Leitsatz (amtlich)
1. RVO § 1257 Fassung: 1934-05-17 widerspricht - verglichen mit RVO § 1256 Fassung: 1956-06-17 dem Gleichheitsgrundsatz des GG Art 3 Abs 2 insofern, als der Anspruch auf Witwerrente sowohl davon abhängig gemacht wird, daß der Ehemann vor dem Tode seiner Ehefrau erwerbsunfähig und bedürftig war, als auch davon, daß die verstorbene Ehefrau den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hat. RVO § 1257 Fassung 1934-05-17 ist mit Ablauf des 1953-03-31 außer Kraft getreten.
2. An dessen Stelle gilt, daß der Ehemann Witwerrente nach dem Tode seiner versicherten Ehefrau erhält, wenn die Verstorbene den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 2 Fassung: 1949-05-23; RVO § 1257 Fassung: 1934-05-17, § 1256 Fassung: 1949-06-17
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 17. November 1955 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Gebühr für die Berufstätigkeit des Rechtsanwalts L. im Verfahren vor dem Bundessozialgericht wird auf DM ... festgesetzt.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der im Jahre 1882 geborene Kläger, von Beruf selbständiger Zimmermann und Bauunternehmer, befindet sich seit dem Jahre 1937 wegen Schizophrenie fortgesetzt in Anstaltspflege. Nachdem sein Hausgrundstück für die Aufbringung der Anstaltskosten verwertet worden war, ist er ohne Vermögen und Einkommen. Die Kosten der Anstaltspflege in Höhe von DM 163.- monatlich trägt seitdem die Sozialbehörde der Hansestadt Hamburg. Der Kläger war kinderlos verheiratet; seine Ehefrau, die invalidenversichert war, bezog seit dem 1. Dezember 1939 Invalidenrente, zuletzt in Höhe von DM 57,60 monatlich und außerdem Unterhaltshilfe aus dem Lastenausgleich in Höhe von monatlich DM 20.-. Sie war vermögenslos. Ihre Einkünfte hat sie ausschließlich für den eigenen Unterhalt verwandt und nichts zu dem Unterhalt ihres Ehemannes beigetragen. Am 15. November 1953 ist sie im Alter von 84 Jahren verstorben.
Der Kläger beantragte durch seinen Pfleger die Gewährung der Witwerrente. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 9. Juli 1954 ab, weil die Ehefrau des Klägers aus ihren Einkünften nichts zu dem Unterhalt des Klägers beigetragen habe und daher die Voraussetzungen des § 1257 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht erfüllt seien. Auf die hiergegen erhobene Klage hob das Sozialgericht den Bescheid durch Urteil vom 30. August 1955 auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger vom 1. April 1954 an Witwerrente zu gewähren. Die unterschiedliche Behandlung von Witwe und Witwer bei der Gewährung der Hinterbliebenenrente widerspreche dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG). Witwerrente müsse auch dann gewährt werden, wenn die Ehefrau die Familie vor ihrem Tode nicht überwiegend unterhalten habe. Auf die Berufung der Beklagten hob das Landessozialgericht das Urteil auf und wies die Klage ab; es ließ die Revision zu. Auch das Landessozialgericht ist der Auffassung, daß die unterschiedliche Behandlung von Witwe und Witwer gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz verstößt, und nimmt an, daß weder § 1256 noch § 1257 RVO a. F. als gültiges Recht anzusehen seien; es sei vielmehr ein Mittelweg zu wählen, nach welchem zwar die Bedürftigkeitsvoraussetzung zu entfallen habe, aber für beide Arten von Renten die überwiegende Unterhaltsbestreitung Voraussetzung der Rentengewährung sei. Da diese Voraussetzung hier nicht vorliege, sei der Klageanspruch unbegründet.
Das Urteil wurde dem Pfleger des Klägers am 30. Dezember 1955 und ein Berichtigungsbeschluß am 29. Februar 1956 zugestellt. Der Kläger legte gegen dieses Urteil durch seinen Prozeßbevollmächtigten, Rechtsanwalt L. H, mit Schriftsatz vom 18. Januar 1956 am 24. Januar 1956 Revision ein und begründete diese gleichzeitig. Er rügt die Verletzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes des Art. 3 in Verbindung mit Art. 117 GG.
Er beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 30. August 1955 zurückzuweisen und der Beklagten die Erstattung der außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, daß § 1257 RVO nicht gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 GG verstoße.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist statthaft, weil das Landessozialgericht sie zugelassen hat. Da sie auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist, ist sie zulässig. Es mußte ihr jedoch der Erfolg versagt bleiben.
Im Hinblick auf das am 1. Januar 1957 in Kraft getretene Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter (Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz - ArVNG -) vom 23. Februar 1957 (BGBl. I S. 45) war zunächst zu prüfen, ob der geltend gemachte Rentenanspruch nach altem oder neuem Recht zu beurteilen ist. Nach Art. 2 § 5 a. a. O. sind für Rentenansprüche aus Versicherungsfällen vor dem 1. Januar 1957 die bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften maßgebend, soweit in den dieser Vorschrift folgenden Vorschriften nichts anderes bestimmt ist. Da der Versicherungsfall bereits im Jahre 1953 eingetreten ist und hinsichtlich der in § 1257 RVO a. F. geregelten Anspruchsvoraussetzungen keine von Art. 2 § 5 ArVNG abweichende Sonderregelung getroffen ist, beurteilt sich insoweit der geltend gemachte Anspruch nach § 1257 RVO a. F.
Wie auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist, sind alle Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt bis auf die, daß die verstorbene Ehefrau den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten haben muß. Die Familie bestand nur aus dem Kläger und seiner Ehefrau. Da die Ehefrau nur ein geringes Einkommen von DM 77,60 hatte, durfte angenommen werden, daß auch ihre Ausgaben diese Höhe erreichten. Für den Unterhalt des Ehemannes werden monatlich DM 163.- ausgegeben. Der Gesamtunterhalt der Familie betrug daher DM 240,60. Der von der Ehefrau aufgebrachte Betrag von monatlich DM 77,60 liegt noch weit unter der Hälfte des Gesamtunterhalts, so daß diese Voraussetzung des § 1257 RVO a. F. nicht erfüllt ist.
Es war jedoch zu prüfen, ob § 1257 RVO a. F. insoweit nicht wegen Verstoßes gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG nach Art. 117 Abs. 1 GG mit dem 31. März 1953, also bereits vor dem Eintritt des Versicherungsfalles, außer Kraft getreten und damit auf den zu entscheidenden Fall nicht mehr anzuwenden ist. Diese Prüfung erfordert den Vergleich mit § 1256 RVO a. F.. Ein Verstoß gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG läge dann vor, wenn dieser Vergleich ergäbe, daß die Voraussetzungen für die Gewährung der Witwerrente und die für die Gewährung der Witwenrente ungleich wären, es sei denn, daß Grundsätze der Sozialversicherung, soweit sie auch unter der Herrschaft des Gleichberechtigungsgrundsatzes noch anzuerkennen sind, diese Verschiedenheit rechtfertigten.
Hinterbliebenenrenten der Sozialversicherung sind vom Gesetz in der Regel als Ersatz für den Unterhalt gedacht, der durch den Tod des zum Unterhalt verpflichteten Versicherten weggefallen ist. § 1256 RVO a. F. weicht allerdings insofern hiervon ab, als er die Gewährung der Witwenrente allein von dem Tod des zum Unterhalt verpflichteten Ehegatten abhängig macht, ohne zu verlangen, daß er den Unterhalt auch tatsächlich geleistet hat. Dies bedeutet - da der Ehemann grundsätzlich zum Unterhalt verpflichtet ist -, daß nach § 1256 RVO a. F. die Witwenrente in Wirklichkeit als Ersatz für die durch den Tod des Versicherten wegfallende Unterhaltsverpflichtung gewährt wird.
§ 1257 RVO a. F. dagegen gewährt die Witwerrente nur dann, wenn die versicherte Ehefrau vor ihrem Tode sowohl zur Unterhaltsleistung verpflichtet war als auch den Unterhalt der Familie tatsächlich überwiegend bestritten hat. Die Voraussetzung, daß der Ehemann erwerbsunfähig und bedürftig sein muß, hat nicht nur Bedeutung für die Frage der Auszahlung der Rente nach dem Tode der versicherten Ehefrau, sondern ist ebenso sehr bedeutungsvoll für die Zeit bis zum Tode der versicherten Ehefrau; der Ehemann muß auch schon in der dem Tode der Ehefrau vorhergehenden Zeit erwerbsunfähig und bedürftig gewesen sein. Der dem § 1257 RVO a. F. in seiner Geltung vorhergehende § 1261 RVO in der bis zum 31. Dezember 1933 geltenden Fassung stellte es darauf ab, ob der Ehemann erwerbsunfähig und die Familie von der Ehefrau vor ihrem Tode überwiegend unterhalten worden war; die Rente war zu zahlen, solange der Witwer bedürftig war. Erwerbsunfähigkeit in diesem Sinne ist, wie das Reichsversicherungsamt bereits entschieden hat, nicht das gleiche wie Invalidität. Der Begriff der Erwerbsunfähigkeit muß aus dem Zweck der Vorschrift entnommen werden. Es soll nach dieser Vorschrift dann, wenn an Stelle des Ehemannes die Ehefrau den Lebensunterhalt der Familie ganz oder überwiegend bestritten hat, auch dem Witwer Hinterbliebenenversorgung gewährt werden, wenn für diesen ungewöhnlichen Fall nicht andere Umstände, sondern die Erwerbsunfähigkeit des Ehemannes Anlaß gab. Die Fähigkeit des Ehemannes, durch Lohnerwerb den Familienunterhalt zu bestreiten, mußte also dauernd so weit gemindert sein, daß der überwiegende Anteil daran der Ehefrau oblag, diese somit mehr als zur Hälfte den Lebensunterhalt verdienen mußte (AN. 1918, S. 472). Am 1. Januar 1934 trat § 1257 RVO a. F. in Kraft. Neben anderen Änderungen, die hier nicht interessieren, wurde das Wort "bedürftig" neben das Wort "erwerbsunfähig" gestellt. Es war nun zu verlangen, daß der Mann vor dem Tode seiner Ehefrau nicht nur erwerbsunfähig, sondern auch bedürftig gewesen war. Der Senat schließt sich - unter Berücksichtigung dieser Änderung - der durch das Reichsversicherungsamt gefundenen Auslegung an. Witwerrente könnte hiernach also nur derjenige erhalten, der infolge von Erwerbsunfähigkeit und Bedürftigkeit vor dem Tode seiner Ehefrau außerstande war, die Familie zu unterhalten, so daß aus diesem Anlaß die Ehefrau ihrerseits den Unterhalt der Familie überwiegend bestritt. Diese Regelung bedeutet, daß Witwerrente nur dann gewährt werden könnte, wenn die Ehefrau vor ihrem Tode zur Unterhaltsleistung verpflichtet war und auch tatsächlich den Unterhalt überwiegend bestritten hatte. Beide Voraussetzungsgruppen sind bei richtiger Auslegung so eng miteinander verbunden, daß sie nur im Zusammenhang miteinander beurteilt werden können.
Die Regelungen des § 1256 RVO a. F. und des § 1257 RVO a. F. weichen zum Nachteil des Mannes voneinander ab. Während die Witwe Hinterbliebenenrente auch dann erhält, wenn der - grundsätzlich zum Unterhalt verpflichtete - Ehemann vor seinem Tode den Unterhalt seiner Familie nicht bestritten hat, erhält der Witwer Hinterbliebenenrente nur, wenn seine zum Unterhalt verpflichtete Ehefrau vor ihrem Tode den Unterhalt ihrer Familie auch tatsächlich überwiegend bestritten hat. Es sind keine unter der Herrschaft des Gleichberechtigungsgrundsatzes anzuerkennende sozialversicherungs-rechtlichen Grundsätze zu erkennen, die diese Verschiedenheit rechtfertigen könnten.
Zwar steht dem Witwer einer Versicherten auch unter der Herrschaft des Gleichberechtigungsgrundsatzes nicht in jedem Falle eine Hinterbliebenenrente zu. Wie das Landessozialgericht mit Recht ausgeführt hat, kann dies insbesondere nicht etwa aus dem Umstand, daß die Versicherungsbeiträge von Männern und Frauen nach gleichen Sätzen erhoben werden, gefolgert werden; denn in der Sozialversicherung haben neben dem reinen Versicherungsgedanken auch Gesichtspunkte der Fürsorge und Versorgung Bedeutung, was u. a. darin zum Ausdruck kommt, daß der Staat erhebliche Mittel zur Finanzierung der Versicherungsleistungen aufbringt. Es ist daher bedenkenfrei, daß das Gesetz die Gewährung von Hinterbliebenenrenten beschränkt auf die Fälle, in denen durch den Tod des Ehegatten die Unterhaltsleistung (bzw. in § 1256 RVO a. F. die Unterhaltsverpflichtung) in Form der Zurverfügungstellung der Barmittel entfällt und damit also die Fälle der Unterhaltsleistung (bzw. Unterhaltsverpflichtung) in Form der Haushaltsführung und Sorge für die Kinder, durch deren Wegfall keine Einnahmen entfallen, ausschließt. Diese Differenzierung widerspricht nicht dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG. Biologische oder auf diesen wesentlich beruhende funktionale (arbeitsteilige) Unterschiede von Mann und Frau verlangen auch unter der Herrschaft des Gleichberechtigungsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 2 GG eine besondere rechtliche Regelung der jeweiligen Lebensverhältnisse, um dem sich aus dem übergeordneten allgemeinen Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG ergebenden Gebot, Gleiches gleich, Ungleiches aber seiner Besonderheit gemäß ungleich zu behandeln, zu entsprechen. Die hier maßgebende funktionale Verschiedenheit beruht im wesentlichen auf biologischen Verschiedenheiten, da dem Mann auf Grund der physischen und psychischen Veranlagung in aller Regel die außerhäusliche Erwerbstätigkeit und der Frau die häusliche Tätigkeit angemessen ist. Der Mann hat daher seine Unterhaltsverpflichtung in der Regel durch außerhäusliche Erwerbstätigkeit und Bereitstellung von Barmitteln, die Frau dagegen in der Regel durch Haushaltsführung und Sorge für die Kinder zu erfüllen. Die Unterhaltsverpflichtungen von Mann und Frau sind zwar gleichwertig, in der Art ihrer Erfüllung aber unterscheiden sie sich. Nur in besonderen Ausnahmefällen, insbesondere, wenn der Ehemann seinerseits außerstande ist, den Unterhalt der Familie zu bestreiten, muß die Ehefrau ihrer Unterhaltsverpflichtung durch außerhäusliche Erwerbstätigkeit und Bereitstellung von Barmitteln nachkommen. Dies ist auch in Rechtsprechung und Literatur zum ehelichen Unterhaltsrecht durchaus herrschende Auffassung (vgl. dazu BVerfG E 3, S. 245 f; Palandt, Komm. z. BGB, 15. Aufl., Anm. 5 u. 6 zu § 1360).
Es bestehen daher keine Bedenken, wenn das Gesetz der Frau bei dem Tode des versicherten Ehemannes die Hinterbliebenenrente stets dem Mann dagegen nur in diesem Ausnahmefall gewährt, in welchem die Ehefrau verpflichtet war, den Unterhalt der Familie durch Zurverfügungstellung der erforderlichen Barmittel überwiegend zu bestreiten.
Obwohl also § 1257 RVO a. F. weitgehend die nach dem Zweck der Hinterbliebenenrente und dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG richtige Abgrenzung des Kreises der zum Bezug einer Hinterbliebenenrente berechtigten Witwer trifft, bleibt doch, daß die Regelungen nach § 1256 RVO a. F. und § 1257 RVO a. F. insofern verschieden sind, als in § 1257 RVO a. F. im Gegensatz zu § 1256 RVO a. F. neben der Unterhaltsverpflichtung auch noch der tatsächlich geleistete überwiegende Unterhalt vorausgesetzt wird. Es darf zwar nicht übersehen werden, daß dem Gesetzgeber zugestanden werden muß, durch Regelungen, die auf typische Tatbestände ausgerichtet sind, praktikable Lösungen zu finden, selbst wenn dadurch einige Ausnahme- oder Grenzfälle nicht oder nicht völlig in einer dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG entsprechenden Weise erfaßt werden. Dies rechtfertigt nach Ansicht des Senats auch, daß es das Gesetz bei der Witwenrente auf den Tod des Ehemannes abstellt; denn der grundsätzlich zum Unterhalt im Sinne der Zurverfügungstellung der Barmittel verpflichtete Ehemann wird in der Regel dieser Unterhaltsverpflichtung nachkommen. Trotz der weit verbreiteten Frauenarbeit kann davon ausgegangen werden, daß auch heute noch in den Familien, in denen beide Ehepartner leben - nur diese Fälle sind hier, wo es allein auf die Zeit vor dem Tode des erstverstorbenen Ehepartners ankommt, zu beurteilen -, in aller Regel der Unterhalt überwiegend von dem Ehemann bestritten wird. Es erscheint daher bedenkenfrei, wenn der Gesetzgeber in § 1256 RVO a. F. von dieser Vermutung ausgegangen ist, zumal hierdurch der Verwaltung und den Gerichten die oft schwierigen Nachforschungen nach dem im Einzelfall tatsächlich geleisteten Unterhalt erspart werden, diese erhebliche Verwaltungsarbeit auch nur in den relativ wenigen Fällen, in denen der Unterhalt tatsächlich nicht geleistet worden ist, zu einer dem Zweck der Hinterbliebenenrente besser entsprechenden Lösung führen würde. Anders dagegen liegen die Verhältnisse bei der Witwerrente. Hier würde, wenn die Gewährung der Hinterbliebenenrente lediglich von dem Tode der versicherten Ehefrau abhängig gemacht würde, eine große Zahl von Witwern in den Genuß dieser Rente kommen, die, wie bereits ausgeführt, weder nach den sozialversicherungsrechtlichen Grundsätzen noch nach dem Gleichberechtigungsgrundsatz für die Gewährung einer solchen Rente in Frage kommen können. Hier kann es daher der Gesetzgeber praktisch nur darauf abstellen, ob die versicherte Ehefrau zum Unterhalt verpflichtet war oder aber, ob sie den Unterhalt geleistet hat.
Nach Ansicht des erkennenden Senats würde zwar die Formel, die es allein darauf abstellt, daß die Ehefrau vor ihrem Tode zur Unterhaltsleistung verpflichtet war, wegen der weitgehenden Übereinstimmung mit der Regelung des § 1256 RVO a. F. besser dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG entsprechen, es darf aber nicht übersehen werden, daß eine solche Formel wenig praktikabel ist, da sie umfangreiche, vielfach nur schwer durchführbare Nachforschungen erfordern würde, weil es weitgehend auf den Gesundheitszustand des Mannes während einer in der Vergangenheit liegenden Zeitspanne ankommen würde und dieser zu einem späteren Zeitpunkt meist kaum noch mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden könnte. Die andere Formel, nach der es darauf ankommt, ob die versicherte Ehefrau vor ihrem Tode den Unterhalt ihrer Familie tatsächlich überwiegend bestritten hat, würde ebenfalls noch dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG entsprechen. Sie würde zwar keine dem § 1256 RVO a. F. völlig gleiche Regelung darstellen, würde aber dennoch den Kreis der nach dem Zweck der Hinterbliebenenrente bezugsberechtigten Witwer weitgehend richtig abgrenzen und gleichzeitig eine praktikable Lösung darstellen; denn es würde praktisch auf die Lohn- und Gehaltsverhältnisse der Ehefrau in der Zeit vor ihrem Tode ankommen. Diese würden durch Rückfrage bei dem Arbeitgeber oder dem Finanzamt auch noch zu einem späteren Zeitpunkt leicht in Erfahrung gebracht werden können. Wenn es daher auch als noch mit dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG vereinbar angesehen werden muß, wenn allein auf den tatsächlich geleisteten Unterhalt abgestellt wird, so ist dies allerdings hier nicht möglich, weil nach der konkreten Regelung des § 1257 RVO a. F. sowohl die Unterhaltsverpflichtung der Ehefrau als auch der tatsächlich geleistete Unterhalt Anspruchsvoraussetzungen sind. Es kann unter der Herrschaft des Gleichberechtigungsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 2 GG dem Gesetzgeber nicht zugestanden werden, daß er abweichend von § 1256 RVO a. F. nicht auch bei der Witwerrente von einer gleichen Vermutung ausgeht wie bei der Witwenrente; denn es kann nicht angenommen werden, daß eine Ehefrau, die verpflichtet ist, ihre Familie überwiegend zu unterhalten, weil ihr Ehemann wegen Erwerbsunfähigkeit und Bedürftigkeit seinerseits außerstande ist, seine Familie zu unterhalten, sich ihrer Unterhaltsverpflichtung in einem irgendwie erkennbar größeren Umfang entzieht als der grundsätzlich zum Unterhalt in Form der Zurverfügungstellung der Barmittel verpflichtete Ehemann. Es kann sich hier nur um Fälle handeln, in welchen der Ehemann weder einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann noch sonstiges nennenswertes Einkommen - z. B. aus Sozialversicherungsleistungen - oder Vermögen hat, in denen also ein echter Notstand der Familie vorliegt. Wenn aber ein derartiger Notstand gegeben ist, wird die Ehefrau, soweit sie gesundheitlich dazu in der Lage ist, in aller Regel ihrer Unterhaltsverpflichtung durch Zurverfügungstellung der Barmittel ebenso nachkommen wie der Mann. Es widerspricht daher dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG, daß in § 1256 RVO a. F. von dieser Vermutung ausgegangen wird, während dies in § 1257 RVO a. F. nicht der Fall ist, zumal - nicht nur relativ, sondern auch absolut gesehen - bei einer entsprechenden Regelung der Witwerrente nicht mehr Witwer ungerechtfertigt in den Genuß der Hinterbliebenenrente gelangen würden, als es nach § 1256 RVO a. F. bei den Witwen der Fall ist; denn die Gruppe der nach § 1257 RVO a. F. überhaupt in Frage kommenden Witwer ist schon absolut gesehen kleiner als die Zahl der in Frage kommenden Witwen. Hinzu kommt, daß auch kein ersichtlicher Grund für diese Regelung zu erkennen ist. Da es eine doppelte Belastung für Verwaltung und Gerichte darstellt, wenn sie sowohl die Erwerbsunfähigkeit und Bedürftigkeit des Ehemannes vor dem Tode seiner Ehefrau als auch die tatsächliche überwiegende Unterhaltsleistung durch die Ehefrau feststellen müssen, kann diese Regelung insbesondere auch nicht damit begründet werden, daß sie eine praktikable Lösung darstelle; denn sie erschwert im Gegenteil das Verfahren in erheblichem Maße gegenüber einer Regelung, die nur eine der beiden Voraussetzungsgruppen zum Inhalt hat. Der erkennende Senat sieht die Verfassungswidrigkeit des § 1257 RVO a. F. also lediglich darin, daß die Erfüllung beider Voraussetzungen, der Unterhaltsverpflichtung und der tatsächlichen Unterhaltsleistung, nebeneinander verlangt wird. Im Ergebnis ist somit dem Landessozialgericht zuzustimmen, wenn es - wenn auch mit zum Teil abweichender Begründung - annimmt, daß § 1257 RVO a. F. dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG widerspricht. § 1257 a. F. ist daher mit dem 1. April 1953 außer Kraft getreten. Ob die Regelung des § 1257 RVO a. F. auch noch aus anderen Gründen, insbesondere deshalb, weil Erwerbsunfähigkeit und Bedürftigkeit des Mannes auch für die Zeit nach dem Tode der Ehefrau verlangt werden, dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG widerspricht, bedurfte keiner Prüfung und Entscheidung, weil schon aus den angeführten Gründen die Verfassungswidrigkeit des gesamten § 1257 RVO a. F., der, wie bereits ausgeführt, nur im Zusammenhang beurteilt werden kann, angenommen werden muß.
Dem Bundessozialgericht steht die Verwerfungskompetenz hinsichtlich des § 1257 RVO a. F., der bis zum 31. Dezember 1956 in der Fassung der Verordnung über die Änderung, die neue Fassung und die Durchführung von Vorschriften der Reichsversicherungsordnung, des Angestelltenversicherungsgesetzes und des Reichsknappschaftsgesetzes vom 17. Mai 1934 (RGBl. I S. 419) galt, zu, da er vorkonstitutionelles Recht ist (vgl. dazu BVerfG E 2, 124 ff. (128 bzw. 135)). Allerdings können, da die Beantwortung der Frage nach der Verfassungsmäßigkeit nur aus dem Vergleich mit § 1256 RVO a. F. erfolgen kann, § 1257 RVO a. F. und § 1256 RVO a. F. nur im Zusammenhang miteinander beurteilt werden. Die Fassung des § 1256 RVO a. F. beruht zwar in seiner Grundkonzeption ebenfalls auf der Verordnung vom 17. Mai 1934 (mit späteren Erweiterungen und Änderungen); sie ist jedoch auch noch nach dem Inkrafttreten des GG, z. B. durch §§ 3 Abs. 1, 21 Abs. 5 des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes (SVAG) vom 17. Juni 1949 (WiGBl. 99), § 15 der Durchführungsverordnung zum SVAG und § 1 des dritten Gesetzes zur Änderung des SVAG etc. vom 21. Januar 1956 (BGBl. I S. 16) geändert worden. § 1256 RVO a. F. muß daher als nachkonstitutionelles Recht angesehen werden (vgl. dazu BVerfG E 4, 214 (218)); denn durch eine Verwerfung dieser Vorschrift als verfassungswidrig würden auch diese Änderungen mitbetroffen und damit die Autorität der an das GG gebundenen gesetzgebenden Gewalt berührt werden. Die Verwerfungskompetenz hinsichtlich des § 1256 RVO a. F. steht daher dem Bundesverfassungsgericht zu (vgl. dazu auch BVerfG E 4, 331 (340)). Da § 1256 RVO a. F. und § 1257 RVO a. F. nur zusammen beurteilt werden können, war auch zu prüfen, ob nicht durch eine Verwerfung des § 1257 RVO a. F. mittelbar die Autorität der an das GG gebundenen gesetzgebenden Gewalt berührt wird. Dies ist jedoch nicht der Fall; denn § 1257 RVO a. F. ist bei Gelegenheit der Änderung des § 1256 RVO a. F. nicht Gegenstand der gesetzgeberischen Überlegungen gewesen und daher auch nicht etwa durch den Gesetzgeber bewußt bestätigt worden. Wegen der Frage, ob § 1256 RVO a. F. gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz verstößt, bedurfte es einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nicht, da der erkennende Senat diese Vorschrift in der ab 1. Juni 1949 geltenden Fassung insoweit für verfassungsmäßig ansieht. Es beständen zwar, da die Relation von § 1256 RVO a. F. und § 1257 RVO a. F. als solche verfassungswidrig ist, an sich die Möglichkeiten, daß entweder beide Vorschriften oder daß nur die eine oder nur die andere verfassungswidrig wären. Der Senat ist aber der Auffassung, daß hier nur § 1257 RVO a. F. und nicht § 1256 RVO a. F. verfassungswidrig ist; denn der auch insoweit für das Gericht bindende Wille des Gesetzgebers geht nach Ansicht des Senats eindeutig dahin, daß die Regelung des § 1256 RVO a. F., nach welcher von einer Nachprüfung, ob der verstorbene Ehemann auch tatsächlich den Unterhalt der Familie bestritten hat, abgesehen wird, aufrechterhalten bleiben soll. Nicht nur, daß dies schon seit Einführung der Witwenrente rechtens ist und bei den späteren Änderungen dieser Vorschrift hierin keine Veränderung eingetreten ist, hat auch der Gesetzgeber des ArVNG vom 23. Februar 1957, der bewußt eine Anpassung des Verhältnisses von Witwenrente und Witwerrente an den Gleichberechtigungsgrundsatz vorgenommen hat, hieran festgehalten. Der Senat glaubte daher, von dieser Regelung als feststehend ausgehen zu müssen. Wenn auch der Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG als Verfassungsnorm dem Willen des einfachen Gesetzgebers vorgeht, so hat doch dieser Wille insoweit Bedeutung, als die Verfassungsnorm einen Spielraum zuläßt. Da hier in Durchführung des Gleichberechtigungsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 2 GG verschiedene Möglichkeiten offenstehen, muß dieser Wille des einfachen Gesetzgebers maßgebend dafür sein, welche dieser Möglichkeiten Platz zu greifen hat. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn ein davon abweichender Wille des Verfassungsgesetzgebers zu erkennen wäre. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Der Ansicht des Landessozialgerichts, daß auch § 1256 RVO a. F. insofern dem GG widerspricht, konnte daher nicht zugestimmt werden.
Der Senat hatte, da § 1257 RVO a. F. außer Kraft getreten ist, darüber zu befinden, welche Voraussetzungen unter der Herrschaft des Gleichberechtigungsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 2 GG an die Witwerrente zu stellen sind. Hierbei hatte er soweit wie möglich den erkennbaren Willen des Gesetzgebers zu berücksichtigen. Aus § 1257 RVO a. F. waren keine Erkenntnisse darüber zu gewinnen, welcher der beiden in ihm enthaltenen Formeln der Gesetzgeber den Vorzug gegeben hätte. Aus § 1266 Abs. 1 des inzwischen in Kraft getretenen ArVNG ergibt sich aber, wie sich der Gesetzgeber unter der Herrschaft des GG die Regelung dieser Frage vorstellt. Der Senat hielt es für richtig, die in § 1266 Abs. 1 RVO n. F. gefundene Formel auch schon auf den zu entscheidenden Fall anzuwenden. Wie bereits ausgeführt, entspricht sie für sich allein noch dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG und hat den Vorzug, in der Praxis ohne besondere Schwierigkeiten durchführbar zu sein. Hiernach kommt es allein darauf an, ob die versicherte Ehefrau vor ihrem Tode den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat.
Diese Rechtslage mußte zur Zurückweisung der Revision führen, weil das angefochtene Urteil im Ergebnis richtig ist, da die verstorbene Ehefrau des Klägers vor ihrem Tode den Unterhalt ihrer Familie nicht überwiegend bestritten hat.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG), die Festsetzung der Rechtsanwaltsgebühren aus § 196 SGG.
Fundstellen