Leitsatz (redaktionell)
Auch in Zukunft überwiegt das private Interesse an dem Fortbestand gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Beseitigung eines Verwaltungsakts, wenn der Betroffene im Zeitpunkt der Rücknahme bei einem Alter von 61 Jahren die Rente circa 25 Jahre lang bezogen hat und die zum Anlaß der Rücknahme genommenen Umstände in den Verantwortungsbereich der Verwaltung fallen. In einem solchem Fall ist also nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts die Bescheidrücknahme selbst für die Zukunft rechtswidrig.
Normenkette
KOVVfG § 41 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27; SGG § 77 Fassung: 1953-09-03; BGB § 242
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 9. Dezember 1959 wird zurückgewiesen.
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 9. Dezember 1959 dahin abgeändert, daß die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 26. Juni 1957 in vollem Umfang zurückgewiesen wird; der Bescheid der Beklagten vom 5. Oktober 1959 wird aufgehoben.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Dem 1893 geborenen Kläger wurde mit Bescheid des früheren Versorgungsamts Altona vom 20. August 1929 als Teilnehmer des Ersten Weltkriegs Rente eines Erwerbsunfähigen nach dem Versorgungsleiden "Multiple Sklerose, hervorgerufen durch Feldzugseinflüsse" und eine Pflegezulage von 50,- RM bewilligt. Durch Benachrichtigung vom 27. September 1947 gewährte die Beklagte nach versorgungsärztlicher Stellungnahme des Nervenfacharztes Dr. Sch wegen derselben Schädigungsfolge und einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v. H. Beschädigtenrente und Pflegegeld der Stufe I nach der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27. Im April 1950 ermittelte die Beklagte ein Gutachten des Nervenfacharztes Dr. Sch vom 29. Dezember 1936, in dem ausgeführt war, die seinerzeitige Anerkennung der multiplen Sklerose im Sinne der Entstehung sei unrichtig gewesen; es könne nur eine nicht richtunggebende Verschlimmerung mit einer MdE um 40 v. H. angenommen werden, da das Leiden erst 1928 akut schlechter geworden sei und zur Erwerbsunfähigkeit geführt habe. In einer Äußerung vom 11. Mai 1950 hielt Dr. Sch an seiner 1936 vertretenen Auffassung fest. Den dieser Stellungnahme entsprechenden Berichtigungsbescheid vom 5. Juni 1950 hob der Beschwerdeausschuß durch Beschluß vom 19. Oktober 1950 mit der Begründung auf, wenn schon 1936 das Gutachten des Dr. Sch nicht zur Berichtigung ausgereicht habe, dann könne das jetzt erst recht nicht angenommen werden. Die Beklagte übernahm danach im Umanerkennungsbescheid vom 9. Juli 1951 Schädigungsfolge und MdE und bewilligte nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) Rente nach einer MdE um 100 v. H. sowie Pflegezulage von 50,- DM. Der Bescheid enthielt den Vermerk, daß eine amtsärztliche Nachuntersuchung nicht mehr beabsichtigt sei. 1953 ging bei der Beklagten ein mit "R" unterzeichnetes Schreiben mit dem Hinweis ein, der Kläger bediene sich eines Stocks nur, wenn er zur Behörde bestellt sei, während er sich sonst wie ein gesunder Mensch bewege und sogar schwere Bau-, Erd- und Transportarbeiten verrichte. Der Kläger wurde daraufhin im März 1954 von Dr. Sch versorgungsärztlich nachuntersucht mit dem Ergebnis, es lasse sich nicht mehr sicher sagen, ob eine organische Nervenerkrankung vorliege; bestimmte Symptome würden jedoch zur Vorsicht bei der Ablehnung eines organischen Nervenleidens mahnen. Im Vordergrund stünden jetzt Voralterungserscheinungen, allgemeine Arteriosklerose, Aortensklerose und Bluthochdruck. Der Gutachter hielt nach wie vor nur die Anerkennung einer Verschlimmerung mit einer MdE um 40 v. H. ohne Pflegezulage für gerechtfertigt. Durch Bescheid vom 1. Juli 1954 berichtigte die Beklagte nach Nr. 26 der Sozialversicherungsanordnung Nr. 11 (SVA 11) ihren Umanerkennungsbescheid ab 1. September 1954 dahin, daß nur noch "organisches Nervenleiden, verschlimmert anläßlich militärischen Dienstes" als Schädigungsfolge anerkannt, die MdE auf 40 v. H. festgesetzt und Pflegezulage abgelehnt wurde. Der Widerspruch des Klägers wurde durch Bescheid vom 25. Februar 1955 zurückgewiesen. Das Sozialgericht (SG) hörte den Sachverständigen Dr. V und die Zeugen R, K und L Mit Urteil vom 26. Juni 1957 hob es die angefochtenen Bescheide auf und wies die von der Beklagten im August 1955 erhobene Widerklage, festzustellen, daß ein Versorgungsanspruch wegen multipler Sklerose nicht mehr bestehe, als unzulässig ab. Mit der Berufung machte die Beklagte geltend, die angefochtenen Bescheide seien jedenfalls nach § 62 BVG gerechtfertigt, da der Kläger, der 1946 als arbeitsunfähig beurteilt worden sei, 1954 als Nachtwächter wieder gearbeitet und kräftig beschwielte Hände gehabt habe. Durch einen auf § 41 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) gestützten Berichtigungsbescheid vom 5. Oktober 1959 hob die Beklagte während des Berufungsverfahrens die Bescheide vom 27. September 1947 und 9. Juli 1951 wegen unzweifelhafter Unrichtigkeit der Anerkennung der multiplen Sklerose im Zeitpunkt des Bescheiderlasses auf. Der Bescheid enthielt noch den Vermerk: Bezüglich der Zahlungseinstellung der bisherigen Versorgungsbezüge werden Sie weitere Nachricht erhalten. Die Beklagte machte außerdem geltend, die Erhebung der Widerklage sei zulässig gewesen. Das Landessozialgericht (LSG) hörte über die vom Kläger privat und beruflich ausgeübten Tätigkeiten die Zeugen S Sch und K, holte zur Frage, ob und inwieweit bei Unterstellung einer durch den Wehrdienst hervorgerufenen multiplen Sklerose die Annahme einer MdE des Klägers um 100 v. H. sowie der Hilflosigkeit unzweifelhaft unrichtig gewesen sei, ein neurologisches Gutachten von Prof. D und Dr. U ein und hörte Dr. H und Dr. L. Mit Urteil vom 9. Dezember 1959 hob das LSG das Urteil des SG auf, soweit es die Widerklage betraf, stellte auf die Widerklage fest, daß ab 1. Oktober 1955 ein Rentenanspruch des Klägers nur noch nach einer MdE um 60 v. H. und ein Anspruch auf Pflegezulage nicht mehr bestehe, hob den Bescheid vom 5. Oktober 1959 auf, soweit er über diese Feststellung hinausging, wies im übrigen Klage und Widerklage ab sowie die Berufung zurück und ließ die Revision zu. Die in dem Berichtigungsbescheid vom 1. Juli 1954 angegebene Rechtsgrundlage - Nr. 26 der SVA 11 - sei am 31. Dezember 1952 außer Kraft getreten; § 41 VerwVG habe zur Zeit des Bescheiderlasses noch nicht gegolten. Deshalb sei seine Rechtmäßigkeit nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts zu beurteilen. Da die Fehlerhaftigkeit des Umanerkennungsbescheides hinsichtlich der Höhe der MdE und der Hilfsbedürftigkeit auf eine Fehlbeurteilung durch den ärztlichen Dienst der Beklagten zurückzuführen sei und somit in deren Verantwortungsbereich falle, während sich kein sicherer Anhalt dafür gewinnen lasse, daß der Kläger durch sein Verhalten zur Fehlerhaftigkeit dieses Bescheides beigetragen habe, sei sein Vertrauen auf die Richtigkeit des Bescheides schutzwürdig und gehe dem Berichtigungsinteresse der Beklagten vor. Der Berichtigungsbescheid vom 1. Juli 1954 sei demnach auch nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts rechtswidrig. Auch auf § 86 Abs. 3 BVG könnte er nicht gestützt werden, da im Umanerkennungsbescheid auf amtsärztliche Nachuntersuchung verzichtet worden und dieser Bescheid deshalb so anzusehen sei, als ob eine Nachuntersuchung nach § 86 Abs. 3 BVG durchgeführt worden sei. Schließlich scheide auch § 62 BVG als Rechtsgrundlage aus, da auf Nachuntersuchung im Umanerkennungsbescheid verzichtet worden sei und entgegen dieser Erklärung eine Nachuntersuchung nur durchgeführt und verwertet werden dürfe, wenn sich aus anderen sicheren Beweismitteln eine Änderung der dem Verzicht auf Nachuntersuchung zugrunde liegenden Verhältnisse ergebe. Dazu habe das mit R unterzeichnete Schreiben nicht genügt, zumal die Beklagte den darin aufgestellten Behauptungen vor Durchführung der Nachuntersuchung nicht nachgegangen sei. Ihr Ergebnis dürfe deshalb nicht zum Gegenstand eines Bescheides nach § 62 BVG gemacht werden. Der Bescheid vom 1. Juli 1954 sei somit als rechtswidrig aufzuheben. Dagegen müßten die Widerklage und der Berichtigungsbescheid vom 5. Oktober 1959 teilweise zu dem von der Beklagten beabsichtigten Erfolg führen. Das Bundessozialgericht (BSG) halte zwar eine Widerklage für unzulässig, soweit und solange die Verwaltungsbehörde einen Sachverhalt durch Verwaltungsakt regeln könne; dennoch sei die Widerklage sachdienlich und somit zulässig, wenn die Wirksamkeit eines nach Außerkrafttreten von Nr. 26 der SVA 11 und vor Inkrafttreten des § 41 VerwVG erlassenen Berichtigungsbescheides streitig sei. Begründet sei sie, soweit im Zeitpunkt ihrer Erhebung die Voraussetzungen des § 41 VerwVG zuträfen. Die ursprünglich beim Kläger erhobenen geringen Krankheitssymptome hätten zwar bei den späteren Untersuchungen entweder überhaupt nicht oder zumindest nicht mehr als Symptome einer multiplen Sklerose festgestellt werden können. Gleichwohl stehe aber die Unrichtigkeit des Anerkenntnisses "multiple Sklerose, hervorgerufen durch schädigende Einwirkung im Sinne des § 1 BVG" nicht außer Zweifel, wie Dr. H und Dr. L angesichts der ungeklärten Ätiologie, der wechselnden Symptomatik und der Möglichkeit remittierender Verlaufsformen dieser Krankheit dargetan hätten. Dagegen sei die Einschätzung der MdE mit 100 v. H. und die Gewährung einer Pflegezulage mindestens seit der Untersuchung durch Dr. Sch im März 1954 ohne Zweifel unrichtig gewesen, wie sich aus dem Gutachten des Prof. D und den Aussagen der Zeugen S, Sch und K in Verbindung mit den Darlegungen des Dr. L ergebe. Der Kläger sei seit dem 1. Oktober 1955 (ein Monat nach Zustellung des Widerklage-Schriftsatzes) unzweifelhaft in seiner Erwerbsfähigkeit nur noch um höchstens 60 v. H. gemindert und nicht hilflos im Sinne des § 35 BVG gewesen. Die Rentenminderung auf den dieser MdE entsprechenden Betrag und der Entzug der Pflegezulage seien daher ab 1. Oktober 1955 gerechtfertigt. Im übrigen sei die Widerklage unbegründet, da eine Berichtigung nach § 41 VerwVG keine rückwirkende Kraft habe.
Mit der Revision rügt die Beklagte Verletzung der §§ 62 BVG sowie 41 und 47 VerwVG. Entgegen der Auffassung des LSG beschränke sich die rechtliche Bedeutung des Vermerks "amtsärztliche Nachuntersuchung ist nicht mehr beabsichtigt" auf das Umanerkennungsverfahren, weil dieser Vermerk allein auf Nr. 3 Abs. 2 der Verwaltungsvorschriften (VerwV) zu § 86 BVG zurückgehe. Aber auch wenn man den Vermerk mit BSG 6, 175 als gestaltenden Verwaltungsakt begünstigenden Inhalts ansehe, stehe er unter stillschweigendem Aufhebungsvorbehalt, falls sich der Tatbestand des § 62 BVG oder der §§ 41, 42 VerwVG ergeben sollte. Die dem § 62 BVG vom LSG gegebene Auslegung greife unzulässigerweise in das Verwaltungsermessen ein, denn es stehe der Verwaltung frei, welche Kenntnisse oder Ermittlungen sie zum Anlaß einer Nachuntersuchung nehme; entscheidend sei nur der Nachweis einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse, der im vorliegenden Fall geführt sei und den angefochtenen Bescheid rechtfertige. Gegen die §§ 41 und 47 VerwVG verstoße das LSG, wenn es Berichtigungsbescheiden rückwirkende Kraft abspreche. Das BSG habe jedenfalls die Rückwirkung bejaht. Die Widerklage habe, wenn sie einen Berichtigungsbescheid ersetze, ebenfalls rückwirkende Kraft. Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es einen Rentenanspruch des Klägers nach einer MdE um mehr als 40 v. H. seit dem 1. September 1954 zuerkennt und den Berichtigungsbescheid vom 5. Oktober 1959 aufhebt.
Die Revision des Klägers wendet sich gegen die Annahme des LSG, im vorliegenden Fall sei die Widerklage zulässig gewesen und verweist hierzu u. a. auf die Rechtsprechung des BSG in BSG 6, 97, 98. Entgegen der Revision der Beklagten lasse § 62 BVG die Umwandlung einer Anerkennung im Sinne der Entstehung in eine solche im Sinne der Verschlimmerung nicht zu. Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des Berufungsurteils die Widerklage als unzulässig zu verwerfen; hilfsweise, sie als unbegründet zurückzuweisen und den Bescheid vom 5. Oktober 1959 in vollem Umfang aufzuheben, ferner die Revision der Beklagten zurückzuweisen. Hilfsweise beantragt der Kläger, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die durch Zulassung statthaften Revisionen sind form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie sind daher zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG). Die Revision des Klägers ist begründet, die der Beklagten unbegründet.
Streitig ist die Rechtmäßigkeit des Berichtigungsbescheides vom 1. Juli 1954 in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 1955 gefunden hat, und die Rechtmäßigkeit des Berichtigungsbescheides vom 5. Oktober 1959, der im Berufungsverfahren erlassen und gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Zutreffend hat das LSG angenommen, daß Nr. 26 der SVA 11 sowie § 41 VerwVG als Rechtsgrundlage der Bescheide vom 1. Juli 1954 und 25. Februar 1955 ausscheiden (vgl. BSG 8, 11; 10, 72; 15, 81 sowie die Urteile des erkennenden Senats vom 24.8.1960 - 9 RV 322/58 - 31.7.1962 - 9 RV 810/59 - und 27.2.1963 - 9 RV 558/59 -). Das LSG hat sodann geprüft, ob sich diese Bescheide nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts als rechtmäßig erweisen und ist zum Ergebnis gelangt, das Interesse des Klägers am Fortbestand des von der Beklagten aufgehobenen Umanerkennungsbescheides überwiege gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer Aufhebung, weil die Fehlerhaftigkeit des Umanerkennungsbescheides hinsichtlich der Höhe der MdE und der Hilfsbedürftigkeit in den Verantwortungsbereich der Beklagten falle, die sich den Fehlschluß ihrer Gutachter zurechnen lassen müsse. Das LSG hat in ausreichender Weise Tatsachen festgestellt, die es rechtfertigen, im vorliegenden Fall auch für die Zukunft das öffentliche Interesse an der Beseitigung des Umanerkennungsbescheides dem privaten Interesse des Klägers an dessen Fortbestand nachzuordnen. Hierzu sei insbesondere auf die Feststellung verwiesen, daß der 1893 geborene Kläger bereits seit 1929 Versorgungsrente wegen multipler Sklerose, hervorgerufen durch Feldzugseinflüsse im Ersten Weltkrieg, nach einer MdE um 100 v. H. und einfache Pflegezulage bezieht und daß ihm oder seiner Ehefrau unwahre Angaben im Verwaltungsverfahren nicht nachzuweisen sind. Hat aber der im Zeitpunkt der Rentenherabsetzung 61jährige Kläger die Rente ca. 25 Jahre lang bezogen und fallen die zum Anlaß der Herabsetzung genommenen Umstände nicht in seinen, sondern in den Verantwortungsbereich der Verwaltung, wie das LSG unbeanstandet festgestellt hat, so erscheint die Rentenherabsetzung dem Kläger gegenüber als unbillige Härte. In derart vorgerücktem Alter muß - jedenfalls nach einer Rentenbezugsdauer von fast 25 Jahren - der Kläger, der sich auf die 1929, 1947 und 1951 in gleichem Umfang ausgesprochene Rentenbewilligung "eingerichtet" hatte, unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit in seinem Vertrauen auf die Bestandskraft der Rentenbewilligung geschützt werden (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 27.2.1963 - 9 RV 558/59; Haueisen, DVBl 57, 506, 508). Das LSG hat demnach zutreffend entschieden, daß auch die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts den Bescheid vom 1. Juli 1954 nicht rechtfertigen. Mit Recht hat es schließlich angenommen, auch § 86 Abs. 3 BVG könne nicht zur Begründung dieses Bescheides herangezogen werden, denn wie das BSG bereits entschieden hat, ist ein Bescheid, der sich - entgegen dem Vermerk im Umanerkennungsbescheid, Nachuntersuchung sei nicht mehr beabsichtigt - auf eine gleichwohl erfolgte Nachuntersuchung als Grundlage der Rentenherabsetzung nach § 86 Abs. 3 BVG stützt, rechtswidrig (BSG 6, 175).
Die Revision der Beklagten beanstandet zwar mit Recht die Auffassung des LSG, angesichts des Verzichts auf Nachuntersuchung im Umanerkennungsbescheid dürfe eine Nachuntersuchung nur durchgeführt und verwertet werden, wenn sich aus anderen sicheren Beweismitteln eine Änderung der Verhältnisse ergebe, die Anlaß zu diesem Verzicht waren. Wie in BSG 6, 177, 178 bereits angedeutet und in BSG 11, 237 entschieden ist, wird durch die Erklärung in einem ohne ärztliche Untersuchung ergangenen Umanerkennungsbescheid, Nachuntersuchung sei nicht mehr beabsichtigt, eine Neufeststellung wegen Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 BVG nicht ausgeschlossen. Indessen beruht das Urteil des LSG nicht auf dieser Gesetzesverletzung (§ 162 Abs. 2 SGG), denn es stellt sich, soweit es die Bescheide vom 1. Juli 1954 und 25. Februar 1955 als rechtswidrig ansieht, im Ergebnis als richtig dar (§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGG). Abgesehen von den grundsätzlichen Bedenken, die gegen die Umdeutung eines Berichtigungsbescheides in einen Neufeststellungsbescheid bestehen, weil eine Umdeutung nach ständiger Rechtsprechung des BSG nur zulässig ist, soweit dadurch der Bescheid nicht in seinem Wesensgehalt und Ausspruch geändert und die prozessuale Rechtsstellung (Rechtsverteidigung) des Betroffenen nicht beeinträchtigt wird (BSG 3, 209, 216; 7, 8, 12; 11, 236; Urteil des erkennenden Senats vom 23.5.1962 - 9 RV 1370/60), scheitert im vorliegenden Fall die Umdeutung des auf die Nr. 26 der SVA 11 gestützten Bescheides vom 1. Juli 1954 und des ihn bestätigenden Widerspruchsbescheides in einen Neufeststellungsbescheid nach § 62 BVG jedenfalls daran, daß die in diesen Bescheiden enthaltene Regelung auf Grund des § 62 BVG rechtswirksam nicht getroffen werden könnte. Der Bescheid vom 1. Juli 1954 hat die zuvor bestehende Regelung im Umanerkennungsbescheid vom 9. Juli 1951 ohne Erfolg dahin zu berichtigen versucht, daß die bislang als durch militärischen Dienst entstandene anerkannte multiple Sklerose durch den Kriegsdienst weder hervorgerufen noch verschlimmert worden und die Anerkennung daher fälschlich erfolgt sei. Stattdessen werde als Schädigungsfolge "Organisches Nervenleiden, verschlimmert anläßlich militärischen Dienstes" anerkannt, die MdE von 100 v. H. auf 40 v. H. gemindert und die Pflegezulage gestrichen. Im Gegensatz zu diesem Berichtigungsversuch, der davon ausging und ausgehen mußte, daß die Anerkennung der multiplen Sklerose im Sinne der Entstehung von Anfang an unrichtig war, weil in Wahrheit nur ein durch den Wehrdienst verschlimmertes organisches Nervenleiden vorlag, könnte ein auf § 62 BVG gestützter Neufeststellungsbescheid, der die MdE ändert, nur rechtswirksam sein, wenn sich die zunächst im Sinne der Entstehung anerkannte multiple Sklerose im Wege der Besserung in ein durch Wehrdiensteinflüsse verschlimmertes organisches Nervenleiden verwandelt hätte. Ob eine derartige Umwandlung eines Leidens medizinisch überhaupt möglich ist, brauchte der Senat nicht zu prüfen, denn hier handelt es sich nicht um eine solche Umwandlung, sondern nach den von der Revision nicht beanstandeten und deshalb nach § 163 SGG für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG um eine frühere ärztliche Fehlbeurteilung. Liegt aber nur eine Fehlbeurteilung der Verhältnisse, die für die frühere Feststellung maßgebend waren, vor und ist eine spätere wesentliche Änderung nicht zu erkennen, so kann die Höhe der MdE nicht auf Grund des § 62 BVG richtiggestellt werden. Weder im Bescheid vom 1. Juli 1954 noch im Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 1955 ist davon die Rede, daß eine wesentliche Änderung in den für die frühere Feststellung maßgebend gewesenen Verhältnissen eingetreten sei. Das LSG hat ebenfalls nicht festgestellt, daß nach der letzten bindenden Verwaltungsentscheidung eine solche wesentliche Änderung eingetreten sei, auch ist nicht ersichtlich, daß ein solcher Nachweis noch geführt werden könnte. Wenn die Beklagte geltend macht, der Kläger sei 1946 als arbeitsunfähig beurteilt worden, 1954 habe er jedoch als Nachtwächter gearbeitet und kräftig beschwielte Hände gehabt, so ist damit nicht dargetan, daß nach Erlaß des bindend gewordenen Bescheides des Beschwerdeausschusses vom 19. Oktober 1950 eine wesentliche Änderung eingetreten ist, wie § 62 BVG voraussetzt. Dr. Sch hat nämlich bereits 1936 die MdE auf 40 v. H. geschätzt und ist somit schon damals zur gleichen MdE-Beurteilung gelangt wie der Bescheid vom 1. Juli 1954. Mit dem Bescheid des Beschwerdeausschusses vom 19. Oktober 1950 ist unter Aufhebung des Bescheides vom 5. Juni 1950 dem Kläger ab 1. August 1950 eine Rente von 100 v. H. sowie Pflegegeld von 20,- DM monatlich weiterbewilligt worden. Auf diesen Verwaltungsakt würde es bei einem Vergleich der Verhältnisse nach § 62 Abs. 1 BVG ankommen (vgl. BSG 11, 237), nachdem vor Erlaß des Umanerkennungsbescheides vom 9. Juli 1951 keine ärztlichen Feststellungen mehr getroffen worden sind. Auch das LSG konnte insoweit nur feststellen, daß der Kläger nach der Währungsreform 1948, mindestens aber im März 1954, Arbeiten verrichtet habe, die einem Erwerbsunfähigen nicht möglich seien. Damit ist entgegen den Ausführungen der Revision der Beklagten der Nachweis einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 BVG nicht erbracht. Der Bescheid vom 1. Juli 1954 ist somit auch hinsichtlich der Regelung der MdE und der Pflegezulage unter dem Gesichtspunkt des § 62 BVG nicht zu halten. Demnach erweist sich nicht nur die im Bescheid vom 1. Juli 1954 vorgenommene Änderung der Schädigungsfolge als rechtswidrig, sondern es entfällt auch die Möglichkeit der Herabsetzung der MdE und des Entzugs der Pflegezulage nach § 62 BVG.
Das LSG hat somit im Ergebnis zutreffend die Aufhebung des Bescheides vom 1. Juli 1954 und des ihn bestätigenden Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 1955 durch das Urteil des SG gebilligt und insoweit die Berufung der Beklagten mit Recht zurückgewiesen.
Im übrigen ist jedoch das angefochtene Urteil nicht frei von Rechtsirrtum. Zu Unrecht hat das LSG das Rechtsschutzbedürfnis für die Widerklage bejaht. Die Beklagte hätte im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten die Berichtigung der Bescheide vom 27. September 1947 und 9. Juli 1951 ohne Inanspruchnahme der Gerichte durchsetzen können; eine Wahl zwischen Berichtigungsbescheid und Widerklage stand ihr nicht offen (BSG 6, 97, 98 f). Auch wenn die Verwaltung - wie hier - bereits einen Berichtigungsbescheid erlassen hat, dessen Rechtmäßigkeit streitig ist, sind die Gerichte nicht befugt, in den Hoheitsbereich der Verwaltung einzugreifen, die zunächst selbst darüber zu entscheiden hat, ob sie einen (weiteren) Berichtigungsbescheid erlassen will, der nach § 96 SGG der gerichtlichen Kontrolle unterworfen ist (BSG in SozR SGG § 100 Da 2 Nr. 4). Auch ist die Widerklage nicht der "einfachere Weg" gegenüber dem Erlaß eines Berichtigungsbescheides; das mit der Widerklage verfolgte Prozeßziel deckt sich im übrigen sachlich mit dem Antrag auf Abweisung der Anfechtungsklage und eine Widerklage, die nur den Klageanspruch verneint, ist wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses unzulässig (vgl. Baumbach/Lauterbach, Komm. z. ZPO, 26. Aufl., Anh. 1. B zu § 253; Urteile des erkennenden Senats vom 24.8.1960 - 9 RV 322/58 -, und vom 27.2.1963 - 9 RV 558/59 -). Auf die Revision des Klägers mußte daher das Urteil des LSG insoweit abgeändert und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen werden.
Die Regelung des Bescheides vom 5. Oktober 1959 hat das LSG im Ergebnis zu Unrecht teilweise bestätigt, denn die Voraussetzungen des § 41 VerwVG fehlen; auch eine andere Rechtsnorm kann die in diesem Bescheid getroffene Regelung nicht stützen. Dieser Bescheid hat lediglich die den Kläger begünstigenden Bescheide vom 27. September 1947 und 9. Juli 1951 aufgehoben, weil die Anerkennung von multipler Sklerose bereits im Zeitpunkt des Erlasses dieser Bescheide unzweifelhaft unrichtig gewesen sei. Diese Begründung steht jedoch in Widerspruch zu den von der Revision nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG, die für das Revisionsgericht gemäß § 163 SGG bindend sind. Hiernach kann die Anerkennung der multiplen Sklerose als Schädigungsfolge im Sinne der Entstehung bei der ungeklärten Ätiologie dieses Leidens und der wechselnden Symptomatik nicht als unzweifelhaft unrichtig angesehen werden. § 42 VerwVG kommt als Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 5. Oktober 1959 nicht in Betracht, denn das LSG hat - auch insoweit von der Revision unbeanstandet und deshalb für das Revisionsgericht nach § 163 SGG bindend - festgestellt, weder dem Kläger noch seiner Ehefrau seien unwahre Angaben nachzuweisen. Schließlich scheidet auch eine Umdeutung dieses Berichtigungsbescheides in einen Neufeststellungsbescheid nach § 62 BVG aus. Zwar hält der Senat eine solche Umdeutung in Ausnahmefällen und unter bestimmten Umständen für möglich (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 29. Oktober 1963 - 9 RV 1034/59 -). Auch läßt sich eine Herabsetzung der MdE und Entziehung der Pflegezulage, wie dies vom LSG ausgesprochen worden ist, durch einen Bescheid nach § 62 BVG an sich erreichen. Voraussetzung einer jeden Umdeutung bzw. eines Nachschiebens von Gründen ist jedoch, daß der Verwaltungsakt durch die neue Begründung nach Voraussetzungen, Inhalt und Wirkungen nicht etwas wesentlich anderes wird (vgl. BSG 7, 8 ff, 12; 10, 209 ff, 211; 13, 232, 237). Dies bedeutet, daß dann, wenn der Verwaltungsakt auf eine andere rechtliche Grundlage gestellt werden soll, diejenigen Tatsachen vorliegen müssen, die den anders begründeten Verwaltungsakt rechtfertigen können. Insbesondere muß die in dem Bescheid ausgesprochene Rechtsfolge, die als solche klar bezeichnet sein muß, eine andere rechtliche Begründung zulassen. Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Zwar hat das LSG im Rahmen der Widerklage festgestellt, daß die Einschätzung der MdE mit 100 v. H. und die Gewährung einer Pflegezulage "zumindest seit ... März 1954 ohne Zweifel unrichtig gewesen" sei. Diese Feststellungen mußten jedoch wegen Unzulässigkeit der Widerklage auf die Revision des Klägers aufgehoben werden. Der Berichtigungsbescheid vom 5. Oktober 1959 selbst enthält keinerlei Feststellungen zur Höhe der MdE oder zur Pflegezulage. Er besagt insoweit nur, daß der Kläger bezüglich der Zahlungseinstellung der bisherigen Versorgungsbezüge weitere Nachricht erhalten werde. Dieser Satz läßt zwar auf eine beabsichtigte Minderung oder einen Entzug der seitherigen Bezüge schließen, dies sollte aber offenbar erst in einem weiteren Verwaltungsakt geregelt werden. Infolgedessen enthält der Berichtigungsbescheid insoweit keine eigene Regelung und auch keine Zeitbestimmung über den etwaigen Entzug oder die Minderung der Rente. Sonach scheitert eine Umdeutung des auf § 41 VerwVG gestützten Bescheides vom 5. Oktober 1959 in einen solchen nach § 62 BVG schon daran, daß er keine Rechtsfolge ausspricht, die eine Umdeutung nach § 62 BVG zuließe. Überdies heißt es im Bescheid auch nicht, daß im Leidenszustand des Klägers eine Besserung - etwa im März 1954 - eingetreten sei, woraus auf eine wesentliche Änderung in den für die frühere Feststellung maßgebend gewesenen Verhältnissen im Sinne des § 62 Abs. 1 BVG geschlossen werden könnte. Sonach gestatten weder die im Bescheid vom 5. Oktober 1959 ausgesprochene Rechtsfolge noch die darin enthaltenen sonstigen Feststellungen - anders als in dem in BSG 13, 232 entschiedenen Fall - eine Umdeutung des Berichtigungsbescheides in einen Neufeststellungsbescheid nach § 62 BVG. Die bloße Bezugnahme auf den Bescheid vom 1. Juli 1954 kann die fehlenden Feststellungen, besonders auch über den Beginn der teilweisen oder gänzlichen Zahlungseinstellung, nicht ersetzen. Auch die im Berichtigungsbescheid vom 5. Oktober 1959 allein enthaltene Feststellung, daß die Anerkennung der multiplen Sklerose im Sinne der Entstehung in den Bescheiden vom 27. September 1947 und 9. Juli 1951 unzweifelhaft unrichtig gewesen sei und daher die genannten Bescheide aufgehoben würden, läßt keine Schlußfolgerungen auf die Höhe der MdE und das Pflegegeld zu, weil sie im Widerspruch zu den nach § 163 SGG für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG steht.
Nach alledem war der Berichtigungsbescheid vom 5. Oktober 1959 entsprechend dem Revisionsantrag des Klägers in vollem Umfang aufzuheben und die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen