Entscheidungsstichwort (Thema)
Revision. Zulässigkeit. Begründung. Sozialgerichtliches Verfahren. unzulässige Revision. mangelhafte Revisionsbegründung. Nichtauseinandersetzung mit angefochtener LSG-Entscheidung. Revisionsschrift: fast wörtliche Wiedergabe der Berufungsbegründung gegen SG-Entscheidung
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine zulässige Revisionsbegründung setzt eine Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung nach den Kriterien voraus, an denen sich auch die revisionsgerichtliche Überprüfung zu orientieren hat.
2. Der Revisionsführer darf sich nicht darauf beschränken, die angeblich verletzte Rechtsnorm zu benennen, auf ein ihm günstiges Urteil Bezug zu nehmen oder auf die Unvereinbarkeit der von der Vorinstanz vertretenen Rechtsauffassung mit der eigenen hinzuweisen. Erforderlich sind Rechtsausführungen, die aus seiner Sicht geeignet sind, zumindest einen der das angefochtene Urteil tragenden Gründe in Frage zu stellen.
Normenkette
SGG § 164 Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 1. Juli 2011 wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten war im Revisionsverfahren noch streitig, ob der Klägerin ein Anspruch auf Einsicht in Aktenunterlagen der Beklagten zusteht, die diese über einen Versicherungsfall eines Mitarbeiters der Klägerin führt.
Die Klägerin ist Mitglied der Beklagten. Sie wandte sich gegen den Beitragsbescheid der Beklagten vom 25.4.2008 für das Beitragsjahr 2007, mit dem ein Gesamtbeitrag von 56 604,49 € festgesetzt wurde und in dem anteilig ein Beitragszuschlag in Höhe von 12 631,91 € enthalten war. Der Beitragszuschlag lasse sich nicht nachvollziehen. Die Beklagte übermittelte daraufhin eine Aufstellung der für das Beitragsausgleichsverfahren herangezogenen Kosten. Darin war unter anderem ein Betrag in Höhe von 18 934,15 € für den bei der Klägerin beschäftigten Versicherten B. wegen eines Unfalls am 17.11.2006 enthalten. Die Klägerin begehrte nun eine Kostenaufstellung über die Behandlungskosten des Versicherten B. (Schreiben vom 19.6.2008 und 4.7.2008), denn die in Ansatz gebrachten Kosten dieses Versicherungsfalls seien nicht allein unfallursächlich.
Mit Schreiben vom 17.7.2008 und 29.7.2008 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie könne die Unfallkosten nicht detailliert darlegen, weil die Übermittlung von Sozialdaten nur bei bestehender Übermittlungsbefugnis zulässig sei. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14.8.2008).
Die Klägerin hat Klage zum SG erhoben und vorgetragen, es habe sich bei dem Unfall des Versicherten B. nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt. Weiterhin seien vermeidbare Kosten dadurch entstanden, dass der Versicherte im Krankenhaus nicht richtig behandelt worden sei. Sie legte die Einwilligung des Versicherten B. vom 22.7.2008 zur Einsichtnahme in seine Sozialdaten betreffend die Aufwendungen für den Unfall vom 17.11.2006 vor.
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 22.6.2010) und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte habe alle von ihr verauslagten Aufwendungen für den Arbeitsunfall des Versicherten B. berücksichtigen dürfen, denn es habe sich nicht um einen vom Beitragszuschlagverfahren ausgenommenen Unfall gehandelt. Der Versicherte B. habe bei seiner Tätigkeit als Zimmermann einen Arbeitsunfall erlitten. Ein unwirtschaftliches Verhalten des Versicherten B. berechtige nicht dazu, etwaige Aufwendungen der Beklagten unberücksichtigt zu lassen. Den Mitgliedsunternehmen sei innerhalb des Beitragsverfahrens nicht jede Rüge der Höhe entstandener Aufwendungen möglich. Ein Akteneinsichtsrecht in die den Versicherten B. betreffende Leistungsakte nach § 25 Abs 1 Satz 1 SGB X bestehe nicht. Die Klägerin sei nicht Beteiligte des Verwaltungsverfahrens über den Arbeitsunfall. Ein Anspruch auf Übermittlung der Daten folge auch nicht aus § 1 Abs 1 Satz 1 Informationsfreiheitsgesetz (IFG), über den das SG trotz der grundsätzlichen Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte kraft des sozialrechtlichen Zusammenhangs der vorliegenden Rechtsfrage zu entscheiden habe. Dem Anspruch stehe § 3 Nr 4 und 6 IFG (Schutz des Sozialgeheimnisses und eine Weitergabe von Abrechnungsdaten) entgegen.
Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung seines Urteils vom 1.7.2011 ausgeführt, das Begehren auf Akteneinsicht sei als Verpflichtungsklage zulässig. Das Recht auf Akteneinsicht nach § 25 Abs 1 SGB X beinhalte den Anspruch, die Gesamtheit der Schriftstücke, die im Verfahren des um Akteneinsicht ersuchenden Betroffenen von der Behörde angefertigt oder beigezogen wurden, einzusehen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat habe der Klägervertreter aber klargestellt, dass seinem Akteneinsichtsgesuch nicht damit Rechnung getragen sei, wenn mit Fotokopien nur über die Höhe der entstandenen Kosten der für den Versicherten B. erbrachten Aufwendungen Auskunft gegeben werde, ohne dass die zugrunde liegende Diagnose oder therapeutische Maßnahme der entsprechenden Leistungserbringer erkennbar werde. Gemäß § 25 Abs 3 SGB X habe die Beklagte die Einsichtnahme wegen berechtigter Interessen Dritter verweigern dürfen. Der Versicherte B. sei am Beitragsverfahren nicht beteiligt. Soweit er sich im vorliegenden Rechtsstreit mit der Einsichtnahme seines Arbeitgebers in die ihn betreffenden Arztunterlagen einverstanden erklärt habe, sei dies unbeachtlich, weil eine faktische Zwangssituation zu unterstellen sei, die eine freiwillige Einwilligung ausschließe.
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Das LSG hat die Revision nur wegen des "geltend gemachten Anspruchs auf Gewährung von Akteneinsicht" zugelassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin betreffend den Beitragsbescheid bzw den Beitragszuschlag blieb ohne Erfolg (Beschluss vom 29.9.2011 - B 2 U 221/11 B). Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 13.9.2011 die Revision wie folgt begründet: |
"Dies wird mit der Berufung angegriffen sowie die Beurteilung des Sozialgerichts, dass die festgestellte Gesamthöhe der Aufwendungen nicht zu beanstanden sei. |
Soweit das Sozialgericht das Recht der Klägerin auf Akteneinsicht aus den auf Seite 9 des Urteils genannten Vorschriften abgelehnt hat, ist die Klägerin der Auffassung, dass ihr als Betroffener, die Zahlungen zu leisten hat, zumindest ein Akteneinsichtsanspruch sui generis zusteht. |
Die Begründung, der Sozialdatenschutz stehe dem Recht auf Akteneinsicht entgegen, wird nicht akzeptiert: Grundsätzlich kann es demjenigen, der eine Leistung, nämlich eine Zahlung zu erbringen hat, die auch zwangsweise gegen ihn durchgesetzt werden kann, nicht verwehrt werden, eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit auszuüben. |
Eine Zwangssituation, die die Freiwilligkeit der Zustimmung des Mitarbeiters zur Akteneinsicht ausschließen würde, liegt nicht vor. |
Beweis: Zeugnis des bereits genannten Mitarbeiters der Klägerin". |
Die Klägerin hält dies auf Hinweis des Senats für eine ausreichende Revisionsbegründung.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 1. Juli 2011 und des Sozialgerichts Konstanz vom 22. Juni 2010 sowie die Bescheide der Beklagten vom 17. Juli 2008 und 29. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. August 2008 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, durch Überlassung von Fotokopien aus der den Arbeitsunfall des Versicherten B. vom 17. November 2006 betreffenden Unfallakte Auskunft über die unfallbedingten Leistungspositionen, die dem Beitragszuschlag zugrunde liegen, zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unzulässig. Ihre Revisionsbegründung vom 13.9.2011 entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen. Das Rechtsmittel war daher als unzulässig zu verwerfen.
Streitgegenstand des Revisionsverfahrens war nur noch das geltend gemachte Recht auf Akteneinsicht. Das LSG hat die Zulassung der Revision in zulässiger Weise auf diesen Streitgegenstand beschränkt. Eine Teilzulassung der Revision ist bei einem abtrennbaren, tatsächlich und rechtlich selbstständigen Teil des Gesamtstreitstoffs zulässig, auf den der jeweilige Revisionskläger selbst seine Revision beschränken könnte (vgl zuletzt BSG Urteil vom 12.7.2012 - B 14 AS 153/11 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-4200 § 20 Nr 17 vorgesehen, RdNr 11; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 160 RdNr 28a, jeweils mwN). Der Senat ist an diese Entscheidung des LSG gebunden (§ 160 Abs 3 SGG).
Nach § 164 Abs 2 Satz 3 SGG muss die Revisionsbegründung einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Mit dieser Vorschrift soll zur Entlastung des Revisionsgerichts erreicht werden, dass der Revisionskläger die Erfolgsaussicht der Revision eingehend prüft und von aussichtslosen Revisionen rechtzeitig Abstand nimmt. Das setzt eine Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung nach den Kriterien voraus, an denen sich auch die revisionsgerichtliche Überprüfung zu orientieren hat (vgl zuletzt Beschluss des Senats vom 15.6.2012 - B 2 U 32/11 R; sowie BSG Beschluss vom 13.5.2011 - B 13 R 30/10 R; BSG Urteil vom 30.3.2011 - B 12 KR 23/10 R - Die Beiträge Beilage 2011, 254 jeweils mwN). Die Revisionsbegründung soll insbesondere sicherstellen, dass der Revisionsführer das angefochtene Urteil im Hinblick auf einen Erfolg des Rechtsmittels überprüft und hierzu die Rechtslage genau durchdacht hat (BSG Urteil vom 21.9.2005 - B 12 KR 1/05 R - USK 2005-27).
Der Revisionsführer darf sich nicht darauf beschränken, die angeblich verletzte Rechtsnorm zu benennen, auf ein ihm günstiges Urteil Bezug zu nehmen oder auf die Unvereinbarkeit der von der Vorinstanz vertretenen Rechtsauffassung mit der eigenen hinzuweisen. Erforderlich sind Rechtsausführungen, die aus seiner Sicht geeignet sind, zumindest einen der das angefochtene Urteil tragenden Gründe in Frage zu stellen (vgl BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22 mwN). Notwendig ist also, dass der Revisionsführer die Gründe dafür darlegt, das LSG habe sein Urteil auf eine Verletzung von Bundesrecht (vgl § 162 SGG) gestützt.
Diesen Anforderungen wird die vorliegende Revisionsbegründung vom 13.9.2011 nicht gerecht. Die Klägerin hat noch nicht einmal hinreichend konkret die angeblich verletzte Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG bezeichnet. Sie verweist insofern lediglich auf die vom SG auf Seite 9 dessen Urteils angegebenen Rechtsvorschriften, ohne diese im Einzelnen zu benennen. Dieser Verweis auf die vom SG geprüften Normen zeigt, dass sich die Klägerin mit dem hier angefochtenen Urteil des LSG gerade nicht inhaltlich auseinandergesetzt hat. Die Klägerin wiederholt mit ihrer Revisionsschrift vom 13.9.2011 lediglich weitgehend wörtlich ihren Berufungsschriftsatz vom 23.7.2010, mit dem sie sich in der Berufungsinstanz gegen das Urteil des SG gewandt hatte. Dies zeigt, dass sie sich mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils des LSG und den besonderen Voraussetzungen des Revisionsverfahrens in keiner Weise auseinandergesetzt hat (vgl hierzu auch BSG Urteil vom 30.3.2011, aaO, RdNr 13), weshalb sie in ihrem die Berufungsschrift wiederholenden Schriftsatz vom 13.9.2011 dem BSG als Revisionsgericht auch Beweise anbietet. Soweit die Klägerin in der Begründung weiterhin auf Ausführungen aus dem Urteil des LSG (dort Seite 9) Bezug nimmt und zur Bedeutung der Einwilligung des Arbeitnehmers vorträgt, dass das LSG nicht ohne Beweiserhebung hätte feststellen dürfen, die Einwilligung des Arbeitnehmers sei unbeachtlich, setzt sie sich ebenfalls nicht hinreichend mit den Gründen des Urteils des LSG auseinander. Insbesondere fehlen Ausführungen zu der Norm des Bundesrechts - § 25 Abs 3 SGB X -, die das LSG angewandt hat und zur Frage, welche "berechtigten Interessen" iS dieser Norm einer Akteneinsicht entgegenstehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197a Abs 1 Satz 1, 183 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.
Der Streitwert war gemäß § 47 Abs 1 iVm § 52 Abs 2 Gerichtskostengesetz (GKG) auf 5000 Euro festzusetzen, weil im Revisionsverfahren lediglich noch das Recht auf Akteneinsicht streitig war, für dessen Bezifferung es an Anhaltspunkten - anders als hinsichtlich des noch in den Instanzen geltend gemachten Beitragszuschlags - fehlt.
Fundstellen
NZS 2013, 639 |
SGb 2013, 346 |