Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld. Stiefkinder. Aufnahme in den Haushalt. Familiengemeinschaft. Familienwohnung. räumliche Trennung. Spanier. Haushalt in Spanien
Orientierungssatz
1. Unter Haushaltsaufnahme iS des § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 BKGG nF ist vor allem ein örtlich gebundenes Zusammenleben zwischen Stiefeltern und Stiefkindern zu verstehen. Zu diesem örtlichen Merkmal (Familienwohnung) müssen jedoch weitere Voraussetzungen materieller Art (Vorsorge, Unterhalt) und immaterieller Art (Zuwendungen von Fürsorge, Begründung eines familienähnlichen Bandes) hinzukommen. Fehlt oder entfällt auch nur eines dieser drei, die "Familiengemeinschaft" bildenden Merkmale, so liegt eine Aufnahme des Stiefkindes in den Haushalt nicht oder nicht mehr vor (vgl BSG 25.6.1980 1 RA 15/79 = SozR 2200 § 1262 Nr 14).
2. Eine völlige auf Dauer angelegte räumliche Trennung zwischen Stiefkind und Stiefelternteil läßt die Berücksichtigung eines Stiefkindes im Rahmen des Kindergeldrechtes bei einem Stiefelternteil nicht zu. Der Stiefelternteil und das Stiefkind müssen einer Familiengemeinschaft angehören, also auch einen ortsbezogenen Mittelpunkt gemeinschaftlicher Lebensinteressen, das heißt, eine gemeinsame Familienwohnung haben.
Normenkette
BKGG § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 Fassung: 1985-06-24; SozSichAbk ESP 2 Art 40 Abs 1 Nr 4 Buchst c Fassung: 1975-12-17
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 24.01.1985; Aktenzeichen V KgBf 6/84) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 24.02.1984; Aktenzeichen 5 Kg 1/84) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger über den 31. Mai 1983 hinaus Anspruch auf Kindergeld unter Berücksichtigung seiner Stiefsöhne hat.
Der Kläger ist Spanier. Er arbeitet seit 1969 in Hamburg bei demselben Arbeitgeber. 1975 heiratete er eine verwitwete Spanierin, die ebenfalls in Hamburg erwerbstätig war. Für aus ihrer ersten Ehe stammenden Kinder Manuel Conde Carollo (M.), geboren am 8. Oktober 1967 und Jesus Conde Carollo (J.), geboren am 19. November 1969, die in Spanien in ihrem Elternhaus lebten, erhielt sie Kindergeld.
Die Eheleute haben zwei gemeinsame Kinder, nämlich Rocio Rodriguez Carollo (R.), geboren am 23. Dezember 1975 und Maria Rodriguez Carollo (T.), geboren am 19. März 1984. Die Ehefrau des Klägers war bis 1976 erwerbstätig. Seitdem kommt der Kläger allein für ihren und aller Kinder Unterhalt auf. 1980 baute der Kläger ein eigenes Haus in Spanien. Dort leben seither die Stiefsöhne sowie T. seit ihrer Geburt und R. seit März 1982. Im Juli 1983 kehrte die Ehefrau des Klägers nach Spanien zurück.
Die Beklagte gewährte dem Kläger für R. und ab Januar 1976 auch für seine Stiefsöhne Kindergeld. Mit Bescheid vom 3. Mai 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 1983 hob sie die Kindergeldbewilligung für M. und J. ab November 1982 auf, weil diese Stiefsöhne vor der Arbeitsaufnahme des Klägers im Bundesgebiet nicht dessen Haushalt angehört hätten. Mit weiteren Bescheiden paßte die Beklagte die Kindergeldzahlungen den geänderten Verhältnissen an und erkannte mit Schriftsatz vom 11. Januar 1985 an, daß dem Kläger bis einschließlich Mai 1983 - dem Monat des Erlasses ihres Rücknahmebescheides - noch Kindergeld in voller Höhe von 95,-- DM zu zahlen sei. Dieses Teilanerkenntnis hat der Kläger angenommen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen, weil der Kläger seine Stiefsöhne nicht in seinen Haushalt aufgenommen habe. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. Juni bis 31. Oktober 1983 ein um monatlich 85,-- DM, vom 1. November 1983 bis 29. Februar 1984 ein um monatlich 25,-- DM und ab 1. März 1984 ein um monatlich 60,-- DM höheres Kindergeld zu gewähren. Bei dem Kindergeldanspruch des Klägers, der aus Art 40 des deutsch-spanischen Abkommens über Soziale Sicherheit in der dort genannten Höhe folge, seien seine beiden Stiefkinder zu berücksichtigen, denn sie seien in seinen Haushalt aufgenommen gewesen. Er komme, seit seine Ehefrau nicht mehr erwerbstätig sei, in erster Linie für den Unterhalt der Stiefsöhne auf und habe seinen Haushalt in seinem Haus in Spanien, wo sich M. und J. seit Februar 1982 und damit in einer Familienwohnung des Klägers aufgehalten hätten. Wenn eine Haushaltsaufnahme nach Auffassung der Beklagten unverändert bestehen bleibe, wenn der Stiefvater diesen Haushalt verlasse, um als Gastarbeiter tätig zu werden, so müsse das gleiche auch gelten, wenn ein solcher Haushalt erst begründet werde, wenn der Stiefvater schon vorher als Gastarbeiter tätig gewesen sei. An dem auf Dauer begründeten familienähnlichen Band als wesentliches Merkmal der Haushaltsaufnahme ändere sich dadurch nichts.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 2 Abs 1 Nr 5 des Bundeskindergeldgesetzes -BKGG- aF und des Art 40 des deutsch-spanischen Abkommens. Der Kläger habe seine Stiefkinder nicht in seinen Haushalt aufgenommen. Die von der Rechtsprechung insofern geforderten Voraussetzungen - insbesondere das Vorhandensein eines familienähnlichen Bandes - seien nicht erfüllt.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 24. Januar 1985 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 24. Februar 1984 zurückzuweisen.
Der Kläger stellt keinen ausdrücklichen Antrag, hält jedoch das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte den Rechtsstreit gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich übereinstimmend damit einverstanden erklärt haben.
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des SG war unbegründet; sie ist deshalb zurückzuweisen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Kindergeld unter Berücksichtigung seiner Stiefsöhne für die allein noch streitige Zeit seit dem 1. Juni 1983.
Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß die während des Klage- und Berufungsverfahrens ergangenen Bescheide der Beklagten gemäß §§ 96, 153 SGG Gegenstand des Verfahrens sind und nur noch über die Rechtmäßigkeit des Rücknahmebescheides vom 3. Mai 1983 und der späteren die Änderungen der Verhältnisse für die Zukunft berücksichtigenden Bescheide zu entscheiden ist; das heißt, ob die Beklagte berechtigt war, die früheren Bewilligungen zurückzunehmen, soweit damit die Stiefsöhne berücksichtigt waren und diese bei den späteren Bewilligungen nicht mehr zu berücksichtigen.
Die angefochtenen Bescheide sind in dem noch streitigen Umfang nicht rechtswidrig.
Die Voraussetzungen der völligen oder teilweisen Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte mit Dauerwirkung, wozu auch die Bewilligungen von Kindergeld gehören, sind seit dem Inkrafttreten des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) am 1. Januar 1981 in § 45 SGB X geregelt, wobei die zeitliche Begrenzung des § 45 Abs 3 SGB X im Kindergeldrecht nicht anwendbar ist (§ 20 Abs 4 BKGG idF des Gesetzes vom 18. August 1980 -BGBl I 1469- Art II § 24 Nr 2). Sachverhalte, die einer Rücknahme der Bewilligungen unter Berücksichtigung der Stiefsöhne des Klägers unter dem Gesichtspunkt des zu schützenden Vertrauens, jedenfalls soweit es sich wie hier um die Rücknahme für die Zukunft handelt, sind nicht erkennbar. Die Rücknahme war insoweit zulässig, weil die Bewilligung rechtswidrig war. Ebenso sind die späteren Bewilligungen, mit denen die Beklagte auch weiterhin nur die ehelichen Kinder des Klägers berücksichtigt hat, nicht rechtswidrig.
Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß sich der Kindergeldanspruch des Klägers nach Art 40 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat über Soziale Sicherheit vom 4. Dezember 1973 in der Fassung des Ergänzungsabkommens vom 17. Dezember 1975 - SVA-Spanien - (BGBl II 1977 S 687) richtet. Danach werden für Angehörige, die sich gewöhnlich in Spanien aufhalten, Familienleistungen nur gewährt, wenn der Berechtigte als Arbeitnehmer im Inland tätig ist. Nach der Begriffsbestimmung des Art 1 Nr 10 SVA-Spanien ist "Angehöriger" eine Person, die nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften - im vorliegenden Fall dem BKGG - als solche bestimmt ist. Zu den zu berücksichtigenden Kindern gehören nach § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 5 BKGG in der bis zum 27. Juni 1985 gültig gewesenen Fassung -aF- (Art 21 des Adoptionsanpassungsgesetzes -AdAnpG- vom 24. Juni 1985 -BGBl I 1144) - jetzt § 2 Abs 1 Nr 1 BKGG (in der Fassung des Art 1 Nr 2 AdAnpG) nF - Stiefkinder, die der Berechtigte in seinen Haushalt aufgenommen hat. Letztere Voraussetzung ist nicht schon deshalb erfüllt, weil der Kläger seine Stiefkinder überwiegend unterhält. Die Fiktion der häuslichen Gemeinschaft, die sich aus Art 1 Nr 10 2. Halbsatz SVA-Spanien für den Fall des vom Versicherten überwiegend bestrittenen Unterhalts ergibt, gilt nicht, da in Art 40 Abs 1 Nr 4 SVA-Spanien Abweichendes bestimmt ist. Nach Buchst d dieser Regelung gelten als Angehörige nur die Stiefkinder, die in den Haushalt des Stiefvaters aufgenommen sind. Diese Voraussetzung, die zwischen den Beteiligten allein streitig ist, lag bei der Bewilligung des Kindergeldes unter Berücksichtigung der Stiefsöhne nicht vor und ist auch in der folgenden Zeit niemals erfüllt gewesen.
Seit dem Beitritt des Königreichs Spanien zu den Europäischen Gemeinschaften zum 1. Januar 1986 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 302 vom 15. November 1985 S 5 ff und 9 ff) richtet sich der Kindergeldanspruch des Klägers nach dem Gemeinschaftsrecht, hier insbesondere nach § 73 Abs 1 der Verordnung des Rats der Europäischen Gemeinschaften - VO-EWG - Nr 1408/71 und damit, soweit er hier streitig ist, vor allem wiederum nach § 2 Abs 1 Nr 1 BKGG nF.
Unter Haushaltsaufnahme iS des § 2 Abs 1 Nr 1 BKGG nF ist vor allem ein örtlich gebundenes Zusammenleben zwischen Stiefeltern und Stiefkindern zu verstehen. Zu diesem örtlichen Merkmal (Familienwohnung) müssen jedoch weitere Voraussetzungen materieller Art (Vorsorge, Unterhalt) und immaterieller Art (Zuwendungen von Fürsorge, Begründung eines familienähnlichen Bandes) hinzukommen. Fehlt oder entfällt auch nur eines dieser drei, die "Familiengemeinschaft" bildenden Merkmale, so liegt eine Aufnahme des Stiefkindes in den Haushalt nicht oder nicht mehr vor (BSG SozR 2200 § 1262 Nr 14 mit umfangreichen Nachweisen zur höchstrichterlichen Rechtsprechung). So läßt eine völlige auf Dauer angelegte räumliche Trennung zwischen Stiefkind und Stiefelternteil die Berücksichtigung eines Stiefkindes im Rahmen des Kindergeldrechtes bei einem Stiefelternteil nicht zu. Der Stiefelternteil und das Stiefkind müssen einer Familiengemeinschaft angehören, also auch einen ortsbezogenen Mittelpunkt gemeinschaftlicher Lebensinteressen, das heißt, eine gemeinsame Familienwohnung haben. Eine räumliche Trennung steht nur dann der Annahme einer Familiengemeinschaft nicht entgegen, wenn eine gesicherte Grundlage für die Annahme vorliegt, die räumliche Trennung sei nur vorübergehender Natur (BSG SozR 2200 § 1262 Nr 14). So kann etwa eine Haushaltsaufnahme fortbestehen, wenn sich das Stiefkind zur Schul- oder Berufsausbildung auswärts aufhält (BSGE 25, 109, 111), sich die auswärtige Unterbringung aber nach den Gesamtumständen als nur von vorübergehender Natur erweist. Ist aber die Unterbringung außerhalb der gemeinsamen Familienwohnung derart gestaltet, daß diese nicht der ortsbezogene Mittelpunkt gemeinschaftlicher Lebensinteressen des Stiefkindes und des Stiefelternteils ist und auch als solcher in absehbarer Zeit nicht hergestellt werden soll, ist eine Aufnahme in den Haushalt zu verneinen (BSGE 20, 91, 94; BSGE 29, 294, 295).
Nach den nicht angegriffenen und deshalb für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) haben der Kläger und seine Stiefsöhne einer Familiengemeinschaft in dem oben näher beschriebenen Sinne niemals angehört. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Haus des Klägers in Spanien, in dem die Stiefsöhne während der streitigen Zeit ausschließlich gelebt haben, eine Familienwohnung des Klägers ist, ob er daneben eine weitere Wohnung in der Bundesrepublik Deutschland gehabt hat und ob die Familie des Klägers in dem Haus in Spanien gelebt hat. Der Kläger selbst hat dort jedenfalls niemals auf Dauer gewohnt, sondern nur in den Zeiten seiner jeweiligen Urlaube. Es ist deshalb auch nicht rechtserheblich, daß er die Kosten des Haushalts in Spanien getragen und sicherlich auch die Lebensumstände seiner Familie wesentlich mindestens mitbestimmt hat. Zwar können die Voraussetzungen einer Haushaltsaufnahme auch geschaffen werden, nachdem das Stiefeltern- Stiefkindverhältnis infolge der Heirat mit der Mutter der Kinder begründet worden ist. Eine Haushaltsaufnahme entsteht aber erst, wenn der Stiefelternteil und die Stiefkinder in einer örtlich bezogenen Familiengemeinschaft, die auf Dauer angelegt ist, zusammenleben. Das ist aber bei dem Kläger und seinen Stiefkindern niemals der Fall gewesen; der Kläger war vielmehr durchgehend in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt, und der Kontakt zu den in Spanien lebenden Familienangehörigen bestand in dieser Zeit nur brieflich oder telefonisch. Ob bei Gastarbeitern, bei denen vor Beginn ihrer Beschäftigung in Deutschland bereits Stiefkinder in ihrem Haushalt aufgenommen waren, die Anspruchsvoraussetzungen nach § 2 Abs 1 Nr 1 BKGG nF weiterhin auch als erfüllt angesehen werden können, wenn der Stiefelternteil auf zunächst unbestimmte Zeit nicht mehr der ortsbezogenen Familiengemeinschaft angehört, kann hier dahinstehen. Wenn eine solche Familiengemeinschaft niemals bestanden hat, können die Voraussetzungen einer Haushaltsaufnahme jedenfalls nicht erfüllt sein. Die besonderen Verhältnisse, unter denen Gastarbeiter und ihre Familien leben, rechtfertigen insoweit keine abweichende Beurteilung. Maßgeblich ist nicht der Grund, aus dem eine ortsbezogene Familiengemeinschaft nicht besteht, sondern allein ihr tatsächliches Nichtvorhandensein, woran in jedem Falle - auch bei anderen Berechtigten - der Tatbestand einer Haushaltsaufnahme scheitert. Da der Kläger mit seinen Stiefsöhnen bisher nicht gemeinsam auf Dauer in einer Familienwohnung gelebt hat, ist eine ortsbezogene Familiengemeinschaft durch den Aufenthalt des Klägers in der Bundesrepublik auch nicht vorübergehend unterbrochen worden.
Die Beklagte hat deshalb zutreffend die Stiefsöhne des Klägers seit dem 1. Juni 1983 nicht mehr als Kinder iS des BKGG berücksichtigt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen