Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. stationäre Pflege. Bindung des Sozialhilfeträgers an die Pflegesatzvereinbarungen. Beteiligung am Pflegesatzverfahren. Bestehen einer Investitionskostenvereinbarung. Auswahl der Einrichtung. Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsberechtigten. Mehrkostenvorbehalt
Leitsatz (amtlich)
Das sozialhilferechtliche Wunsch- und Wahlrecht einer leistungsberechtigten Person ist nicht durch den sogenannten Mehrkostenvorbehalt beschränkt, wenn sie eine Einrichtung wählt, mit der Pflegesatz- bzw Vergütungsvereinbarungen bestehen.
Orientierungssatz
1. Der Sozialhilfeträger ist in Bezug auf zugelassene Pflegeeinrichtungen grundsätzlich an die für stationäre Pflegeeinrichtungen maßgeblichen Pflegesatzvereinbarungen nach den §§ 85 ff SGB 11 gebunden (§ 75 Abs 5 S 1 SGB 12).
2. Dies gilt zwar nicht, soweit Vereinbarungen nach dem Achten Kapitel des Elften Buches nicht im Einvernehmen mit dem Träger der Sozialhilfe getroffen worden sind (§ 75 Abs 5 S 2 SGB 12). Jedoch kommt § 75 Abs 5 S 2 SGB 12 nach Sinn und Zweck der Regelung nicht zur Anwendung, wenn der Sozialhilfeträger tatsächlich an den Verhandlungen beteiligt war und nur sein Einvernehmen zu der getroffenen Vereinbarung nicht erteilt hat (vgl BSG vom 22.3.2012 - B 8 SO 1/11 R = SozR 4-3500 § 65 Nr 5 RdNr 18).
Normenkette
SGB 12 § 61 Abs. 1 S. 1 Fassung: 2003-12-27, Abs. 2 S. 1 Fassung: 2003-12-27; SGB 12 § 75 Abs. 3 S. 1, Abs. 5 Sätze 1-3; SGB 12 § 9 Abs. 2 Sätze 1, 3; SGB 11 § 85 Abs. 4
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. September 2016 geändert. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 11 456,51 Euro zu zahlen. Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
Im Streit ist ein Anspruch der Klägerin als Rechtsnachfolgerin der am 7.11.2016 verstorbenen Hilfeempfängerin H F (F) auf Zahlung von Heimpflegekosten für die stationäre Pflege in der Zeit vom 1.11.2009 bis 16.7.2014.
Die Klägerin ist Betreiberin einer nach § 72 Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) zugelassenen, landesrechtlich nicht geförderten Pflegeeinrichtung und erbrachte der im November 2016 verstorbenen F ab 20.10.2009 Pflegeleistungen; zuvor war F in einem Krankenhaus stationär behandelt worden. Grundlage der erbrachten Leistungen war der Heimvertrag für vollstationäre Pflege vom 21.10.2009. Danach schuldete F der Klägerin pro Tag insgesamt 73,35 Euro (vollstationärer Pflegesatz 37,35 Euro, Investitionskosten 19,40 Euro, Unterkunft und Verpflegung 16,60 Euro).
F erhielt neben ihrer Altersrente (bis Juni 2011 715,93 Euro, ab Juli 2011 720,65 Euro, ab Juli 2012 736,92 Euro, ab Januar 2013 736,10 Euro, ab Juli 2013 760,31 Euro und ab Juli 2014 779,52 Euro) und einer Witwenrente (bis Juni 2011 182,94 Euro, ab Juli 2011 185,44 Euro, ab Juli 2012 189,62 Euro, ab Januar 2013 189,41 Euro, ab Juli 2013 195,64 Euro und ab Juli 2014 221,62 Euro) im gesamten streitbefangenen Zeitraum Leistungen nach der Pflegestufe I gemäß §§ 14, 15 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XI (hier in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung) in Höhe von monatlich 1023 Euro. Über weiteres Einkommen oder Vermögen verfügte F nicht.
Für die Zeit vom 1.9.2009 bis 31.12.2013 bestanden zwischen der Klägerin und dem Beklagten Vereinbarungen über gesondert berechenbare Investitionskosten nach § 75 Abs 5 Satz 3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII), wonach 12,98 Euro je Anwesenheitstag für 117 nicht geförderte vollstationäre Pflegeplätze und für sechs Kurzzeitpflegeplätze zu zahlen waren (Vereinbarungen vom 17.9.2009, 21.1.2011 und 18.1.2012). Die Klägerin hat für die Zeit ab 15.7.2009 eine Vergütungsvereinbarung über stationäre Pflegeleistungen nach § 85 SGB XI mit mehreren Kranken- bzw Pflegekassen abgeschlossen (Vereinbarung vom 7.7.2009). Der Beklagte, der an den Vertragsverhandlungen beteiligt war, hat zu den Vereinbarungen sein Einvernehmen nicht erteilt, ihnen aber nicht durch Anrufung der Schiedsstelle widersprochen. Zu der für die Zeit ab 1.8.2013 abgeschlossenen Vereinbarung liegt das Einvernehmen des Beklagten vor.
Den Antrag der F auf Übernahme ungedeckter Heimkosten lehnte der Beklagte mit der Begründung ab, sie sei darauf zu verweisen, einen Heimplatz in einer - konkret benannten - investiv geförderten Einrichtung zu wählen, weil die dort entstehenden Kosten vollständig aus dem eigenen Einkommen gezahlt werden könnten (Bescheid vom 6.1.2010; Widerspruchsbescheid vom 6.5.2010). Der ab 17.7.2014 bestehenden Schuld der F trat der Beklagte später bei. Während die (zuletzt der Höhe nach auf 11 524,15 Euro begrenzte) Klage der F vor dem Sozialgericht (SG) Neuruppin ohne Erfolg geblieben ist (Urteil vom 30.4.2012), hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg auf die Berufung der F das Urteil des SG geändert und den Beklagten unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen verurteilt, für die Zeit vom 1.11.2009 bis 16.7.2014 ungedeckte Heimkosten in Höhe von insgesamt 11 459,83 Euro zu gewähren und diese an die Beigeladene (die jetzige Klägerin) zu zahlen (Urteil vom 28.9.2016). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ua ausgeführt, F sei einer durchsetzbaren Forderung der Klägerin ausgesetzt gewesen; die Klägerin habe die Forderung nur gestundet. Dahinstehen könne, ob bereits aufgrund der bestehenden Vergütungsvereinbarungen ein Kostenvergleich ausscheide. Denn auch dann, wenn ein Kostenvergleich vorzunehmen sei, entstünden durch die von F gewählte Einrichtung keine unverhältnismäßigen Mehrkosten. Lediglich wegen geringfügig niedriger Bedarfe als von F geltend gemacht, habe die Klage keinen Erfolg gehabt.
Der Beklagte rügt mit seiner Revision einen Verstoß gegen § 9 Abs 2 Satz 3 SGB XII sowie § 195 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Der Mehrkostenvergleich nach § 9 Abs 2 Satz 3 SGB XII sei auch bei bestehenden Vergütungsvereinbarungen durchzuführen. Führe man den Vergleich (anders als das LSG meine) nach Berücksichtigung des Einkommens durch, entstünden bei der von F gewählten Einrichtung Mehrkosten von etwa 200 Euro monatlich. Diese seien unverhältnismäßig, denn auch die vorgeschlagenen Alternativeinrichtungen seien in O gelegen und für die Angehörigen der F fußläufig erreichbar gewesen. F sei zudem keiner ernsthaften Forderung der Klägerin ausgesetzt gewesen; insbesondere seine im Berufungsverfahren vorgebrachten Argumente gegen die Wirksamkeit der Stundungsabrede zwischen F und der Klägerin habe das LSG nicht berücksichtigt. Außerdem stünden die Bevollmächtigten der Klägerin, die auch F vertreten hätten, in einem Interessenkonflikt, was das LSG ebenfalls nicht beachtet habe.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. September 2016 aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 30. April 2012 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Beklagten hat insoweit Erfolg, als er nur zur Zahlung von 11 456,51 Euro (statt der vom LSG tenorierten 11 459,83 Euro) an die Klägerin verpflichtet ist (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Insoweit ist das Urteil des LSG zu ändern. Im Übrigen ist die Revision zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 6.1.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.5.2010 (§ 95 SGG), mit dem es der Beklagte abgelehnt hat, die das Einkommen der F übersteigenden Heimpflegekosten zu übernehmen. Dabei verfolgt die Klägerin den Anspruch zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1, 4, § 56 SGG); bereits im Berufungsverfahren hatte F den Streitgegenstand auf die Zeit vom 1.11.2009 bis zum 16.7.2014 und - weil sie insoweit das Urteil des LSG nicht angegriffen hat - weiter im Revisionsverfahren der Höhe nach auf 11 459,83 Euro begrenzt.
Diesen Anspruch macht die Klägerin nach § 19 Abs 6 SGB XII als Rechtsnachfolgerin der F geltend. Verfahrensbeteiligte sind nach dem Versterben der F während des Revisionsverfahrens nur noch der Beklagte und die frühere Beigeladene, jetzt als Klägerin. Mit dem Tod der F ist die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin gemäß § 19 Abs 6 SGB XII unmittelbar kraft Gesetzes (cessio legis) in das Verfahren eingetreten (grundlegend dazu BSGE 106, 264 = SozR 4-3500 § 19 Nr 2). Dieser durch die Sonderrechtsnachfolge kraft Gesetzes herbeigeführte Beteiligtenwechsel ist keine Klageänderung iS der §§ 99, 168 Satz 1 SGG, sondern führt lediglich von Amts wegen zu einer Berichtigung des Rubrums (vgl BSGE 110, 93 = SozR 4-3500 § 19 Nr 3 RdNr 13 mwN; BSGE 90, 27, 28 = SozR 3-2600 § 307b Nr 9 S 92; Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 99 RdNr 7a mwN) und ist deshalb auch im Revisionsverfahren zulässig (BSG SozR 4-3500 § 77 Nr 3 RdNr 11 mwN).
Den auf sie übergegangenen Anspruch verfolgt die Klägerin gegen den örtlich und sachlich zuständigen Beklagten. Dessen Zuständigkeit beurteilt sich für die Zeit bis 31.12.2010 unmittelbar nach § 3 Abs 1, § 97 Abs 1 SGB XII, wonach für die Sozialhilfe sachlich zuständig der örtlich zuständige Träger ist (zur örtlichen Zuständigkeit gleich); abweichende Bestimmungen iS des § 97 Abs 2 SGB XII enthielt das bis 31.12.2010 maßgebliche brandenburgische Landesrecht nicht (vgl Gesetz zur Ausführung des SGB XII und zur Änderung des Brandenburgischen Finanzausgleichsgesetzes ≪AG-SGB XII≫ vom 6.12.2006 - Gesetz und Verordnungsblatt ≪GVBl≫ für das Land Brandenburg Teil I Nr 16 S 166 ff). Für die Zeit ab 1.1.2011 (mit Inkrafttreten des geänderten AG-SGB XII vom 3.11.2010 - GVBl I/10 Nr 36) bestimmt sich die Zuständigkeit des Beklagten nach § 3 Abs 1, § 97 Abs 1 iVm Abs 2, § 98 Abs 2 SGB XII iVm § 2 Abs 1 und § 4 Abs 1 Nr 2 AG-SGB XII. Danach sind örtliche Träger der Sozialhilfe die Kreise und kreisfreien Städte und als solche sachlich zuständig ua für die Hilfe zur Pflege. Eine Ausnahme von dieser Zuständigkeit nach § 5 AG-SGB XII liegt nicht vor. Der Senat ist an entsprechenden Feststellungen zum Landesrecht nicht gehindert, weil das LSG dieses ungeprüft gelassen hat. Da F nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) zudem ihren gewöhnlichen Aufenthalt (§ 30 Abs 3 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - ≪SGB I≫) vor Aufnahme in die erste stationäre Einrichtung (Krankenhaus) im Kreisgebiet des Beklagten hatte, war dieser nach § 98 Abs 2 Satz 1 SGB XII auch örtlich für die Leistungserbringung an F zuständig.
Der geltend gemachte Anspruch bestimmt sich in der Sache nach § 19 Abs 6 SGB XII iVm § 19 Abs 3 SGB XII (in der Normfassung des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung ≪RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz≫ vom 20.4.2007 - BGBl I 554 bzw in der ab 1.1.2011 geltenden Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 - BGBl I 453) iVm § 61 Abs 1 Satz 1 SGB XII (in der ab 1.7.2008 geltenden Normfassung - im Folgenden: alte Fassung ≪aF≫ - des Gesetzes zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung ≪Pflege-Weiterentwicklungsgesetz≫ vom 28.5.2008 - BGBl I 874). Danach ist Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung iS des § 61 Abs 3 SGB XII aF für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen, Hilfe zur Pflege zu leisten. Hilfe zur Pflege umfasst dabei ua auch stationäre Pflege (§ 61 Abs 2 Satz 1 SGB XII aF). F war leistungsberechtigt im Sinne dieser Vorschriften. Nach den bindenden Feststellungen des LSG litt sie ua an einem mäßigen hirnorganischen Psychosyndrom, einer koronaren Drei-Gefäß-Erkrankung, Zustand nach Hirnstamminsult und einer mittelschweren dementiellen Entwicklung und bedurfte deshalb dauerhaft der Hilfe zur stationären Pflege, die in einer Einrichtung der Klägerin erbracht worden ist.
Der Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, der Schuld der F gegenüber der Klägerin beizutreten (zum sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis vgl grundlegend BSGE 102, 1 = SozR 4-1500 § 75 Nr 9), soweit deren eigenes Einkommen einschließlich der Leistungen der Pflegekasse nicht ausreichten, um das Heimentgelt zu zahlen.
Der zwischen F, vertreten durch ihre Betreuerin, und der Klägerin abgeschlossene Heimvertrag ist wirksam zustande gekommen. Nach dem Inhalt des Vertrags schuldete F bei Pflegestufe I ab Aufnahme in die Einrichtung kalendertäglich 73,35 Euro (vollstationärer Pflegesatz 37,35 Euro, Unterkunft und Verpflegung 16,60 Euro, Investitionskosten 19,40 Euro). Zutreffend ist das LSG aber davon ausgegangen, dass tatsächlich nur Investitionskosten von 12,98 Euro täglich geschuldet waren. Denn nach § 11 Abs 9 Satz 2 des Heimvertrags tritt bei sozialhilfeberechtigten Bewohnern an die Stelle des vertraglichen der mit dem Sozialhilfeträger vereinbarte Investitionskostensatz (§ 75 Abs 5 Satz 3 SGB XII), der sich für die gesamte streitgegenständliche Zeit auf 12,98 Euro belief. Das kalendertägliche Entgelt und damit die Schuld der F betrug folglich 66,93 Euro (für die Zeit von November 2009 bis Juli 2013) und nach Erhöhung des Tagessatzes zum 1.8.2013, basierend auf den geänderten Pflegesatzvereinbarungen (vgl insoweit § 15 des Heimvertrags), 68,35 Euro. Die vertraglich geschuldeten Beträge für den Pflegesatz und für Unterkunft und Verpflegung entsprachen jeweils den in den Vergütungsvereinbarungen für stationäre Pflegeleistungen nach § 85 SGB XI vereinbarten Beträgen, die für den Beklagten verbindlich sind (dazu gleich).
F war auch einer durchsetzbaren Forderung der Klägerin ausgesetzt. Das LSG hat für den Senat bindend Tatsachen festgestellt (§ 163 SGG), die den rechtlichen Schluss auf eine wirksame Stundungsabrede zwischen F und der Klägerin bis zur endgültigen Entscheidung im vorliegenden Verfahren zulassen. Diese umfasste die Heimpflegekosten, die F nicht aus eigenem Einkommen selbst bezahlen konnte. Anders als der Beklagte meint, bedarf eine Stundungsabrede zu ihrer Wirksamkeit nicht der Schriftform, sodass es auf den Zeitpunkt des Abschlusses der schriftlichen Vereinbarung nicht ankommt. Die Feststellungen des LSG hat der Beklagte nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen. Soweit er vorträgt, das LSG habe insbesondere die von ihm vorgetragenen Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieser Vereinbarung nicht hinreichend gewürdigt, bemängelt er ohne entsprechende Verfahrensrüge die Beweiswürdigung durch das LSG, die der revisionsgerichtlichen Kontrolle jedoch entzogen ist. Selbst wenn der von der Klägerin bereits im Klageverfahren bevollmächtigte Rechtsanwalt bis zu ihrem Versterben auch F vertreten hatte und er mit dieser "Doppelvertretung" gegen das Verbot widerstreitender Interessen nach § 43a Abs 4 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) verstoßen haben sollte, hätte dies weder die Wirksamkeit der ihm erteilten Vollmachten noch - entsprechend § 114a Abs 2, § 155 Abs 5 BRAO - der für seine Parteien vorgenommenen Prozess- oder Verfahrenshandlungen berührt (Brandenburgisches Oberlandesgericht ≪OLG≫ Beschluss vom 8.9.2016 - 13 UF 84/15 - juris RdNr 21 mwN). Auch eine Kündigung des Anwaltsvertrags nach § 627 Abs 1 BGB (dazu Bundesgerichtshof ≪BGH≫ Urteil vom 7.6.1984 - III ZR 37/83 - NJW 1985, 41 ff) ist durch F nicht erfolgt. Nach den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) liegen zudem keine Umstände vor, die den Schluss auf einen Verzicht der Klägerin auf die Forderung rechtfertigen könnten.
Nach § 75 Abs 5 Satz 1 SGB XII (in der hier maßgeblichen Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB vom 27.12.2003 - BGBl I 3022) richten sich bei zugelassenen Pflegeeinrichtungen iS des § 72 SGB XI Art, Inhalt, Umfang und Vergütung der ambulanten und teilstationären Pflegeleistungen sowie der Leistungen der Kurzzeitpflege und der vollstationären Pflegeleistungen sowie der Leistungen bei Unterkunft und Verpflegung und der Zusatzleistungen nach den Vorschriften des Achten Kapitels des Elften Buches, soweit nicht nach § 61 SGB XII aF weitergehende Leistungen zu erbringen sind. Der Sozialhilfeträger ist in Bezug auf zugelassene Pflegeeinrichtungen also an die für stationäre Einrichtungen maßgeblichen Pflegesatzvereinbarungen nach den §§ 85 ff SGB XI gebunden. Mit dieser Regelung soll die Einheitlichkeit der Vergütung im Pflegesektor sichergestellt werden, um gerade in dem typischen "Überschneidungsbereich" zwischen den nach dem SGB XI betragsmäßig begrenzten Pflegeleistungen und den Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII eine einheitliche Vergütung in beiden Systemen sicherzustellen (BSG SozR 4-3500 § 65 Nr 5 RdNr 17; Münder in LPK-SGB XII, 10. Aufl 2015, § 75 RdNr 4; Jaritz/Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 75 RdNr 150; Neumann in Hauck/Noftz, K § 75 RdNr 44, Stand Mai 2017; Hübsch in NZS 2004, 462 ff).
Dies gilt zwar nicht (§ 75 Abs 5 Satz 2 SGB XII), soweit Vereinbarungen nach dem Achten Kapitel des Elften Buches nicht im Einvernehmen mit dem Träger der Sozialhilfe getroffen worden sind. Jedoch kommt § 75 Abs 5 Satz 2 SGB XII nach Sinn und Zweck der Regelung nicht zur Anwendung, wenn der Sozialhilfeträger - wie hier, bezogen auf die Vereinbarung vom 7.7.2009 - tatsächlich an den Verhandlungen beteiligt war und nur sein Einvernehmen zu der getroffenen Vereinbarung nicht erteilt hat (BSG SozR 4-3500 § 65 Nr 5 RdNr 18). Denn in diesem Fall, also etwa wenn er von der Mehrheit der am Verfahren beteiligten Kostenträger überstimmt worden ist (§ 85 Abs 4 Satz 1, § 89 Abs 3 Satz 4 SGB XI), kann der Sozialhilfeträger binnen zwei Wochen nach Abschluss der Pflegesatz- bzw Vergütungsvereinbarung Widerspruch erheben, durch den ein Schiedsstellenverfahren eingeleitet wird (§ 85 Abs 5 Satz 2, § 89 Abs 3 Satz 4 SGB XI in der bis 31.12.2016 geltenden Normfassung des Ersten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften). Macht der Sozialhilfeträger von dieser Möglichkeit - wie hier - keinen Gebrauch, sondern lässt die Zweiwochenfrist verstreichen, muss er die ggf gegen seine Stimme, jedenfalls aber ohne sein Einvernehmen zustande gekommene Vereinbarung gegen sich gelten lassen (sog fingiertes Einvernehmen, vgl nur: Schellhorn in Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Aufl 2015, § 75 RdNr 63 mwN; Jaritz/Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 75 RdNr 175; Münder in LPK-SGB XII, 10. Aufl 2015, § 75 RdNr 41; Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl 2018, § 75 RdNr 52). Zu der ab 1.8.2013 abgeschlossenen Pflegesatzvereinbarung hat der Beklagte sein Einvernehmen ohnedies erteilt.
Das Wunsch- und Wahlrecht der leistungsberechtigten Person (§ 9 Abs 2 Satz 1 SGB XII in der bis 31.12.2017 maßgeblichen Fassung ≪aF≫) ist nicht durch den Mehrkostenvorbehalt nach § 9 Abs 2 Satz 3 SGB XII beschränkt, wenn sie - wie hier - eine Einrichtung wählt, mit der für den Beklagten verbindliche Pflegesatz- bzw Vergütungsvereinbarungen nach § 75 Abs 5 Satz 1 und 2 SGB XII iVm § 85 Abs 4 SGB XI und wirksamen Vereinbarungen über gesondert berechenbare Investitionskosten (§ 75 Abs 5 Satz 3 SGB XII, hier ab 1.1.2014 fortgeltend in - entsprechender Anwendung - des § 77 Abs 2 Satz 4 SGB XII) bestehen. Bei den für die Pflegeleistungen zu zahlenden Vergütungen nach den insoweit maßgeblichen Vergütungsvereinbarungen handelt es sich per se nicht um unverhältnismäßige (Mehr-)Kosten (vgl zur Situation bei ambulanten Vergütungen und dem dort anzulegenden Maßstab angemessener Kosten nach § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII aF: BSG SozR 4-3500 § 65 Nr 5 mwN). Vielmehr inkorporieren die Vereinbarungen nach den §§ 75 ff SGB XII bzw §§ 82 ff SGB XI iVm § 75 Abs 5 SGB XII bereits den in § 9 Abs 2 Satz 3 SGB XII normierten Mehrkostenvorbehalt. Der Gesetzgeber geht normativ typisierend davon aus, dass bereits die Vergütungsvereinbarungen die Gewähr für die Wirtschaftlichkeit der im Einzelnen zu erbringenden Leistung bieten. Denn die vereinbarten Leistungen müssen ua ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (§ 76 Abs 1 Satz 3 SGB XII). Außerdem müssen nach § 84 Abs 2 Satz 1 und Satz 4 SGB XI Pflegesätze leistungsgerecht sein und einem Pflegeheim bei wirtschaftlicher Betriebsführung ermöglichen, seine Aufwendungen zu finanzieren und seinen Versorgungsauftrag zu erfüllen. Nicht zuletzt dürfen Versorgungsverträge nach dem SGB XI nur mit solchen Pflegeheimen abgeschlossen werden, die die Gewähr für eine leistungsfähige und wirtschaftliche pflegerische Versorgung bieten (§ 72 Abs 3 Nr 2 SGB XI).
Die ältere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (≪BVerwG≫ insbesondere BVerwGE 94, 202, 209; ähnlich BVerwGE 97, 53, 55 ff = juris RdNr 28), wonach die Vorgaben des Leistungserbringungsrechts die Beschränkungen des individuellen Hilfeanspruchs nach Maßgabe des Mehrkostenvorbehalts unberührt lassen (so auch Luthe in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 9 RdNr 117, Stand Juni 2014), führt der Senat nicht fort. Diese Entscheidungen, die den Rechtsstand vor dem 1.1.1994 betreffen, hat das BVerwG damit begründet, dass die Vertragsverhandlungen mit Pflegeheimen, die zum damaligen Zeitpunkt (vor Einführung der Pflegeversicherung) nur vom Sozialhilfeträger zu führen waren, für sich genommen nicht zu "einheitlichen Kostensätzen" führten. Systematisch steht ein solcher Ansatz aber in Widerspruch zum mittlerweile erheblich ausdifferenzierten System der §§ 75 ff SGB XII, dessen Ziel die Vereinbarung einer leistungsgerechten Vergütung zwischen Einrichtung und Sozialhilfeträger in jedem Einzelfall nach Maßgabe der individuellen Verhältnisse vor Ort ist. Insbesondere bei zugelassenen Pflegeeinrichtungen nach dem SGB XI soll die Einheit der Pflegesatzfestsetzung im Verfahren nach dem SGB XI durch § 75 Abs 5 SGB XII erhalten bleiben und es soll dem Träger der Sozialhilfe gerade nicht möglich sein, durch eigene Vertragsverhandlungen eine "verdeckte Bedarfsplanung" zu betreiben (vgl BSG SozR 4-3500 § 75 Nr 8). "Einheitliche Vergütungen" sind angesichts unterschiedlicher Standards und Leistungen von Einrichtungen ohnedies allenfalls bei vergleichbaren Einrichtungen denkbar (vgl zum sog externen Vergleich BSGE 120, 51 = SozR 4-3500 § 75 Nr 9; zum "internen" Vergleich: BSG SozR 4-3500 § 75 Nr 10), wenn auch nicht zwingend. Der insoweit notwendige Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen der beteiligten Vertragsparteien kommt in dem zum 1.1.1994 eingeführten Schiedsverfahren umfassend zum Tragen. Im Ergebnis können Vergütungen dabei nach der gesetzgeberischen Vorstellung auch bei einem vergleichbaren Leistungsangebot differieren, sei es infolge unterschiedlicher Personalstruktur und daraus resultierender Personalkosten (vgl dazu nur BSGE 120, 51 = SozR 4-3500 § 75 Nr 9) oder baulichen Besonderheiten, die sich in unterschiedlichen Investitionsbeträgen niederschlagen können. Kostenunterschiede sind damit noch kein Indiz für Mehrkosten im Sinne von höheren Kosten für dieselbe Leistung, und schon gar nicht für ihre Unverhältnismäßigkeit. Sie bilden nach dem Regelungskonzept der §§ 75 ff SGB XII (nur) den Wert der zu erbringenden, notwendigen Leistungen im Rahmen des wirtschaftlich Gebotenen ab. Bei Verträgen nach § 85 Abs 4 SGB XI gilt im Verhältnis zum Leistungsberechtigten nach dem SGB XII systematisch nichts anderes. Eine weitere "Schranke" für die Übernahme der Kosten des Heimaufenthalts zieht § 9 Abs 2 Satz 3 SGB XII in dieses System nicht ein (vgl Jaritz/Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 75 SGB XII RdNr 117).
Zudem steht die Auffassung, bei Prüfung des individuellen Hilfeanspruchs sei im Falle einer nach dem SGB XI zugelassenen Pflegeeinrichtung gleichwohl noch ein Mehrkostenvorbehalt vorzunehmen, auch der Ausgleichsfunktion entgegen, die gerade den Vereinbarungen über gesondert berechenbare Investitionskosten nach § 75 Abs 5 Satz 2 SGB XII zukommt (dazu bereits BSG SozR 4-3500 § 75 Nr 8 RdNr 17). Es werden insbesondere nach § 9 SGB XI landesrechtlich investiv geförderte Einrichtungen, bei denen Investitionskosten nicht (vollständig) vom Pflegebedürftigen zu zahlen bzw vom Sozialhilfeträger zu übernehmen sind, im Regelfall kostengünstiger sein als diejenigen, die nach Landesrecht nicht gefördert werden und deshalb nach § 82 Abs 4 SGB XI gesondert berechenbare Investitionskosten von den (sozialhilfebedürftigen) Bewohnern verlangen können. Ließe man in dieser Situation einen Mehrkostenvergleich zu, würde dies letztlich zu einer Belegungsgarantie von durch das Land geförderten Einrichtungen zulasten anderer, nicht geförderter Einrichtungen führen, dh das Unternehmerrisiko wie auch der Wettbewerb würden verzerrt (dazu im Zusammenhang mit dem Einsatz von Fördermitteln BSGE 88, 215, 222 = SozR 3-3300 § 9 Nr 1 S 8). Dass nach § 9 Abs 1 und 2 des Gesetzes über die pflegerische Versorgung im Land Brandenburg (Landespflegegesetz ≪LPflegeG≫ vom 29.6.2004, GVBl I/04 Nr 15 S 339, zuletzt idF des Gesetzes vom 12.7.2011, GVBl I/11 Nr 15) öffentlich geförderte staatliche Pflegeplätze vorrangig mit Personen zu belegen sind, die nach Aufnahme in eine stationäre Pflegeeinrichtung Anspruch auf Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII haben (§ 9 Abs 2 Satz 2 LPflegeG), steht diesem Systemverständnis nicht entgegen, denn diese Regelung zum "Belegungsrecht" betrifft ausschließlich das Verhältnis zwischen Sozialhilfeträger und Einrichtung, lässt aber das Wunsch- und Wahlrecht des zu pflegenden Menschen unberührt.
Der Regelung des § 9 Abs 2 Satz 3 SGB XII kommt auch nach dieser Auslegung noch ein erheblicher Regelungsgehalt zu. Sie kommt jedenfalls im Verhältnis von ambulanter zu stationärer Leistung zur Geltung (dazu bereits BT-Drucks 10/335 S 103 zur Einführung des § 3 Abs 2 Bundessozialhilfegesetz ≪BSHG≫). Auf die Frage nach dem Maßstab, der an die Annahme "unverhältnismäßiger" Mehrkosten zu stellen ist, kommt es damit im vorliegenden Verfahren ebenso wenig an wie auf die Frage, ob der Kostenvergleich vor oder nach Einkommensanrechnung durchzuführen ist.
Die Revision des Beklagten hatte aber insoweit Erfolg, als er nur zur Zahlung von 11 456,51 Euro verpflichtet ist. Das LSG hat zunächst nach Maßgabe des § 19 Abs 3 iVm §§ 82, 85 SGB XII und unter Berücksichtigung des § 35 Abs 2 Satz 2 SGB XII (idF des Gesetzes zur Änderung des SGB XII und anderer Gesetze vom 2.12.2006 - BGBl I 2670; seit 1.1.2011 § 27b SGB XII) zutreffend die rechtlichen Grundlagen, das Einkommen der F und die zu deckenden Bedarfe (Heimkosten) dargestellt, exemplarisch für ausgewählte Monate berechnet und dann für die gesamte hier streitbefangene Zeit hochgerechnet. Ausgehend von diesen Grundlagen und der darauf gestützten Berechnung, die der Senat im Einzelnen nachvollzogen hat, ergeben sich aber geringfügige Rechendifferenzen für den Monat Februar 2010 (anstelle der vom LSG aufgeführten 49,06 Euro bestand ein Bedarf von 49,10 Euro), für die Monate Januar, März und Mai 2013 (Bedarf von 226,46 Euro anstelle des vom LSG errechneten in Höhe von 229,46 Euro) und für Juni 2014 (anstelle von 103,92 Euro ein Bedarf von 103,38 Euro). Diese Differenzen lassen den Unterschied zwischen dem vom LSG in den Entscheidungsgründen (abweichend vom Tenor) für zutreffend erachteten Betrag von 11 440,01 Euro und den tatsächlich vom Beklagten zu zahlenden Kosten nachvollziehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG (BSG SozR 4-1500 § 183 Nr 8); eine Kostenteilung kommt aufgrund des nur geringfügigen Obsiegens des Beklagten nicht in Betracht.
Fundstellen
Haufe-Index 12151481 |
BSGE 2019, 166 |