Verfahrensgang
SG Koblenz (Entscheidung vom 23.03.2022; Aktenzeichen S 5 KR 285/21) |
LSG Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 10.11.2022; Aktenzeichen L 5 KR 108/22) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 10. November 2022 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die 1977 geborene Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse gesetzlich versichert. Sie hatte mit ihrem im Oktober 2020 gestellten Antrag auf Erstattung der Kosten einer in der Zeit von Januar bis April 2020 gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann durchgeführten Kinderwunschbehandlung iHv 6437,15 Euro bei der Beklagten und in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Zur Begründung hat das LSG auf die Entscheidungsgründe des SG-Urteils verwiesen (§ 153 Abs 2 SGG) und ergänzend ausgeführt, dem geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch stehe bereits entgegen, dass die Klägerin vor der privaten Inanspruchnahme der Kinderwunschbehandlung keinen Sachleistungsantrag bei der Beklagten gestellt und damit den sogenannten Beschaffungsweg nicht eingehalten habe. Für die Kinderwunschbehandlung sei der Krankenkasse überdies vor der Behandlung ein Behandlungsplan zur Genehmigung vorzulegen (§ 27a Abs 3 Satz 2 SGB V). Dies sei nicht geschehen und wäre für die Klägerin auch nicht unzumutbar gewesen. Dass die Beklagte in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht auf die fehlende vorherige Antragstellung abgestellt habe, sei unerheblich. Die von der Klägerin problematisierte Frage der Verfassungswidrigkeit der in § 27a Abs 3 SGB V geregelten Altersgrenze sei danach nicht entscheidungserheblich.
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss.
II
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der (sinngemäß) geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (dazu 1.) und des Verfahrensmangels (dazu 2.). Insofern kann dahingestellt bleiben, ob der Klägerin wegen der Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.
Die Klägerin wirft sinngemäß die Rechtsfrage auf, ob die Regelung in § 27a Abs 3 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V, wonach der Anspruch auf medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nicht für weibliche Versicherte besteht, die das 40. Lebensjahr vollendet haben, verfassungsgemäß ist.
Der Frage der Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift kann zwar grundsätzliche Bedeutung zukommen (vgl BSG vom 22.10.1975 - 8 BU 88/75 - SozR 1500 § 160a Nr 17). Dabei kommt es aber nicht auf den Bedarf nach Klärung durch das BVerfG an, sondern entscheidend ist die Frage nach der Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit innerhalb des Revisionsverfahrens (vgl BSG vom 31.5.2012 - B 13 R 70/12 B - juris RdNr 9 mwN). Diese hat die Klägerin nicht hinreichend dargelegt.
a) Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich entschieden ist. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG vom 22.2.2017 - B 1 KR 73/16 B - juris RdNr 8 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit eines entsprechenden Maßstabs BVerfG vom 12.9.1991 - 1 BvR 765/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f = juris RdNr 4). Daran fehlt es.
Das BSG hat bereits entschieden, dass die in § 27a Abs 3 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V festgelegte Altersgrenze für Frauen wegen des in dem betroffenen Bereich weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers nicht gegen die speziellen Gleichheitssätze des Art 3 Abs 2 und 3 GG sowie den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) verstößt und auch sonst verfassungsgemäß ist. Es hat dies unter anderem damit begründet, dass die insoweit bestehende Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Ehepaaren, bei denen die Ehefrau noch nicht 40 Jahre alt ist, sachlich gerechtfertigt ist. Das Gewicht der Ungleichbehandlung ist beschränkt, da § 27a SGB V keinen Kernbereich der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) betrifft, sondern einen eigenständigen Versicherungsfall begründet. In dem insoweit betroffenen Grenzbereich zwischen Krankheit und solchen körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen, deren Beseitigung oder Besserung durch Leistungen der GKV nicht von vornherein veranlasst ist, hat der Gesetzgeber grundsätzlich die Freiheit, selbst die Voraussetzungen der Gewährung dieser Leistungen der GKV näher zu bestimmen. Mit der Festlegung der Altersgrenze hat er den Rahmen seines Einschätzungsermessens, bei dem ihm eine typisierende Betrachtung erlaubt ist, nicht überschritten. Er hat sich nachvollziehbar davon leiten lassen, dass bereits jenseits des 30. Lebensjahres die Wahrscheinlichkeit einer Befruchtung abnimmt und die Konzeptionswahrscheinlichkeit jenseits des 40. Lebensjahres gering ist, während diese Wahrscheinlichkeit unter 25 Jahren regelmäßig sehr hoch ist. Gleichzeitig hat er bei der Festsetzung oberer Altersgrenzen das Kindeswohl im Hinblick auf die mit dem Alter der Eltern zunehmende Anzahl von Fehlbildungen stark gewichtet. Dies ist als zwar vergröberndes, aber dennoch hinreichend sachgerechtes Differenzierungskriterium nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, weitere Differenzierungen je nach der individuellen Empfängnisfähigkeit vorzunehmen oder eine Festlegung des Höchstalters der Frau jeweils möglichst punktgenau den neuesten Statistiken über den Erfolg künstlicher Befruchtungen folgend vorzunehmen. Einen Normgeber kann zwar eine Beobachtungs- und ggf Reaktionspflicht treffen, wenn sich nach Erlass einer Regelung im Verlauf der Zeit herausstellt, dass der Zweck der Regelung nicht erreicht oder gar gänzlich verfehlt wird. Dafür, dass eine solche zum Eingreifen des Gesetzgebers verpflichtende Situation hier vorliegt, war im Zeitpunkt der (damaligen) Entscheidung nichts Hinreichendes ersichtlich. Dass der BGH für den Bereich der privaten Krankenversicherung die Leistungspflicht des Krankenversicherungsunternehmens nach dem dort geltenden Vertragsrecht erst verneint, wenn die Erfolgsaussicht weniger als 15 Prozent beträgt, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang. Die Ungleichbehandlung von Personen, die privat versichert sind, gegenüber den gesetzlich Versicherten ist Folge der Entscheidung des Gesetzgebers für zwei unterschiedliche Systeme der Krankenversicherung. Art 6 Abs 1 GG ist nicht berührt, weil ihm - auch in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip - keine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers entnommen werden kann, die Entstehung einer Familie durch medizinische Maßnahmen der künstlichen Befruchtung mit den Mitteln der GKV zu fördern (siehe zum Ganzen BSG vom 3.3.2009 - B 1 KR 12/08 R - SozR 4-2500 § 27a Nr 7 RdNr 10 ff mwN; dem folgend BSG vom 25.6.2009 - B 3 KR 7/08 R - SozR 4-2500 § 27a Nr 8 RdNr 17).
Inwiefern hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der in § 27a Abs 3 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V festgelegten Altersgrenze für Frauen danach noch ein höchstrichterlicher Klärungsbedarf bestehen sollte, zeigt die Klägerin nicht auf. Sie setzt sich mit den vorgenannten Entscheidungen inhaltlich nicht auseinander und begründet auch nicht näher einen erneuten Klärungsbedarf. Sie legt weder dar, dass der Rechtsprechung des BSG in nicht geringfügigem Umfang und mit nicht von vornherein abwegigen Einwendungen widersprochen wurde (vgl zB BSG vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 - juris RdNr 5; BSG vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - juris RdNr 7). Sie bringt auch keine neuen erheblichen Gesichtspunkte vor, die zu einer über die bisherige Erörterung hinausgehenden Betrachtung der aufgeworfenen Fragestellung führen könnten und die Möglichkeit einer anderweitigen Entscheidung nicht offensichtlich ausschließen (vgl BSG vom 3.9.2020 - B 1 KR 79/19 B - juris RdNr 6 mwN). Die pauschale - und nicht näher belegte - Behauptung, dass sich in der Gesellschaft und auch in der Medizin in den letzten Jahren ein erheblicher Wandel vollzogen habe und dass keine sachlichen Gründe ersichtlich seien, die vorliegend eine Ungleichbehandlung zwischen einer 40-jährigen und einer 35-jährigen oder 38-jährigen Person rechtfertigen könnten, genügt hierfür nicht.
b) Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn das BSG im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt hierüber entscheiden müsste, die Frage also entscheidungserheblich ist (vgl BSG vom 13.1.2017 - B 12 R 23/16 B - juris RdNr 20; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14 = juris RdNr 8). Wie das Vorliegen grundsätzlicher Bedeutung insgesamt, ist dies auf der Tatsachengrundlage der Vorinstanz zu beurteilen. Auch Darlegungen zur Klärungsfähigkeit müssen sich also auf die Tatsachen beziehen, die das LSG in der angegriffenen Entscheidung mit Bindungswirkung für das BSG (§ 163 SGG) festgestellt hat (vgl BSG vom 12.8.2020 - B 1 KR 46/19 B - juris RdNr 10 mwN). Auch hieran fehlt es.
Nach den mit der ständigen Rechtsprechung des BSG im Einklang stehenden Ausführungen der Vorinstanzen scheitert der von der Klägerin geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch gemäß § 13 Abs 3 SGB V vorliegend bereits daran, dass die Klägerin vor der privaten Inanspruchnahme der Kinderwunschbehandlung keinen Sachleistungsantrag bei der Beklagten gestellt und damit den sogenannten Beschaffungsweg nicht eingehalten hat (vgl hierzu zB BSG vom 4.4.2006 - B 1 KR 5/05 R - BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 23; BSG vom 14.12.2006 - B 1 KR 8/06 R - BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 12; BSG vom 30.6.2009 - B 1 KR 5/09 R - SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 15; BSG vom 8.9.2015 - B 1 KR 14/14 R - juris RdNr 9; BSG vom 10.3.2022 - B 1 KR 6/21 R - SozR 4-2500 § 13 Nr 56 RdNr 16).
Soweit die Klägerin pauschal geltend macht, auch hiergegen bestünden verfassungsrechtliche Bedenken, weil sie "in erheblichem Maße in ihren Rechten ihres Kinderwunsches eingeschränkt bzw. komplett blockiert" werde, und es ihr mit Blick auf die Dauer des Widerspruchs- und Klageverfahrens nicht zumutbar gewesen sei, nochmals ein Antragsverfahren durchzuführen, ist dies schon im Ansatz nicht nachvollziehbar. Das LSG hat dazu ausgeführt, die Klägerin hätte zur Erfüllung der formellen Voraussetzungen des § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 2 SGB V nur die Entscheidung der Beklagten zum Behandlungsplan, nicht aber das Widerspruchs- und Klageverfahren abwarten müssen. Hiermit setzt sich die Klägerin nicht auseinander. Sie legt auch nicht dar, dass die Entscheidung für die Kinderwunschbehandlung - ausgehend von den Feststellungen des LSG - unaufschiebbar iS des § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 1 SGB V war, dh so dringlich, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubes mehr bestand, um vor der Beschaffung die Entscheidung der Beklagten abzuwarten (vgl BSG vom 10.3.2022 - B 1 KR 6/21 R - SozR 4-2500 § 13 Nr 56 RdNr 31 mwN).
2. Soweit die Klägerin die diesbezüglichen Feststellungen des LSG angreift und meint, dieses hätte zur Unaufschiebbarkeit der Behandlung Beweis erheben müssen, genügt ihr Vorbringen nicht den Anforderungen an die Darlegung der insoweit in der Sache gerügten Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG. Es fehlt bereits an der Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrages (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG; vgl zu den Anforderungen an die Sachaufklärungsrüge zB BSG vom 20.7.2010 - B 1 KR 29/10 B - juris RdNr 5 mwN; BSG vom 1.3.2011 - B 1 KR 112/10 B - juris RdNr 3 mwN; BSG vom 14.10.2016 - B 1 KR 59/16 B - juris RdNr 5). Die Anforderungen an die Sachaufklärungsrüge können nicht durch ein Ausweichen auf die Gehörsrüge umgangen werden, weil anderenfalls die Beschränkungen des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG im Ergebnis ins Leere liefen (vgl BSG vom 16.7.2021 - B 1 KR 41/21 B - juris RdNr 8 mwN).
3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Schlegel |
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Matthäus |
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Bockholdt |
Fundstellen
Dokument-Index HI16226615 |