Leitsatz (amtlich)
Hat eine Behörde die Möglichkeit zur Einhaltung einer gesetzlichen Ausschlußfrist (hier: Antrag auf Schlechtwettergeld = AVAVG § 143l Abs 2) durch ihr eigenes Verhalten (hier: Nichtinformation über Dienstbereitschaft) eingeschränkt, so kann nach den besonderen Umständen des Einzelfalles in der Berufung auf den Fristablauf die mißbräuchliche Ausnutzung einer formalen Rechtsposition liegen (Mitverursachung).
Normenkette
AVAVG § 143l Abs. 2
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 1964 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 16. Mai 1962 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I. Die Klägerin, eine Baufirma, hatte am 31. Mai 1961 gegen 14 Uhr bei dem Postamt M einen Eil- und Einschreibebrief aufgeben lassen, mit dem sie Abrechnungslisten zur Erstattung von Schlechtwettergeld für die Abrechnungszeiträume vom 29. Dezember 1960 bis zum 11. Januar 1961, vom 12. bis zum 25. Januar und vom 26. Januar bis zum 8. Februar 1961 einreichte und Schlechtwettergeld in Höhe von insgesamt 3.551,65 DM beantragte. Dieser Eil- und Einschreibebrief wurde dem Arbeitsamt erst am Vormittag des 2. Juni 1961 zugestellt; der 1. Juni (Fronleichnam) war gesetzlicher Feiertag. Die beklagte Bundesanstalt lehnte das beantragte Schlechtwettergeld ab, da die am 31. Mai 1961 endende Ausschlußfrist des § 143 l Abs. 2 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) versäumt sei (bescheid vom 23. Juni 1961). Der Widerspruch der Klägerin bleib erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 8. August 1961). Mit ihrer Klage machte diese dann geltend, sie habe noch vor Fristablauf ihren Antrag als Eilbrief der Post übergeben. Bei ordnungsgemäßer Zustellung wäre er rechtzeitig beim Arbeitsamt eingegangen, das am 31. Mai 1961 wegen der Ausschlußfrist alle Vorkehrungen zur Annahme von Sendungen bis 24 Uhr getroffen hatte. Einem Schreiben des Telegrafenamtes München vom 27. Juli 1961 zufolge habe die Post am 31. Mai 1961 deshalb keinen Zustellungsversuch unternommen, weil erfahrungsgemäß das Arbeitsamt nach 18 Uhr geschlossen und für den Empfang eines Einschreibebriefes kein Bevollmächtigter anwesend sei. Unter solchen Umständen stelle die Berufung auf die Versäumung der Ausschlußfrist durch die Beklagte einen Rechtsmißbrauch dar.
Nach einer vom Sozialgericht - SG - zur Auflage gemachten Überprüfung der Lohnbücher der Klägerin erklärte die Beklagte, daß, abgesehen von der Versäumung der Antragsfrist, der geltend gemachte Schlechtwettergeldanspruch an sich nach einem Betrag von 3.449,05 DM begründet sei. Daraufhin verurteilte das SG die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide, der Klägerin in dieser Höhe Schlechtwettergeld zu zahlen (Urteil vom 16. Mai 1962).
II. Auf die Berufung der beklagten Bundesanstalt hob das Bayerische Landessozialgericht - LSG - das Urteil des SG auf und wies die Klage ab (LSG-Urteil vom 29. Januar 1964): Es handele sich bei der von der Klägerin versäumten Frist des § 143 l Abs. 2 AVAVG um eine gesetzliche Ausschlußfrist, auf die weder die Grundsätze über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand noch jene über die Hemmung der Verjährung Anwendung finden könnten. Die Berufung der Beklagten auf diese versäumte Ausschlußfrist sei auch nicht rechtsmißbräuchlich, Insbesondere könnten hier die vom Bundessozialgericht - BSG - zu §§ 56, 58 des Bundesversorgungsgesetzes - BVG - aF entwickelten Grundsätze nicht angewendet werden. Die Frist des § 143 l Abs. 2 AVAVG diene nicht zur Nachprüfung der Anspruchsvoraussetzungen des Schlechtwettergeldes, da das schon auf Grund der sofortigen Anzeige nach § 143 e AVAVG geschehe, sondern solle, wie sich aus der Regierungsbegründung zu § 143 l AVAVG eindeutig ergebe, aus Haushaltsgründen eine rasche Geltendmachung und Abwicklung der Ansprüche auf Schlechtwettergeld sicherstellen. Hierdurch sei die der Ausschlußfrist zukommende Funktion unmißverständlich vom Gesetzgeber geklärt, weshalb kein Raum für Billigkeitserwägungen bleibe. Unerheblich sei auch, daß die Klägerin das Schlechtwettergeld an ihre Arbeitnehmer bereits ausgezahlt habe.
Revision wurde zugelassen.
Die Klägerin legte form- und fristgerecht Revision ein. Nach der herrschenden Lehre vom Rechtsmißbrauch sei die Berufung auf eine Ausschlußfrist auch im öffentlichen Recht rechtsmißbräuchlich, wenn sie von dem Zweck dieser Vorschrift unter Berücksichtigung der konkreten Umstände nicht mehr gedeckt werde. Das LSG habe bei seiner Entscheidung bereits den gesetzgeberischen Zweck des § 143 l Abs. 2 AVAVG verkannt. Die sofortige Anzeige des witterungsbedingten Arbeitsausfalls nach § 143 e AVAVG solle die Beklagte zunächst in die Lage versetzen, nachzuprüfen, ob tatsächlich der eingetretene Arbeitsausfall ausschließlich auf witterungsbedingten Gründen beruhe. Damit sei aber nur ein Teil der Anspruchsvoraussetzungen für den Schlechtwettergeldanspruch geprüft und festgestellt; die Frist des § 143 l Abs. 2 AVAVG diene dann zur rechtzeitigen Nachprüfung der weiteren, insbesondere persönlichen Anspruchsvoraussetzungen der Arbeitnehmer, um zu verhindern, daß gegen die Beklagte zu einem Zeitpunkt Erstattungsansprüche erhoben würden, in dem sie jene Anspruchsvoraussetzungen nicht mehr oder nur schwer nachprüfen könne. Weil aber die sachliche Berechtigung des von der Klägerin erhobenen Schlechtwettergeldanspruchs außer Zweifel stehe, sei der Einwand des Rechtsmißbrauchs gegenüber der Berufung auf die Ausschlußfrist begründet. Dies gelte selbst dann, wenn die Frist des § 143 l Abs. 2 AVAVG lediglich aus Haushaltsgründen geschaffen worden sei. Im übrigen mache die Klägerin primär keinen eigenen Anspruch geltend, sondern einen Erstattungsanspruch, der ihr aus einer Geschäftsführung für die Beklagte erwachsen sei; deshalb verstoße es um so mehr gegen Treu und Glauben, wenn diese sich auf ihre lediglich formale Rechtsposition berufe und den nach Grund und Höhe unstreitigen Schlechtwettergeldbetrag nicht erstatte. Da das LSG jene wirtschaftlichen Zusammenhänge nicht untersuchte, habe es auch die §§ 153, 112 Abs. 2, 128 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - verletzt.
Die Klägerin beantragt,
I. Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 1964 aufzuheben.
II. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 16. April 1962 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, es handle sich bei der Frist des § 143 l Abs. 2 AVAVG um eine materielle Ausschlußfrist, gegen deren Versäumung Nachsichtgewährung oder Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich seien. Ebenso könnten, wie das LSG mit zutreffender Begründung festgestellt habe, die Erwägungen des BSG zu §§ 56, 58 BVG aF und § 1546 der Reichsversicherungsordnung - RVO - aF (BSG 10, 88, BSG 14, 246 und BSG in Breithaupt 60, 1099) nicht auf die Vorschrift des § 143 l Abs. 2 AVAVG angewendet werden. Auch das Bundesverwaltungsgericht habe bereits mehrfach entschieden, daß die vom Großen Senat des BSG in seinem Beschluß vom 9. Juni 1961 (BSG 14, 246) gewonnenen Erkenntnisse nicht auf andere Rechtsgebiete übertragbar seien. Die Frist des § 143 l Abs. 2 AVAVG solle einerseits verhindern, daß Schlechtwettergeld noch unbegrenzte Zeit nach dem Ende des Schlechtwettergeldzeitraums beantragt werde, und andererseits, wie sich aus der Regierungsbegründung hierzu ergebe, sicherstellen, daß die Beklagte innerhalb jener Zeitspanne Klarheit über den Umfang der einschlägigen finanziellen Belastungen erlange. Diese Zwecke würden in Frage gestellt, wenn die Fristvorschrift in den Fällen als nicht vorhanden angesehen werde, in denen der verspätet geltend gemachte Anspruch im übrigen nach Grund und Höhe unbestritten sei. Auf die Fristwahrung könne auch nicht unter Berufung auf die Rechtsgrundsätze von Treu und Glauben verzichtet werden, da es sich um keine ein Gestaltungsrecht betreffende Ausschlußfrist des BGB, sondern um eine von Amts wegen zu berücksichtigende öffentlich-rechtliche Ausschlußfrist handele. Unter diesen Umständen sei die Berufung auf deren Ablauf nicht als Verletzung der Rechtsordnung oder von Sittengesetzen zu beanstanden, zumal das örtlich zuständige Arbeitsamt in einem Rundschreiben vom 28. April 1961 alle Betriebe des Baugewerbes nochmals ausdrücklich auf die gesetzliche Frist hingewiesen habe. Selbst wenn es aber zulässig wäre, die Wirkung dieser Ausschlußfrist unter gewissen Umständen einzuschränken und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, so habe die Klägerin keine rechtserheblichen Wiedereinsetzungsgründe dargetan. Insbesondere könne sie nicht auf die verzögerte Postzustellung berufen, da sie das Risiko hierfür zu tragen habe. Unerheblich bleibe schließlich, ob die Klägerin bei der Auszahlung des Schlechtwettergeldes in Geschäftsführung für die Beklagte tätig geworden sei, da dies von der Einhaltung der Antragsfrist nicht entbinde.
III. Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist zulässig und begründet.
Die Klägerin ist befugt, die an sich nach § 143 f AVAVG ihren Arbeit-nehmer zustehenden Ansprüche auf Schlechtwettergeld im sozialgerichtlichen Verfahren geltend zu machen. Nach § 143 l Abs. 2 AVAVG hat der Arbeitgeber den Antrag auf Schlechtwettergeld beim Arbeitsamt zu stellen und gemäß Abs. 3 die Anspruchsvoraussetzungen nachzuweisen. Hieraus ergibt sich, ähnlich wie beim Antrag auf Kurzarbeitergeld, für den Fall der Ablehnung des Antrags die Prozeßführungsbefugnis (gesetzliche Prozeßstandschaft) der Klägerin (vgl. Draeger/Buchwitz/Schönefelder, Komm. zum AVAVG, § 188 Anm. 7).
Nach § 143 Abs. 2 AVAVG ist der Antrag auf Schlechtwettergeld vom Arbeitgeber "spätestens innerhalb einer Ausschlußfrist von 2 Monaten nach dem Ende der Schlechtwetterzeit bei dem für die Baustelle zuständigen Arbeitsamt einzureichen". Als Schlechtwetterzeit gilt gemäß § 143 n Abs. 1 AVAVG, § 1 der 8. Verordnung zur Durchführung des AVAVG vom 9. Dezember 1959 idF der Verordnung vom 19. Oktober 1960 (BGBl. I S. 829) die Zeit vom 1. November bis zum 31. März, weshalb nach §§ 190 AVAVG, 125 RVO die Ausschlußfrist des § 143 l Abs. 2 AVAVG für die Klägerin spätestens am 31. Mai 1961, 24 Uhr, endete. Nach den das Revisionsgericht bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG ist der am 31. Mai 1961 gegen 14 Uhr mit Eil-Einschreibebrief aufgegebene Antrag der Klägerin jedoch erst am Morgen des 2. Juni 1961 dem zuständigen Arbeitsamt zugestellt worden.
Es kann - Rechtsprechung und Schrifttum haben das Problem allerdings bisher in dieser Richtung, soweit ersichtlich, nicht aufgegriffen - zweifelhaft sein, ob bei dem geschilderten Sachverhalt die Ausschlußfrist rein äußerlich überhaupt versäumt ist. In neuerer Zeit mehren sich die Fälle, in denen für die Einhaltung einer Frist bei Benutzung der Post die Zeitangabe des Postauflieferungsstempels für maßgebend erklärt wird, nicht das Datum des tatsächlichen Eintreffens der Postsendung bei dem Empfänger (vgl. als eines der frühesten Beispiele die Fristwahrung bei der Übersendung von Prüfungsarbeiten). Abgesehen davon, daß die Handhabung gerechter im Sinne einer Gleichbehandlung der Rechtsgenossen erscheint als die bisher gängige, die z. B. einen auswärtigen Absender von vornherein schlechter stellt, indem die Frist sich für ihn praktisch verkürzt und außerdem sein Zustellungsrisiko wächst, wird der Absender vollends benachteiligt, wenn er - wie in solchen Fällen häufig- gerade mit der Aufgabe zur Post durch "Einschreiben" einen für ihn wichtigen Beleg erstrebt, den er anderweitig nur schwer oder gar nicht erlangen kann; denn der so gewählte Weg verzögert - überwiegend, ohne daß der Absender sich dessen bewußt ist- die Ankunft beim Empfänger oftmals und vereitelt dadurch nicht selten die Fristwahrung. Diese Frage, bei der eine zeitgemäße Lösung zahlreiche Schwierigkeiten und Ärgernisse vermeiden würde, kann im vorliegenden Falle jedoch dahinstehen. Denn die Revision der Klägerin führt bereits aus einem anderen Grunde zum Erfolg.
Da es sich in § 143 l Abs. 2 AVAVG nicht um eine Frist zur Geltendmachung oder Verteidigung von Rechten vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, d. h. um eine verfahrensrechtliche Frist im Sinne des § 67 SGG handelt (vgl. Peters/Sautter/Wolff, Komm. zum SGG § 67 Anm. 3), kann zwar gegen ihre Versäumung weder Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, noch sind die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die Hemmung der Verjährung (§§ 202 ff BGB) entsprechend anwendbar (vgl. Daeger /Buchwitz/Schönefelder aaO, § 143 l Anm. 17; Krebs, Komm. zum AVAVG, 2. Aufl., § 143 l Anm. 14; Brodhun/Strippel/Hennig, Komm. zum AVAVG, § 143 l Anm. 4; ferner BSG 19, 174 u. a.). Entgegen der Auffassung der Revision lassen sich auch die vom BSG zu §§ 56, 58 aF, § 1546 RVO entwickelten Grundsätze (vgl. BSG 10, 88; 14, 246) auf den vorliegenden Fall nicht übertragen. Insbesondere bezieht sich der Beschluß des Großen Senats des BSG vom 9. Juni 1961 (BSG 14, 246 ff), der im Schrifttum und in der obergerichtlichen Rechtsprechung keine einhellige Anerkennung gefunden hat, ausschließlich auf § 58 Abs. 2 BVG aF, enthält also keine allgemeinen auf § 143 l Abs. 2 AVAVG zu erstreckenden Grundsätze (vgl. BSG vom 28. April 1964 - 12 RJ 300/60; BVerwG vom 7. Dezember 1961 in Deutsches Verwaltungsblatt 1962, 227). Die Annahme, es handele sich bei § 143 l Abs. 2 AVAVG um eine unechte, § 58 Abs. 1 BVG vergleichbare, in die Disposition der Verwaltung gestellte Frist, die nach ihrer rechtspolitischen und sozialen Funktion dem Schutz der Verwaltung vor schwer nachprüfbaren Ansprüchen diene und die daher keine Anwendung finden könne, wenn die Anspruchsvoraussetzungen zweifelsfrei gegeben seien, steht schon der Wortlaut dieser Vorschrift entgegen. Hier hat sich der Gesetzgeber nicht damit begnügt, eine Frist zur Antragstellung zu setzen, sondern er hat durch die Verwendung des gesetzestechnischen Ausdruckes "Ausschlußfrist" klargestellt, daß ihre Versäumung regelmäßig den Anspruch endgültig und ohne die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung oder dergleichen zum Erlöschen bringen solle. Darüber hinaus hat er durch Einfügen des Wortes "spätestens" nochmals besonders hervorgehoben, daß diese Ausschlußfrist die äußerste Grenze darstellen solle, innerhalb derer die Anträge auf Schlechtwettergeld beim Arbeitsamt einzureichen sind. Somit ergibt sich aus der Fassung des § 143 l Abs. 2 AVAVG nicht nur keinerlei Anhaltspunkt dafür, daß der Gesetzgeber lediglich eine unechte Ausschlußfrist schaffen wollte, sondern vielmehr im Gegenteil, daß es sich hier um eine echte, grundsätzlich zu beachtende materiell-rechtliche Ausschlußfrist handelt. Die Frist des § 143 l Abs. 2 AVAVG dient nicht allein dem Schutz der Verwaltung vor erst nach erheblichem Zeitablauf geltend gemachten und daher nur noch schwer nachprüfbaren Ansprüchen, sondern sie hat zugleich eine wesentliche Ordnungsfunktion zum Inhalt. Der Umstand, daß die Ausgaben für das Schlechtwettergeld einen sehr großen Ausgabeposten im Haushalt der Beklagten darstellen, erfordert es, daß sie möglichst schnell Überblick über die auf sie zukommenden Belastungen erhält, um ihre weitere Haushaltsplanung hierauf einzurichten und die entsprechenden Mittel rechtzeitig bereitzustellen. Neben diesen finanziellen Erwägungen bedingen auch Gründe des Personalhaushalts eine möglichst rasche Einreichung der Anträge auf Schlechtwettergeld, damit die Beklagte diese bis zum Beginn der nächsten Schlechtwetterperiode bearbeiten und abrechnen kann. Daher liegt die Einhaltung der zur Sicherstellung dieser Ziele geschaffenen Ausschlußfrist nicht zuletzt im Interesse der Arbeitgeber selbst, da nur so eine schnelle Erledigung ihrer Anträge und die baldige Erstattung des Schlechtwettergeldes gewährleistet werden kann. In diesem Zusammenhang kommt allerdings dem Umstand, daß der Arbeitgeber das Schlechtwettergeld bereits vor Antragstellung an die Arbeitnehmer ausgezahlt hat, gleichsam also für die Arbeitsverwaltung vorweg verauslagte, entgegen der Meinung der Klägerin rechtlich eine besondere Bedeutung nicht zu.
IV. Entfällt sonach wegen der Versäumung der materiell-rechtlichen Ausschlußfrist des § 143 l Abs. 2 AVAVG der Anspruch auf Schlechtwettergeld grundsätzlich, was von Amts wegen zu beachten ist (vgl. BSG 14, 249; 18, 256; BAG 6, 173; 10, 5; Nipperdey in NJW 1957, 321), so muß doch die Berufung hierauf den im öffentlichen Recht ebenfalls geltenden Grundsätzen von Treu und Glauben (BSG 18, 264) entsprechen, wenn sie nicht eine unzulässige (mißbräuchliche) Ausnutzung einer Rechtsposition darstellen soll (vgl. BAG vom 27. März 1963, AP Nr. 9 zu § 59 BetrVerfG; Nipperdey aaO und Günkel in OKK 1959, 133). Besondere Umstände, die im Einzelfall gebieterisch zur Annahme eines solchen Rechtsmißbrauchs zwingen (vgl. BSG 2, 289; BSG 28. November 1958, 8 RV 869/57, Nipperdey aaO), sind nach herrschender Meinung (vgl. Staudinger, Komm. zum BGB, 11. Aufl., § 242 Anm. D 502 bis 504, 486, 487, 491 mit ausführlichem Literaturhinweis und Bay. ObLG 24. November 1961 in MDR 1961, 303) vor allem dann gegeben, wenn die Behörde vorsätzlich die Versäumung der Ausschlußfrist herbeigeführt hat oder nunmehr eine Haltung einnimmt, die mit ihrem früheren Verhalten, das den Antragsteller vernünftigerweise von der Fristwahrung abgehalten hat, unvereinbar ist. Unmittelbar erwächst zwar keiner dieser Sachverhalte, aus den vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen, indessen ergibt sich aus ihnen doch ein höchst verwandter Tatbestand.
Durch Art. 1 Nr. 3 des Dritten Änderungsgesetzes zum AVAVG vom 28. Oktober 1960 (BGBl. I 838) wurde die Ausschlußfrist des § 143 l Abs. 2 AVAVG auf zwei Monate nach dem Ende der Schlechtwetterzeit festgesetzt, "damit die Betriebe genügend Zeit zur Abrechnung haben" (so die Regierungsbegründung zur Bundestagsdrucksache III 1957 Nr. 2044). Von Gesetzes wegen war die Klägerin befugt, diese verlängerte Frist voll auszuschöpfen. Sie hat das rechtmäßig getan, indem sie am letzten Tage der ihr zustehenden Frist - dem 31. Mai 1961 gegen 14 Uhr - bei der Post einen Eil-Einschreibebrief an das örtliche Arbeitsamt aufgab. Damit hatte die Klägerin einen gangbaren und zulässigen Weg zur Fristwahrung gewählt. Daneben bleibt ohne Belang, daß ihr möglicherweise auch das eine oder andere Beförderungsmittel für den Erstattungsantrag mit den Abrechnungslisten (etwa durch Boten) zur Verfügung gestanden hätte. Jedenfalls aber war die Klägerin nicht gehalten, bei der Aufgabe ihres Eil-Einschreibebriefes mit außergewöhnlichen postdienstlichen Verzögerungen oder sonstigen behördlichen Unzulänglichkeiten zu rechnen. Im Verhalten der Klägerin ist ein Verschulden sachlich nicht festzustellen; es bliebe auch rechtlich irrelevant. Andererseits handelten sowohl das Postzustellungsamt, das am 31. Mai 1961 um 18 Uhr keinen Zustellungsversuch mehr unternahm, als auch das Arbeitsamt fehlerhaft, das die Post nicht über den Bereitschaftsdienst unterrichtete, den es wegen der besonderen Bedeutung des Fristablaufs für die Bauwirtschaft an diesem Tage bis 24 Uhr eingerichtet hatte. Dadurch ist die Nichteinhaltung der gesetzlichen Frist zum mindesten mitverursacht worden. Im übrigen wurden die Interessen der Arbeitsverwaltung, die durch die Ausschlußfrist des § 143 l Abs. 2 AVAVG geschützt werden sollen, durch den Briefeingang am nächsten Werktag nicht beeinträchtigt. Diese Einzelumstände des vorliegenden Falles insgesamt machen die Erstattungsverweigerung der beklagten Bundesanstalt zur unzulässigen Ausnutzung einer formalen Rechtsposition.
Nach alledem erwies sich die Revision der Klägerin als gerechtfertigt (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG); das Urteil des Berufungsgerichts war daher aufzuheben, und das Urteil des SG München mußte wiederhergestellt werden.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen