Leitsatz (amtlich)
1. Wenn ein Versicherter während seines Arbeitslebens nacheinander verschiedenartige knappschaftlich versicherte Tätigkeiten verrichtet hat, ist bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit von derjenigen dieser Tätigkeiten auszugehen, die nach den Umständen des Einzelfalles (Berufsausbildung, Berufsentwicklung, Zeitdauer der Tätigkeit und anderes mehr) als die eigentliche Tätigkeit und anderes mehr) als die eigentliche Berufstätigkeit des Versicherten anzusehen ist, wenn er sich nicht zu irgendeinem Zeitpunkt in erkennbarer Weise endgültig von ihr gelöst hat.
2. Eine Lösung von der bisherigen Tätigkeit bleibt außer Betracht, wenn und solange der Versicherte diese Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann.
3. Aus der Tatsache allein, daß ein Versicherter arbeitslos wird, kann nicht auf eine endgültige Lösung von der bisherigen Tätigkeit geschlossen werden.
Normenkette
KnRVNV § 3; KnRVNV 1942 § 3; RKG § 35 Fassung: 1942-10-04
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 14. Dezember 1954 wird mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der 1903 geborene Kläger beantragte am 12. September 1952 die Gewährung der Knappschaftsrente. Gestützt auf Gutachten von Knappschaftsärzten lehnte die Beklagte, vom "Aschefahrer" als dem eigentlichen Beruf des Klägers ausgehend, den Antrag durch Bescheid vom 20. April 1953 mit der Begründung ab, daß der Kläger noch in der Lage sei, die dem "Aschefahrer" im wesentlichen gleichartigen und wirtschaftlich gleichwertigen Arbeiten der Lohngruppen IV und V ü. T. der Lohnordnung für den Steinkohlenbergbau Ruhr verrichten zu können, und daher nicht berufsunfähig sei.
Die Beteiligten sind vor allem verschiedener Auffassung darüber, von welchem Beruf bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit auszugehen ist. Der Kläger wurde erstmalig am 2. April 1918 als jugendlicher Arbeiter im Bergbau angelegt. Vom 20. November 1919 an war er Schlepper im Schichtlohn. Pensionskassenmitglied wurde er am 1. Januar 1921. Er war weiterhin bis 1923 Schlepper im Schichtlohn und dann bis 1930 Gedingearbeiter. Von 1930 bis zum 2. Juli 1937 war er erwerbslos, anschließend arbeitete er bis zum 29. November 1938 bei einem Unternehmer als Tagesarbeiter. Von dieser Zeit an war er bis 1941 als Rottenarbeiter, anschließend bis zum 31. Dezember 1942 als Entlade- und Transportarbeiter, dann bis zum 18. Juli 1948 als Stochkesselheizer , anschließend bis Oktober 1952 als Aschefahrer im Aschekanal und vom 12. Januar 1953 an als Maschinenputzer im Zechenbetrieb tätig. Diese Tätigkeit übt er noch aus.
Der Kläger legte gegen den ablehnenden Bescheid Einspruch mit der Begründung ein, daß sein eigentlicher Beruf Gedingearbeiter oder zumindest Stochkesselheizer sei und er - hiervon ausgehend - berufsunfähig sei. Der Einspruch wurde von der Beklagten auf Grund der Entscheidung des Geschäftsausschusses in H vom 29. Mai 1953 durch Bescheid vom 16. Juni 1953 mit der Begründung zurückgewiesen, daß der eigentliche Beruf des Klägers Aschefahrer sei und von diesem Beruf ausgehend noch keine Berufsunfähigkeit vorläge; es sei von diesem Beruf auszugehen, weil der Kläger ihn zuletzt und nicht nur vorübergehend ausgeübt habe. Die frühere Gedingetätigkeit könne nicht zugrundegelegt werden, obwohl der Kläger sie wegen Krankheit habe aufgeben müssen, weil sie nicht zumindest ein Drittel des gesamten Arbeitslebens ausgeübt worden sei. Die Tätigkeit als Stochkesselheizer könne, obwohl sie einschließlich der Gedingetätigkeit mehr als ein Drittel des gesamten Arbeitslebens ausgeübt worden sei, deshalb nicht zugrundegelegt werden, weil es sich bei dem Wechsel zum Aschefahrer nicht um einen erzwungenen Berufswechsel handele, da er aus betrieblichen Gründen (Abbruch des Kesselhauses) erfolgt sei.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Berufung ein. Die vom Knappschaftsoberversicherungsamt gehörten Gutachter nahmen im Gegensatz zu den Ärzten der Beklagten an, daß der Kläger noch in der Lage sei, als Lampenstubenarbeiter, Kauenwärter, Verwieger, Tafelführer und zweiter Maschinist (Lohngruppe III ü. T.) tätig zu sein. Das Sozialgericht Dortmund, auf das die Sache am 1. Januar 1954 nach § 215 Abs. 2 SGG übergegangen war, hob die angefochtenen Bescheide auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger die Knappschaftsrente ab Antragstellung zu zahlen. Es lehnte zwar die Gedingetätigkeit als eigentlichen Beruf des Klägers ab, da er diese Tätigkeit nicht ein Drittel seines gesamten Arbeitslebens verrichtet habe, ging aber von der Tätigkeit als Stochkesselheizer aus. Im Gegensatz zu der Beklagten nahm es an, daß der Berufswechsel zum Aschefahrer als erzwungener Berufswechsel anzusehen sei. Zwar sei der Abbruch des Kesselhauses der äußere Anlaß für den Berufswechsel gewesen, aber der Kläger habe unabhängig davon schon aus gesundheitlichen Gründen den Beruf als Stochkesselheizer ohnedies nicht länger ausüben können; er sei 1930 beziehungsweise 1936 am rechten beziehungsweise linken Auge wegen Stares operiert worden, und sein Augenarzt habe ihm schon immer von dieser Tätigkeit abgeraten, habe aber spätestens 1948 eine Weiterarbeit in diesem Beruf überhaupt nicht mehr als tragbar angesehen. Entgegen der Auffassung der Obergutachter könne der Kläger zudem, wie die Knappschaftsärzte zutreffend festgestellt hätten, nur noch Arbeiten der Lohngruppen IV und V ü. T. verrichten und sei daher berufsunfähig.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht hat das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben und die Bescheide der Beklagten wiederhergestellt. Das Landessozialgericht hat es abgelehnt, die Gedingetätigkeit als eigentlichen Beruf des Klägers anzuerkennen. Selbst wenn ein aus Krankheitsgründen erforderlicher, also erzwungener Berufswechsel vorläge, was im Hinblick auf die Auskunft der Zeche Lothringen vom 7. Februar 1951 (in welcher angegeben worden war, der Kläger sei 1930 wegen Arbeitsmangels entlassen worden) zweifelhaft wäre, könne die Gedingetätigkeit doch auch schon deshalb nicht als die eigentliche Berufstätigkeit des Klägers angesehen werden, weil er dieser Tätigkeit inzwischen völlig entfremdet sei. Die Tätigkeit als Stochkesselheizer könne deshalb nicht zugrundegelegt werden, weil der Berufswechsel nicht als erzwungen angesehen werden könne, da er wegen des Abbruchs des Kesselhauses erfolgt und nicht durch die Krankheit des Klägers bedingt sei. Ein Berufswechsel aber, der in der allgemeinen Wirtschaftslage oder in der allgemeinen technischen Entwicklung begründet sei, könne nicht als erzwungener Berufswechsel anerkannt werden. Abgesehen davon könne der Kläger aber auch im Gegensatz zu der Ansicht des Sozialgerichts noch Arbeiten der Lohngruppe III ü. T. verrichten, so daß er selbst von dem Beruf des Stochkesselheizers ausgehend noch nicht berufsunfähig sei; dem vom Sozialgericht eingeholten Gutachten sei im Gegensatz zu der Auffassung des Sozialgerichts der Vorzug vor den knappschaftlichen Gutachten zu geben, da es überzeugender sei. Das Landessozialgericht hat die Revision zugelassen.
Das Urteil wurde dem Kläger am 1. Februar 1955 zugestellt. Er hat durch seinen Prozeßbevollmächtigten, Gewerkschaftssekretär Baar von der I. G. Bergbau, durch Schriftsatz vom 3. Februar 1955 am 5. Februar 1955 unter Stellung eines Revisionsantrages Revision eingelegt und diese begründet.
Er rügt, daß das Landessozialgericht nicht von dem Beruf als Gedingearbeiter ausgegangen sei; von einer Entfremdung von dieser Gedingetätigkeit könne nicht gesprochen werden. Da es nach heutiger bergbaulicher Praxis sogar bei einem Berufsfremden genüge, wenn er eine kurze Zeit eingearbeitet würde, könne der Kläger, wenn er gesundheitlich noch dazu in der Lage wäre, schon in viel kürzerer Zeit wieder eingesetzt werden. Im übrigen müsse ein erzwungener Berufswechsel nicht nur bei Vorliegen gesundheitlicher Gründe, sondern auch bei sonstigen zwingenden Gründen angenommen werden. Selbst wenn man aber nur gesundheitliche Gründe in diesem Zusammenhang anerkennen wolle, hätte das Landessozialgericht eingehender prüfen müssen, ob nicht im Jahre 1930 in Wirklichkeit gesundheitliche Gründe für die Entlassung zumindest mitbestimmend gewesen wären; es hätte durch Rückfrage bei dem Augenarzt Dr. M.-R. feststellen müssen, wann genau die Staroperation im Jahre 1930 vorgenommen worden sei. Wenn sich dann ergeben hätte, daß die Entlassung unmittelbar im Anschluß an diese Operation erfolgt sei, hätte daraus geschlossen werden müssen, daß die Krankheit des Klägers eine wichtige Rolle bei der Entlassung gespielt hätte. Die Zeche hätte sicherlich bei der Entlassung in erster Linie auf nicht voll einsatzfähige Leute zurückgegriffen. Des weiteren rügt er, daß das Landessozialgericht nicht zumindest den Beruf des Stochkesselheizers zugrundegelegt habe, denn auch diese Tätigkeit habe der Kläger in erster Linie aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben; abgesehen davon müsse aber von dieser Tätigkeit schon deshalb ausgegangen werden, weil er sie keinesfalls freiwillig aufgegeben habe und sonstige zwingende Gründe den gesundheitlichen Gründen gleichgestellt werden müßten. Im Gegensatz zum Landessozialgericht sei er der Auffassung, daß er auch von der Tätigkeit als Stochkesselheizer ausgehend berufsunfähig sei. Das Landessozialgericht habe die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung überschritten, da es im Gegensatz zu der Angabe des behandelnden Augenarztes Dr. M festgestellt habe, der Kläger habe die Tätigkeit als Stochkesselheizer nicht aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben.
Er hat beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 14. Dezember 1954 aufzuheben und die Revisionsbeklagte zu verurteilen, ihm die Knappschaftsrente vom 1. Oktober 1952 an zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, daß die Gedingetätigkeit deshalb nicht zugrundegelegt werden könne, weil sie nicht wenigstens ein Drittel des gesamten Arbeitslebens ausgeübt worden sei und der Kläger ihr zudem völlig entfremdet sei. Außerdem habe der Kläger weder diese Tätigkeit noch die des Stochkesselheizers unfreiwillig aufgegeben, da als erzwungener Berufswechsel in diesem Sinne nur ein solcher angesehen werden könne, der gesundheitlich bedingt sei. Hinsichtlich der Stochkesselheizertätigkeit komme hinzu, daß der Kläger noch in der Lage sei, die im wesentlichen gleichartigen und wirtschaftlich gleichwertigen Arbeiten der Lohngruppe III ü. T. zu verrichten, wie das Landessozialgericht zu Recht festgestellt habe, so daß Berufsunfähigkeit selbst dann nicht angenommen werden könne, wenn der Berufswechsel vom Stochkesselheizer zum Aschefahrer als durch gesundheitliche Gründe bedingt angesehen werden sollte.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist statthaft, da das Landessozialgericht sie zugelassen hat.
Sie ist auch begründet, weil die angefochtene Entscheidung auf der unrichtigen Anwendung von Bundesrecht, nämlich des § 3 der VO über die Neuregelung der Rentenversicherung im Bergbau vom 4. Oktober 1942 (RGBl. I S. 569) und des § 35 RKG, beruht.
Streitig ist zwischen den Beteiligten vor allem die Frage, von welcher Berufstätigkeit des Klägers bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit auszugehen ist. Während die Beklagte von der bei Antragstellung zuletzt nicht nur vorübergehend ausgeübten Tätigkeit eines Aschefahrers ausgeht, glaubt der Kläger, daß entweder von der Gedingetätigkeit oder zumindest von der Tätigkeit eines Stochkesselheizers ausgegangen werden müßte.
Es bedurfte keiner Untersuchung, ob von der Stochkesselheizertätigkeit ausgegangen werden kann, da das Landessozialgericht festgestellt hat, daß der Kläger noch in der Lage ist, Tätigkeiten der Lohngruppe III ü. T. zu verrichten, und einige dieser Tätigkeiten zweifelsohne der Tätigkeit des Stochkesselheizers im wesentlichen gleichartig und wirtschaftlich gleichwertig sind, also aus diesem Grunde schon Berufsunfähigkeit nicht vorliegen kann. An diese tatsächliche Feststellung ist der erkennende Senat nach § 163 SGG gebunden, da von dem Kläger in bezug auf diese Feststellungen keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorgebracht sind. Das Vorbringen des Klägers, das Landessozialgericht hätte dem - für den Kläger günstigeren - Gutachten der Beklagten den Vorzug vor dem vom Knappschaftsoberversicherungsamt eingeholten Gutachten geben müssen, ist nicht geeignet, die getroffene Feststellung des Landessozialgerichts zu erschüttern, da das Landessozialgericht bei der Beweiswürdigung grundsätzlich frei ist. Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich nichts, was darauf schließen ließe, daß das Landessozialgericht die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung überschritten hätte.
Entscheidend war daher lediglich, ob bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit von der Gedingetätigkeit ausgegangen werden muß. Wenn dies der Fall wäre, würde der Kläger, wie auch die Beklagte annimmt, berufsunfähig sein, da er nur noch Tätigkeiten der Lohngruppe III ü. T. verrichten kann und diese Tätigkeiten nicht mehr der Gedingetätigkeit wirtschaftlich im wesentlichen gleichwertig sind. Wenn dagegen nicht von der Gedingetätigkeit ausgegangen werden kann, wäre der Kläger nicht berufsunfähig.
Nach § 35 RKG ist bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit von der von dem Versicherten "bisher" verrichteten knappschaftlich versicherten Tätigkeit auszugehen. Schwierigkeiten in der Auslegung haben schon immer dann bestanden, wenn der Versicherte im Laufe seines Berufslebens nicht nur eine, sondern nacheinander verschiedenartige knappschaftlich versicherte Tätigkeiten ausgeübt hat. Das Reichsversicherungsamt hat in diesen Fällen in seiner Rechtsprechung bis zum Jahre 1940 der letzten Tätigkeit die ausschlaggebende Bedeutung zugemessen (vgl. E. Nr. 3049 vom 24.2.1927, AN. 27 S. IV 306), hat aber im Jahre 1940 (vgl. E. Nr. 5413 vom 22.11.1940, AN. 41 S. II 110) diesen Standpunkt weitgehend aufgegeben. Es ging seitdem, falls der Versicherte seine frühere Berufstätigkeit aus zwingenden Gründen, etwa wegen Krankheit oder Unfalls, aufgegeben hatte, nicht mehr schlechthin von der letzten Tätigkeit aus, legte vielmehr grundsätzlich diejenige Berufstätigkeit zugrunde, die der Versicherte bei im wesentlichen ungeschwächter Arbeitskraft nicht nur vorübergehend ausgeübt hatte, wenn er dieser Tätigkeit nicht bereits völlig entfremdet war. Maßgebend war jedoch nur eine solche Tätigkeit, die sowohl für sich betrachtet als auch im Verhältnis zum ganzen Arbeitsleben des Versicherten eine nennenswerte Zeit hindurch ausgeübt worden war und daher als die eigentliche Berufstätigkeit des Versicherten angesprochen werden mußte. Im übrigen aber hatte die vor Antragstellung zuletzt nicht nur vorübergehend ausgeübte Tätigkeit weiterhin ihre besondere Bedeutung. Wenn die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts damit auch den Bedürfnissen des praktischen Lebens in weiterem Umfang als bisher Rechnung trug, so bedurfte sie doch einer erneuten Überprüfung. Nach Ansicht des erkennenden Senats kann sowohl nach dem Wortlaut als auch nach dem Sinn des § 35 RKG der letzten Tätigkeit grundsätzlich keine andere Bedeutung zuerkannt werden als den vorher verrichteten Tätigkeiten. "Bisher" verrichtete Tätigkeit bedeutet nach dem Sprachgebrauch nicht "zuletzt" ausgeübte Tätigkeit. Der Begriff umfaßt vielmehr alle bisher verrichteten Tätigkeiten. Zudem würde es auch willkürlich sein, der zuletzt ausgeübten Tätigkeit eine besonders hervorgehobene Bedeutung zu geben, da der Versicherte ja seine Beiträge nicht nur während der Verrichtung der letzten Tätigkeit und nicht nur für den Fall gezahlt hat, daß er diese nicht mehr ausüben kann, sondern ebenso während der Verrichtung der früheren Tätigkeiten (in der Regel also höhere Beiträge) für den Fall, daß er diese nicht mehr ausüben konnte. Gegenstand der Versicherung ist also nicht nur die letzte, sondern grundsätzlich jede der von ihm verrichteten knappschaftlich versicherten Tätigkeiten. Da bei der zu treffenden Entscheidung jedoch nur eine dieser Tätigkeiten maßgebend sein kann, § 35 RKG insoweit aber keine Antwort auf die Frage nach der maßgebenden Tätigkeit gibt, muß auf den für die Knappschaftsversicherung grundlegenden § 3 der VO über die Neuordnung der Rentenversicherung im Bergbau vom 4. Oktober 1942 (RGBl. I, 569) zurückgegriffen werden. Hiernach erhält Knappschaftsrente der Versicherte u. a., wenn er "zur Ausübung seines Berufes dauernd unfähig" ist. Gegenstand der Versicherung ist also der Beruf des Versicherten. Es ist daher zu untersuchen, welche dieser verschiedenen Tätigkeiten die eigentliche Berufstätigkeit des Versicherten darstellt. Für diese Prüfung gibt es keine allgemein gültigen schematischen Regeln, es sind vielmehr die Umstände des einzelnen Falles entscheidend. Wenn der Versicherte die für die betreffende Berufstätigkeit vorgeschriebene Berufsausbildung erfahren hat und er diese Berufstätigkeit auch nicht nur vorübergehend ausgeübt hat, wird man in diesen Umständen in der Regel schon entscheidende Merkmale dafür zu sehen haben, daß diese Tätigkeit die eigentliche Berufstätigkeit des Versicherten ist. Wenn eine solche Berufsausbildung nicht erfolgt ist, der Versicherte aber eine ähnlich zu bewertende übliche Berufsentwicklung zu der betreffenden Berufstätigkeit hin durchlaufen hat und er diese auch eine längere Zeit ausgeübt hat, wird man zu gleichen Ergebnissen kommen müssen. Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß - besonders in Zweifelsfällen - hier der Dauer der Ausübung der Berufstätigkeit eine größere Bedeutung zukommt als in dem zuerst angeführten Fall.
Wenn allerdings derartige Merkmale nicht vorliegen, wird man es im wesentlichen auf die Zeitdauer der einzelnen Tätigkeit abzustellen haben, und zwar hier nicht nur auf die absolute Dauer der Tätigkeit, sondern auch auf ihr zeitliches Verhältnis zu den sonstigen bergbaulichen Tätigkeiten beziehungsweise zu dem gesamten Arbeitsleben des Versicherten.
Der Kläger hat seit seiner ersten Anlegung im Bergbau im wesentlichen den für die damaligen Verhältnisse üblichen beruflichen Entwicklungsgang des Gedingearbeiters genommen. Nach 1½-jähriger Tätigkeit als jugendlicher Arbeiter war er rund vier Jahre Schlepper im Schichtlohn und kam anschließend ins Gedinge. Diese Berufsentwicklung spricht schon in sehr starkem Maße dafür, daß die Gedingetätigkeit die eigentliche Berufstätigkeit des Klägers ist. Hinzu kommt, daß er diese Tätigkeit über sieben Jahre, also längere Zeit, ausgeübt hat. Beide Umstände zusammen, übliche Berufsentwicklung zur Gedingetätigkeit hin und längere Ausübung dieser Tätigkeit, zwingen zu der Annahme, daß die Gedingetätigkeit die eigentliche Berufstätigkeit des Klägers ist.
Es fragt sich jedoch, ob sich der Kläger nicht endgültig von dieser Berufstätigkeit gelöst hat. Wenn dies der Fall wäre, würde man diese nicht mehr als seine eigentliche Berufstätigkeit anerkennen können; sie wäre nicht mehr Gegenstand der knappschaftlichen Versicherung. Eine Lösung in diesem Sinne läge vor, wenn der Kläger erkennbar seine frühere Tätigkeit nicht wieder aufnehmen wollte, etwa weil er sich endgültig einer anderen Berufstätigkeit zugewandt hätte. Würde dagegen anzunehmen sein, daß er seine frühere Berufstätigkeit bei sich bietender Gelegenheit wieder hätte ausüben wollen, würde man diese weiterhin als seine eigentliche Berufstätigkeit anerkennen müssen. Der Umstand allein, daß der Kläger seine eigentliche Berufstätigkeit seit längerer Zeit nicht mehr ausgeübt hat, ist hier ohne Bedeutung; es kommt also nicht darauf an, ob der Kläger seiner früheren Berufstätigkeit inzwischen entfremdet ist. Man kann einem Erwerbslosen seinen eigentlichen Beruf nicht deshalb absprechen, weil er ihn wegen Arbeitsmangels lediglich nicht ausüben kann. Der erstere Beruf bleibt nach wie vor sein Beruf.
Das Landessozialgericht hat es dahingestellt sein lassen, ob der Kläger 1930 wegen Arbeitsmangels erwerbslos geworden ist oder ob Gesundheitsgründe zumindest auch eine Rolle bei diesem Berufswechsel mitgespielt haben.
Wenn der Kläger nur wegen Arbeitsmangels erwerbslos geworden ist, läge bei Ausscheiden aus dem Betrieb noch keine Lösung von der Gedingetätigkeit vor. Es ist aber dann zu prüfen, ob er sich nicht später von seinem Beruf endgültig gelöst hat. Das wäre zumindest dann der Fall, wenn er sich ihm bietende Gelegenheiten, wieder Gedingearbeiten verrichten zu können, unausgenutzt gelassen hätte. Es fragt sich daher, warum der Kläger nach Beendigung der Wirtschaftskrise die Gedingetätigkeit nicht wieder aufgenommen hat. Sollte er gesundheitlich zu dieser Tätigkeit noch in der Lage gewesen sein, würde man bei dem damaligen Kräftebedarf an Gedingearbeitern in der Nichtwiederaufnahme der Gedingetätigkeit eine endgültige Lösung erblicken müssen. Andernfalls aber würde man, wenn nicht sonstige Umstände vorliegen sollten, aus denen auf eine endgültige Lösung von der Gedingetätigkeit geschlossen werden könnte, die Gedingetätigkeit als seine eigentliche Berufstätigkeit zugrunde zu legen haben. Es ist also zu prüfen, warum der Kläger 1938 die Gedingetätigkeit nicht wieder aufgenommen hat. Auch in einer aus gesundheitlichen Gründen erforderlichen Aufgabe einer Berufstätigkeit ist zwar eine endgültige Lösung zu erblicken, diese ist aber für den Kläger hinsichtlich der hier zu entscheidenden Rechtsfrage ohne Bedeutung, da ja gerade solche Gründe zur Lösung geführt haben, für die die knappschaftliche Versicherung ihrem Wesen nach einzustehen hat. Dabei ist es unerheblich, ob dieser Leistungsabfall schon für sich allein zur Berufsunfähigkeit geführt hat oder ob der Kläger erst in Verbindung mit einem später hinzugekommenen, ebenfalls auf gesundheitlichen Gründen beruhenden weiteren Leistungsabfall berufsunfähig geworden ist. Der zunächst eingetretene Leistungsabfall ist nur der erste Schritt zum endgültigen, erst später eingetretenen Leistungsabfall. Es kann keine Rolle spielen, ob durch einen Leistungsabfall unmittelbar der Abstieg zu einer nicht mehr im wesentlichen gleichartigen und wirtschaftlich gleichwertigen Tätigkeit erfolgt oder ob er stufenweise zunächst zu einer zwar minderentlohnten, aber immer noch im wesentlichen gleichartigen und wirtschaftlich gleichwertigen Tätigkeit und später erst zu einer nicht mehr im wesentlichen gleichartigen und wirtschaftlich gleichwertigen Tätigkeit erfolgt. Würde allerdings diese Leistungsminderung später durch eine Besserung des gesundheitlichen Zustandes des Versicherten wieder entfallen, würde nicht von der Gedingetätigkeit auszugehen sein, da dann in der Nichtwiederaufnahme der Gedingetätigkeit eine endgültige Lösung zu erblicken wäre.
Sollte die Aufgabe der Gedingetätigkeit im Jahre 1930 aus gesundheitlichen Gründen erfolgt sein, würde nach diesen Grundsätzen die Gedingetätigkeit ebenfalls als die eigentliche Berufstätigkeit des Klägers anzusehen sein, es sei denn, daß eine späterhin erfolgte endgültige Lösung von dieser Berufstätigkeit angenommen werden müßte. Es würde also auch dann, wenn man dieser Alternative des Landessozialgerichts folgen würde, erforderlich sein, festzustellen, ob der Kläger nicht zumindest im Jahre 1938 gesundheitlich wieder in der Lage gewesen wäre, die Gedingetätigkeit wieder aufzunehmen.
Das angefochtene Urteil mußte nach alledem aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen werden. Der erkennende Senat konnte eine eigene Entscheidung nicht treffen, weil es noch an den erforderlichen Feststellungen mangelt, die durch das Revisionsgericht nicht getroffen werden können.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen