Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragsabführung zur Rentenversicherung. notwendige Beiladung
Leitsatz (amtlich)
In einem Rechtsstreit über die Haftung der Konkursmasse eines persönlich haftenden Gesellschafters einer Kommanditgesellschaft für Masseschulden der Kommanditgesellschaft - Beitragsansprüche der Einzugsstelle aus Arbeitsverhältnissen mit der Kommanditgesellschaft für die Zeit nach Konkurseröffnung - sind sowohl die betroffenen Versicherungsträger als auch die versicherten Arbeitnehmer beizuladen.
Orientierungssatz
In der Rentenversicherung hängen die Ansprüche des Versicherten regelmäßig davon ab, ob Beiträge tatsächlich entrichtet werden. Daraus ist ein Anspruch des Versicherten gegen seinen Arbeitgeber abzuleiten, nicht nur das erzielte Arbeitsentgelt auf der Versicherungskarte einzutragen, sondern die der Eintragung entsprechenden Beiträge auch abzuführen; dies gilt jedenfalls, solange die Beiträge nicht nach § 1397 Abs 6 RVO (= § 119 Abs 6 AVG) als entrichtet gelten oder von anderer Seite entrichtet worden sind (zB aus der Konkursausfallversicherung, von weiteren Mithaftenden oder vom Versicherten selbst). Wegen dieses dem Versicherten zustehenden Beitragsabführungsanspruchs kann im Verhältnis der Einzugsstelle zum Arbeitgeber (oder einem für die Abführung der Beiträge mithaftenden Dritten) nicht ohne Beteiligung des Versicherten entschieden werden, ob, in welcher Höhe und von wem Beiträge abzuführen sind.
Normenkette
SGG § 75 Abs 2 Fassung: 1953-09-03; KO § 59 Abs 3 Buchst e Fassung: 1976-12-23, § 60 Fassung: 1974-07-17; RVO § 1397 Abs 6 Fassung: 1972-10-16; AVG § 119 Abs 6 Fassung: 1972-10-16
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin mit den an sie abzuführenden Sozialversicherungsbeiträgen für zwei nach Konkurseröffnung gekündigte Arbeitnehmer einer Kommanditgesellschaft (KG) im Verteilungsverfahren nach § 60 der Konkursordnung (KO) auch in dem gleichzeitig eröffneten Konkurs des persönlich haftenden Gesellschafters der KG Dr. Stapelmann zu berücksichtigen ist.
Der Beklagte ist Konkursverwalter in beiden Konkursen. Die genannten Beitragsforderungen, die nach den Konkurseröffnungen (5. Januar 1979) entstanden sind, hat er im Konkurs der KG als Masseschuld nach § 59 Abs 1 Nr 2 KO dem Grunde und der Höhe nach anerkannt. Eine Haftung aus der Konkursmasse des persönlich haftenden Gesellschafters lehnt er jedoch mit der Begründung ab, daß Masseschulden, die aus den Handlungen des Konkursverwalters entständen, bzw Ansprüche aus zweiseitigen, für die Zeit nach der Eröffnung des Verfahrens zu erfüllenden Verträgen nur die Masse verpflichteten, für die der Konkursverwalter konkret tätig werde. Rechtsbeziehungen zu den Arbeitnehmern hätten aber nur im Konkursverfahren der KG fortbestanden; deshalb hafte auch nur die Konkursmasse der KG hierfür. Der persönlich haftende Gesellschafter müsse zwar für Schulden der KG eintreten, bei ihm seien dies jedoch allenfalls gewöhnliche Konkursforderungen.
Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses abgewiesen, weil feststehe, daß in beiden Konkursen Masselosigkeit eingetreten sei, eine Befriedigung also ohnehin nicht in Betracht komme (Urteil vom 7. Mai 1980). Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 2. April 1981). Es hat die Feststellungsklage entgegen der Auffassung des SG für zulässig gehalten, das Klagebegehren jedoch als unbegründet angesehen. Die Lohnforderung der Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis über die Konkurseröffnung hinaus fortbestehe, sei Masseschuld nach § 59 Abs 1 Nr 2 KO. Die der Lohnforderung akzessorische Beitragspflicht begründe ebenfalls eine Masseforderung, die aber ausschließlich gegen die Konkursmasse des Arbeitgebers, hier der KG, gerichtet sei. Masseschulden im Konkurs der Gesellschaft seien nicht zugleich Masseschulden im Konkurs des persönlich haftenden Gesellschafters. Die Beiladung der betreffenden Arbeitnehmer sowie des Rentenversicherungsträgers und der Bundesanstalt für Arbeit (BA) hat das LSG nicht für notwendig erachtet, weil Grund und Höhe der Beitragsschuld vom Beklagten nicht bestritten würden und der vorliegende Rechtsstreit eine Frage der Vollstreckung betreffe. Im Vollstreckungsverfahren könnten zwar die Interessen der Versicherten oder der übrigen Versicherungsträger berührt werden; die Sachentscheidung betreffe indessen nur den die Befriedigung betreibenden Gläubiger.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision vertritt die Klägerin die Auffassung, aufgrund der Wandlung in der Ausgestaltung der Konkursvorrechte und der zunehmend stärkeren Betonung der schutzwürdigen Interessen der Arbeitnehmer und Sozialversicherungsträger müsse in konsequenter Weiterentwicklung im Wege höchstrichterlicher Rechtsfortbildung der Schluß gezogen werden, daß die Verfolgung sozialversicherungsrechtlicher Forderungen über den Gesellschaftskonkurs hinaus auch in einem gleichzeitigen Gesellschafterkonkurs geboten sei.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und
festzustellen, daß die Sozialversicherungsbeiträge
für die Zeit vom 5. Januar bis 28. Februar 1979
in Höhe von 1.429,95 DM im Konkurs des Dr. Stapelmann
Masseschulden nach § 59 Abs 1 Nr 2 KO darstellen und
der Beklagte wegen dieser Masseschulden Befriedigung
nach § 60 KO vorzunehmen hat.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG.
Die Aufhebung des Berufungsurteils ist geboten, weil das Verfahren vor dem LSG an einem im Revisionsverfahren fortwirkenden prozessualen Mangel leidet, der in der Revisionsinstanz nicht beseitigt werden kann. Zu dem Rechtsstreit waren die betroffenen Versicherungsträger (Rentenversicherungsträger und Bundesanstalt für Arbeit) und uU auch die versicherten Arbeitnehmer notwendig beizuladen (§ 75 Abs 2 SGG).
Für die betroffenen Versicherungsträger ergibt sich dies daraus, daß die Entscheidung über Beiträge, die an sie abzuführen sind, unmittelbar in ihre Rechtssphäre eingreift (BSGE 15, 118). Ihre Beiladung war entgegen der Auffassung des LSG nicht deshalb entbehrlich, weil über den Grund und die Höhe der Beitragsforderungen kein Streit besteht. Der Streit betrifft auch nicht lediglich die Vollstreckung einer unbestrittenen Forderung, sondern die vom Beklagten bestrittene Haftung der Konkursmasse des persönlich haftenden Gesellschafters. Von der Beantwortung dieser Rechtsfrage hängt es ab, ob ein Anspruch auf Abführung der Beiträge gegen den Beklagten besteht, und hiervon könnte es wiederum abhängen, ob und in welcher Höhe letztlich die Beitragsforderungen realisiert werden. Dies trifft in der tatsächlich und rechtlichen Auswirkungen den zuständigen Rentenversicherungsträger und die BA unmittelbar in ihrer Rechtssphäre als Inhaber des ihnen zustehenden Teils der Beitragsforderung.
Die Beiladung der Versicherten ist erforderlich, weil in diesem Rechtsstreit über einen Anspruch auf Abführung von Beiträgen entschieden wird, der auch ihnen in gleicher Weise zustehen könnte, so daß auch sie durch die Entscheidung unmittelbar betroffen sind. Anders als in der Krankenversicherung und in der Arbeitslosenversicherung hängen in der Rentenversicherung die Ansprüche des Versicherten regelmäßig davon ab, ob Beiträge tatsächlich entrichtet werden. Daraus ist ein Anspruch des Versicherten gegen seinen Arbeitgeber abzuleiten, nicht nur das erzielte Arbeitsentgelt auf der Versicherungskarte einzutragen, sondern die der Eintragung entsprechenden Beiträge auch abzuführen; dies gilt jedenfalls, soweit und solange die Beiträge nicht nach § 1397 Abs 6 Reichsversicherungsordnung (RVO) (= § 119 Abs 6 Angestelltenversicherungsgesetz -AVG-) als entrichtet gelten oder von anderer Seite entrichtet worden sind (zB aus der Konkursausfallversicherung, von weiteren Mithaftenden oder vom Versicherten selbst). Wegen dieses dem Versicherten zustehenden Beitragsabführungsanspruchs kann im Verhältnis der Einzugsstelle zum Arbeitgeber (oder einem für die Abführung der Beiträge mithaftenden Dritten) nicht ohne Beteiligung des Versicherten entschieden werden, ob, in welcher Höhe und von wem Beiträge abzuführen sind.
Der Anspruch der Einzugsstelle und der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber (oder den Dritten) haben denselben Gegenstand (Abführung der Beiträge). Dementsprechend könnte die Entscheidung über den Anspruch der Einzugsstelle ohne Beteiligung des Versicherten nur begrenzt in Rechtskraft erwachsen, weil der Versicherte unabhängig von diesem Urteil seinen Beitragsabführungsanspruch selbständig geltend machen und so über denselben Gegenstand unter Umständen eine gegenteilige Entscheidung herbeiführen könnte. Aus der Notwendigkeit, eine uneingeschränkte Rechtskraft des Urteils sicherzustellen, also zu bewirken, daß die Entscheidung über einen dieser Ansprüche sich auch auf die übrigen Ansprüche desselben Inhalts erstreckt, folgt die Notwendigkeit, den Arbeitnehmer am Verfahren zwischen der Einzugsstelle und dem Arbeitgeber oder dem möglicherweise mithaftenden Dritten zu beteiligen.
Diese Entscheidung steht nicht im Widerspruch zum Urteil des erkennenden Senats vom 1. März 1978 ( - 12 RAr 49/77 - SozR 4100 § 141n Nr 1). Der Senat hatte damals entschieden, daß im Verfahren über die Zahlung von Beiträgen aus der Konkursausfallversicherung weder die betroffenen Arbeitnehmer noch der Arbeitgeber oder der Konkursverwalter beizuladen sind (die betroffenen Versicherungsträger waren beigeladen worden). Bei der Beitragsentrichtung aus der Konkursausfallversicherung handelt es sich nämlich um ein besonders geregeltes Verfahren, in dem lediglich die Einzugstelle antragsberechtigt ist (§ 141n Abs 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz). Der Einzugstelle ist damit die Aufgabe zugewiesen, zugleich als Prozeßstandschafterin der Versicherten den Beitragsentrichtungsanspruch gegen die BA als Trägerin der Konkursausfallversicherung geltend zu machen (vgl zu ähnlichen Fällen BSG SozR 1500 § 75 Nr 4 und 10 sowie SozR 4100 § 80 Nr 1). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
Für die Entscheidung, ob hier neben den genannten Versicherungsträgern auch die beiden Versicherten gem § 75 Abs 2, 1. Fall SGG notwendig beizuladen sind, sind allerdings noch Feststellungen darüber zu treffen, ob die Beiträge inzwischen anderweitig entrichtet worden sind oder die Voraussetzungen des § 1397 Abs 6 Satz 1 RVO (= § 119 Abs 6 Satz 1 AVG) gegeben sind. Diese Ermittlungen können dem LSG überlassen bleiben, weil ohnehin wegen der unterlassenen Beiladung der genannten Versicherungsträger eine Zurückverweisung des Rechtsstreits erfolgen muß. Die Unterlassung der notwendigen Beiladung ist nämlich ein im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtender und zur Zurückverweisung zwingender Verfahrensmangel (BSG SozR 1500 § 75 Nr 1).
Das auf dem Verfahrensfehler beruhende Urteil des LSG muß demnach aufgehoben werden, ohne daß - mangels Beteiligung aller vom Verfahren Betroffenen - der Senat Ausführungen zur materiell-rechtlichen Seite des Rechtsstreits machen kann.
Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG auch die Frage der Zulässigkeit einer Feststellungsklage gegen den Konkursverwalter prüfen müssen (vgl dazu BSG SozR 2200 § 28 Nr 4 und BSG Urteil vom 30. April 1981 - 8/8a RU 42/80 -).
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen
ZIP 1982, 858 |
Breith. 1982, 823 |