Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Verfahrensmangel. rechtliches Gehör. Ablehnung eines Vertagungsantrags. Erkrankung des Prozessbevollmächtigten
Orientierungssatz
1. Zur Verletzung rechtlichen Gehörs durch die Ablehnung eines Antrags auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung.
2. Die Behinderung des Prozessbevollmächtigten, einen Verhandlungstermin wahrzunehmen, kann als "erheblicher Grund" iS des § 227 ZPO gelten, wenn die persönliche Wahrnehmung des Termins durch den Prozessbevollmächtigten selbst nötig oder vorteilhaft erscheint.
Normenkette
SGG § 162 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03, §§ 62, 124 Abs. 1, § 202; ZPO § 227 Abs. 1, 3
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Urteil vom 26.11.1964) |
SG Hannover (Urteil vom 16.08.1961) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 26. November 1964 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Gründe
Durch Bescheid der Landesversicherungsanstalt Hannover vom 22. März 1950 wurden bei dem Kläger als Gesundheitsschädigungen nach der Sozialversicherungsdirektive Nr. 27 "Lungentuberkulose, Narbe auf dem linken Schienbein" bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 v. H. anerkannt. In den Umanerkennungsbescheid nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) vom 24. Mai 1951 wurden ohne ärztliche Nachuntersuchung die Schädigungsfolgen und die MdE unverändert übernommen.
Eine versorgungsärztliche Nachuntersuchung vom 27. Oktober 1955 ergab, daß sich der Lungenbefund nach abgeschlossener Pneumolysenbehandlung weiter zurückgebildet habe und die Lungen-Tbc jetzt einen zur Inaktivität neigenden Eindruck mache. Die MdE betrage nur noch 50 v. H. Daraufhin setzte das Versorgungsamt (VersorgA) I H mit Bescheid vom 13. Januar 1956 wegen Änderung der Verhältnisse i. S. des § 62 BVG die Rente des Klägers nach einer MdE um 50 v. H. fest.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Da sich an seinem linken Unterschenkel Schwellungen gezeigt hatten, holte das VersorgA noch ein Gutachten des Dr. Dr. U vom 23. September 1958 ein. Dieser Arzt vertrat die Auffassung, daß es sich bei den Schwellungen um eine verformende Entzündung des Knochens handle, die mit Verdickung und Achsenverformung einhergehe. Es handle sich um ein selbständiges Leiden, das mit der vom Kläger behaupteten Verletzung durch einen Unfall während des Wehrdienstes nichts zu tun habe. Selbst wenn eine Beinverletzung im Jahre 1940 erfolgt wäre, könnte dies für die typische Knochenerkrankung keine Bedeutung haben. Durch Bescheid vom 20. Juni 1959 wies das Landesversorgungsamt Niedersachsen den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 13. Januar 1956 mit der Begründung zurück, daß nach dem lungenfachärztlichen Gutachten vom 27. Oktober 1955 eine wesentliche Besserung der Lungen-Tbc eingetreten und die Höhe der MdE dafür mit 50 v. H. günstig bewertet sei. Die bei dem Kläger festgestellte verformende Knochenerkrankung des linken Schienbeins (Morbus Paget) beruhe auf innerkörperlicher Ursache und nicht auf einer Verletzung, für die sich im übrigen auch am Knochen kein Anhalt biete.
Zur Begründung der Klage hat der Kläger dem Sozialgericht (SG) eine gutachtliche Äußerung des Dr. H vom 2. September 1960 vorgelegt, der das Vorliegen einer Systemerkrankung im Sinne einer Paget'schen Erkrankung verneint und die Auffassung vertreten hat, daß es sich bei der Verformung des linken Unterschenkels nach Unfall mit nachfolgender Knochenhaut- bzw. Knochenmarkentzündung um eine Wehrdienstbeschädigung handle. Die MdE für eine derartige Erkrankung müsse durchschnittlich mit 30 v. H. angenommen werden. In der mündlichen Verhandlung am 16. August 1961 hat das SG den Medizinaldirektor Dr. W gehört. Dieser Sachverständige hat ausgeführt, daß die Bewertung der MdE für die inaktive Lungen-Tbc mit 50 v. H. den erhobenen Befunden entspreche. Bei der Verkrümmung des linken Schienbeins handle es sich um eine Paget'sche Erkrankung, die auch an einem einzelnen Knochen - am häufigsten dem Schienbein - vorkommen könne. Diese Erkrankung könne nicht durch äußere gewaltsame Einwirkungen hervorgerufen oder verschlimmert werden. Der vom Kläger angegebene Kraftwagenunfall, bei dem es zu einer Verletzung am linken Unterschenkel gekommen sein soll, komme als Ursache oder auch nur als verschlimmernder Umstand der Knochenverbiegung des linken Schienbeins nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in Betracht. Das SG Hannover hat sich der gutachtlichen Äußerung des Dr. W angeschlossen und die Klage durch Urteil vom 16. August 1961 abgewiesen.
Im Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht (LSG) auf Antrag des Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) den Privatdozenten Dr. T als Sachverständigen gehört. In seinem Gutachten vom 20. April 1964 hat dieser Arzt die Auffassung vertreten, daß unter dem Einfluß der Unterschenkelverletzung entweder eine frische Ostitis deformans entstanden oder diese bis dahin latent bestehende Erkrankung in ihrem Verlauf verschlimmert worden sei. Der ursächliche Zusammenhang zwischen der Verletzung und der nachgewiesenen Paget'schen Erkrankung sei im Sinne der primären Entstehung oder der Verschlimmerung zu einem hohen Grade wahrscheinlich. Die durch die verminderte Gebrauchsfähigkeit des linken Beins bedingte MdE hat Dr. T auf 25 v. H. geschätzt. Daraufhin hat das LSG noch ein weiteres Gutachten von der Chirurgischen Universitätsklinik G vom 23. August 1964 eingeholt. Die Sachverständigen Prof. Dr. H und Dr. W sind unter eingehender Begründung zu der abschließenden Beurteilung gelangt, daß die Paget'sche Erkrankung, die eine selbständige Erkrankung sei, durch äußere Einflüsse weder verursacht noch verschlimmert werden könne (in ihrem Gutachten sprechen die Sachverständigen - offenbar versehentlich - stets von der Erkrankung am rechten Unterschenkel statt am linken).
Das Gutachten der Chirurgischen Universitätsklinik Göttingen vom 23. August 1964 ist mit Verfügung vom 14. September 1964 den Beteiligten zur Stellungnahme binnen drei Wochen übersandt worden. Durch Verfügung vom 12. November 1964 ist der Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 26. November 1964 festgesetzt worden. Mit Schriftsatz vom 23. November 1964, eingegangen beim LSG am 24. November 1964, hat Rechtsanwalt Dr. L in Untervollmacht des Prozeßbevollmächtigten des Klägers - Rechtsanwalt G - um kurzfristige Vertagung des auf den 26. November 1964 anberaumten Termins gebeten. Dr. L hat hierzu vorgetragen, der Kläger habe das Gutachten des Prof. Dr. H vom 23. August 1964 dem vom LSG nach § 109 SGG gehörten Sachverständigen Dr. T zur Stellungnahme vorgelegt; dieser Sachverständige habe erklärt, daß er Wesentliches gegen das Gutachten des Prof. Dr. H. vorzubringen habe, daß er jedoch noch nicht in der Lage sei, die erbetene Äußerung abschließend anzufertigen. Der Kläger habe den Sachverständigen, der baldmögliche Erledigung zugesagt habe, wiederholt erinnert. Dr. T habe jedoch die Anfertigung seiner Gegenäußerung bis zum Termin am 26. November 1964 als zweifelhaft bezeichnet. Hinzu komme, daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers, Rechtsanwalt G, bettlägerig erkrankt sei und den Termin nicht wahrnehmen könne. Der Kläger lege aber begreiflichen Wert darauf, daß er durch seinen Prozeßbevollmächtigten selbst vertreten werde. Nach einer dem Schriftsatz vom 23. November 1964 beigefügten Bescheinigung des Dr. Sch war Rechtsanwalt G am 23. November 1964 an einem stenokardischen Anfall bei Zustand nach Herzinfarkt bettlägerig erkrankt und für die nächsten Tage nicht arbeitsfähig.
Durch Urteil vom 26. November 1964 hat das LSG Niedersachsen die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Hannover vom 16. August 1961 zurückgewiesen; es hat die Revision nicht zugelassen. Das Berufungsgericht hat die Herabsetzung der durch die inaktive Lungen-Tbc bedingten MdE auf 50 v. H. auf Grund der hierzu vorliegenden ärztlichen Äußerungen als gerechtfertigt angesehen und zu der Erkrankung des Klägers am linken Schienbein ausgeführt, daß mit der Anerkennung der "Narbe auf dem linken Schienbein" nicht die Paget'sche Erkrankung anerkannt worden sei. Dieses Leiden sei nach den Gutachten der Sachverständigen Dr. Dr. U, Dr. W, Dr. G und Prof. Dr. H weder durch schädigende Vorgänge i. S. des § 1 BVG entstanden noch verschlimmert worden. Dem Sachverständigen Dr. T könne nicht gefolgt werden, weil nicht feststehe, ob der Kläger schon in den Jahren 1940 bis 1942 zur Zeit des angeblichen Unfalls und der Operation eine Paget'sche Erkrankung gehabt habe. Die Symptome eines solchen Leidens seien erstmals in Form einer Durchbiegung nach außen vorn und einer leichten Verformung in dem Gutachten des Dr. R vom 12. November 1951 festgestellt worden. Dem Vertagungsantrag des Klägers sei nicht zu entsprechen gewesen, weil keine erheblichen Gründe hierfür vorgelegen hätten. Wenn der Prozeßbevollmächtigte nach dem Attest des Dr. Sch vom 23. November 1964 nicht imstande gewesen sein sollte, die Interessen des Klägers im Termin selbst wahrzunehmen, so sei dies unerheblich, weil der Prozeßbevollmächtigte dem Rechtsanwalt Dr. L Untervollmacht erteilt habe und dieser daher berechtigt gewesen sei, den Kläger im Termin zu vertreten. Daß erhebliche Gründe Rechtsanwalt Dr. L hinderten, dies zu tun, habe er selbst nicht vorgetragen. Das weitere Vorbringen des Klägers, daß die von ihm angeforderte Stellungnahme des Dr. T zu dem Gutachten der Chirurgischen Universitätsklinik G noch nicht vorliege, rechtfertige den Vertagungsantrag ebenfalls nicht, weil das Gutachten des Prof. Dr. H bereits am 16. September 1964 an den Prozeßbevollmächtigten des Klägers mit der Auflage abgesandt worden sei, binnen drei Wochen dazu Stellung zu nehmen. Für die Stellungnahme des Dr. T habe somit ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden.
Gegen dieses am 19. Dezember 1964 zugestellte Urteil des LSG hat der Kläger mit Schriftsatz vom 22. Dezember 1964, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 23. Dezember 1964, Revision eingelegt und beantragt,
das angefochtene Urteil des LSG Niedersachsen vom 26. November 1964 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Der Kläger hat nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 19. März 1965 die Revision mit Schriftsatz vom 15. März 1965, auf den Bezug genommen wird, begründet. Er rügt zunächst wegen der Ablehnung seines Vertagungsantrags eine Versagung des rechtlichen Gehörs, weil er dem LSG die kritische Stellungnahme des nach § 109 SGG gehörten Sachverständigen Dr. T nicht habe vorlegen und sich im Termin auch nicht durch seinen Prozeßbevollmächtigten habe vertreten lassen können, der seine Sache seit Jahren kenne und dem er persönlich ein besonderes Vertrauen entgegenbringe. Nach Übersendung des Gutachtens der Chirurgischen Universitätsklinik G vom 23. August 1964, das am 17. September 1964 bei seinem Prozeßbevollmächtigten eingegangen sei, habe sich dieser zunächst mit dem Kläger in Verbindung setzen müssen. Die von ihm gewünschte Befragung des Dr. T habe nicht so schnell geschehen können, zumal sich sein Prozeßbevollmächtigter im September 1964 auf einem Erholungs- und Genesungsurlaub befunden habe und auch er selbst damals längere Zeit von H abwesend gewesen sei. Nach der Rückkehr vom Urlaub sei Dr. T gefragt worden, ob er zu einer ergänzenden Stellungnahme bereit sei. Dr. T habe sich hierzu bereit erklärt, aber wegen der Einsicht in die Fachliteratur eine längere Zeit benötigt, so daß er das Ergänzungsgutachten erst am 4. Dezember 1964 habe anfertigen können. Die mit Verfügung des LSG vom 14. September 1964 zur Stellungnahme gesetzte richterliche Frist von drei Wochen sei bei der Schwierigkeit der Materie von vornherein unangemessen kurz gewesen. Die Verfügung sei dem Kläger weder förmlich zugestellt worden noch habe sie die Androhung eines Rechtsnachteils enthalten, falls die Äußerung nicht innerhalb der Frist erfolge. Als die Ladung zum 26. November 1964 eingegangen sei, habe sein Prozeßbevollmächtigter unbedingt den Termin selbst wahrnehmen wollen. Er habe damals auch gehofft, bis zum Termin im Besitz der angeforderten Stellungnahme des Dr. T zu sein, um auf diese den Berufungsantrag stützen oder auch Gründe geltend machen zu können, aus denen eine Vertagung geboten erschien. An dieser Absicht sei sein Prozeßbevollmächtigter durch eine nicht voraussehbare Erkrankung gehindert worden. Alle diese Umstände hätten für das LSG Gründe sein müssen, dem Vertagungsantrag zu entsprechen. Rechtsanwalt Dr. L sei erst im Oktober 1964 in die Praxis des Prozeßbevollmächtigten eingetreten, was dem Berufungsgericht bekannt gewesen sei, und mit dem Fall nicht hinreichend vertraut gewesen, um die Wahrnehmung der Interessen des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu gewährleisten. In der Ablehnung der Vertagung sei somit eine Versagung des rechtlichen Gehörs und damit ein wesentlicher Verfahrensmangel zu erblicken.
Der Kläger macht weiter geltend, das LSG habe den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt und es insbesondere unterlassen, dem von Amts wegen gehörten Sachverständigen Prof. Dr. H mitzuteilen, welchen Sachverhalt das Gericht für erwiesen ansah. Dieser Mangel an Klarheit hinsichtlich des dem Gutachter mitgeteilten Auftrags habe seinen Niederschlag in dem Gutachten vom 23. August 1964 gefunden, und zwar insbesondere in den Mutmaßungen der Sachverständigen, die dahin gingen, daß man eine Unterschenkelverletzung in den Jahren 1940 bis 1942 annehmen dürfe, daß es sich jedoch um eine erhebliche Verletzung dabei nicht gehandelt haben könne. Endlich stützt der Kläger seine Revision auf eine Verletzung des Gesetzes bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs der Paget'schen Erkrankung mit der nachgewiesenen Verletzung des linken Schienbeins.
Der Beklagte beantragt die Verwerfung der Revision als unzulässig, hilfsweise Zurückweisung als unbegründet; er hält die vom Kläger gerügten Verfahrensmängel und eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs nicht für gegeben.
Die Revision des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Da das LSG die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen hat, findet sie nur statt, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG 1, 150) oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung i. S. des BVG das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG).
Der Kläger hat eine Verletzung der §§ 62, 103, 128 SGG gerügt; er macht ferner eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs i. S. des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG geltend. Hierbei genügt es für die Statthaftigkeit der Revision, wenn eine der erhobenen Rügen durchgreift. In einem solchen Falle braucht auf weitere Rügen, welche die Revision ebenfalls nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 SGG statthaft machen könnten, nicht mehr eingegangen zu werden (vgl. BSG in SozR SGG § 162 Nr. 122).
Der Kläger rügt in erster Linie eine Verletzung des § 62 SGG mit dem Vorbringen, daß das LSG ihm durch die Ablehnung seines mit Schriftsatz vom 23. November 1964 gestellten Vertagungsantrags das rechtliche Gehör versagt bzw. dieses nicht ausreichend gewährt habe. Nach § 62 SGG ist den Beteiligten vor jeder Entscheidung rechtliches Gehört zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich geschehen. Wie das BSG in ständiger Rechtsprechung (vgl. insbesondere BSG 1, 277) entschieden hat, stellt die Ablehnung eines Antrags auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung einen wesentlichen Verfahrensmangel i. S. des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG, dar, wenn die Ablehnung trotz Vorliegens erheblicher Gründe erfolgt ist. Nach § 227 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann das Gericht "aus erheblichen Gründen" auf Antrag oder von Amts wegen einen Termin verlegen. Da das SGG in dieser Hinsicht keine Vorschriften über das Verfahren enthält und grundsätzliche Unterschiede des sozialgerichtlichen Verfahrens gegenüber dem Zivilprozeß die entsprechende Anwendung des § 227 ZPO nicht ausschließen, ist diese Vorschrift über § 202 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden. Hierbei darf der Grundsatz, daß die Verlegung von Terminen mit der vom Gesetz geforderten Beschleunigung des Verfahrens in Einklang zu bringen ist, nicht zu einer Verkümmerung des rechtlichen Gehörs führen (vgl. BSG aaO mit weiteren Hinweisen). Sofern erhebliche Gründe vorliegen, ist somit ein Termin zur Sicherung des rechtlichen Gehörs zu verlegen, und zwar auch dann, wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält. Der Vortrag eines Beteiligten in der mündlichen Verhandlung kann dazu führen, daß das Gericht entgegen seiner bisherigen, aus dem Akteninhalt gewonnenen Auffassung neue Gesichtspunkte für wesentlich erachtet. Der Grundsatz der mündlichen Verhandlung (§ 124 Abs. 1 SGG) gehört somit zu den Grundgedanken, die das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit bestimmen. Obwohl das Gericht im sozialgerichtlichen Verfahren den Sachverhalt nach § 103 SGG von Amts wegen zu erforschen hat, behält die mündliche Verhandlung auch in diesem Verfahren die vom Gesetzgeber als wesentlich angesehene Aufgabe, den Streitstoff mit den Beteiligten erschöpfend zu erörtern. Die mündliche Verhandlung ist daher ein Mittel zur Verwirklichung des den Beteiligten verbürgten rechtlichen Gehörs i. S. des § 62 SGG (vgl. BSG 1, 277, 278; 7, 230, 232; 12, 9; ferner Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur SGb Anm. 1 zu § 124). Die Beteiligten haben somit grundsätzlich ein Recht darauf, in der mündlichen Verhandlung zu erscheinen und mit ihren Ausführungen gehört zu werden. Im übrigen liegt der Sinn des rechtlichen Gehörs nicht allein darin, eine erschöpfende Aufklärung des Sachverhalts zu ermöglichen, sondern auch darin, die Würde der Rechtsgenossen zu wahren (BVerfG in NJW 1958, 665). Es genügt nicht, den Beteiligten nur die Möglichkeit zu geben, zu einem Beweisergebnis Stellung zu nehmen; es muß ihnen vielmehr nach Lage des Einzelfalles hinreichend Zeit eingeräumt werden, um sich von dem Beweisergebnis ein klares Bild zu machen und entsprechend der Art des Beweisergebnisses angemessen Stellung nehmen zu können (BVerfG 4, 150; vgl. auch BSG in SozR SGG § 62 Nr. 6 und 11). Diese Grundsätze für die Gewährung des rechtlichen Gehörs hat das Berufungsgericht im vorliegenden Falle nicht hinreichend beachtet.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 23. November 1964, eingegangen beim LSG am 24. November 1964, den Antrag gestellt, den auf den 26. d. M. anberaumten Termin kurzfristig zu vertagen. Zur Begründung dieses Antrags hat der Kläger vorgetragen, daß er das Gutachten des Prof. Dr. H vom 23. August 1964 dem vom Berufungsgericht nach § 109 SGG gehörten Sachverständigen Dr. T zur Stellungnahme zugeleitet habe. Dieser Sachverständige habe erklärt, daß er Wesentliches gegen das Gutachten des Prof. Dr. H vorzubringen habe. Dr. T sei jedoch trotz wiederholter Erinnerung nicht in der Lage gewesen, die erbetene Äußerung bis zum Termin am 26. November 1964 anzufertigen. Hinzu komme, daß sein Prozeßbevollmächtigter Rechtsanwalt G unerwartet bettlägerig erkrankt sei und aus diesem Grunde den Termin am 26. November 1964 nicht wahrnehmen könne. Er lege aber begreiflichen Wert darauf, daß er durch seinen Prozeßbevollmächtigten vertreten werde.
Das LSG hat den Vertagungsantrag des Klägers mit der Begründung abgelehnt, daß die Verhinderung des Prozeßbevollmächtigten des Klägers deswegen unerheblich sei, weil dieser dem Rechtsanwalt Dr. L Untervollmacht erteilt habe, der daher seinerseits berechtigt gewesen sei, den Kläger im Termin zu vertreten. Auch der Umstand, daß die angeforderte Stellungnahme des Dr. T zu dem Gutachten des Prof. Dr. H vom 23. August 1964 noch nicht vorliege, rechtfertige den Vertagungsantrag nicht, weil dieses Gutachten an den Prozeßbevollmächtigten des Klägers bereits am 16. September 1964 mit der Auflage abgesandt worden sei, binnen drei Wochen dazu Stellung zu nehmen.
Die Begründung des LSG zur Ablehnung des Vertagungsantrags, daß Rechtsanwalt Dr. L, dem der Prozeßbevollmächtigte des Klägers Untervollmacht erteilt hat, in der Lage gewesen sei, den Kläger im Termin zu vertreten, erscheint nicht unbedenklich. Auch die Behinderung des Prozeßbevollmächtigten, einen Verhandlungstermin wahrzunehmen, kann als "erheblicher Grund" i. S. des § 227 ZPO dann gelten, wenn die persönliche Wahrnehmung des Termins durch den Prozeßbevollmächtigten selbst nötig oder vorteilhaft erscheint (vgl. dazu Baumbach/Lauterbach, ZPO, 27. Aufl. 1963 Anm. 2 B zu § 227). In einem solchen Falle hat der Beteiligte grundsätzlich das Recht, die Verlegung eines Termins zur mündlichen Verhandlung zu beantragen, wenn die Voraussetzungen des § 227 ZPO - Vorliegen erheblicher Gründe - gegeben sind (vgl. hierzu auch BSG in SozR SGG § 62 Nr. 16). Rechtsanwalt Dr. L hat in dem den Vertagungsantrag enthaltenden Schriftsatz vom 23. November 1964 vorgetragen, der Kläger lege begreiflichen Wert darauf, daß er im Termin durch seinen Prozeßbevollmächtigten Rechtsanwalt G selbst vertreten werde. In der Revisionsbegründung hat der Kläger hierzu vorgebracht, daß Rechtsanwalt Dr. L, der erst im Oktober 1964, wie dem Berufungsgericht bekannt war, in die Praxis seines Prozeßbevollmächtigten eingetreten und daher mit dem vorliegenden Fall nicht hinreichend vertraut gewesen sei, um die Wahrnehmung seiner Interessen in der mündlichen Verhandlung zu gewährleisten. Hinzu kommt, daß Rechtsanwalt G laut Vollmacht bereits seit dem 12. September 1961 - also seit etwa drei Jahren - mit der Wahrnehmung der Interessen des Klägers betraut war. Ferner konnte das LSG aus dem Inhalt des Schriftsatzes vom 23. November 1964 in Verbindung mit der dem Rechtsanwalt Dr. L erteilten Untervollmacht entnehmen, daß dieser Anwalt in der mündlichen Verhandlung am 26. November 1964 nicht auftreten werde, weil der Kläger aus den vorstehend angeführten Gründen auf der Wahrnehmung seiner Interessen durch seinen langjährigen Prozeßbevollmächtigten Rechtsanwalt G bestand und ua auch deswegen den Vertagungsantrag gestellt hat. Rechtsanwalt Dr. L ist demzufolge auch nicht im Termin zur mündlichen Verhandlung am 26. November 1964 für den Kläger aufgetreten. Schon diese Umstände hätten dem Berufungsgericht Anlaß zu Bedenken hinsichtlich der Ablehnung des Vertagungsantrags geben müssen. Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob das LSG den Termin bereits bei Berücksichtigung dieser Umstände hätte vertagen müssen, weil eine Verletzung des § 62 SGG schon aus einem anderen Grunde vorliegt.
Der Auffassung des LSG, daß die Ablehnung des Vertagungsantrags deswegen gerechtfertigt sei, weil das Gutachten des Prof. Dr. H vom 23. August 1964 am 16. September 1964 an den Prozeßbevollmächtigten des Klägers mit der Auflage abgesandt worden sei, binnen drei Wochen dazu Stellung zu nehmen, kann nicht zugestimmt werden. Im vorliegenden Rechtsstreit handelt es sich um die Klärung komplizierter medizinischer Fragen, die den ursächlichen Zusammenhang der bei dem Kläger bestehenden Paget'schen Erkrankung am linken Unterschenkel mit einer während des Wehrdienstes erlittenen Beinverletzung betreffen. Der nach § 109 SGG gehörte Sachverständige Dr. T hat in seinem Gutachten vom 30. April 1964 den ursächlichen Zusammenhang i. S. der Entstehung oder wenigstens i. S. der Verschlimmerung bejaht. Demgegenüber haben die Sachverständigen Prof. Dr. H und Dr. W von der Chirurgischen Universitätsklinik G in ihrem 16 Seiten umfassenden Gutachten vom 23. August 1964 diese Frage verneint. Diese unterschiedliche Auffassung der Sachverständigen ist insbesondere darauf zurückzuführen, daß die Frage einer traumatischen Entstehung der Paget'schen Krankheit von den Sachverständigen verschieden beurteilt wird. Es handelt sich somit im vorliegenden Falle um eine schwierige medizinische Frage, die nur durch Sachverständige geklärt werden kann. Weder der Kläger noch sein rechtskundiger Prozeßbevollmächtigter sind als medizinische Laien in der Lage, derart komplizierte medizinische Fragen ohne weiteres in ihrer vollen Bedeutung und Tragweite zu erkennen und sie zu würdigen. Es mußte daher dem Kläger Gelegenheit gegeben werden, sich hinsichtlich des seinem Anspruch ungünstigen, umfangreichen Gutachtens des Prof. Dr. H vom 23. August 1964 durch einen medizinischen Sachverständigen beraten zu lassen. Bei dieser Sach- und Rechtslage erscheint die dem Kläger gestellte Frist von drei Wochen zur Äußerung auf das Gutachten vom 23. August 1964 unangemessen kurz, weil von vornherein zu erwarten stand, daß der Kläger nicht in der Lage sein werde, die Äußerung eines qualifizierten medizinischen Sachverständigen zu der im vorliegenden Falle zu beurteilenden schwierigen medizinischen Frage in so kurzer Zeit zu erhalten. Der Umstand, daß das LSG dem Kläger mit Verfügung vom 14. September 1964 eine Frist von drei Wochen zur Stellungnahme zu dem Gutachten vom 23. August 1964 gestellt hat, rechtfertigt somit für sich allein nicht, wie das Berufungsgericht in dem angefochtenen Urteil meint, die Ablehnung des Vertagungsantrags des Klägers. Vielmehr hätte das LSG darüber hinaus prüfen und berücksichtigen müssen, ob dem Kläger oder seinem Prozeßbevollmächtigten bei der Schwierigkeit der zu beurteilenden medizinischen Frage eine eigene, notwendigerweise lückenhafte Stellungnahme zu dem Gutachten vom 23. August 1964 zuzumuten war. Wie bereits dargelegt, mußte jedoch nach Lage des Falles dem Kläger zugebilligt werden, sich durch einen medizinischen Sachverständigen - hier Dr. T - beraten und eine kritische Stellungnahme zu dem Gutachten vom 23. August 1964 anfertigen zu lassen. Der Kläger hat in seinem den Vertagungsantrag enthaltenen Schriftsatz vom 23. November 1964 dargelegt, daß er Dr. T um die Anfertigung einer solchen Stellungnahme gebeten und wiederholt an die Erledigung erinnert habe. Wenn Dr. T diese Stellungnahme nicht bis zu dem Termin am 26. November 1964 abgeben konnte, so ist dies nach den Gesamtumständen des Falles und der zur Verfügung stehenden Zeit verständlich und vom Kläger nicht zu vertreten, insbesondere wenn man berücksichtigt, daß er oder sein Prozeßbevollmächtigter nicht in der Lage waren, das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H vom 23. August 1964 selbst zu würdigen. Es sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, daß der Kläger oder sein Prozeßbevollmächtigter aus von ihnen zu vertretenden Umständen die Beauftragung des Dr. T, eine gutachtliche Äußerung abzugeben, ungebührlich verzögert hätten. Der Kläger hat im Gegenteil in der Revisionsbegründung eingehend die Gründe dafür dargelegt, daß die Äußerung des Dr. T nicht bis zum Termin am 26. November eingegangen ist. Im übrigen hat dieser Sachverständige sein Ergänzungsgutachten nach dem unter Beweis gestellten Vorbringen des Klägers am 4. Dezember 1964 angefertigt, so daß es bei einer kurzfristigen Vertagung - wie beantragt - vom Berufungsgericht bei der Entscheidung hätte berücksichtigt werden können. Das LSG hat somit den § 62 SGG verletzt, so daß die nicht zugelassene Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft ist.
Die Revision ist auch begründet, weil die Möglichkeit besteht, daß das Berufungsgericht bei Gewährung des erforderlichen rechtlichen Gehörs zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre. Hierbei ist es unerheblich, ob der Kläger durch den gerügten prozessualen Verstoß aus dem Grunde nicht beschwert sein könnte, weil selbst dann, wenn das Berufungsgericht gesetzmäßig gehandelt hätte, die Entscheidung mit demselben Ergebnis ergangen wäre. Selbst wenn diese Folge auch bei ordnungsmäßigem Prozeßhergang eingetreten wäre, so brauchte sie der Kläger nicht als Wirkung eines gesetzwidrigen Verfahrens hinzunehmen, weil die gesetzlichen Vorschriften, die den Schutz der Parteirechte bezwecken, von den Gerichten genau befolgt und voll zur Geltung gebracht werden müssen (vgl. hierzu auch RGZ 60, 110, 111; ferner Urteil des 8. Senats des BSG in Sachen Gengenbach ./. Freistaat Bayern - 8 RV 289/58 -). Da in tatsächlicher Hinsicht das rechtliche Gehör in einer Tatsacheninstanz zu gewähren ist, konnte der Senat in der Sache selbst nicht entscheiden (vgl. BSG 5, 158, 165). Das angefochtene Urteil mußte daher aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Fundstellen