Leitsatz (redaktionell)
Die das Ruhen einschränkende Vorschrift des RKG § 75 Abs 4 (= RVO § 1278) ist nicht erneut anzuwenden, wenn eine nach RKG § 75 Abs 1 schon teilweise ruhende knappschaftliche Rente infolge rückwirkender Erhöhung der Verletztenrente in einem größeren Maße als bisher zum Ruhen kommt. In einem Mehrpersonenhaushalt ist ein Familienangehöriger vom
Normenkette
RKG § 75 Abs. 4 Fassung: 1963-04-30, Abs. 1 Fassung: 1963-04-30; RVO § 1278 Abs. 4 Fassung: 1963-04-30, Abs. 1 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Juni 1966 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger erhält von der Beklagten seit Februar 1959 die Knappschaftsrente (Gesamtleistung) wegen Erwerbsunfähigkeit. Außerdem bezieht er von der Bergbau-Berufsgenossenschaft (BBG) eine Verletztenrente wegen Silikose aus der gesetzlichen Unfallversicherung (UV), die bis zum 12. Oktober 1960 als Teilrente in Höhe von 60 v.H. der Vollrente gewährt wurde. Durch Bescheid der BBG vom 26. April 1961 wurde diese Unfallrente mit Wirkung vom 13. Oktober 1960 - zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger über den ihn behandelnden Arzt die Rentenerhöhung wegen Verschlimmerung des Leidens beantragt - auf 70 v.H. der Vollrente erhöht. Außerdem wurde sie für die Zeit vom 1. Januar 1961 an nach dem 2. Gesetz zur vorläufigen Neuregelung von Geldleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung (2. Vorschaltgesetz) vom 29. Dezember 1960 (BGBl I, 1085) auf einen höheren Jahresarbeitsverdienst umgestellt. Die dergestalt erhöhte und angepaßte Unfallrente wurde vom 1. Juli 1961 an als laufende Leistung ausgezahlt; unter Berücksichtigung von Vorschußleistungen ergab sich noch eine Nachzahlung von 52,99 DM.
Nachdem die Beklagte über die Erhöhung und Anpassung der Unfallrente unterrichtet worden war, stellte sie mit Bescheid vom 21. Juni 1960 die Gesamtleistung für die Zeit vom 1. November bis 31. Dezember 1960 neu fest (373,20 DM statt bisher 399,50 DM). Mit einem weiteren Bescheid vom gleichen Tage paßte sie die Rente für die Zeit ab 1. Januar 1961 nach dem 3. Rentenanpassungsgesetz (RAG) vom 19. Dezember 1960 (BGBl I, 1013) an, wobei sie die zwischenzeitlich eingetretenen Veränderungen der Unfallrente berücksichtigte; die monatliche Nettorente betrug hiernach 425,40 DM. In einer den Bescheiden beigefügten Gesamtabrechnung für die Zeit vom 1. November 1960 bis zum 31. August 1961 stellte sie die Summe der für diesen Zeitraum errechneten Leistungsansprüche der Summe der geleisteten Zahlungen gegenüber; dabei ergab sich für den Kläger noch ein Nachzahlungsbetrag von 154,60 DM. Der Kläger erhob Widerspruch und machte geltend, ihm stehe die Knappschaftsrente bis zum 30. Juni 1961 unverkürzt zu, weil ihm die erhöhte Unfallrente erstmalig im Juni 1961 ausgezahlt worden sei; er habe auch bei Empfang der ungekürzten Leistung nicht wissen können, daß man seinem Antrag auf Erhöhung der Unfallrente stattgeben werde. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen.
Das Sozialgericht (SG) hat - dem Antrag des Klägers entsprechend - den Widerspruchsbescheid aufgehoben und die Bescheide vom 21. Juni 1961 abgeändert, soweit mit diesen vom 1. November 1960 bis einschließlich Juni 1961 rückwirkend die Erhöhung der Unfallrente auf die laufenden Rentenbezüge aus der Rentenversicherung angerechnet und gegen diese aufgerechnet worden ist und die Beklagte verurteilt, dem Kläger diesen Betrag zurückzuerstatten.
Auf die - vom SG zugelassene - Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG abgeändert und die Klage abgewiesen. Es hat diese Entscheidung folgendermaßen begründet:
Die Beklagte habe die Rente zu Recht auch für die Zeit bis zum 30. Juni 1961 neu berechnet, weil zwischenzeitlich Teile dieser Rente zum Ruhen gekommen seien. Das gelte zunächst für die Zeit ab 1. November 1960 mit Rücksicht auf die Erhöhung des Vomhundertsatzes der Unfallrente; es gelte aber auch für die Zeit vom 1. Januar 1961 an, weil trotz der Anpassung des Jahresarbeitsverdienstes nach dem 2. Vorschaltgesetz die in § 75 Abs. 1 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) vorgesehenen Höchstbeträge überschritten würden. § 14 des 2. Vorschaltgesetzes stehe der Berücksichtigung der nach diesem Gesetz eintretenden Erhöhung der Unfallrenten nicht entgegen, da er nur für die Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten gelte. Es sei auch unerheblich, daß die erhöhte Unfallrente erstmalig zum 1. Juli 1961 ausgezahlt wurde. Zwar werde nach § 75 Abs. 4 RKG die knappschaftliche Rente unverkürzt bis zum Ablauf des Monats gewährt, in dem die Unfallrente zum ersten Male ausgezahlt wird; das gelte jedoch nicht für die Erhöhung einer bereits laufenden Unfallrente. Die Beklagte sei auch berechtigt, die Überzahlung, die sich aus der nachträglichen Erhöhung der Verletztenrente für die Monate November und Dezember 1960 ergeben habe, mit der Nachzahlung aus der Anpassung nach dem 3. RAG zu verrechnen. Ihr Rückforderungsanspruch sei nach § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG begründet. Die Beklagte habe die Überzahlung nicht verschuldet und der Kläger habe bei Empfang der Leistungen wissen müssen, daß sie ihm nicht in der gewährten Höhe zustanden, da er ja bei der BBG einen Verschlimmerungsantrag gestellt hatte. Es sei widersprüchlich und daher mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht zu vereinbaren, wenn ein Versicherter einerseits den Anspruch auf eine höhere Unfallrente geltend gemacht habe und sich andererseits darauf berufe, er habe nicht wissen können, ob dem Erhöhungsantrag stattgegeben werde. Schließlich werde auch die wirtschaftliche Stellung des Klägers durch die Rückforderung nicht beeinträchtigt, da ihm außer den unberührt gebliebenen laufenden Rentenzahlungen trotz der Verrechnung noch eine Nachzahlung von 154,60 DM verbleibe, zu der noch die Nachzahlung aus der UV trete. Das Recht der Beklagten, den Rückforderungsanspruch mit der Nachzahlung zu verrechnen, ergebe sich aus § 90 RKG. Wenn schließlich die Beklagte bei der Anpassung nach dem 3. RAG und der Berechnung der sich daraus ergebenden Nachzahlung die zwischenzeitlich eingetretene Erhöhung der Unfallrente berücksichtigt habe, so handele es sich dabei nicht um eine Rückforderung zuviel gezahlter Rentenbeträge, sondern um die erforderlich gewordene Neufeststellung einer Rente. Das LSG hat die Revision zugelassen. Mit der Revision rügt der Kläger die Nichtanwendung des § 75 Abs. 4 RKG. Da er - Kläger - erst im Juni 1961 die rückwirkend vom 13. Oktober 1960 an erhöhte Unfallrente erhalten habe, könne das erhöhte Ruhen nicht schon vorher eingetreten sein; er habe auch erst mit Zugang des Bescheides der BBG vom 26. April 1961 Kenntnis von der Erhöhung der Unfallrente erhalten.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 22. Februar 1963 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Bei der Prüfung, ob die mit der Klage angefochtenen Bescheide rechtswidrig sind, ist zu trennen zwischen den rückwirkenden Neufeststellungen der Rentenhöhe und der Durchführung der Abrechnung.
Das teilweise Ruhen einer knappschaftlichen Rente beim Zusammentreffen mit einer Verletztenrente aus der gesetzlichen UV tritt nach § 75 Abs. 1 RKG kraft Gesetzes ein; der hierüber zu erteilende Bescheid hat nur deklaratorische Bedeutung. Bei rückwirkender Gewährung einer Rente kann sie auch rückwirkend mit einer anderen Rente im Sinne der angeführten Vorschrift zusammentreffen; grundsätzlich tritt dann auch das Ruhen rückwirkend ein. Allerdings ist nach § 75 Abs. 4 RKG die knappschaftliche Rente unverkürzt bis zum Ende des Monats zu gewähren, in dem die Verletztenrente aus der UV zum ersten Male ausgezahlt wird. Jedoch bezieht sich diese das Ruhen einschränkende Vorschrift - wie der Senat im Anschluß an die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts bereits entschieden hat (SozR Nr. 5 zu § 75 RKG) - nicht auf den Fall der Erhöhung einer Verletztenrente, weil bei einer Erhöhung die Unfallrente eben nicht "zum ersten Mal ausgezahlt" wird und weil der Vertrauensschutzgedanke, der dieser Ausnahmeregelung zugrunde liegt, eine Ausdehnung auf den Fall der Erhöhung nicht geboten erscheinen läßt. Hätte der Gesetzgeber diese Sonderregelung auch auf den Fall der Rentenerhöhung erstrecken wollen, so hätte er - angesichts der alten Rechtsprechung - bei ihrer Übernahme in das seit 1957 geltende Rentenrecht den Wortlaut der Vorschrift entsprechend ergänzt. Die Beklagte durfte daher wegen der im Oktober 1960 wirksam gewordenen Erhöhung der Unfallrente die knappschaftliche Rente gem. §§ 75 Abs. 1, 79 Abs. 1 RKG rückwirkend für die Zeit vom 1. November 1960 an neu feststellen. Gleiches gilt für die rückwirkende Neuberechnung zum 1. Januar 1961 unter Berücksichtigung der Rentenanpassung nach dem 3. RAG einerseits und der weiteren Erhöhung der Unfallrente nach dem 2. Vorschaltgesetz andererseits. Wie der Senat bereits entschieden hat (SozR Nr. 4 zu § 75 RKG, S. Aa 6), steht § 14 des 2. Vorschaltgesetzes der Anwendung der §§ 75, 76 RKG nicht entgegen, da er nur die Anwendung der entsprechenden Ruhensvorschriften für die Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten (§§ 1278, 1279 RVO, §§ 55, 56 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -) ausschließt. Es handelt sich dabei nicht um ein Redaktionsversehen, vielmehr stellt die Nichtberücksichtigung der Rentenerhöhung in der UV bei den Renten aus der Rentenversicherung eine die Rentner begünstigende Ausnahmeregelung dar, die der Gesetzgeber bewußt nicht auf die knappschaftlichen Renten erstrecken wollte. Da diese Renten anders berechnet werden und regelmäßig wesentlich höher sind als die Renten der anderen Rentenversicherungszweige in sonst gleichliegenden Fällen, ist diese unterschiedliche Behandlung auch sachlich vertretbar und keineswegs willkürlich; sie verstößt daher nicht gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz.
Die knappschaftliche Rente des Klägers ist daher zu Recht jeweils zum 1. November 1960 und zum 1. Januar 1961 neu berechnet worden. Aber auch die Abrechnung über den Zeitraum von November 1960 bis Juni 1961 ist - jedenfalls im Ergebnis - nicht zu beanstanden. Bei der von der Beklagten angewandten Art der Abrechnung gleichen sich nachträglich festgestellte Überzahlungen mit nachträglich festgestellten Unterzahlungen teilweise aus. Hiergegen könnten deshalb Bedenken bestehen, weil der Versicherungsträger zwar das, was er zuwenig geleistet hat, grundsätzlich nachzahlen muß, aber das, was er zuviel geleistet hat, nur unter besonderen gesetzlichen Voraussetzungen zurückfordern darf. Ob diese Bedenken begründet sind, ob sich insbesondere die Einschränkung der Rückforderungsmöglichkeit auch auf einzelne Rechnungsposten der Gesamtabrechnung über eine und dieselbe Rente für einen zusammenhängenden Zeitraum erstreckt, kann jedoch im vorliegenden Fall dahinstehen. Bei der nachträglichen Berechnung der Rente für die Zeit vom 1. Januar 1961 an handelt es sich, wie das LSG zutreffend erkannt hat, um eine einheitliche Feststellung des monatlichen Rentenbetrages, nicht um eine Verrechnung verschiedener Beträge. Da die hiernach zu zahlende Rente für alle Kalendermonate höher lag als der tatsächlich gezahlte Betrag, kommt für diese Zeit eine Rückforderung also nicht in Betracht.
Dagegen ergab die nachträgliche Neuberechnung der Rente für die Monate November und Dezember 1960 mit Rücksicht auf das erhöhte Ruhen eine Rente, die geringer war als der tatsächlich gezahlte Betrag. Bei getrennter Abrechnung hätte sich daher für diesen Zeitraum eine Überzahlung ergeben; um die Höhe dieser Überzahlung hat sich bei der Gesamtabrechnung der Nachzahlungsbetrag für die Zeit von Januar bis Juni 1961 praktisch verringert. Das ist aber im Ergebnis deshalb nicht zu beanstanden, weil die Beklagte diesen überzahlten Betrag zurückfordern und mit der Nachzahlung verrechnen durfte.
Nach der Rechtsprechung des Senats richtet sich die Rückforderung überzahlter Beträge auch dann nach § 93 Abs. 2 RKG idF des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 9. Juni 1965 (BGBl I 476), wenn der Rückforderungsbescheid bereits vor Erlaß dieses Gesetzes ergangen ist (SozR Nr. 2 zu § 93 RKG). Das LSG hat zutreffend festgestellt, daß die Voraussetzungen für eine Rückforderung nach dieser Vorschrift hier vorliegen. Weder trifft die Beklagte ein Verschulden an der Überzahlung noch wird die wirtschaftliche Stellung des Klägers durch die ohnehin nur geringe Verminderung der ihm noch zustehenden Nachzahlung beeinträchtigt. Auch die weitere Voraussetzung für die Rückforderung, daß nämlich der Versicherte wußte oder wissen mußte, daß ihm die Leistungen nicht in der gewährten Höhe zustanden, ist erfüllt. Der Kläger "mußte wissen", daß eine Erhöhung der Rente aus der UV kraft Gesetzes ein erhöhtes Ruhen seiner knappschaftlichen Rente bewirkte. Ein sicheres "Wissen" von der Erhöhung der Unfallrente konnte er allerdings erst durch den Bescheid der BBG erlangen und "Wissenmüssen" setz ein "Wissenkönnen" voraus. Da indessen die Erhöhung einer Unfallrente nicht in das freie Ermessen des Trägers der UV gestellt ist, sondern beim Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen (hier der Verschlimmerung einer Berufskrankheit) gewährt werden muß, muß auch die Kenntnis vom Vorliegen der Erhöhungsvoraussetzungen genügen, um das "Wissenmüssen" von den rechtlichen Folgen zu begründen. Diese Kenntnis zum Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen muß sich aber derjenige zurechnen lassen, der auf Grund entsprechender Behauptungen, die sich dann auch als richtig erweisen, einen Erhöhungsantrag stellt. Das besondere Erfordernis des Wissens oder Wissenmüssens von der Überzahlung in § 93 Abs. 2 RKG ist nur im Schutz des Vertrauens auf die Richtigkeit der Rentenhöhe begründet. Ein solches schutzwürdiges Vertrauen kann aber dann nicht mehr vorliegen, wenn der Versicherte selbst den begründeten Antrag auf Erhöhung der Parallelrente gestellt hat. Da somit die Rückforderung der in den Monaten November und Dezember 1960 geleisteten Überzahlung statthaft war, durfte die Beklagte sie mit der Nachzahlung für die folgenden Monate verrechnen (§ 90 RKG).
Die Revision gegen das klagabweisende Urteil des LSG war daher zurückzuweisen.
Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 iVm §§ 153, 165 SGG).
Fundstellen