Beteiligte

Landesversicherungsanstalt Niederbayern-Oberpfalz

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 6. Dezember 1962 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der 1931 geborene Kläger befand sich vom 14. März bis 6. April 1957 wegen einer Grippe und einer Nebenhöhlenentzündung und vom 30. April bis 23. Dezember 1957 wegen einer Streptokokkensepsis mit Endomyocarditis in stationärer Krankenhausbehandlung. Am 2. Januar 1958 beantragte er Rente aus der Arbeiterrentenversicherung. Die Beklagte gewährte ihm ein Heilverfahren, das in der Zeit vom 12. Juli bis 8. August 1958 in Bad Nauheim durchgeführt wurde. Durch Bescheid vom 7. August 1958 bewilligte sie ihm ferner Übergangsgeld für die Zeit vom 1. Januar bis 8. August 1958, und durch Bescheid vom 15. September 1958 gemäß §§ 1276 Abs. 1, 1246 der Reichsversicherungsordnung (RVO) Rente wegen Berufsunfähigkeit für die Zeit vom 9. August bis 31. Dezember 1958.

Mit seiner gegen den zuletzt genannten Bescheid erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, das ihm nach § 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO zustehende Übergangsgeld müsse ihm bereits vom 31. Oktober 1957 an gezahlt werden, da er innerhalb von drei Monaten, gerechnet vom Beginn der 27. Woche nach seiner zweiten Erkrankung, den Rentenantrag gestellt habe. Das Sozialgericht (SG) Landshut hat seine Klage durch Urteil vom 10. Dezember 1959 abgewiesen und die Berufung zugelassen. Es hat in den Gründen ausgeführt, der Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit trete bei der Rente nach § 1276 Abs. 1 RVO nicht erst mit dem Zeitpunkt der Aussteuerung aus der Krankenversicherung bzw. dem Ablauf der 26. Woche nach Beginn der Berufsunfähigkeit ein, weil es nach neuem Recht keinen besonderen Versicherungsfall der vorübergehenden Berufsunfähigkeit mehr gebe. Da die Rente nicht innerhalb von drei Monaten nach Beginn der Berufsunfähigkeit – gleichgültig ob man diesen bereits mit der ersten oder erst mit der zweiten Erkrankung annehme – beantragt worden sei, könne der Kläger gemäß §§ 1241, 1290 Abs. 2 RVO nur vom Beginn des Antragsmonats, d. h. ab 1. Januar 1958 Übergangsgeld bekommen.

Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt und dazu vorgetragen, der Versicherungsfall sei erst am 30. Oktober 1957 eingetreten, so daß der Rentenantrag rechtzeitig gestellt worden sei.

Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG vom 10. Dezember 1959 aufgehoben und den Bescheid der Beklagten vom 7. August 1958 dahin abgeändert, daß sie verpflichtet ist, das Übergangsgeld bereits vom 31. Oktober 1957 an zu zahlen. Zur Begründung hat das LSG zunächst ausgeführt, der Kläger habe nach seiner Erklärung in der Klageschrift vom 15. Oktober 1958 gegen den Bescheid vom 15. September 1958 Klage erhoben. Dieser Bescheid betreffe die Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente für die Zeit vom 9. August bis 31. Dezember 1958. Hierüber bestehe jedoch zwischen den Beteiligten kein Streit, vielmehr sei allein zweifelhaft, ob der Beginn der Zahlung des Übergangsgeldes richtig festgesetzt worden sei. Über den Anspruch auf Übergangsgeld habe die Beklagte in ihrem Bescheid vom 7. August 1956 entschieden. In Wirklichkeit sei daher dieser Bescheid angefochten. Wann er dem Kläger zugestellt worden sei, sei aus der Heilverfahrensakte nicht zu ersehen. Indessen könne diese Frage auf sich beruhen; da der Bescheid keine Rechtsbehelfsbelehrung enthalte, sei gemäß § 66 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die Frist zur Erhebung der Klage auf jeden Fall gewahrt.

In der Sache ist das LSG der Auffassung, wegen der Vorschrift des § 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO beginne das Übergangsgeld mit dem Zeitpunkt, von dem an die Rente zu zahlen gewesen wäre. Bei der Rente auf Zeit nach § 1276 RVO sei Versicherungsfall an sich der Eintritt der Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit und nicht erst der Ablauf der 26. Woche seit dem Eintritt dieser Ereignisse, weil, wie das Berufungsgericht in längeren Ausführungen dargelegt hat, es nach neuem Recht nur noch einen einheitlichen Versicherungsfall der Berufs- bzw. der Erwerbsunfähigkeit gebe. Der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit sei aber am 30. April 1957 eingetreten, als der Kläger wegen einer Streptokokkensepsis mit Endomyocarditis in das Städtische Elisabeth-Krankenhaus L. eingeliefert worden sei. Der Annahme des Medizinalreferenten Dr. L., wonach Erwerbsunfähigkeit bereits vom 14. März 1957 an bestanden habe, könne nicht zugestimmt werden. Bei der ersten stationären Behandlung vom 14. März 1957 bis 6. April 1957 habe es sich um eine Grippe-Erkrankung mit Nebenhöhlenentzündung gehandelt, die voll ausgeheilt worden sei und die nicht die Ursache der später aufgetretenen Streptokokkensepsis mit Myocarditis gewesen sei. Diese erste Krankheit habe lediglich vorübergehende Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung, aber noch keine Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit hervorgerufen. Dafür spreche auch der Umstand, daß die Krankenkasse die spätere Erkrankung als neue Krankheit aufgefaßt und dementsprechend für sie für 26 Wochen Krankengeld gewährt habe.

Gleichwohl habe dies nicht zur Folge, wie das SG angenommen habe, daß deshalb eine Rentengewährung erst ab 1. Januar 1958 an in Betracht gekommen sei, weil der Kläger nicht innerhalb von drei Monaten nach Eintritt des Versicherungsfalles die Rente beantragt habe (§ 1290 Abs. 2 RVO), sondern erst Anfang 1958. Für die Rente auf Zeit sei sowohl § 1290 Abs. 1 als auch dessen Absatz 2 nicht unmittelbar anwendbar.

Bei der danach allenfalls in Betracht kommenden entsprechenden Anwendung könne aber nur davon ausgegangen werden, daß eine verspätete Antragstellung mit der entsprechenden Wirkung des § 1290 Abs. 2 RVO frühestens nach Ablauf von drei Monaten von dem Zeitpunkt an anzunehmen sei, in welchem die Voraussetzungen für eine Rentengewährung erfüllt seien, in welchem also die Rente frühestens hätte beginnen können, was hier am 30. Oktober 1957 der Fall gewesen sei. Da der Kläger jedoch die Rente am 2. Januar 1958 beantragt habe, also innerhalb von drei Monaten seit dem Beginn der 27. Woche nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit (30. Oktober 1957), hätte damit auch bei einer entsprechenden Anwendung des § 1290 Abs. 2 RVO die Rente vom Beginn der 27. Woche an gewährt werden müssen. Daraus folge wiederum, daß auch das Übergangsgeld nicht erst vom 1. Januar 1958, sondern – entsprechend dem Berufungsantrag – bereits vom 31. Oktober 1957 an zu zahlen sei.

Das LSG hat in seinem Urteil die Revision zugelassen. Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und sinngemäß beantragt,

das Urteil des Bayerischen LSG vom 6. Dezember 1962 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Landshut vom 10. Dezember 1959 zurückzuweisen.

In längeren Ausführungen nimmt die Revision zunächst zu der Frage Stellung, ob der Versicherungsfall bei einer Rente auf Zeit mit dem Eintritt der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit zusammenfällt oder erst mit dem Beginn der 27. Woche eintritt. Die Beklagte bekennt sich sodann zu der zuletzt genannten Auffassung. Auch unter Zugrundelegung dieser Ansicht sei jedoch die Klage nicht begründet, da auch dann die Dreimonatsfrist des § 1290 Abs. 2 RVO nicht gewahrt sei. Die Erwerbsunfähigkeit sei nämlich nicht erst am 30. April 1957, sondern bereits mit der ersten Erkrankung am 14. März 1957 eingetreten. Der Kläger sei damals an einer schweren Grippe mit Nebenhöhlenentzündung erkrankt. Bereits am 28. April 1957 habe es einen Rückfall mit hohem Fieber gegeben. Sei es, daß die Grippe noch nicht völlig ausgeheilt gewesen sei, sei es, daß der Kläger es an der notwendigen Schonung habe fehlen lassen, jedenfalls habe sich eine Streptokokkensepsis mit Myocarditis entwickelt, die einen erneuten mehrmonatigen Krankenhausaufenthalt notwendig gemacht habe. Da an jeder Grippeerkrankung Streptokokken beteiligt seien und der Kläger durch die erste Erkrankung für eine Streptokokkeninfektion besonders anfällig gewesen sei, müsse bei der kurzen Zeitspanne zwischen dem ersten und dem zweiten Krankenhausaufenthalt Erwerbsunfähigkeit bereits vom 14. März 1957 an angenommen werden. Daß die Krankenkasse die zweite Erkrankung als neuen Krankheitsfall entschädigt habe, sei für die Rentenversicherung nicht verbindlich. Die 27. Woche habe somit am 13. September 1957 begonnen. Der Rentenantrag sei aber erst am 2. Januar 1958 gestellt worden und damit verspätet.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen,

da das angefochtene Urteil richtig sei.

II.

Die von der Beklagten form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision ist unbegründet.

Soweit die Revision vorträgt, der Versicherungsfall sei beim Kläger bereits mit seiner ersten Erkrankung am 14. März 1957 eingetreten, kann dieses Vorbringen in der Revisionsinstanz nicht berücksichtigt werden. Das LSG hat ausdrücklich festgestellt, daß es sich bei der ersten Erkrankung nur um eine vorübergehende Krankheit gehandelt habe, die völlig hätte ausgeheilt werden können, und daß der Kläger erst am 30. April 1957 „erwerbsunfähig” geworden sei. Hieran ist der Senat nach § 163 SGG gebunden, da die genannten Feststellungen mit Verfahrensrügen nicht angegriffen sind.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist Versicherungsfall bei der Rente auf Zeit nach § 1276 RVO der Eintritt der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit (BSG 22, 278; SozR § 1276 RVO Nr. 3). Dagegen haben sich ua Scheerer (SozVers. 1965, 359 ff) und Malkewitz (DRentV 1966, 6 ff) gewandt. Für die hier zu entscheidende Frage ist diese Streitfrage jedoch bedeutungslos. Auch unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BSG muß die Rente auf Zeit vom Beginn der 27. Woche nach Eintritt der vorübergehenden Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit gezahlt werden, wenn der Rentenantrag nicht später als drei Monate nach diesem Zeitpunkt gestellt ist.

Nach § 1290 Abs. 1 Satz 1 RVO ist die Rente grundsätzlich vom Beginn des Monats an zu gewähren, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind. Das gilt jedoch ua nur vorbehaltlich der Bestimmung des § 1276 RVO. Während somit für die anderen Rentenleistungen zur Vermeidung einer zeitraubenden Abrechnung des ersten Rentenzahlbetrages nach Tagen immer der Erste eines Monats als Anfangszeitpunkt gewählt worden ist, muß demgegenüber bei der Rente auf Zeit, im Einklang mit der ausdrücklichen Regelung in § 1276 Abs. 1 RVO, die Rente für den ersten Monat stets nach Tagen ausgerechnet werden. Darauf, wann der Rentenantrag gestellt ist, kommt es hiernach zunächst nicht an.

Erst § 1290 Abs. 2 RVO schreibt dann vor, daß abweichend von dieser grundsätzlichen Regelung die Rente wegen Berufsunfähigkeit oder wegen Erwerbsunfähigkeit stets erst vom Beginn des Antragsmonats an zu gewähren ist, wenn der Antrag später als drei Monate nach dem Eintritt der Berufsunfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit gestellt wird. Dabei ist jedoch nunmehr keine Ausnahme für die Rente nach § 1276 RVO mehr vorgesehen. Es fehlt daher jeder Anlaß, für diese Rentenart § 1290 Abs. 2 RVO nicht anzuwenden. Im Zusammenhang mit der Rente auf Zeit kann die damit unausweichliche Anwendbarkeit des § 1290 Abs. 2 RVO aber nur bedeuten, daß der Rentenantrag hier nicht später als drei Monate nach dem Beginn der 27. Woche nach dem Eintritt der voraussichtlich in absehbarer Zeit behobenen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit gestellt sein darf. Andernfalls müßte in vielen Fällen die Rente bereits zu einer Zeit beantragt werden, zu der überhaupt noch nicht zu erkennen ist, ob es jemals zu einer Leistung aus der Rentenversicherung kommen wird. Außerdem würde der Versicherungsträger alsdann in der Regel ohnehin erst den Ablauf von 26 Wochen abwarten, bevor er zu der Frage Stellung nimmt, ob der Versicherungsfall für eine Rente auf Zeit nach § 1276 RVO eingetreten ist. Vor allem aber würde anderenfalls die Dreimonatsfrist schon laufen, bevor überhaupt eine Rente zu zahlen ist. Allein sinnvoll ist es daher, die Dreimonatsfrist des § 1290 Abs. 2 RVO bei einer Rente nach § 1276 RVO mit dem Ablauf der 26. Woche beginnen zu lassen, und zwar unabhängig von der Frage, was Versicherungsfall bei den Renten auf Zeit im einzelnen ist. Der Auffassung von Jantz/Zweng (Das neue Recht der RentV der Arbeiter und der Angestellten, § 1276 RVO Anm. III 1 Abs. 3), § 1290 Abs. 2 RVO greife dann Platz, wenn der Antrag in dem auf die 27. Woche folgenden oder einem späteren Monat gestellt wird, die Rente beginne alsdann, da der Antrag später als drei Monate nach Eintritt der Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit gestellt sei, am Ersten des Antragsmonats, ist somit nicht zu folgen. Wäre diese Ansicht richtig, würde einmal dann, wenn der Ablauf der 26. Woche in die letzten Tage eines Monats fällt und der Rentenantrag nicht mehr im Laufe dieses Monats gestellt wird, wegen des damit verbundenen Beginns der Rente zum Ersten des Antragsmonats der Versicherte um die Rente für mehrere Tage gebracht werden. Das wäre ein nicht zu billigendes Ergebnis.

Darüber hinaus wäre die von Jantz/Zweng vertretene Auffassung aber auch noch aus einem anderen Grunde wenig sinnvoll. § 1290 Abs. 2 RVO bezweckt als Ausnahme von Abs. 1 einen späteren Rentenbeginn als den Regelbeginn. Diesem Grundgedanken würde eine Auslegung nicht entsprechen, die zur Folge hat, daß ein nach § 1290 Abs. 2 RVO verspäteter Antrag (zB vier oder fünf Monate nach Eintritt der voraussichtlich in absehbarer Zeit behobenen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit) nicht zu einem verspäteten, sondern zum Regelbeginn führt. Deshalb ist aus den dargelegten Erwägungen der Ansicht des LSG zuzustimmen. Da nach dessen Feststellungen der Versicherungsfall der vorübergehenden Erwerbsunfähigkeit am 30. April 1957 eingetreten ist, lief die 26. Woche somit in den letzten Tagen des Monats Oktober 1957 ab. Die Rente aber ist am 2. Januar 1958 beantragt worden, also noch vor Ablauf von drei Monaten seit Ende Oktober 1957.

Nach alledem hat das LSG die Beklagte im Hinblick auf § 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO zu Recht entsprechend dem Klageantrag zur Zahlung von Übergangsgeld bereits vom 31. Oktober 1957 an verurteilt.

Die Revision ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI707682

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