Leitsatz (redaktionell)

Begriff der beruflichen Fortbildung iS des AFG und Abgrenzung von beruflicher Umschulung.

 

Normenkette

AFG § 41 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25, § 47 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. Juli 1974 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der Kläger ist gelernter Betriebsschlosser und war als Betriebs- und als Bauschlosser beschäftigt. Von September 1969 bis zum Februar 1971 studierte er an der staatlichen Technikerschule in A. Die Beklagte förderte dieses Studium, mit dessen Abschluß der Kläger die staatliche Technikerprüfung bestand. Ab 1. April 1971 besuchte er einen einjährigen Lehrgang zur Ausbildung zum technischen Betriebswirt am damaligen Westfalentechnikum (später Westfalenakademie) in D und bestand die Abschlußprüfung. Der Lehrgang umfaßte wöchentlich 34 Unterrichtsstunden in den Fachbereichen Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft, Recht, Unternehmensführung und Systemtechnik, außerdem zwei Wochenstunden wahlweise in den Sprachen Englisch oder Französisch.

Am 5. Januar 1971 beantragte der Kläger, den Besuch des Lehrgangs am Westfalentechnikum als Maßnahme der beruflichen Fortbildung zu fördern. Das Arbeitsamt Dortmund lehnte den Antrag ab - Bescheid vom 19. April 1971, Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 1971. Die dagegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Dortmund mit Urteil vom 30. November 1971 abgewiesen.

Mit Urteil vom 10. Juli 1974 hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen die Berufung des Klägers zurückgewiesen und ausgeführt: Nach Auskunft der Westfalenakademie sei der Nachweis einer staatlichen Technikerprüfung zur Zugangsvoraussetzung für den Besuch des Lehrgangs "technischer Betriebswirt" gemacht worden. Der Besuch des Lehrgangs sei für den Kläger keine Maßnahme der beruflichen Fortbildung gewesen. Gerade die in § 41 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) genannten Ziele der Feststellung, Erhaltung, Erweiterung und Anpassung der beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten könnten sich nur auf Kenntnisse und Fertigkeiten in einem bestimmten Beruf oder Berufsfeld beziehen. Würden hingegen durch die Maßnahmen berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt, die keinen fachlichen Bezug zu dem Beruf haben, in dem der Teilnehmer eine abgeschlossene Berufsausbildung oder angemessene Berufserfahrung besitzt, dann sei Maßnahmeziel der Übergang in eine andere berufliche Tätigkeit; die Maßnahme sei dann inhaltlich Umschulung im Sinne des § 47 AFG. Berufliche Umschulung seien aber auch Maßnahmen mit dem Ziel, den Zugang zu einer beruflichen Tätigkeit zu eröffnen, deren Inhalt sowohl die bisherigen als auch die durch die Teilnahme an der Maßnahme neu erworbenen beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten umfasse und miteinander verbinde. Es genüge insoweit für die Annahme einer beruflichen Umschulung, daß zur Ausübung des neuen Berufs praktisch wesentliche Kenntnisse und Fertigkeiten aus zwei oder mehreren Berufen, die jeder für sich allein ausgeübt werden könnten, erforderlich sind. In dem vom Kläger besuchten Lehrgang zum technischen Betriebswirt seien Kenntnisse vermittelt worden, die in keiner unmittelbaren Beziehung zur Techniker- oder Ingenieurausbildung der Teilnehmer gestanden hätten. Der Lehrgang habe ihnen kein Fachwissen aus ihrem bisherigen Berufsbereich, sondern neues Wissen vermittelt, nämlich kaufmännisches und betriebswirtschaftliches Wissen. Als Umschulung könne die Maßnahme indessen ebenfalls nicht gefördert werden, weil der Kläger nicht zuvor mehr als drei Jahre berufstätig gewesen sei (§§ 47 AFG, 3 Abs. 2 der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung - AFuU vom 18. Dezember 1969 - ANBA 1970 S. 85).

Gegen dieses Urteil richtet sich die zugelassene Revision, mit der der Kläger geltend macht: Bei der Abgrenzung der beruflichen Umschulung von der beruflichen Fortbildung könne es nicht entscheidend auf den Erwerb inhaltlich neuer Kenntnisse ankommen, denn etwa die im Rahmen der Fortbildung vorgesehene Erweiterung beruflicher Kenntnisse setze begriffsnotwendig voraus, daß der Teilnehmer neues Wissen erwerbe. Entscheidend sei, ob die zu fördernde Maßnahme in einer linearen Zielrichtung angesiedelt sei (Fortbildung), oder ob der Teilnehmer ein Berufsfeld aufgibt, um sich einem anderen und völlig neuen zuzuwenden (Umschulung). Der Lehrgang am Westfalentechnikum, den der Kläger besucht habe, baue auf vorhandenem technischen Berufswissen auf.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. Juli 1974 und des Urteils des Sozialgerichts Dortmund vom 30. November 1971 sowie der Bescheide vom 19. April 1971 und vom 23. Juni 1971 zu verurteilen, die Teilnahme des Klägers am Lehrgang zur Ausbildung zum technischen Betriebswirt vom 1. April 1971 bis zum 31. März 1972 als Fortbildungsmaßnahme zu fördern.

Die Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Sie führt aus: Der streitige Lehrgangsbesuch sei als Maßnahme der beruflichen Fortbildung anzusehen, denn er solle die im Technikerstudium erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten erweitern. Für den Anspruch auf Förderung dieser Maßnahme gemäß § 41 AFG fehle es aber an den erforderlichen Zugangsvoraussetzungen. Zum Lehrgang am Westfalentechnikum seien neben Bewerbern mit staatlicher oder staatlich anerkannter Technikerprüfung u. a. auch Bewerber mit sonstigen technischen Vorbildungen (mindestens drei Semester) zugelassen worden.

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 160 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.

Das Studium des Klägers am Westfalentechnikum war keine Ausbildung im Sinne des § 40 AFG. Ausbildung in diesem Sinn ist - abgesehen von den in § 40 AFG genannten Lehrgängen und anderen berufsvorbereitenden Maßnahmen - stets nur die erste zu einem Abschluß führende Berufsbildungsmaßnahme. Alle späteren Schritte zur weiteren beruflichen Bildung sind entweder als Fortbildung oder als Umschulung zu werten (BSG SozR 4100 § 41 AFG Nr. 11). Da der Kläger vor der hier streitigen Maßnahme bereits die Lehre als Betriebsschlosser und eine Ausbildung zum staatlich geprüften Techniker abgeschlossen hatte, kann es sich beim Besuch des Lehrgangs zum technischen Betriebswirt nur um die Teilnahme an einer Maßnahme der Fortbildung oder Umschulung gehandelt haben. Als Umschulung könnte die Maßnahme nicht gefördert werden, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat.

Nach § 41 Abs. 1 AFG ist berufliche Fortbildung die Teilnahme an einer Maßnahme, die das Ziel hat, berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten festzustellen, zu erhalten, zu erweitern oder der technischen Entwicklung anzupassen oder einen beruflichen Aufstieg zu ermöglichen, und eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung voraussetzt.

Aus der Aufzählung der einzelnen Ziele einer Fortbildungsmaßnahme und dem Umstand, daß eine abgeschlossene Berufsausbildung oder angemessene Berufserfahrung objektiv die Voraussetzung dafür ist, daß die Teilnahme an der Fortbildungsmaßnahme gefördert werden kann, wird (mittelbar) deutlich, daß die Bildungsmaßnahme stets an ein bestimmtes Berufswissen des einzelnen Teilnehmers anknüpft. Es sollen "berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten" durch die Maßnahme erweitert oder der technischen Entwicklung angepaßt oder erhalten oder ein "beruflicher" Aufstieg ermöglicht werden. Im Zusammenhang mit den (objektiv für eine Förderung notwendigen) Zugangsvoraussetzungen ergibt sich, daß der berufliche Werdegang, aber auch die (zukünftige) Fortentwicklung in dem bisherigen Beruf für den Teilnehmer maßgebend dafür ist, ob es sich bei der Bildungsmaßnahme um eine berufliche Fortbildung im Sinne des § 41 Abs. 1 AFG handelt. Hieraus ist der Schluß zu ziehen, daß für den einzelnen, der über eine Berufsausbildung oder entsprechende Berufserfahrung verfügt, alle weiteren Bildungsbemühungen in derselben Berufsrichtung als Fortbildung in diesem Sinne anzusehen sind.

Daraus ergibt sich die Abgrenzung zwischen der Fortbildung und der Umschulung. Während die berufliche Fortbildung den Zweck hat, den Bildungswilligen in seinem bisherigen Beruf weiter zu qualifizieren und ihm dadurch die Möglichkeit zu geben, auf seinem Berufsgebiet beweglicher zu werden, zielt die Umschulung nach § 47 Abs. 1 AFG darauf hin, "eine andere geeignete berufliche Tätigkeit" nach Abschluß der Umschulungsmaßnahme ergreifen zu können. Sowohl bei der Fortbildung als auch bei der Umschulung ist zwar der bisherige Beruf mit den erlernten Fertigkeiten der maßgebende Anknüpfungspunkt für die Unterscheidung beider Bildungsmaßnahmen, jedoch ist entscheidend, ob die in dem bisherigen Beruf erlernten Fertigkeiten in den angestrebten Beruf inhaltlich mit übernommen werden oder ob diese Fertigkeiten entweder nicht oder nur unwesentlich für die "andere geeignete berufliche Tätigkeit" im Sinne des § 47 Abs. 1 AFG Bedeutung haben, insoweit also ein Beruf "mit neuem Inhalt" erlernt wird (BSG aaO).

Nach Ansicht des LSG müssen die mit der Maßnahme vermittelten Kenntnisse und Fertigkeiten unmittelbar an den bisherigen Beruf anknüpfen, also der Unterrichtsstoff der Maßnahme selbst auf dem vorhandenen Berufswissen der Teilnehmer aufbauen. Indessen kann dies für den Tatbestand der Erweiterung beruflicher Kenntnisse nicht zutreffen. Eine die beruflichen Kenntnisse in horizontaler Richtung ergänzende Lehrveranstaltung kann inhaltlich nicht auf bereits vorhandenen Kenntnissen aufbauen. Für den Fortbildungscharakter einer Maßnahme kommt es aber nicht entscheidend darauf an, daß die zur Voraussetzung für die Teilnahme gemachte berufliche Vorqualifikation bereits zum Erwerb der neuen Kenntnisse und Fertigkeiten benötigt wird, sondern darauf, daß diese nur in Verbindung mit der Vorqualifikation zum Ziel der beruflichen Fortbildung führen (BSG Urteil vom 6. Mai 1975 - 7 RAr 98/73). Auch in der Vorschrift des § 47 AFG wird der Charakter der Bildungsmaßnahme - hier der beruflichen Umschulung - nicht anhand ihres Unterrichtsstoffes bestimmt, sondern nach der angestrebten Tätigkeit. Beim Tatbestandmerkmal des beruflichen Aufstiegs kommt es ebenfalls nur auf den Zusammenhang zwischen dem bisherigen und dem angestrebten Beruf an. Sie müssen in einem Berufsfeld liegen. Deshalb hält der Senat an seiner Rechtsprechung fest, daß es für die Abgrenzung von Fortbildung und Umschulung entscheidend darauf ankommt, ob die in dem bisherigen Beruf erlernten Fertigkeiten in den angestrebten Beruf inhaltlich mit übernommen werden (BSG aaO; BSG SozR 4100 § 41 AFG Nr. 19).

Das LSG hat dazu von seinem Standpunkt ausgehend keine Feststellungen zu treffen brauchen. Mangels eines allgemein bekannten eindeutigen Berufsbildes des technischen Betriebswirts sind insoweit noch Ermittlungen notwendig. Deshalb ist der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Es wird feststellen müssen, ob die im Beruf des staatlich anerkannten Technikers erlernten Fertigkeiten in dem vom Kläger angestrebten Beruf des technischen Betriebswirts inhaltlich mit übernommen werden oder ob sie für diesen Beruf keine oder nur eine unwesentliche Bedeutung haben. Ist das erstere der Fall, so handelt es sich für den Kläger um einen beruflichen Aufstieg, zumindest aber um die Erweiterung beruflicher Kenntnisse (§ 41 AFG).

Eine Bildungsmaßnahme, die inhaltlich als berufliche Fortbildung anzusehen ist, kann gemäß § 41 AFG jedoch nur gefördert werden, wenn sie eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung voraussetzt. Dafür genügt es nicht, wenn der Antragsteller eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung mitbringt. Vielmehr muß der Maßnahmeträger sie allgemein und objektiv als Zugangsvoraussetzung verlangen (BSGE 36, 48; Urteil vom 17. Dezember 1974 - 7 RAr 4/74).

Das LSG hat dazu keine Feststellungen getroffen. Im Tatbestand des Urteils hat es allerdings auf das Programm des Westfalentechnikums, das möglicherweise auch die Zugangsvoraussetzungen enthält, Bezug genommen. Es hat aber weiterhin die Auskunft der Westfalenakademie wiedergegeben, daß der Nachweis einer staatlichen Technikerprüfung zur Zugangsvoraussetzung für den Besuch des Lehrgangs "technischer Betriebswirt" gemacht worden sei. Aus dieser Auskunft ergibt sich nicht, ob die staatliche Technikerprüfung die einzige Zugangsvoraussetzung für den Lehrgang war. Wenn aber neben den staatlich anerkannten Technikern (nicht nur ausnahmsweise) andere Bewerber ohne abgeschlossene Berufsausbildung oder angemessene Berufserfahrung im Sinne des § 41 AFG zugelassen worden sein sollten, würde die Maßnahme insgesamt nicht die Voraussetzungen für eine Förderung nach § 41 AFG erfüllen. Daran würde auch der Förderungsanspruch von Personen wie dem Kläger scheitern, die selbst über eine abgeschlossene Berufsausbildung oder angemessene Berufserfahrung verfügen (BSG SozR 4100 § 41 AFG Nr. 11 am Ende und BSG SozR 4100 § 41 AFG Nr. 21).

Das LSG wird weiter festzustellen haben, ob die Voraussetzungen des § 34 Satz 2 AFG vorliegen. Bei der Anwendung dieser Vorschrift kommt es im vorliegenden Fall darauf an, ob die Maßnahme im Hinblick auf ihr Ziel, nämlich auf Abschluß der Ausbildung zum technischen Betriebswirt, zweckmäßig ausgestaltet ist. Weiter ist ggf. zu prüfen, ob der Maßnahmeträger angemessene Teilnahmebedingungen vorgesehen hat (§ 6 Abs. 2 AFuU).

Von der Zweckmäßigkeit der Förderung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes (§ 36 AFG) kann bei einer Maßnahme der beruflichen Fortbildung regelmäßig ausgegangen werden. Die Eignung des Klägers im Sinne des § 36 AFG und die Erfolgserwartung im Sinne des § 42 AFG hat der Kläger mit dem Bestehen der Abschlußprüfung des Lehrgangs zum technischen Betriebswirt bewiesen (BSG SozR 4100 § 42 AFG Nr. 2). Auch hat er als Bauschlosser vor der Maßnahme eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung ausgeübt.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem Urteil des LSG vorbehalten

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650521

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