20 Abs 1 Ärzte-ZV, der über § 1 Abs 3 Ärzte-ZV für Psychologische Psychotherapeuten entsprechend gilt, ohne weiteres ergibt, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte.
Der Senat hat im Urteil vom 30. Januar 2002 aaO (bestätigt durch Nichtannahmebeschluss des BVerfG ≪Kammer≫ vom 23. September 2002 – 1 BvR 1315/02) entschieden, dass ein in einem Beschäftigungsverhältnis stehender Bewerber um die Zulassung als Vertragsarzt oder als Vertragspsychotherapeut für die Versorgung der Versicherten nur dann gemäß § 20 Abs 1 Ärzte-ZV im erforderlichen Umfang zur Verfügung steht, wenn die Arbeitszeit im Beschäftigungsverhältnis nicht mehr als 13 Stunden wöchentlich beträgt, und dies im Urteil vom 11. September 2002 – B 6 KA 23/01 R – (zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) bekräftigt. Seine aus den sechziger Jahren stammende Rechtsprechung, wonach unter bestimmten Voraussetzungen auch Personen, die in einem Beamtenverhältnis zB als Polizeiarzt stehen, zur kassenärztlichen bzw kassenzahnärztlichen Tätigkeit zugelassen werden konnten, hat der Senat im Hinblick, auf die zwischenzeitlich geänderten gesetzlichen Rahmenbedingungen der vertragsärztlichen Tätigkeit nicht fortgeführt. Nach der aktuellen Rechtsprechung des Senats, von der auch das LSG ausgegangen ist, darf die neben der (geplanten) psychotherapeutischen Tätigkeit im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung ausgeübte andere Erwerbstätigkeit den Betreffenden maximal ca 1/3 der üblichen Wochenarbeitszeit in Anspruch nehmen. Das hindert generell die Zulassung eines Bewerbers zur vertragsärztlichen bzw vertragspsychotherapeutischen Versorgung, der in einem Beschäftigungsverhältnis steht, das von der allgemeinen zeitlichen Inanspruchnahme und der Bezahlung her einer Vollzeittätigkeit entspricht.
Unter dem Gesichtspunkt, dass Vertragsärzte und -psychotherapeuten nach § 20 Abs 1 Ärzte-ZV im hinreichenden Umfang für die Versorgung der Versicherten zur Verfügung stehen müssen, ist es unerheblich, ob es sich bei dem Beschäftigungsverhältnis des Bewerbers um ein Arbeitsverhältnis oder ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis als Beamter, Richter oder Soldat handelt. Auch der Umstand, dass ein im Beamtenverhältnis stehender Hochschullehrer seine Arbeitszeit freier einteilen kann als andere Beschäftigte und die Durchführung von Lehrveranstaltungen nur einen kleineren Teil seiner Arbeitszeit beansprucht, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Ein Hochschullehrer, der seinen Beschäftigungsumfang nicht reduziert und deshalb die volle beamtenrechtliche Besoldung erhält, die seiner Besoldungsgruppe entspricht, hat grundsätzlich seine volle Arbeitskraft dem Dienstherrn zur Verfügung zu stellen (§ 36 Satz 1 Beamtenrechtsrahmengesetz ≪BRRG≫). In welchem Umfang einem Beamten generell und speziell einem Hochschullehrer die Erlaubnis erteilt werden darf, Nebentätigkeiten auszuüben (vgl § 42 Abs 1 BRRG), ist für die Anwendung des § 20 Abs 1 Ärzte-ZV ohne Bedeutung. Auch der Umstand, dass ein Hochschullehrer in der so genannten vorlesungsfreien Zeit möglicherweise rein tatsächlich in der Lage sein kann, ganztägig Versicherte der Krankenkassen zu behandeln, soweit er seine ihm obliegenden Dienstpflichten wie die Vorbereitung von Vorlesungen und Seminaren, wissenschaftliche Publikationen, die Vorbereitung und Durchführung von Prüfungen einschließlich der Bewertung von Examensarbeiten sowie die eigene Weiterbildung vernachlässigt, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Behandlungsbedarf der Versicherten erfordert das kontinuierliche Zurverfügungstehen des behandelnden Arztes oder Therapeuten. Es reicht nicht aus, das ein Therapeut während der fünfmonatigen so genannten Semesterferien, also in der Regel zwischen Mitte Februar und Mitte April sowie zwischen Mitte Juli und Mitte Oktober in größerem Umfang über Behandlungskapazitäten verfügt, während der Vorlesungszeit aber weit gehend durch seine Lehrverpflichtungen und andere Dienstpflichten als Hochschullehrer in Anspruch genommen wird.
Schließlich liegt auch ohne die Durchführung eines Revisionsverfahrens auf der Hand, dass ein im Rahmen einer Vollzeitbeschäftigung als Hochschullehrer beschäftigter Zulassungsbewerber, der geltend macht, seine Vorlesungsverpflichtungen so einrichten zu können, dass er auch während der Semesterzeit im erforderlichen Umfang für die Versorgung der Versicherten zur Verfügung steht, die Voraussetzungen des § 20 Abs 1 Ärzte-ZV nicht erfüllt. Die Behauptung, in einem Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnis nicht ausgelastet zu sein bzw als Folge einer Vernachlässigung der Dienstpflichten über hinreichende Behandlungskapazitäten verfügen zu können, bewirkt in tatsächlicher Hinsicht nicht, dass den Anforderungen des § 20 Abs 1 Ärzte-ZV entsprochen wird. Auch bei einem Hochschullehrer im Beamtenverhältnis wird bei einer Vollzeitbeschäftigung im rechtlichen Sinne unwiderleglich vermutet, dass er durch die ihm in seinem Dienstverhältnis obliegenden Pflichten im Rahmen von Lehre, Prüfung, Forschung und Mitwirkung in der akademischen Selbstverwaltung so in Anspruch genommen wird, dass daneben eine vertragsärztliche bzw vertragspsychotherapeutische Tätigkeit nicht ausgeübt werden kann. Diese stellt nach der Rechtsprechung des Senats einen Hauptberuf dar, der seinerseits daneben allenfalls noch Nebentätigkeiten in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis im Umfang von maximal einem Drittel des üblichen Beschäftigungsumfangs einer Vollzeitbeschäftigung gestattet. Es kann der Klägerin nicht unterstellt werden, sie wolle geltend machen, sie erhalte volle beamtenrechtliche Besoldung nach Besoldungsgruppe C 3 oder C 2 der Anlage II zum Bundesbesoldungsgesetz für eine Tätigkeit, die sie lediglich im Umfang von einem Drittel des üblichen Beschäftigungsumfangs in Anspruch nimmt.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Absätze 1 und 4 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung (vgl Senatsurteil vom 30. Januar 2002 – B 6 KA 12/01 R – SozR 3-2500 § 116 Nr 24 S 115 ff).
Fundstellen