Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschäftigungspflicht von Arbeitgebern. zugelassener Maßnahmeträger als Arbeitgeber. Anrechnung von beschäftigten Behinderten auf die Zahl der Pflichtarbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen. Arbeitsplatzbegriff. Nichtberücksichtigung der von der Bundesagentur für Arbeit zugewiesenen Maßnahmeteilnehmer
Leitsatz (amtlich)
Schwerbehinderte Menschen, die einer Einrichtung der beruflichen Rehabilitation zugewiesen werden, um eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben zu erhalten, sind nicht als Auszubildende auf einem Arbeitsplatz im Sinne des Schwerbehindertenrechts beschäftigt und damit auch nicht auf die Pflichtarbeitsplatzquote der Einrichtung anzurechnen.
Normenkette
SGB IX §§ 36, 71, 73 Abs. 1, 2 Nr. 1, § 76 Abs. 2 Sätze 1-2, § 52; SGB 9 2018 § 52; SGB IX § 154; SGB 9 2018 § 154; SGB IX § 156; SGB 9 2018 § 156; SGB IX § 159 Abs. 2 S. 1; SGB 9 2018 § 159 Abs. 2 S. 1; SGB IX § 159 Abs. 2 S. 2; SGB 9 2018 § 159 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. März 2020 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Im Streit ist ein Feststellungsbescheid der Beklagten zur Berechnung der Zahl der Pflichtarbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen.
Der Kläger betreibt als eingetragener Verein mit etwa 400 eigenen Mitarbeitern verschiedene Schulen und Einrichtungen, darunter das Jugendwerk L. (im Folgenden: Jugendwerk). Als ein von der Beklagten zugelassener Träger bietet dieses Maßnahmen der beruflichen Bildung nach dem SGB II und SGB III in Kooperation mit der Beklagten und den Jobcentern der Region an. Nach einem Vertrag zwischen Beklagter und dem Jugendwerk über die Durchführung von Maßnahmen nach § 117 Abs 1 Satz 1 Nr 1a SGB III in vergleichbaren Einrichtungen nach § 35 SGB IX aF besteht eine Aufnahmepflicht von Maßnahmeteilnehmern bis zu einer festgelegten Platzzahl; ferner ist die Aufnahmekapazität für Maßnahmen in einzelnen Berufsfeldern und der von der Beklagten an den Kläger jeweils zu zahlende Monatsfestpreis geregelt (Vertrag vom 24.5.2013). Einen Anspruch des Jugendwerks auf die Zuweisung von Teilnehmenden durch die Beklagte sieht der Vertrag nicht vor.
Die Beklagte wies dem Jugendwerk 2012 und 2013 auch drei schwerbehinderte Maßnahmeteilnehmer zu. Diese absolvierten jeweils dreijährige Ausbildungen auf der Grundlage von Berufsausbildungsverträgen, die mit dem Jugendwerk geschlossen worden waren. Eine Ausbildungsvergütung war nicht vorgesehen, die Beklagte förderte die jeweiligen Ausbildungen durch Gewährung von Ausbildungsgeld und übernahm auch die Beiträge zur Sozialversicherung. Das Jugendwerk erhielt für jeden dieser Maßnahmeteilnehmer von der Beklagten den vertraglich vereinbarten Festpreis (monatlich jeweils ca 1100 Euro).
Am 24.3.2015 ging bei der Beklagten die Erklärung des Klägers zur Durchführung des SGB IX (Anzeigeverfahren nach § 80 Abs 2 SGB IX aF) für das Kalenderjahr 2014 ein. Darin gab der Kläger an, in der Jahressumme seien bei ihm 3254 Arbeitsplätze nach § 73 Abs 1 bis 3 SGB IX aF zu berücksichtigen. Das Soll der Pflichtarbeitsplätze betrage 163. Von diesen Pflichtarbeitsplätzen seien insgesamt 134 tatsächlich besetzt gewesen, die Zahl der unbesetzten Pflichtarbeitsplätze betrage 29. Bei der Ermittlung der besetzten Pflichtarbeitsplätze berücksichtigte der Kläger gestützt auf § 76 Abs 2 SGB IX aF die drei genannten Maßnahmeteilnehmer doppelt.
Die Beklagte korrigierte das Verzeichnis der anrechenbaren Beschäftigten in Bezug auf diese drei Auszubildenden und erhöhte die Zahl der unbesetzten Pflichtarbeitsplätze um 72 auf insgesamt 101 (Bescheid vom 15.4.2015 mit Anlage; Widerspruchsbescheid vom 31.5.2016). Die drei Auszubildenden könnten als Maßnahmeteilnehmer der Beklagten nicht bei der Besetzung der Pflichtarbeitsplätze berücksichtigt werden. Im Übrigen entsprach die Festsetzung den von dem Kläger gemeldeten Zahlen.
Das SG hat die Klage gegen diesen Bescheid abgewiesen (Urteil vom 14.2.2018). Auch die Berufung des Klägers blieb erfolglos (Urteil des LSG vom 12.3.2020). Die Stellen, auf denen die drei Maßnahmeteilnehmer beschäftigt worden seien, stellten keine Arbeitsplätze, insbesondere auch keine Stellen für Auszubildende iS von § 73 Abs 1 SGB IX aF dar, denn der Kläger habe wegen seiner vertraglichen Bindung gegenüber der Beklagten nicht frei entscheiden können, mit welchen Personen er die Stellen besetze. Eine andere Sichtweise würde den Sinn und Zweck der Beschäftigungspflicht unterlaufen. Auch die Differenzierung in § 73 Abs 2 Nr 1 SGB IX aF und in § 76 Abs 2 Satz 2 iVm § 35 Abs 2 SGB IX aF, der Betriebe oder Dienststellen begünstige, stütze dieses Ergebnis. Für eine vergleichbare Behandlung bzw Bevorzugung auch der überbetrieblichen Träger von beruflichen Reha-Maßnahmen wie dem Kläger habe der Gesetzgeber kein Erfordernis gesehen.
Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine unzutreffende Auslegung von § 73 Abs 1 SGB IX aF. Auch Maßnahmeteilnehmer fielen nach dem Wortlaut der Vorschrift in die Definition des § 73 Abs 1 SGB IX aF und nicht in den Ausschluss des § 73 Abs 2 SGB IX aF. Das LSG verkenne zudem, dass er als Einrichtung jedenfalls frei entscheiden könne, ob er überhaupt einen Vertrag mit der Beklagten schließe. Entgegen der Auffassung des LSG sei auch § 76 Abs 2 Satz 2 SGB IX aF nicht überflüssig, sondern rein deklaratorisch zu verstehen. Gegen das Ergebnis des LSG spreche schließlich die Rechtsprechung des BAG zum bestehenden Wahlrecht von Maßnahmeteilnehmern zur Schwerbehindertenvertretung.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. März 2020 und das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 14. Februar 2018 sowie den Bescheid vom 15. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Mai 2016 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte die Streitsache in Abwesenheit eines Vertreters bzw Bevollmächtigen des Klägers verhandeln und entscheiden, denn der Kläger ist mit der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden. Seine zulässige Revision hat im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Erfolg (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Die Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids in vollem Umfang überprüfen zu können.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den Entscheidungen der Vorinstanzen der Bescheid vom 15.4.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.5.2016, mit dem die Beklagte die zur Berechnung der Zahl der Pflichtarbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen (163) und der besetzten (62 statt der angegebenen 134) bzw unbesetzten (101 statt der angegebenen 29) Arbeitsplätze notwendigen Daten festgestellt hat. Von diesem hinreichend bestimmten Inhalt sind SG und LSG - unter Berücksichtigung der Anlage zu diesem Bescheid und der Bezugnahme auf die Anzeige des Klägers - zu Recht ausgegangen. Der Kläger greift den Bescheid zutreffend (nur) mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGG) an. Das für die Festsetzung einer Ausgleichsabgabe zuständige Integrationsamt war nicht notwendig beizuladen, denn die Frage der Rechtmäßigkeit des Feststellungsbescheids der Beklagten wäre allenfalls Vorfrage für einen möglichen Bescheid über die Ausgleichsabgabe (vgl BSG vom 10.12.2019 - B 11 AL 1/19 R - SozR 4-3250 § 154 Nr 1 RdNr 13 mwN).
Ob das LSG in der Sache die zulässige Berufung gegen das die Klage gegen den angefochtenen Bescheid abweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen hat, kann der Senat mangels ausreichender Feststellungen nicht abschließend entscheiden. Was die formelle Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids angeht, war der Kläger vor Erlass des Bescheids nach § 24 Abs 1 SGB X anzuhören, weil die Beklagte von der Erklärung des Klägers abweichende Feststellungen getroffen und insoweit in dessen Rechte eingegriffen hat. Ob der Kläger angehört und ob eine Anhörung ggf nachgeholt wurde (§ 41 Abs 1 Nr 3 SGB X), lässt sich den Ausführungen des LSG nicht entnehmen.
Die materielle Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids verlangt, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Feststellungsbescheids nach § 80 Abs 3 SGB IX aF, der § 163 Abs 3 SGB IX in seiner aktuellen Fassung entspricht, vorgelegen haben. Da sich der angefochtene Bescheid auf das Jahr 2014 bezieht, ist noch das SGB IX in seiner bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung (im Folgenden: SGB IX aF) anwendbar, in der insbesondere die besonderen Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen (Schwerbehindertenrecht) in den §§ 68 ff SGB IX aF enthalten waren. Erst durch Art 2 des BTHG vom 23.12.2016 (BGBl I 3234) sind diese Vorschriften zum 1.1.2018 weitgehend wortgleich in Teil 3 des SGB IX (§§ 151 ff SGB IX) verschoben worden. § 80 Abs 3 SGB IX aF sieht vor, dass die BA nach Prüfung in tatsächlicher sowie in rechtlicher Hinsicht einen Feststellungsbescheid erlässt über die zur Berechnung der Zahl der Pflichtarbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen und der besetzten Arbeitsplätze notwendigen Daten, wenn ein Arbeitgeber die Daten bis zum 30.6. nicht, nicht richtig oder nicht vollständig anzeigt. Die Ermächtigung der BA zum Erlass eines Feststellungsbescheids ist damit an die in § 80 Abs 2 Satz 1 SGB IX aF geregelte Pflicht des Arbeitgebers geknüpft, der für ihren Sitz zuständigen Agentur für Arbeit einmal jährlich bis spätestens 31.3. für das vorangegangene Kalenderjahr, aufgegliedert nach Monaten, die Daten anzuzeigen, die zur Berechnung des Umfangs der Beschäftigungspflicht, zur Überwachung ihrer Erfüllung und der Ausgleichsabgabe notwendig sind.
Als privater Arbeitgeber mit mehr als jahresdurchschnittlich monatlich mindestens 20 Arbeitsplätzen unterlag der Kläger grundsätzlich der Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nach § 71 Abs 1 Satz 1 SGB IX aF und damit auch der Anzeigepflicht nach § 80 Abs 2 SGB IX aF (vgl dazu BSG vom 10.12.2019 - B 11 AL 1/19 R - SozR 4-3250 § 154 Nr 1 RdNr 16 f). Der Begriff des Arbeitgebers ist dabei formal, dh rechtsträgerbezogen zu bestimmen, so dass es nicht auf den einzelnen Betrieb - also hier ggf allein auf das Jugendwerk - ankommt, sondern auf den Arbeitgeber als juristische Person und die dort vorhandenen Arbeitsplätze (vgl nur Joussen in Dau/Düwell/Joussen, SGB IX, 5. Aufl 2019, § 154 RdNr 9; Greiner in Neumann/Pahlen/Greiner/Winkler/Jabben, SGB IX, 14. Aufl 2020, § 154 RdNr 4). Seiner Anzeigepflicht ist der Kläger für das Jahr 2014 nachgekommen durch Übermittlung einer entsprechenden Anzeige, die am 24.3.2015 bei der Beklagten eingegangen ist. Die Anzeige war indessen schon wegen unzutreffender Angaben zu den besetzten Pflichtarbeitsplätzen nicht richtig iS von § 80 Abs 3 SGB IX aF.
Entgegen der Auffassung des Klägers sind die dem Jugendwerk - aufgrund des Vertrags über die Durchführung von Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach dem SGB III in Einrichtungen - zugewiesenen Maßnahmeteilnehmer keine Personen, die einen Arbeitsplatz iS von § 73 Abs 1 SGB IX aF einnehmen. Zugewiesene Maßnahmeteilnehmer sind deshalb weder für die Ermittlung der Anzahl der Arbeitsplätze als Grundlage für die Berechnung der Anzahl der zu beschäftigenden schwerbehinderten Menschen nach § 71 Abs 1 Satz 1 SGB IX aF von Bedeutung noch können sie auf Pflichtarbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen gemäß § 75 oder § 76 SGB IX aF angerechnet werden.
Der Begriff des Arbeitsplatzes ist in § 73 Abs 1 SGB IX aF legaldefiniert. Danach sind Arbeitsplätze im Sinne des Schwerbehindertenrechts alle Stellen, auf denen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen, Richter und Richterinnen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden. Nach der Rechtsprechung des Senats ist der Begriff des Arbeitsplatzes von drei Elementen geprägt: Dem Bestehen eines Anstellungsverhältnisses als rechtliches Element und der damit verbundenen Eigenschaft als Arbeitnehmer bzw Beamter oder Richter, der Einrichtung von Stellen durch den Arbeitgeber als räumlich-gegenständliches Element sowie der Beschäftigung von Personal auf diesen Stellen (dreigliedriger Arbeitsplatzbegriff, vgl BSG vom 10.12.2019 - B 11 AL 1/19 R - SozR 4-3250 § 154 Nr 1 RdNr 20 mwN). Soweit nicht Beamte oder Richter betroffen sind, sondern Arbeitnehmer oder Auszubildende, wird das rechtliche Element des § 73 Abs 1 SGB IX aF nach den für das Arbeitsrecht entwickelten Maßstäben vermittelt. Danach ist entscheidend die vertraglich geschuldete Erbringung von Diensten in persönlicher Abhängigkeit; der Arbeitnehmer muss weisungsabhängig und in die Organisation des Arbeitgebers eingegliedert sein (vgl BSG vom 10.12.2019 - B 11 AL 1/19 R - SozR 4-3250 § 154 Nr 1 RdNr 21; BVerwG vom 16.5.2013 - 5 C 20/12 - juris RdNr 12 mwN). Hinzu kommt, dass die Stelle besetzt sein, also tatsächlich in gewissem Umfang einer Beschäftigung nachgegangen werden muss, womit sichergestellt wird, dass nur die tatsächlich zur Verfügung stehenden Beschäftigungsmöglichkeiten für die Eingliederung schwerbehinderter Menschen in das Erwerbsleben berücksichtigt werden (vgl BSG vom 10.12.2019 - B 11 AL 1/19 R - SozR 4-3250 § 154 Nr 1 RdNr 22; BVerwG vom 16.5.2013 - 5 C 20/12 - juris RdNr 18).
Daran gemessen sind Personen nicht auf einem Arbeitsplatz iS von § 73 Abs 1 SGB IX aF beschäftigt, die einer Einrichtung der beruflichen Rehabilitation zugewiesen werden, um eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben zu erhalten. Die Maßnahmeteilnehmer sind selbst dann, wenn sie - wie hier - förmliche Berufsausbildungsverträge mit der Einrichtung geschlossen haben, einem eigenen rechtlichen Regime unterworfen, das durch die besondere Gestaltung der tatsächlichen und rechtlichen Beziehungen zwischen Leistungsträger (Beklagte), Leistungsberechtigter (Maßnahmeteilnehmer) sowie Leistungserbringer (Kläger) geprägt ist. Danach fehlt es an einer Eingliederung im Sinne der gesetzlichen Definition des Arbeitsplatzes. Sinn und Zweck der zur Durchsetzung der Beschäftigungspflicht schwerbehinderter Menschen geschaffenen Regelungen stützen dieses Ergebnis.
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben umfassen ua die berufliche Ausbildung (§ 33 Abs 3 Nr 4 SGB IX aF; § 49 Abs 3 Nr 5 SGB IX) und werden, abhängig von Art und Schwere der Behinderung, in Berufsbildungswerken, Berufsförderungswerken sowie vergleichbaren Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation - wie im vorliegenden Fall dem Jugendwerk - durchgeführt (§ 35 Abs 1 Satz 1 SGB IX aF; § 51 Abs 1 Satz 1 SGB IX). Die Einrichtung muss bestimmte Anforderungen erfüllen (§ 35 Abs 1 Satz 2 SGB IX aF; § 51 Abs 1 Satz 2 SGB IX); sie soll darauf hinwirken, dass die Leistungsberechtigten im Falle der beruflichen Ausbildung in der Einrichtung die Ausbildung jedenfalls zum Teil auch in Betrieben oder Dienststellen durchführen (§ 35 Abs 2 Satz 1 SGB IX aF; § 51 Abs 2 Satz 1 SGB IX). Für diesen Fall der Durchführung einer beruflichen Ausbildung auch in Betrieben oder Dienststellen ordnete § 76 Abs 2 Satz 2 SGB IX aF (ab 1.1.2018: § 159 Abs 2 Satz 2 SGB IX) die Geltung von § 76 Abs 2 Satz 1 SGB IX aF (§ 159 Abs 2 Satz 1 SGB IX) an, wonach ein schwerbehinderter Mensch, der ausgebildet wird, auf zwei Pflichtarbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen angerechnet wird. Zur Konkretisierung der Rechtsstellung von Teilnehmenden an Leistungen in Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation bestimmt § 36 Satz 1 SGB IX aF (jetzt § 52 Satz 1 SGB IX) ergänzend, dass diese nicht in den Betrieb der Einrichtung eingegliedert werden. Mit dieser Regelung soll nach der Begründung des Gesetzentwurfs verdeutlicht werden, dass die Teilnehmer nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen (BT-Drucks 14/5074 S 108).
Durch diese Gestaltung unterscheidet sich die Ausbildung und Rechtsstellung von Personen in Einrichtungen deutlich von derjenigen der Auszubildenden in Betrieben oder Dienststellen. So fehlt zum einen die erforderliche, auf Eingliederung gerichtete vertragliche Ausformung der Ausbildungsverhältnisse von Maßnahmeteilnehmern. Zwar werden regelmäßig - wie auch hier - Ausbildungsverträge entsprechend dem BBiG abgeschlossen. Dessen Vorschriften finden aber, etwa was die Vergütung betrifft, in öffentlich finanzierten dreiseitigen Ausbildungsverhältnissen nach der Rechtsprechung des BAG nur eingeschränkt Anwendung (vgl BAG vom 15.11.2000 - 5 AZR 296/99 - BAGE 96, 237 = AP Nr 9 zu § 10 BBiG; BAG vom 16.1.2003 - 6 AZR 325/01 - AP Nr 13 zu § 10 BBiG). Prägend ist vielmehr das Sozialrechtsverhältnis zwischen den zugewiesenen Teilnehmern und dem Maßnahmeträger - hier der BA - mit den sozialrechtlichen Ansprüchen auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, die neben den Leistungen zum Lebensunterhalt (vgl § 45 Abs 2, 3 und 5 SGB IX aF; § 65 Abs 2, 3 und 5 SGB IX) verschiedene weitere Leistungen umfassen (vgl § 33 Abs 6, 7 und 8 SGB IX aF; § 49 Abs 6, 7 und 8 SGB IX). Zu erfüllen sind diese Ansprüche vom Träger, der sich der Einrichtung als Leistungserbringer bedient (ausführlich dazu Banafsche in Deinert/Welti, StichwortKommentar Behindertenrecht, 2. Aufl 2018, Leistungserbringungsrecht, RdNr 28 ff).
Zum anderen liegt auch keine tatsächliche Eingliederung in den Ausbildungsbetrieb vor. Nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung erfordert die tatsächliche Eingliederung von Auszubildenden in betriebliche Strukturen, dass eine berufspraktische Ausbildung im Rahmen der arbeitstechnischen Zwecksetzung des Betriebs ("innerhalb des laufenden Geschäftsbetriebs") erfolgt (vgl BAG vom 26.1.1994 - 7 ABR 13/92 - BAGE 75, 312 = AP Nr 54 zu § 5 BetrVG 1972, juris RdNr 26 f; BAG vom 20.3.1996 - 7 ABR 46/95 - BAGE 82, 302 = AP Nr 9 zu § 5 BetrVG 1972 Ausbildung, juris RdNr 11; BAG vom 13.6.2007 - 7 ABR 44/06 - AP Nr 12 zu § 5 BetrVG 1972 Ausbildung, juris RdNr 15 ff). Hieran fehlt es bei einer Ausbildung von zugewiesenen Maßnahmeteilnehmern in einer Einrichtung wie der des Jugendwerks. Denn Betriebszweck einer Einrichtung iS von § 35 Abs 1 Satz 1 SGB IX aF (§ 51 Abs 1 Satz 1 SGB IX) ist die Erbringung einer Dienstleistung gegenüber dem Sozialleistungsträger in Form der Durchführung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Zu dieser Leistung hat sich die Einrichtung - wie auch hier das Jugendwerk - vertraglich verpflichtet und sie wird dafür durch die Zahlung eines Entgelts (Pauschalbetrag für jeden Teilnehmer) vergütet. Für die Erbringung dieser Dienstleistung bedarf es zwar auch einer Betriebsorganisation, die wiederum den Einsatz von (eigenem) Personal und ggf sogar die Ausbildung von Personal bedingt, etwa in sozialen Berufen. Die dafür aufzubringenden Kosten stellen Betriebskosten der Einrichtung dar. Nicht Teil dieser Betriebsorganisation ist allerdings die Ausbildung der zugewiesenen Teilnehmer und deren Betreuung an sich, denn beides setzt bereits eine entsprechende Betriebsorganisation voraus. Vielmehr ist die Ausbildung der Maßnahmeteilnehmer selbst Gegenstand des Betriebszwecks (so BAG vom 20.3.1996 - 7 ABR 46/95 - BAGE 82, 302 = AP Nr 9 zu § 5 BetrVG 1972 Ausbildung, juris RdNr 11). (Betriebs-)Kosten in Form von Ansprüchen der Auszubildenden, die typischerweise mit betrieblichen Ausbildungen verbunden sind, entstehen von vornherein nicht, da deren Leistungsansprüche unmittelbar vom Träger erfüllt werden.
Aus Sinn und Zweck der Beschäftigungspflicht nach § 71 Abs 1 Satz 1 SGB IX aF ergibt sich ebenfalls, dass Teilnehmende einer Reha-Maßnahme nicht Arbeitsplätze im Sinne der Regelungen zur Beschäftigungspflicht besetzen. Die Beschäftigungspflicht zielt darauf ab, schwerbehinderte Menschen in das Erwerbsleben einzugliedern (vgl BSG vom 10.12.2019 - B 11 AL 1/19 R - SozR 4-3250 § 154 Nr 1 RdNr 17; BVerwG vom 16.5.2013 - 5 C 20/12 - juris RdNr 18). Solange Arbeitgeber die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Menschen nicht beschäftigen, haben sie für jeden unbesetzten Pflichtarbeitsplatz für schwerbehinderte Menschen eine Ausgleichsabgabe (§ 77 Abs 1 Satz 1 SGB IX aF) zu entrichten. Diese ist Ersatz für die von den Arbeitgebern in Form der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen zu erbringende Naturalleistung und dient der Durchsetzung der Beschäftigungspflicht (vgl dazu BVerfG vom 26.5.1981 - 1 BvL 56/78 ua - BVerfGE 57, 139, 167, 168 = juris RdNr 100). Arbeitgeber, die keine schwerbehinderten Menschen beschäftigen, leisten auf diese Weise einen Ausgleich zu Gunsten der Arbeitgeber, die dies tun (vgl BVerfG vom 10.11.2004 - 1 BvR 1785/01 ua - BVerfGK 4, 166, juris RdNr 15 mit Verweis auf BT-Drucks 7/656 S 20).
Dieses Ziel der dauerhaften Eingliederung von schwerbehinderten Menschen in das Arbeits- und Berufsleben kann nur dann effektiv verfolgt werden, wenn die mit der Beschäftigungs- und Ausgleichsabgabepflicht bezweckte Verhaltenssteuerung dort ansetzt, wo die Entscheidung über die Einstellung eines Arbeitnehmers gefällt und rechtlich der Arbeitsplatz geschaffen wird (so BSG vom 10.12.2019 - B 11 AL 1/19 R - SozR 4-3250 § 154 Nr 1 RdNr 19; vgl auch BVerwG vom 13.12.2001 - 5 C 26/01 - BVerwGE 115, 312, juris RdNr 16). Sinn und Zweck würde indessen verfehlt, wenn auch Teilnehmer an beruflichen Teilhabemaßnahmen in Einrichtungen neben den von den Einrichtungen ansonsten beschäftigten schwerbehinderten Menschen auf die Pflichtarbeitsplätze der Einrichtungen anzurechnen wären. Der vom Gesetz bezweckte Anreiz, schwerbehinderte Menschen als eigenes Personal einzustellen, würde in dem Umfang abnehmen, in dem schwerbehinderte Menschen als Maßnahmeteilnehmer zugewiesen werden (so bereits zur Anrechnung von Arbeitsplätzen betreuter behinderten Menschen in Werkstätten für Behinderte BSG vom 26.3.1992 - 11 RAr 47/91 - SozR 3-3870 § 9 Nr 1 - juris RdNr 20). Eine Einrichtung, wie sie der Kläger betreibt, würde sich einerseits schon durch ihre wirtschaftliche Ausrichtung - Ausbildung im Auftrag von Dritten als Dienstleistung gegen Entgelt - von der Verpflichtung, schwerbehinderte Menschen in einer bestimmten Anzahl zu beschäftigen, entlasten können. Andererseits käme eine Verhaltenssteuerung im Hinblick auf die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nur sehr bedingt in Betracht, weil die Einrichtung auf die konkrete Auswahl der Teilnehmer keinen Einfluss hat, da diese - wie auch hier - vom Leistungsträger zugewiesen werden. Davon abgesehen bewirken Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, wie sie in Einrichtungen wie der des Klägers als Ausbildung erbracht werden - anders als eine feste Beschäftigung oder eine betriebliche Ausbildung mit der Aussicht übernommen zu werden -, für sich genommen noch keine Teilhabe am Arbeitsleben, sondern bereiten diese lediglich vor (vgl Deusch in Dau/Düwell/Joussen, SGB IX, 5. Aufl 2019, § 52 RdNr 5; Luik in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl 2018, § 52 RdNr 18).
Gestützt wird dieses Ergebnis in gesetzessystematischer Hinsicht, wie das LSG zu Recht ausgeführt hat, durch die Regelung des § 76 Abs 2 Satz 2 SGB IX aF (jetzt § 159 Abs 2 Satz 2 SGB IX). Diese ordnet für den auch hier vorliegenden Fall von Ausbildungen in Einrichtungen die Geltung von § 76 Abs 2 Satz 1 SGB IX aF (jetzt § 159 Abs 2 Satz 1 SGB IX) an, wonach ein schwerbehinderter Mensch, der ausgebildet wird, auf zwei Pflichtarbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen angerechnet wird, wenn die berufliche Ausbildung auch in Betrieben oder Dienststellen durchgeführt wird. Dieser Regelung hätte es nicht bedurft, wenn schon die Ausbildung in der Einrichtung an sich zur Anrechnung führen könnte. Entgegen der Auffassung des Klägers ist dieser Regelungsgehalt keineswegs "rein deklaratorisch". Es erschließt sich nicht, warum alleine für den (Sonder-)Fall, dass während einer beruflichen Ausbildung in einer Einrichtung entsprechend der Vorgabe des § 35 Abs 2 Satz 1 SGB IX aF (ab 1.1.2018: § 51 Abs 2 Satz 1 SGB IX) zeitweise auch in Betrieben oder Dienststellen ausgebildet wird, eine Klarstellung erforderlich gewesen sein sollte, nicht jedoch für den zeitlich regelmäßig überwiegenden Kern der Ausbildung in der Einrichtung selbst.
Anders, als der Kläger meint, legt auch die Rechtsprechung des BAG zum Bestehen eines Wahlrechts der einer Einrichtung zugewiesenen Auszubildenden zur Schwerbehindertenvertretung keine andere Beurteilung nahe. Denn dieses Wahlrecht knüpft eben nicht an die Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne der gesetzlichen Definition an, sondern folgt aus einer umfassenden Zuständigkeit der Schwerbehindertenvertretung, die auch das Eintreten für die Interessen von Maßnahmeteilnehmern, die nicht in einen Betrieb eingegliedert sind, umfasst (vgl BAG vom 27.6.2001 - 7 ABR 50/99 - BAGE 98, 151 = AP Nr 2 zu § 24 SchwbG 1986, juris RdNr 19 ff; BAG vom 16.4.2003 - 7 ABR 27/02 - BAGE 106, 57 = AP Nr 1 zu § 95 SGB IX, juris RdNr 22 ff).
Stellt danach - entgegen der Auffassung des Klägers - die Berufsausbildung in einer Einrichtung schon keine Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 SGB IX aF dar, kommt es nicht darauf an, welche Tatbestände mit welcher Zielrichtung in § 73 Abs 2 und 3 SGB IX aF im Einzelnen geregelt werden. Denn dies betrifft nur Fälle, die schon voraussetzen, dass Arbeitsplätze vorliegen, aber iS einer Fiktion nicht als solche gelten sollen (sog Negativkatalog, vgl Deinert in Deinert/Welti, StichwortKommentar Behindertenrecht, 2. Aufl 2018, Pflichtquote, RdNr 6).
Vorliegend hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG jedenfalls drei Personen, die dem Jugendwerk als Teilnehmer für berufliche Teilhabemaßnahmen zugewiesen worden waren und im Jahr 2014 an solchen Maßnahmen teilgenommen hatten, in seiner Anzeige nach § 80 Abs 2 SGB IX aF auf die von ihm mitgeteilten Pflichtarbeitsplätze mit einer Summe von 72 (3 Arbeitsplätze x 12 Monate x 2 wegen der Doppelanrechnung) zu Unrecht angerechnet. Damit war diese Anzeige unrichtig und die Beklagte berechtigt, einen Feststellungsbescheid nach § 80 Abs 3 SGB IX aF zu erlassen.
Anhand der Feststellungen des LSG vermag der Senat indessen nicht zu beurteilen, ob dieser Feststellungsbescheid in der Sache insgesamt materiell rechtmäßig ist. Denn das LSG konnte zwar zutreffend von der unrichtigen Einbeziehung der drei Maßnahmeteilnehmer ausgehen, hat aber ohne eigene Feststellungen und rechtliche Beurteilung die weiteren Angaben des Klägers zu den vorhandenen Arbeitsplätzen und den (weiteren) besetzten Pflichtarbeitsplätzen übernommen, weil hierüber zwischen den Beteiligten kein Streit bestehe. Das "Unstreitigstellen" entscheidungserheblicher Tatsachen ersetzt allerdings nicht die erforderliche Sachaufklärung und eigene Würdigung des Sachverhalts durch das Gericht (vgl nur BSG vom 13.5.2009 - B 4 AS 58/08 R - BSGE 103, 153 = SozR 4-4200 § 12 Nr 13, RdNr 12; BSG vom 12.12.2013 - B 4 AS 14/13 R - juris RdNr 11). Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird das LSG deshalb noch die tatsächlichen Feststellungen und eine eigene Beurteilung nachzuholen haben zur Anzahl der bei dem Kläger als Rechtsträger (formaler Arbeitgeber) vorhandenen Arbeitsplätze nach Maßgabe von §§ 73 SGB IX aF, zur sich hieraus nach § 74 SGB IX aF ergebenden Pflichtarbeitsplatzzahl und schließlich - ggf unter Berücksichtigung des von dem Kläger nach § 80 Abs 1 SGB IX aF zu führenden Verzeichnisses - zur Anrechnung von Beschäftigten auf diese Pflichtarbeitsplätze nach Maßgabe der §§ 75 und 76 SGB IX aF.
Die Kostenentscheidung bleibt - auch wegen der Kosten des Revisionsverfahrens - dem LSG vorbehalten.
Fundstellen
BSGE 2022, 278 |
NZS 2021, 762 |
SGb 2021, 303 |
SGb 2022, 240 |
br 2021, 172 |
br 2022, 22 |
Breith. 2022, 171 |
info-also 2021, 284 |