Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuordnung des Urlaubsabgeltungsanspruchs

 

Leitsatz (amtlich)

Die Voraussetzungen für einen Urlaubsabgeltungsanspruch, der mit Konkursausfallgeld auszugleichen wäre, sind nicht erfüllt, wenn der Arbeitnehmer wegen der Insolvenz des Arbeitgebers eine neue Arbeit aufnimmt, aber zwischen ihm und dem Arbeitgeber Übereinstimmung darin besteht, daß das alte Arbeitsverhältnis über das Insolvenzereignis hinaus fortbesteht.

 

Orientierungssatz

Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist dem Zeitraum zuzuordnen, der der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses unmittelbar vorausgeht (vgl BSG 1977-11-30 12 RAr 99/76 = BSGE 45, 191).

 

Normenkette

AFG § 141b Abs 2 Fassung: 1974-07-17; BUrlG § 7 Abs 4; AFG § 141b Abs 1

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 08.12.1978; Aktenzeichen L 9 (16) Ar 72/77)

SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 23.09.1977; Aktenzeichen S 4 Ar 275/76)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob dem Kläger für ausfallende Urlaubsabgeltung Konkursausfallgeld (Kaug) zu zahlen ist.

Der Kläger war seit 1957 bei dem Bauunternehmen K & Co GmbH beschäftigt. Nachdem ihm einige Wochen kein Lohn gezahlt worden war, trat er am 20. September 1976 eine neue Arbeitsstelle bei einer Arbeitsgemeinschaft an. Am 23. September 1976 lehnte das Amtsgericht einen Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Baugesellschaft mangels Masse ab. Mit Schreiben vom 14. Oktober 1976 kündigte die Baugesellschaft dem Kläger fristgerecht zum 30. Juni 1977. Durch Versäumnisurteil verurteilte das Arbeitsgericht Herne die Baugesellschaft zur Lohnzahlung bis Ende des Arbeitsverhältnisses (30. Juni 1977) und zur Zahlung einer Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes.

Die Beklagte lehnte den Antrag auf Kaug für ausgefallenes Arbeitsentgelt, Urlaubsgeld und Urlaubsabgeltung zunächst insgesamt ab, weil der Kläger schon seit März 1976 bei der Arbeitsgemeinschaft beschäftigt gewesen sei, an der die Baugesellschaft beteiligt war (Bescheid vom 14. Oktober 1976, Widerspruchsbescheid vom 12. November 1976).

Während des Klageverfahrens hat die Beklagte dem Kläger Kaug für die Zeit vom 1. August bis 18. September 1976 gewährt, den Antrag auf Urlaubsabgeltung aber abgelehnt (Bescheid vom 6. Mai 1977). Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger für drei Monate Urlaubsabgeltung zu zahlen (Urteil des SG Gelsenkirchen vom 23. September 1977). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. November 1977 - 12 RAr 99/76 - (BSGE 45, 191) werde zwar ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung im Konkurs nur für die letzten der abzugeltenden Urlaubsdauer entsprechenden Tage vor der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berücksichtigt. Da das Arbeitsverhältnis erst am 30. Juni 1977 geendet habe, falle der Urlaubsabgeltungsanspruch nach diesem Urteil auch nicht in die Kaug-Zeit von Juli bis August 1976. Die in dem obengenannten Urteil geäußerte Rechtsansicht gelte aber nur "regelmäßig". In den Fällen der vorliegenden Art müsse die tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausreichen. Dem Kläger sei nicht zuzumuten gewesen, das Arbeitsverhältnis auch rechtlich zu beenden. Es sei aber auch nicht vertretbar, daß er den Abgeltungsanspruch völlig verliere. Der auf die Kaug-Zeit entfallende Urlaubsanspruch - sechs Tage - sei daher als Kaug abzugelten (Urteil des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. Dezember 1978).

Die Beklagte rügt mit der nachträglich vom BSG zugelassenen Revision eine Verletzung des § 141b des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG).

Sie beantragt,

die Urteile des LSG für das Land

Nordrhein-Westfalen vom 8. Dezember 1978

und des SG Gelsenkirchen vom 23. September 1977

aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die angefochtenen Urteile sind aufzuheben. Die Klage ist abzuweisen.

Ein Urlaubsabgeltungsanspruch kann zwar nach § 141b Abs 1 AFG durch Kaug ausgeglichen werden. Der Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers ist aber nicht in den drei Monaten des Arbeitsverhältnisses entstanden, die der Ablehnung des Konkurseröffnungsantrages vorausgingen (vgl § 141b Abs 1 iVm Abs 3 Nr 1 AFG). Nach § 141b Abs 2 AFG gehören zu den durch Kaug auszugleichenden Ansprüchen auf Arbeitsentgelt alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, die unabhängig von der Zeit, für die sie geschuldet werden, Masseschulden nach § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst a der Konkursordnung (KO) sein können. Dazu zählen alle Ansprüche, die als Gegenleistung für die Arbeitsleistung anzusehen sind. Eine Gegenleistung für die Arbeitsleistung ist auch die Urlaubsabgeltung (vgl BSGE 45, 191, 194 = SozR 4100 § 141b Nr 5 mit Nachweisen). Der Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers ist aber nicht der Zeit zuzuordnen, für die das Kaug-Recht die Versicherung übernimmt.

Anspruch auf Kaug besteht für die letzten dem Insolvenzereignis vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses (§ 141b Abs 1 und 3 AFG). Anspruch auf Urlaubsabgeltung hingegen entsteht erst bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dieser Anspruch setzt voraus, daß Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr genommen werden kann (§ 7 Abs 4 des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG-).

Das BSG hat in Übereinstimmung mit dem Bundesarbeitsgericht (BAG) bereits mehrfach entschieden, daß Ansprüche, deren Voraussetzungen in einem längeren Zeitraum geschaffen worden sind, die aber arbeitsrechtlich zu einem bestimmten Zeitpunkt geschuldet werden, für die konkursrechtliche Behandlung einem bestimmten Zeitraum zugeordnet werden müssen (BSGE 45, 191 - Urlaubsabgeltung -; SozR 4100 § 141b Nr 8 - 13. Monatsgehalt -; BAG, Urteil vom 21. Mai 1980 - 5 AZR 337/78, demnächst in AP Nr 9 zu § 59 KO - Sonderzahlung -). Das gilt auch dann, wenn - wie hier - kein Konkursverfahren durchgeführt wird, für den Anspruch auf Kaug aber die Ablehnung des Antrags auf Konkurseröffnung der Konkurseröffnung gleichgestellt wird (BSGE 45, 191, 192).

Entgegen der Meinung des LSG kann der Anspruch auf Kaug hier nicht der Zeit zugeordnet werden, für die Ansprüche auf Kaug bestehen können. Entscheidend für die Zuordnung eines Anspruchs ist, wo sein "Schwergewicht" liegt (vgl BSG SozR 4100 Nr 8). Das hängt von der Art des Anspruchs, dem Ziel des Konkursverfahrens und dem Zweck des Kaug ab. In Betracht kommen der Zeitraum, für den die zu beanspruchenden Leistungen dem Unterhalt zu dienen bestimmt sind, der Zeitraum, in dem der Anspruch erarbeitet worden ist und der Zeitraum, der der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unmittelbar vorangeht. Für Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld hat der 7. Senat des BSG schon entschieden, daß die Zeit maßgebend ist, für die diese Zahlungen zum Lebensunterhalt bestimmt sind (BSGE 43, 49 = SozR 4100 § 141b Nr 2 und Urteil des erkennenden Senats vom 30. Oktober 1980 - 8b/12 RAr 7/79 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Für das sog 13. Monatsgehalt hat der 12. Senat entschieden, daß das "Erarbeiten" im Vordergrund steht, so daß dieser Anspruch gezwölftelt werden kann und 3/12 in den Kaug-Zeitraum fallen können (vgl SozR § 141b Nr 8). Für den Urlaubsabgeltungsanspruch hat der 12. Senat (BSGE 45, 191) geklärt, daß er dem Zeitraum vor der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zuzuordnen ist. Dieser Ansicht hat sich das BAG (Urteil vom 21. Mai 1980 - 5 AZR 441/78 -, demnächst in AP zu § 59 KO) angeschlossen.

Auch der erkennende Senat als der nach der Geschäftsverteilung des BSG allein zuständige Senat schließt sich dieser Auffassung an. Der Urlaubsabgeltungsanspruch kann nicht einer Zeit zugeordnet werden, für die er zum Unterhalt dienen oder in der er erarbeitet worden sein könnte. Der Urlaubsabgeltungsanspruch setzt gerade voraus, daß die dem Unterhalt im Urlaub dienende Leistung - Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld - nicht gewährt werden kann. Der Urlaubsabgeltungsanspruch kann aber auch nicht als erarbeiteter Anspruch beurteilt werden. Denn er setzt weiter voraus, daß der erarbeitete Anspruch - bezahlter Urlaub - nicht mehr verwirklicht werden kann. Das steht zur Zeit des Insolvenzereignisses noch nicht fest, wenn - wie hier - sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer nach dem Insolvenzereignis ausdrücklich klarstellen, daß sie an dem Arbeitsverhältnis festhalten.

Die Entscheidung, den Urlaubsabgeltungsanspruch der Zeit zuzuordnen, die der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unmittelbar vorausgeht, berücksichtigt angemessen den Sinn und Zweck der drei Rechtsgebiete, die hier einschlägig sind: Arbeitsrecht, Konkursrecht und Kaug-Recht. Es entspricht dem Vorrang des Urlaubsanspruchs, der nicht abbedungen werden kann (vgl § 13 Abs 1 BUrlG), den Abgeltungsanspruch erst dann zu gewähren, wenn es ausgeschlossen ist, Urlaub zu gewähren. Zweck des Konkurses ist es, eine klare Rangordnung der im Zusammenhang mit dem Konkursverfahren zu beurteilenden Ansprüche festzulegen. Dabei entscheidet das rechtliche Ende des Arbeitsverhältnisses und nicht das tatsächliche Verhalten des Arbeitnehmers über den Rang des Anspruchs. Vor allem entspricht es dem Zweck des Kaug, daß die Ansprüche der Arbeitnehmer nur bis zum Insolvenzereignis - oder der Kenntnisnahme hiervon (§ 141b Abs 4 AFG) - versichert sind.

Entgegen der Meinung des LSG ist es nicht unbillig, die Gewährung von Urlaubsabgeltung als Kaug davon abhängig zu machen, daß der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis auch rechtlich beendet, wenn das Insolvenzereignis stattgefunden hat oder - wie nach § 141b Abs 4 AFG - ihm bekannt geworden ist. Er kann bis zu dieser Zeit ohne die Gefahr weiterarbeiten, daß ihm der Urlaubs- oder der Urlaubsabgeltungsanspruch durch die drohende Insolvenz seines Arbeitgebers verlorengeht. Diese in seinem Interesse, aber auch im Interesse des Arbeitgebers getroffene Regelung betrifft aber nicht die Zeit nach dem Insolvenzereignis. Von diesem Ereignis an trägt der Arbeitnehmer selbst und nicht mehr die Kaug-Versicherung das Risiko des Ausfalls. Der Arbeitnehmer kann frei darüber entscheiden, ob er das Arbeitsverhältnis fortführen oder wegen des Zahlungsverzugs seines Arbeitgebers fristlos beenden will. Regelmäßig wird die Aufnahme einer anderen Beschäftigung - vielleicht auch die Arbeitslosmeldung - ein Indiz dafür sein, daß das bisherige Arbeitsverhältnis vereinbarungsgemäß oder durch fristlose Kündigung auch rechtlich beendet ist. Im Streitfall hat der Kläger aber nach dem Insolvenzereignis durch seine Klage auf Zahlung des Lohnes bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses vor dem Arbeitsgericht bewußt das bisherige Arbeitsverhältnis aufrecht erhalten, weil er die Chance wahrnehmen wollte, aus diesem Arbeitsverhältnis noch Nutzen zu ziehen, wenn der Arbeitgeber wieder zahlungsfähig würde. G gen diese Feststellung des LSG hat der Kläger keine Einwendungen erhoben. Zu den Chancen, die er nicht verlieren wollte, gehört es, die bisherige Arbeitsstelle wieder antreten zu können und auch von seinem bisherigen Arbeitgeber bezahlten Urlaub oder Urlaubsabgeltung zu erlangen. Das Kaug-Recht nimmt ihm nicht das bewußt eingegangene Risiko ab, daß sich diese Chancen nicht verwirklicht hatten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 102

Breith. 1981, 732

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