Entscheidungsstichwort (Thema)
Begründung eines Pflegekindschaftsverhältnisses sind 3 Erfordernisse beachtlich
Leitsatz (amtlich)
Der Umstand, daß ein uneheliches Kind sich bei seiner Mutter befindet, schließt - falls die gesetzlichen Erfordernisse im übrigen erfüllt sind - nicht aus, es gleichzeitig als Pflegekind eines Mannes anzusehen, der - ohne der Erzeuger des Kindes zu sein - mit dessen Mutter eine Wohn- und Lebensgemeinschaft unterhält.
Leitsatz (redaktionell)
Zur Begründung eines Pflegekindschaftsverhältnisses sind 3 Erfordernisse beachtlich:
1. Das Kind muß im Haushalt desjenigen Versicherten aufgenommen sein, der den Kinderzuschuß begehrt.
2. Zwischen Kind und Versicherten muß ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band vorhanden sein.
3. Der Antragsteller muß zum Unterhalt nicht unerheblich beigetragen haben.
Normenkette
RVO § 1262 Abs. 2 Nr. 7 Fassung: 1957-02-23; KGG § 2 Fassung: 1954-11-13
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 16. Februar 1962 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der 1928 geborene Kläger bezog vom 1. Mai 1959 bis 30. Juni 1960 von der Beklagten ein Übergangsgeld nach § 1241 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und erhält seit dem 1. Juli 1960 gemäß Bescheid vom 27. Oktober 1960 Berufsunfähigkeitsrente. Mit Schreiben vom 13. Oktober und 11. November 1960 beantragte er ein höheres Übergangsgeld vom 1. Mai 1959 an und Kinderzuschuß nach § 1262 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 7 RVO vom 1. Juli 1960 an unter Hinweis darauf, daß er den am 17. November 1946 geborenen Peter P, das von einem anderen Vater stammende uneheliche Kind seiner Verlobten, unterhalte. Die Beklagte lehnte diesen Antrag am 10. Februar 1961 ab, da ein Pflegekindschaftsverhältnis im Sinne des § 1261 Abs. 2 Nr. 7 RVO nicht vorliege. Erst nachdem der Kläger am 1. Juli 1961 die Kindesmutter geheiratet hatte, erkannte die Beklagte den Anspruch auf Kinderzuschuß von diesem Tage ab an.
Auf die vom Kläger erhobene Klage verurteilte das Sozialgericht (SG) Oldenburg die Beklagte durch Urteil vom 16. Februar 1962 unter Aufhebung des Bescheides vom 10. Februar 1961, dem Kläger einen Übergangsgeldanteil für das Kind Peter P für die Zeit vom 1. Mai 1959 bis 30. Juni 1960 sowie Kinderzuschuß für die Zeit vom 1. Juli 1960 bis 30. Juni 1961 zu zahlen mit der Begründung, das Kind sei das Pflegekind des Klägers gewesen. Das Kind habe in dem gemeinsamen Haushalt des Klägers und seiner damaligen Verlobten gelebt. Zwar sei der Kläger im Jahre 1949 zunächst in den Hausstand seiner Verlobten aufgenommen worden. Er habe aber im Laufe der Zeit eigene Haushaltsgegenstände aus seinen Mitteln angeschafft und auf seine Kosten eine Wohnung ausgebaut. Im Laufe der Zeit sei daher zumindest ein gemeinsamer Hausstand entstanden. Zwischen dem Kläger und dem Kind habe auch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band bestanden, da eine tatsächliche Wohn- und Lebensgemeinschaft vorgelegen habe. Daß außerdem das Verhältnis des Kindes zur Mutter bestehen geblieben sei, hindere die Annahme eines Pflegekindschaftsverhältnisses bei unehelichen Kindern nicht. Der Kläger habe weiterhin zum Unterhalt des Kindes nicht unerheblich beigetragen, da dessen Bedürfnisse im wesentlichen von seinem Arbeitseinkommen gedeckt worden seien. Der Klage habe daher stattgegeben werden müssen. Das SG ließ die Berufung gegen sein Urteil ausdrücklich zu.
Gegen das am 27. Februar 1962 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 23. März 1962 unter Beifügung einer schriftlichen Einwilligungserklärung des Klägers und Antragstellers Sprungrevision eingelegt und diese am 24. April 1962 begründet:
Die Beklagte rügt unrichtige Anwendung der §§ 1241 und 1262 RVO i. V. m. § 2 Abs. 1 S. 3 Kindergeldgesetz (KGG). Pflegekinder seien nach diesen Vorschriften Kinder, die in den Haushalt von Personen aufgenommen worden sind, mit denen sie ein familienähnliches Band verknüpft, wenn diese Personen zum Unterhalt nicht unerheblich beitragen. Wenn der Kläger auch möglicherweise zum Unterhalt des Kindes nicht unerheblich beigetragen habe, so sei jedoch schon zweifelhaft, ob ein familienähnliches Band zwischen ihm und dem Kind bestanden habe. Keinesfalls könne jedoch angenommen werden, daß das Kind in den Haushalt des Klägers aufgenommen worden sei. Der Kläger sei vielmehr in den Haushalt seiner späteren Schwiegermutter aufgenommen worden. Auch wenn er einige Möbel und Hausratsgegenstände angeschafft und eine neue Wohnung ausgebaut habe, sei es doch der Haushalt der späteren Schwiegermutter geblieben, zumal außer der Kindesmutter und ihrem Kind noch deren Geschwister mit jenen zusammengelebt hätten. Im übrigen sei entgegen den Feststellungen des SG nicht der Kläger, sondern die spätere Schwiegermutter Mieterin der ausgebauten Wohnung gewesen. Insoweit liege mangelnde Sachaufklärung vor.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er meint, der frühere Haushalt seiner Ehefrau und Schwiegermutter sei allmählich zu seinem Haushalt geworden, da er nach seiner Aufnahme in diesen vorwiegend mit seinen Mitteln fortgeführt worden sei. Dies müsse um so mehr gelten, als er die gemeinsame Wohnung auch mit eigenen Mitteln ausgebaut habe. Demgegenüber müsse der Umstand, daß die Wohnung auch von der Schwiegermutter und von Geschwistern seiner späteren Frau mitbewohnt worden sei, zurücktreten. Die Rüge der mangelnden Sachaufklärung greife nicht durch, da nicht angegeben worden sei, durch welche weiteren Beweiserhebungen der Mieter der Wohnung hätte ermittelt werden müssen. Im übrigen beruhe die Entscheidung auch nicht auf der mangelnden Sachaufklärung. Das SG habe nicht darauf abgestellt, wer Mieter der Wohnung gewesen sei, sondern sei schon auf Grund der Tatsache, daß der Kläger die Wohnung ausgebaut und möbliert habe, zur Bejahung eines gemeinsamen Haushalts des Klägers und seiner damaligen Verlobten gelangt.
Die form- und fristgerecht eingelegte Sprungrevision ist zulässig; sie ist auch begründet.
Der Senat hatte zu prüfen, ob der Kläger Anspruch auf ein höheres Übergangsgeld bezw. auf Kinderzuschuß hat. Als Übergangsgeld begehrt der Kläger vom 1. Mai 1959 bis 30. Juni 1960 nach Nr. 2 a der Richtlinien der Versicherungsträger vom 28. Juni 1957 für die Zeit vor der Kur 65% des täglichen Bruttoarbeitsentgelts von 15,- DM (statt der erhaltenen 50%) und für die Zeit während der Kur 55% (statt der erhaltenen 16 2/3%, nach der Tabelle somit 9,80 DM bezw. 8,30 DM täglich). Familienangehörige i. S. der Nr. 2 a der Richtlinien sind nach den vom Verband der Deutschen Rentenversicherungsträger herausgegebenen Anmerkungen zu den Richtlinien (Bl. 13 - 15 der BSG-Akten) auch Pflegekinder i. S. des § 2 Abs. 1 Satz 3 KGG vom 13. November 1954 idF des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des KGG vom 27. Juli 1957 - BGBl I 1061 - (vgl. BSG 12, 35), wenn das Pflegekindschaftsverhältnis vor Beginn der Maßnahmen oder vor Eintritt des Versicherungsfalles begründet worden ist (vgl. Anm. zu Nr. 2 a).
Die Gewährung des Kindergeldzuschusses zu seiner Rente, die der Kläger für die übrige streitbefangene Zeit begehrt, ist nach § 1262 Abs. 2 Nr. 7 RVO an die gleichen Voraussetzungen wie die Verpflichtung zur Zahlung des höheren Übergangsgeldes, nämlich an das Vorliegen eines Pflegekindschaftsverhältnisses i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 3 KGG geknüpft. Diese Bestimmung stellt für die Anerkennung eines derartigen Verhältnisses drei Erfordernisse auf. Die Kinder müssen in den Haushalt der Kinderzuschuß begehrenden Personen aufgenommen sein, es muß sie mit diesen ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verknüpfen, und jene Personen müssen zum Unterhalt der Kinder nicht unerheblich beigetragen haben. Das SG ist davon ausgegangen, daß die dritte Voraussetzung (nicht unerheblicher Beitrag zum Unterhalt) gegeben ist; gegen diese Annahme sind keine tatsächlichen oder rechtlichen Einwendungen erhoben worden; die Beurteilung des SG bietet insoweit - wenn die tatsächlichen Feststellungen im wesentlichen auch nur auf den eigenen Angaben des Klägers beruhen - keinen Anlaß zu durchgreifenden Anständen.
Auch das Vorliegen der beiden anderen Erfordernisse (Haushaltsaufnahme, familienähnliches Band) hat das SG angenommen; die hiergegen gerichteten Revisionsangriffe greifen jedoch im Ergebnis durch.
Die mit der Revision angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des SG tragen bereits nicht ausreichend dessen Feststellung, das Kind sei in den Haushalt des Klägers aufgenommen worden. In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem ursprünglich allein ein Haushalt der späteren Schwiegermutter des Klägers bestanden hat, in den dieser dann zu irgendeinem Zeitpunkt aufgenommen wurde, ist es zwar durchaus möglich, daß durch entsprechende Änderung der tatsächlichen Verhältnisse und der wirtschaftlichen Grundlagen aus dem Haushalt jener Kindesgroßmutter ein Haushalt werden kann, der zwei oder drei der beteiligten Personen gemeinsam oder schließlich auch dem Kläger allein zugerechnet werden könnte. Ist eindeutig festgestellt, daß Mann und Frau in einem gemeinsamen Haushalt leben, so werden auch keine Bedenken gegen die Annahme erhoben werden können, daß beider Kinder - auch wenn sie nicht von dem anderen Teil abstammen - ebenfalls diesem gemeinsamen, also gerade nicht mehr nach verschiedenen Partnern auftrennbaren Haushalt angehören und damit im Sinne der gesetzlichen Bestimmung wechselweise auch in den Haushalt des anderen Teils aufgenommen sind (so im Ergebnis auch Lauterbach/Wickenhagen, Komm. zum KGG, 2. Aufl. § 2 Anm. 9; Witting-Meier, Kindergeldhandbuch, Stand November 1961, § 2 Anm. 3 a). Die allgemeine Behauptung des Klägers, er habe im Laufe der Zeit Haushaltsgegenstände angeschafft und eine andere Wohnung ausgebaut, ist jedoch, zumal selbst diese wenigen Angaben durch keinerlei Ermittlungsergebnisse gestützt werden, zu ungenau, als daß sich daraus der an sich durchaus denkbare Schluß ziehen ließe, das Kind der Verlobten des Klägers sei in der gesamten fraglichen Zeit vor der Eheschließung in den, in seinem Bestehen ja noch durchaus ungeklärten Haushalt des Klägers aufgenommen.
Dem SG ist sodann zwar auch hinsichtlich der zweiten Voraussetzung darin beizupflichten, daß ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band durchaus auch ein uneheliches Kind mit einem Manne verknüpfen kann, der - ohne sein Erzeuger zu sein - mit seiner Mutter eine tatsächliche Wohn- und Lebensgemeinschaft unterhält. Dafür, ob der Mann im Rahmen dieses Zusammenlebens in ein Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis zu jenem Kind getreten ist, sind jedoch im wesentlichen die stets verschiedenen tatsächlichen Gegebenheiten maßgeblich. Die Entscheidung des erkennenden Senats - 4 RJ 341/61 - vom 25. April 1963 (SozR § 1262 RVO Bl. Aa 4 Nr. 6) würde falsch gedeutet, wenn in ihr das Gewicht auf die Übertragung der rechtlichen Befugnisse zur Ausübung jener Aufsicht und Erziehung gelegt würde. Es ist auch nicht etwa so, daß bei einem Zusammenleben des Klägers mit der leiblichen Mutter des Kindes das zwischen dieser und ihrem Kind bestehende echte Kindesverhältnis ein Pflegekindschaftsverhältnis zwischen dem Kläger und dem Kind ausschließt. Gerade in Fällen wie dem vorliegenden ist es durchaus denkbar, ja oft - insoweit anders als beim Zusammenleben des Kindes mit der Mutter und deren Eltern (so im Falle 4 RJ 341/61) - sogar wahrscheinlich, daß durch das Hinzutreten eines Mannes zu Mutter und Kind das familienähnliche Verhältnis noch gefördert werden kann (im Ergebnis ebenso Lauterbach/Wickenhagen aaO und Witting-Meier aaO Anm. 8 b). Die tatsächliche Einräumung und Handhabung jener in ihrer Gesamtheit die familienähnliche Bindung verkörpernden Verrichtungen und Maßnahmen auf längere Dauer reicht demnach aus. Im Einzelfall bedarf eine solche Feststellung indes jeweils hinreichender Grundlagen. Wenn auch im vorliegenden Fall die später erfolgte Eheschließung des Klägers mit der Mutter des Kindes durchaus dafür spricht, daß bereits vorher auch im Verhältnis vom Kläger zum Kind familienähnliche Beziehungen von längerer Dauer bestanden haben mögen, so kann dies doch, wie das SG meint, nicht allein daraus gefolgert werden, daß der Kläger diese Bindungen behauptet, der Gemeindevorsteher sie ohne Angabe irgendwelcher Tatsachen unter bloßer Anführung der Gesetzesworte bescheinigt, und eine Wohn- und Lebensgemeinschaft zwischen dem Kläger und der Mutter des Kindes festgestellt ist. Auch insoweit müssen demnach noch eingehendere Feststellungen getroffen werden, z. B. auch darüber, ob die Mutter des Kindes während jener Zeit gearbeitet oder womit sie sich sonst beschäftigt hat, wie für den Unterhalt des Kindes im einzelnen gesorgt wurde und wer sonst noch in dem Haushalt lebte.
Da mangels ausreichender Feststellungen der Senat gehindert war, nachzuprüfen, ob die Entscheidung des SG frei von Rechtsirrtümern ist, mußte das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -); die Sache an das Landessozialgericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 3 Satz 1 SGG) erschien nicht zweckmäßig, weil das SG die zur weiteren Sachaufklärung erforderlichen Zeugenbeweise leichter erheben kann.
Die Kostenentscheidung muß dem den Rechtsstreit abschließenden Urteil vorbehalten bleiben.
Fundstellen