Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung der Landwirte. Beendigung. Pflichtmitgliedschaft. hauptberuflich außerhalb der Land- und Forstwirtschaft selbständig Erwerbstätiger. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Zur Verfassungsmäßigkeit der Beendigung der Pflichtmitgliedschaft in der Krankenversicherung der Landwirte ab 1.1.1995 für hauptberuflich außerhalb der Land- und Forstwirtschaft selbständig Erwerbstätige.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
KVLG 1989 § 2 Abs. 4a, § 63; GG Art. 14 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen den Beschluß des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 13. Dezember 1996 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Beendigung der Pflichtmitgliedschaft des Klägers in der Krankenversicherung der Landwirte (KVdL) aufgrund der vom Kläger für verfassungswidrig gehaltenen gesetzlichen Neuregelungen zum 1. Januar 1995.
Der 1949 geborene, anfangs privat krankenversicherte Kläger ist seit Oktober 1977 hauptberuflich als selbständiger Rechtsanwalt tätig. Daneben pachtete er vom Gesamtgrundbesitz seiner Mutter (ca 108 ha Wald) Waldflächen, die zusammen zunächst über der für den Eintritt von Versicherungspflicht in der Landwirtschaftlichen Alterskasse und Krankenkasse maßgebenden Existenzgrundlage von 45 ha lagen. Nach der erstmaligen Begründung einer Versicherungspflicht zur KVdL ab 1982 verringerte er die gepachteten Flächen und schied so 1984 aus der Versicherungspflicht aus.
Mit Schreiben vom 14. Januar 1994 teilte der Kläger der Landwirtschaftlichen Krankenkasse (LKK), der Rechtsvorgängerin der Beklagten, mit, er habe mit Wirkung vom 31. Dezember 1993 neben den bisher gepachteten Forstflächen von 41,5384 ha weitere Forstflächen von 4,0860 ha hinzugepachtet, so daß er nunmehr insgesamt 45,6244 ha bewirtschafte. Aufgrund dieser Flächengröße mit einem Flächenwert von DM 7.386,59 nahm die LKK ihn mit Bescheid vom 22. März 1994 ab 1. Januar 1994 als versicherungspflichtiges Mitglied zu einem Monatsbeitrag von DM 288,00 auf. Zum 31. Dezember 1993 kündigte er seine private Krankenversicherung (PKV), für die er zuletzt eine Monatsprämie von DM 420,80 (DM 298,12 für sich, DM 122,68 für seinen Sohn) zu zahlen hatte.
Mit Bescheid vom 11. Mai 1995 stellte die beklagte LKK die Beendigung der Krankenversicherungspflicht mit Inkrafttreten des Agrarsozialreformgesetzes 1995 (ASRG 1995) zum 1. Januar 1995 fest, weil der Kläger außerhalb der Land- und Forstwirtschaft hauptberuflich selbständig erwerbstätig sei. Zusammen mit seinem Widerspruch beantragte der Kläger die für diesen Personenkreis gesetzlich vorgesehene freiwillige Weiterversicherung. Mit Wirkung vom 1. Januar 1995 nahm die LKK den Kläger als freiwilliges Mitglied auf und setzte den Monatsbeitrag nach seinen Einnahmen zum Lebensunterhalt in Höhe der zu dieser Zeit geltenden Beitragsbemessungsgrenze von monatlich DM 5.850,00 in Beitragsklasse 20 auf DM 716,00 zuzüglich DM 58,50 für die Pflegeversicherung fest (Bescheid vom 1. Juni 1995). Auch dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Beide Widersprüche wurden durch Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 1995 zurückgewiesen.
Das Sozialgericht (SG) Koblenz hat mit Urteil vom 14. November 1995 die mit der Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Neuregelung des § 2 Abs 4a Zweites Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG 1989) begründete Klage abgewiesen.
Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat gemäß § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluß vom 13. Dezember 1996 die Berufung zurückgewiesen. Die Regelung des § 2 Abs 4a KVLG 1989 sei verfassungsgemäß. Unabhängig davon, ob die Rechtsposition des Klägers unter den Eigentumsschutz des Art 14 Grundgesetz (GG) falle, sei eine Verletzung des Eigentumsrechts durch die Möglichkeit der freiwilligen, den individuellen Einkommensverhältnissen entsprechenden Weiterversicherung nach § 63 Abs 1 KVLG 1989 ausgeschlossen. Art 14 GG verpflichte nicht, eine eingeräumte, finanziell günstige Rechtsposition dauerhaft unangetastet zu lassen. Auch Vertrauensschutzerwägungen im Rahmen der unechten Rückwirkung der Regelung führten nicht dazu, daß das Vertrauen in die bestehende Rechtsposition schutzwürdiger sei als das Interesse der Versichertengemeinschaft an der Leistungsfähigkeit der Krankenversicherung. Es entspreche dem Wesen der Solidargemeinschaft, auch die Risiken der anderen Versicherten entsprechend der eigenen Leistungsfähigkeit mitzutragen. Ebenso zwinge das Sozialstaatsprinzip nicht dazu, Härten in Einzelfällen grundsätzlich zu korrigieren.
Hiergegen wendet sich die Revision des Klägers. Das ASRG 1995 greife in seine gemäß Art 14 GG geschützten Rechte ein, da sich die finanzielle Mehrbelastung nach Wegfall der Versicherungspflicht als massiver, die freiheitssichernde Funktion der Eigentumsgarantie berührender Eingriff in seine sozialrechtliche Position darstelle. Im Hinblick auf den unfreiwilligen Verlust der durch die langjährige Mitgliedschaft in der PKV erworbenen Vergünstigungen seien die Auswirkungen der gesetzlichen Neuregelung auch unter Berücksichtigung der Interessen der Versichertengemeinschaft, die auch durch eine allgemeine Tariferhöhung hätten geschützt werden können, unangemessen. Er habe darauf vertraut, daß sich an den gesetzlichen Voraussetzungen seiner insgesamt nur für ein Jahr bestehenden Pflichtmitgliedschaft nichts wesentliches ändern werde. Dieses Vertrauen sei schützenswert. Wegen der Pflichtmitgliedschaft habe er seinen günstigen Tarif in der PKV aufgeben müssen, auf den er nach Beendigung der Pflichtmitgliedschaft nicht habe zurückgreifen können. Im Vergleich zu den übrigen Versicherten sei er daher unangemessen benachteiligt iS des Art 3 Abs 1 GG.
Auf Nachfrage des Senats hat der Kläger vorgetragen, daß sich seine Beiträge zur PKV, hätte sie über den 31. Dezember 1993 hinaus fortbestanden, wie folgt entwickelt hätten (Angaben jeweils einschließlich der Beiträge für den Sohn):
1. Januar 1994: DM 488,97
1. Januar 1995: DM 503,03
1. Januar 1996: DM 560,92
1. Januar 1997: DM 566,87;
demgegenüber betrügen die freiwilligen Beiträge zur KVdL (Stand 1. Januar 1996) DM 732,– bzw (Stand 1. Januar 1997) DM 620,–.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Koblenz vom 14. November 1995 und des Beschlusses des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 13. Dezember 1996 den Bescheid vom 11. Mai 1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 1995 aufzuheben und festzustellen, daß er über den 31. Dezember 1994 hinaus versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten ist zu den damaligen Bedingungen, hilfsweise – für den Fall des Obsiegens – auch den Bescheid vom 1. Juni 1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 1995 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision gegen den Beschluß des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 13. Dezember 1996 zurückzuweisen.
Sie vertritt die Ansicht, § 2 Abs 4a KVLG 1989 sei verfassungsgemäß. Wegen der Möglichkeit, unter erleichterten Bedingungen freiwilliges Mitglied in der KVdL zu werden, seien die Rechte des Klägers weder unter dem Gesichtspunkt des Eigentumsschutzes noch unter Vertrauensschutzgesichtspunkten verletzt. Im übrigen gebiete gerade der Gleichheitsgrundsatz des Art 3 GG, die freiwilligen Mitglieder der KVdL und der allgemeinen Krankenversicherung in der Weise gleichzubehandeln, daß sich in beiden Krankenversicherungszweigen die Beitragshöhe am Arbeitseinkommen orientiere.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten erweisen sich als rechtmäßig. Der Kläger ist seit dem 1. Januar 1995 kein Pflichtmitglied der Beklagten mehr; dies verstößt nicht gegen das Grundgesetz.
1) Die im Bescheid vom 11. Mai 1995 getroffene Feststellung, der Kläger sei mit Wirkung ab 1. Januar 1995 nicht mehr Pflichtmitglied der Beklagten, ist nicht bereits deswegen rechtswidrig, weil der dies aussprechende Bescheid der Beklagten erst am 11. Mai 1995 ergangen ist. Es handelt sich hierbei um keinen Bescheid nach § 48 Abs 1 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch – (SGB X), mit dem etwa der Bescheid der Beklagten vom 22. März 1994 (Aufnahme als Pflichtmitglied mit Wirkung ab Januar 1994) iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X wegen wesentlicher Änderung der rechtlichen Verhältnisse aufgehoben wurde. Vielmehr stellt der angefochtene Bescheid vom 11. Mai 1995 lediglich die bereits kraft Gesetzes eingetretene Beendigung der Pflichtmitgliedschaft zum 1. Januar 1995 fest. Mit dem ASRG 1995 (vom 29. Juli 1994, BGBl I 1890) wurde – jedenfalls – insoweit abweichend von der Regelung des § 48 Abs 1 SGB X (s § 37 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Erstes Buch – ≪SGB I≫) ein sogenannter „Selbstvollzug des Gesetzes” geregelt. Dies geht aus der durch das ASRG 1995 eingefügten Bestimmung des § 63 Abs 1 KVLG 1989 hervor; es handelt sich dabei um eine Überleitungsvorschrift gerade auch für den Personenkreis, dessen Versicherungspflicht wegen der Neueinführung des § 2 Abs 4a KVLG 1989 beendet wurde (vgl BT-Drucks 12/5700 S 98 zu § 63). § 63 Abs 1 Satz 1 KVLG 1989 geht davon aus, daß jene Versicherungspflicht „aufgrund dieses Gesetzes vom 1. Januar 1995 an entfällt”, ohne daß es insoweit eines ausführenden Verwaltungsakts bedürfte. Anderenfalls wäre auch nicht erklärbar, warum § 63 Abs 1 Satz 2 KVLG 1989 regelt, daß der aufgrund des Entfallens der Pflichtmitgliedschaft mögliche Beitritt zur freiwilligen Versicherung in der KVdL spätestens bis zum 31. März 1995 schriftlich anzuzeigen ist. Diese Regelung setzt voraus, daß die Pflichtmitgliedschaft nicht bis zum Erlaß eines entsprechenden Aufhebungsbescheides – der, wie hier, durchaus auch erst nach dem 31. März 1995 ergehen kann – fortbesteht.
Auf der Grundlage dieser gesetzlichen Ausgangslage kann der Senat offenlassen, ob er sich der im Urteil des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16. November 1995 (BSGE 77, 86) vertretenen Meinung anschließt, daß es auch im Mitgliedschaftsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) grundsätzlich keinen Selbstvollzug des Gesetzes gebe (aA anscheinend der 12. Senat des BSG, vgl dessen Urteil vom 11. Mai 1993, SozR 3-2200 § 176b Nr 1 S 3; s ferner Klose, NZS 1997, 308, 313 ff).
2) Beim Kläger sind die Voraussetzungen des zum 1. Januar 1995 in Kraft getretenen § 2 Abs 4a KVLG 1989 erfüllt. Der Kläger ist, wie er auch nicht in Abrede stellt, hauptberuflich außerhalb der Land- und Forstwirtschaft selbständig (als Rechtsanwalt) erwerbstätig. Der Streit geht lediglich darum, ob die Neuregelung in ihren Auswirkungen auf den Kläger – Ende der Versicherungspflicht in der KVdL mit der (für den Kläger günstigen) Beitragsberechnung lediglich auf Grundlage seines land- bzw forstwirtschaftlichen Einkommens (§§ 39, 40 KVLG 1989) – der verfassungsrechtlichen Prüfung standhält.
3) Als Prüfungsmaßstab kommt – neben Art 3 Abs 1 GG (hierzu unten) – nicht Art 14 Abs 1 GG, sondern lediglich Art 2 Abs 1 GG in Betracht.
Die Rechtsposition, an deren Erhalt dem Kläger gelegen ist, ist nicht die Pflichtmitgliedschaft zur KVdL als solche; sondern er möchte die (nach der gegenwärtigen Gesetzeslage daraus folgende) Aussicht behalten, daß die Beklagte ihm auch weiterhin Krankenversicherungsschutz auf der Grundlage von Beiträgen gewährt, die lediglich nach seinem land- bzw forstwirtschaftlichen Einkommen zu bemessen sind, insbesondere also nicht sein hauptsächlich erzieltes Einkommen als Rechtsanwalt berücksichtigen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) fällt eine sozialversicherungsrechtliche Position nur dann unter den Eigentumsschutz des Art 14 Abs 1 GG, wenn es sich um eine vermögenswerte Rechtsposition handelt, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger als privatnützlich zugeordnet ist, auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten beruht und zudem der Sicherung seiner Existenz dient (zB BVerfG vom 16. Juli 1985, BVerfGE 69, 272, 300). Die Beurteilung einer „Aussicht auf niedrige Beiträge” als Eigentum in diesem Sinne bereitet von vornherein Schwierigkeiten. Insbesondere kann die Zahlung bisher schon niedriger Beiträge kaum als „nicht unerhebliche Eigenleistung” dafür verstanden werden, auch künftig nur diese niedrigen Beiträge zahlen zu müssen. Damit kämen als „Eigenleistung” allenfalls – vermögenswirksame – Dispositionen in Betracht, die der Einzelne im Hinblick auf ihm zunächst günstig erscheinende sozialversicherungsrechtliche Regelungen getroffen hat, hier also die Aufgabe der PKV bei Begründung der Pflichtmitgliedschaft in der KVdL. Ob dies als „Eigenleistung” im oben angegebenen Sinne ausreicht, kann jedoch dahingestellt bleiben.
Jedenfalls kommt nach wie vor den niedrigeren Versicherungsbeiträgen bei einer Pflichtmitgliedschaft in der KVdL nicht die Funktion zu, der Sicherung der Existenz eines hauptberuflich außerhalb der Landwirtschaft Tätigen zu dienen. Dem entspricht auch die Rechtsprechung des BVerfG zur Aussicht auf beitragsfreie Krankenversicherung im Rahmen der Krankenversicherung der Rentner. Das BVerfG hat lediglich die Gewährleistung eines den Einkommensverhältnissen entsprechenden Versicherungsschutzes gegen das möglicherweise existenzgefährdende Risiko von Krankheitskosten als existenzsichernd und damit durch Art 14 Abs 1 GG geschützt angesehen (BVerfG vom 16. Juli 1985, BVerfGE 69, 272, 306 ff). In diesem Umfang ist dem Kläger der Krankenversicherungsschutz durch die Neuregelung jedoch gerade nicht entzogen worden, hat er doch die – von ihm auch wahrgenommene – Möglichkeit, sich nunmehr freiwillig in der KVdL zu versichern (§ 63 Abs 1 KVLG 1989).
4) Ansatz für die verfassungsrechtliche Prüfung ist daher Art 2 Abs 1 GG, in dessen Rahmen auch wegen der – unechten – Rückwirkung des Gesetzes (Eingriff in den Status als Pflichtversicherter) das Rechtsstaatsprinzip zu berücksichtigen ist. Aber auch dieses Grundrecht ist nicht verletzt.
Innerhalb des Art 2 Abs 1 GG ist vor allem das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu prüfen. Die Neuregelung des § 2 Abs 4a KVLG 1989 kann als in jedem Fall geeignet und erforderlich angesehen werden, das gesetzgeberische Ziel zu erreichen. Insoweit waren Gesichtspunkte der Systembereinigung sowie der Spareffekt maßgebend. Zum einen sollte die Beitragsbemessung nach der Ertragskraft des landwirtschaftlichen Betriebes nur noch auf diejenigen erstreckt werden, die ihren beruflichen Schwerpunkt in der Landwirtschaft haben (BT-Drucks 12/5700, Vorblatt III, zu B.). Gleichzeitig sollte hierdurch zur finanziellen Stabilisierung des agrarsozialen Sicherungssystems – Leitgedanke für vielfältige Neuregelungen im Rahmen des ASRG 1995 (vgl BT-Drucks 12/5700 Vorblatt I, zu A., ferner S 62 f, Begründung A. I) – beigetragen werden. Beide Ziele entsprechen als solche den Wertungen des Grundgesetzes. Diesem widerspricht es nicht, gesetzgeberische Wohltaten nur auf die eigentlich angesprochene Zielgruppe zu erstrecken. Um eine derartige Wohltat hat es sich bei der Pflichtversicherung in der KVdL nach dem bis 1994 geltenden Beitragsrecht schon deshalb gehandelt, da dieser Versicherungszweig einen Bundesanteil an der Finanzierung von rd. 43 % – Stand 1992 – aufwies (BT-Drucks 12/5700, S 63). Durch die vom Kläger angegriffene Neuregelung des § 2 Abs 4a KVLG 1989 wurde die Zahl von Pflichtversicherungen mit typischerweise niedrigen Beiträgen (da die Land- bzw Forstwirtschaft nur nebenberuflich ausgeübt wurde), jedoch vollem Leistungsanspruch verringert; die – wie der Kläger – als freiwilliges Mitglied in der KVdL verbliebenen Betroffenen zahlen nunmehr für dieselben Leistungen höhere Beiträge.
Die Neuregelung belastet den Kläger auch nicht unzumutbar; ein Verstoß gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn (Proportionalität) liegt nicht vor. Bei der erforderlichen Abwägung der öffentlichen Interessen gegen diejenigen des Klägers – bei der gleichzeitig auch jene Vertrauensschutzgesichtspunkte zu berücksichtigen sind, die für die Zulässigkeit der sogenannten „unechten” Rückwirkung eine Rolle spielen – fällt zugunsten des Klägers vor allem ins Gewicht, daß er wegen der Begründung seiner Pflichtversicherung in der KVdL seine vorherige PKV aufgegeben hat und nunmehr, bei einem erneuten Eintritt in die PKV, höhere Beiträge zahlen müßte als wäre er ununterbrochen deren Mitglied geblieben (nach dem Vortrag des Klägers – Stand 1. Januar 1995 – DM 718,90 gegenüber DM 503,03 ≪jeweils für den Kläger und seinen Sohn≫); entsprechend übersteigt auch der nunmehr zur KVdL zu zahlende freiwillige Beitrag (in Höhe von DM 716,– pro Monat, ebenfalls Stand 1. Januar 1995) die fiktiven Beiträge bei Weiterführung der PKV.
(Bei diesen Vergleichsberechnungen geht der Senat davon aus, daß der Kläger zur PKV auch Beiträge für seinen Sohn hätte entrichten müssen; dessen beitragsfreie Familienversicherung bei seiner in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Mutter – diese Möglichkeit hat der Kläger in seiner Berufungsbegründung vom 4. April 1996 behauptet – würde voraussetzen, daß deren regelmäßiges Gesamteinkommen höher ist als das des Klägers: § 10 Abs 3 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch – ≪SGB V≫).
Bemerkenswert ist insoweit jedoch, daß sich der Abstand zwischen der Beitragshöhe der freiwilligen Versicherung in der KVdL und der (fiktiv weitergeführten) PKV zwischen 1995 und 1997 – möglicherweise infolge eines Absinkens der beitragspflichtigen Einnahmen unter die Beitragsbemessungsgrenze – deutlich verringert hat: So stehen nach dem Stand vom 1. Januar 1997 den freiwilligen Beiträgen zur Beklagten in Höhe von DM 620,–/Monat fiktive Beiträge zur PKV von DM 566,87/Monat gegenüber; die insoweit zum 1. Januar 1995 bestehende Differenz in Höhe von DM 212,97 ist damit auf DM 53,13 abgesunken. Dies verdeutlicht Vorteile der freiwilligen Versicherung in der KVdL, nimmt doch die Beitragshöhe der PKV auf die Einkommenshöhe des Versicherten keine Rücksicht. Bereits hiernach relativieren sich die Nachteile der gesetzlichen Neuregelung für den Kläger.
Zuungunsten des Klägers fällt ins Gewicht, daß der Einzelne grundsätzlich nicht darauf vertrauen kann, daß sozialversicherungsrechtliche Vorschriften unverändert fortbestehen (vgl BSG vom 20. Juli 1994, BSGE 75, 11, 15 mwN). Der Staat ist nicht verpflichtet, den Einzelnen vor jeder Enttäuschung seiner Erwartungen in die Beständigkeit der bestehenden Rechtssituation zu bewahren (BVerfG vom 30. September 1987, BVerfGE 76, 256, 349).
Gegen ein Übergewicht der Vertrauensschutzposition des Klägers spricht ferner der Umstand, daß er aufgrund persönlicher Entscheidung die beitragsgünstige Pflichtversicherung zur KVdL in einem Zeitpunkt begründet hatte, als bereits deren Ende absehbar war.
Die für den Kläger günstige Beitragsgestaltung als Pflichtmitglied in der KVdL bei hauptberuflicher selbständiger Tätigkeit außerhalb der Landwirtschaft war schon seit langem als reformbedürftig angesehen worden (vgl Krasney/Noell/Zöllner, Das landwirtschaftliche Sozialrecht und Möglichkeiten seiner Fortentwicklung, LSR Studie, 1982, S 133 f). Die parallele Problematik in der allgemeinen GKV wurde durch § 5 Abs 5 SGB V, in Kraft getreten am 1. Januar 1989, in Abänderung des bisher geltenden Rechts, beseitigt: Seither gilt für hauptberuflich Selbständige in der GKV die „absolute Versicherungsfreiheit”. Diese führt nicht nur dazu, daß (bei Fortführung der Versicherung als freiwilliges Mitglied) der Beitragsbemessung neben dem Arbeitsentgelt aus der Beschäftigung auch das Arbeitseinkommen aus der selbständigen Tätigkeit zugrunde zu legen ist, sondern daß auch der Anspruch auf den Beitragszuschuß des Arbeitgebers entfällt. Daß diese Neuregelung mit dem Grundgesetz vereinbar ist, hat das BSG bereits entschieden (Urteil vom 10. März 1994, BSGE 74, 101).
Hinzu kommt, daß sich der Kläger selbst zu einem Zeitpunkt als Pflichtmitglied der KVdL angeschlossen hat, in dem bereits konkrete gesetzgeberische Schritte zur Abschaffung der günstigen Beitragsposition in die Wege geleitet waren: Der Kläger hat mit Wirkung ab dem 31. Dezember 1993 forstwirtschaftliche Flächen in einem Umfang hinzugepachtet, daß er (knapp: um 1,4 %) die insoweit geltende Mindesthöhe überschritt. Damals aber war die Gesetzesinitiative zur Einfügung des Abs 4a in den § 2 KVLG 1989 mit der dazu gehörenden Übergangsvorschrift des § 63 Abs 1 KVLG 1989 längst auf den Weg gebracht. Diese Bestimmungen, die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens keine Änderung erfahren haben, finden sich bereits in dem dem Bundesrat unter dem 13. August 1993 zugeleiteten Gesetzentwurf der Bundesregierung zum ASRG 1995 (BR-Drucks 508/93) sowie dem unter dem 21. September 1993 dem Deutschen Bundestag zugeleiteten – gleichlautenden – Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. (BT-Drucks 12/5700).
Beide Gesichtspunkte tragen entscheidend dazu bei, das schützenswerte Vertrauen des Klägers zurückstehen zu lassen, selbst wenn auf seiner Seite nicht – wie für viele andere durch die Neuregelung des § 2 Abs 4a KVLG 1989 Betroffene – ins Gewicht fällt, bereits über längere Zeiträume hinweg von der günstigen Beitragsgestaltung nach der zuvor geltenden Rechtslage profitiert zu haben.
Nach alledem ist den Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes – in Abwägung der öffentlichen Interessen mit denen des Klägers – bereits dadurch Genüge getan, daß mit der Beendigung der beitragsgünstigen Pflichtmitgliedschaft zur KVdL die Möglichkeit zur freiwilligen Weiterversicherung in diesem Zweig der GKV eröffnet wurde.
5) Schließlich wird durch die hier streitige Neuregelung auch der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG nicht verletzt. Zwischen den hiervon betroffenen bisher Pflichtversicherten (den außerlandwirtschaftlich hauptberuflich selbständig Tätigen) und denjenigen, die weiterhin in der KVdL pflichtversichert bleiben (hauptberufliche Landwirte), bestehen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen; ungleiche Behandlung und rechtfertigender Grund stehen in einem angemessenen Verhältnis zueinander (vgl BVerfG vom 30. Mai 1990, BVerfGE 82, 126, 146 mwN). Denn die angegriffene Neuregelung führt dazu, daß die Beiträge zur KVdL systemgerecht nur dann allein aus dem landwirtschaftlichen Betrieb ermittelt werden, wenn dieser den Schwerpunkt der beruflichen Tätigkeit darstellt. Wird dagegen eine Landwirtschaft – wie im Falle des Klägers – nur nebenher betrieben, so ist es nicht anders als angemessen, die Beiträge nicht allein aus ihrer – im Zweifel geringen – Ertragsfähigkeit zu ermitteln.
Ebensowenig kann eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung darin gesehen werden, daß in der KVdL freiwillig Versicherte – wie der Kläger ab 1. Januar 1995 – höhere Beiträge zu zahlen haben als in der PKV versicherte Vergleichspersonen. Als besondere Härte kann die Beitragsberechnung aus dem Gesamteinkommen des Klägers – begrenzt durch die Beitragsbemessungsgrenze – nicht verstanden werden. Ein Wechsel zur PKV steht freiwillig Versicherten nach wie vor offen. Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung liegt auch nicht darin, daß früher in der PKV Versicherte und zwischenzeitlich in der KVdL Pflichtversicherte bei nunmehriger erneuter Begründung eines Versicherungsverhältnisses in der PKV höhere Beiträge zu zahlen hätten, als wären sie in dieser verblieben. Es handelt sich hierbei um eine aus den oben angeführten Gründen hinzunehmende Belastung.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1172658 |
SozR 3-5420 § 2, Nr.1 |
SozSi 1999, 116 |