Verfahrensgang

SG Karlsruhe (Entscheidung vom 12.11.2020; Aktenzeichen S 7 R 734/20)

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 24.06.2021; Aktenzeichen L 7 R 458/21)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. Juni 2021 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Zwischen den Beteiligten ist streitig der Beginn einer Witwerrente.

Der Kläger war mit seiner 1953 geborenen Ehefrau seit Oktober 1979 verheiratet. Am 10.11.2004 wurde sie zuletzt gesehen. Seitdem ist ihr Verbleib ungewiss. Kriminalpolizeiliche Ermittlungen blieben ohne Erfolg. Auf seinen im Januar 2015 gestellten Antrag, die Ehefrau für tot zu erklären, wurde nach dem Verschollenheitsgesetz (VerschG) zuletzt als Zeitpunkt des Todes der 30.11.2004 festgestellt (Beschluss des Amtsgerichts Reutlingen vom 10.7.2019).

Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 8.8.2018 eine Witwerrente zunächst ab 1.5.2018. Auf seinen Widerspruch bewilligte sie mit Bescheid vom 25.10.2019 einen früheren Rentenbeginn zum 1.7.2016. Die Beklagte ging dabei von einer Antragstellung im Juli 2017 aus. Zu diesem Zeitpunkt bat die Stadt B als zuständiger Sozialhilfeträger die Beklagte um Mitteilung, in welcher Höhe mit einer Witwerrente zu rechnen sei. Einen früheren Rentenbeginn ab 1.12.2004 lehnte die Beklagte ab (Widerspruchsbescheid vom 31.1.2020).

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 12.11.2020 abgewiesen. Das LSG hat die Berufung mit der Begründung zurückgewiesen, eine Hinterbliebenenrente werde nicht für mehr als zwölf Kalendermonate vor dem Monat, in dem die Rente beantragt wird, geleistet. Die Beklagte habe zutreffend auf das Schreiben der Stadt B vom Juli 2017 als Rentenantrag abgestellt. Ein Anspruch auf Gewährung einer Witwerrente zu einem früheren Zeitpunkt bestehe nicht. Dafür hätte der Kläger den mutmaßlichen Todestag durch die Beklagte feststellen lassen müssen. Dies sei unabhängig von einer Todesfeststellung nach dem VerschG bereits ein Jahr nach dem Verschwinden seiner Ehefrau möglich gewesen. Eine frühere Rentengewährung komme auch nicht über den sog sozialrechtlichen Herstellungsanspruch in Betracht (Urteil vom 24.6.2021).

Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er macht als Zulassungsgrund eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Die Beschwerdebegründung legt keinen Zulassungsgrund iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dar. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

Eine Rechtssache hat nur dann iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage zu revisiblem Recht (§ 162 SGG) aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung des Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung muss der Beschwerdeführer daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr, zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN). Daran fehlt es hier.

Der Kläger formuliert als Frage von grundsätzlicher Bedeutung,

"ob die Regelung in § 99 Abs. 2 S. 3 SGB VI der rückwirkenden Gewährung der großen Witwerrente (als Hinterbliebenenrente) auch dann entgegensteht, wenn - wie vorliegend - die Ehefrau während des ersten Jahres nach ihrem Verschwinden nach Ansicht der ermittelnden Behörden weder als verschollen i.S. des § 1 VerschG angesehen werden konnte noch Umstände vorlagen, welche ihren Tod i.S. des § 49 Satz 3 SGB VI wahrscheinlich machten und der Hinterbliebene deshalb keinen Antrag auf Gewährung der Hinterbliebenenrente gestellt hat."

Es kann dahinstehen, ob der Kläger damit eine aus sich heraus verständliche abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert. Die Bezeichnung einer solchen Rechtsfrage ist unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (vgl dazu BSG Beschluss vom 22.4.2020 - B 5 R 266/19 B - juris RdNr 5 mwN). Zweifel bestehen schon deshalb, weil die Formulierung der Frage "- wie vorliegend -" auf die Lösung des Einzelfalls gerichtet ist. Dies belegen auch die weiteren Ausführungen des Klägers, wonach sich der vorliegende Fall dadurch auszeichne, dass der Verbleib der Ehefrau noch für viele Jahre nach ihrem Verschwinden unklar gewesen sei.

Jedenfalls legt die Beschwerdebegründung die (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage nicht hinreichend dar. Eine Rechtsfrage ist nämlich dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. In der Beschwerdebegründung muss deshalb unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG bzw des BVerfG zu dem Problemkreis substantiiert vorgebracht werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile und Beschlüsse die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (vgl ua Senatsbeschluss vom 6.4.2021 - B 5 RE 16/20 B - juris RdNr 6 mwN).

In der Sache wendet sich der Kläger dagegen, dass eine Hinterbliebenenrente nach § 99 Abs 2 Satz 3 SGB VI nicht für mehr als zwölf Kalendermonate vor dem Monat, in dem die Rente beantragt wird, geleistet wird. Der Kläger macht geltend, zu seiner Fallkonstellation seien noch keine Entscheidungen des BSG ergangen. Er führt in seiner Beschwerdebegründung eine Vielzahl von Entscheidungen der Instanzgerichte an, die zu § 49 SGB VI (auch im Kontext überzahlter Rentenleistungen) und zu § 99 Abs 2 Satz 3 SGB VI ergangen sind, aus denen sich für seinen Fall nichts entnehmen lasse. Weitere Ausführungen wären jedoch insbesondere dazu erforderlich gewesen, dass eine Rentenbewilligung regelmäßig die Stellung eines entsprechenden Antrags voraussetzt. Das BSG hat bei Anwendung von § 115 Abs 1 Satz 1 iVm § 99 Abs 2 Satz 3 SGB VI die Bedeutung der Antragstellung für die rückwirkende Gewährung von Hinterbliebenenrenten nicht in Frage gestellt und allenfalls die Zulässigkeit einer Wiedereinsetzung bei Versäumung der rechtzeitigen Antragstellung diskutiert. Selbst eine Unkenntnis des Rechts auf Hinterbliebenenrente und der Befristung seiner Ausübung genügt dafür nicht (vgl BSG Urteil vom 6.5.2010 - B 13 R 44/09 R - SozR 4-1200 § 14 Nr 13 RdNr 17 und 24). Zu dieser Entscheidung verhält sich der Kläger nicht, obwohl sie vom LSG in seinen Entscheidungsgründen ausdrücklich zitiert wurde. Aus welchen Gründen die befristete rückwirkende Rentengewährung nicht auch in einem Fall gelten soll, in dem - wie der Kläger selbst vorträgt - aufgrund der polizeilichen Ermittlungen am Aufenthaltsort bzw Tod der Versicherten "ganz erhebliche Zweifel" bestanden, geht aus der Beschwerdebegründung nicht nachvollziehbar hervor. Der Kläger befasst sich zwar mit den Gesetzesmaterialien, wonach § 99 Abs 2 Satz 3 SGB VI den Zweck hat, Hinterbliebene vor dem Verlust von Rentenansprüchen in den Fällen zu schützen, in denen aus Unkenntnis vom Tod des Versicherten oder vom Bestehen eines Rentenanspruchs ein Rentenantrag nicht umgehend gestellt werden kann (vgl dazu auch BSG aaO RdNr 22). Woraus er aber zum Schutz der Hinterbliebenen einen noch früheren Rentenbeginn ableitet, bleibt offen. Soweit er vorträgt, unmittelbar nach dem Verschwinden seiner Ehefrau habe aus seiner "ex-ante Perspektive" noch gar kein Rentenanspruch bestanden und meint, § 99 Abs 2 Satz 3 SGB VI sei deshalb schon nicht einschlägig, ist erst recht nicht erkennbar, woraus der Kläger einen Anspruch auf einen Rentenbeginn zu einem früheren Zeitpunkt herleitet.

Soweit der Kläger darüber hinaus auf sein nach Art 14 GG geschütztes Eigentum verweist und vorträgt, auch zur Vermeidung einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde sei die Zulassung der Revision geboten, zeigt er ebenfalls keine klärungsbedürftige Rechtsfrage hinreichend auf. Der Kläger behauptet lediglich, die Entscheidung des LSG berühre ihn in einer grundrechtlich geschützten Rechtsposition. Dabei benennt er das Grundrecht aus Art 14 GG, ohne eine mögliche Grundrechtsverletzung zu begründen (zu den Anforderungen im Einzelnen vgl BSG Beschluss vom 8.4.2020 - B 12 R 45/19 B - juris RdNr 7 mwN). Dabei hätte er sich insbesondere mit dessen Schutzbereich näher befassen müssen (zur Hinterbliebenenrente vgl zuletzt BSG Urteil vom 20.1.2021 - B 13 R 5/20 R - BSGE 131, 202 = SozR 4-2600 § 88 Nr 4, RdNr 32 mwN).

Schließlich macht der Kläger geltend, die Entscheidung des LSG sei "unrichtig", beruhe auf einer "fehlerhaften Rechtsanwendung" und es bestehe weder eine Verpflichtung noch eine Obliegenheit zur Stellung eines Antrags gemäß § 49 Satz 3 SGB VI, um den Anspruchsverlust nach § 99 Abs 2 Satz 3 SGB VI zu vermeiden. Auf eine vermeintlich fehlerhafte Entscheidung in der Sache kann die Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nicht gestützt werden (vgl BSG Beschluss vom 20.10.2021 - B 5 R 230/21 B - juris RdNr 6).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Düring                                Hannes                           Körner

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15129287

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