Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 20. November 1990 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Forderung des Klägers nach Vergütung ambulanter Anästhesien nach den Nrn 90/91 des Bewertungsmaßstabes für kassenärztliche Leistungen (BMÄ).
Der Kläger ist Arzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten und als solcher zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen und an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligt. Er erbringt in den Praxen anderer HNO-Ärzte ambulante Anäs-thesieleistungen.
Die Beklagte lehnte es ab, die vom Kläger im Quartal IV/87 abgerechneten Anästhesien nach den Nrn 485 oder 487 BMÄ mit dem Zuschlag nach Nr 91 BMÄ zu vergüten. Der Zuschlag könne nach der Präambel des Abschnittes B VII des BMÄ nur von Ärzten für Anästhesiologie berechnet werden. Der Kläger verfüge aber nicht über diese Qualifikation (Bescheid vom 30. März 1988; Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 1988).
Klage und Berufung hiergegen sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Kiel vom 9. November 1988; Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 20. November 1990). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt: Nach Wortlaut, Sinn und Sinnzusammenhang des Abschnitts B VII des BMÄ könne der Begriff „Arzt für Anästhesiologie” nur im Sinne der Gebietsbezeichnung verstanden werden. Er beziehe sich nicht auf die Durchführung ambulanter Narkosen. Damit seien nur diese Gebietsärzte berechtigt, die Zuschläge nach den Nrn 90/91 BMÄ zu berechnen. Die Differenzierung in der genannten Regelung verstoße nicht gegen Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG), weil sie durch einen sachlichen Grund, nämlich die besondere Qualifikation der Ärzte für Anästhesiologie, gerechtfertigt sei.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger einen Verstoß der streitigen Regelung gegen Art 3 Abs 1 GG. Er erbringe bei ambulanten Operationen die gleichen Anästhesieleistungen wie Ärzte für Anästhesiologie und verfüge über die gleiche fachliche Qualifikation. Ein sachlicher Grund für eine differenzierende Bewertung der Leistungen bestehe nicht. Das nach der Erklärung der Beigeladenen zu 1) mit der fraglichen Regelung angestrebte Ziel, über die Zuschlagsregelung die Niederlassung weitergebildeter Anästhesisten zu fördern, habe mit ihr schon deswegen nicht erreicht werden können, weil sie nicht auf den niedergelassenen Anästhesisten, sondern allein auf die gebietsärztliche Zugehörigkeit abstelle. Damit käme die Regelung insbesondere den an Krankenhäusern angestellten Anästhesisten, die in Nebentätigkeit Anästhesien durchführten, zugute. Selbst wenn die Zuschlagsregelung bei ihrem Erlaß sachlich gerechtfertigt gewesen sein sollte, sei sie jedenfalls heute sachlich nicht mehr vertretbar, wie die Entwicklung gezeigt habe.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 20. November 1990 und des Sozialgerichts Kiel vom 9. November 1988 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30. März 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 1988 zu verurteilen, ihm für ambulante Anästhesien im Quartal IV/1987 Zuschläge nach den Nrn 90 und 91 BMÄ zu vergüten.
Die Beklagte und die Beigeladenen zu 2), 5) und 6) beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten die Auffassung der Vorinstanz für zutreffend.
Die Beigeladene zu 1), die keinen Antrag stellt, hat die Entwicklung der Zahl der als Kassenärzte zugelassenen Anästhesisten sowie der ermächtigten Anästhesisten mitgeteilt. Zu diesen Ärzten käme ein nicht unbeträchtlicher Anteil an Anästhesisten, die sich nicht unter der Gebietsbezeichnung „Arzt für Anästhesie”, sondern als praktische Ärzte niedergelassen hätten. Da sie aber Inhaber der Gebietsbezeichnung für Anästhesiologie seien, seien sie nach dem BMÄ berechtigt, die Zuschläge nach den Nrn 90/91 BMÄ zu berechnen.
Die Beigeladene zu 7) hat von einer Stellungnahme abgesehen, die Beigeladenen zu 3) und 4) haben sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vergütung der von ihm ambulant durchgeführten Anästhesien mit den Zuschlägen nach den Gebührenordnungs-Nrn 90 und 91 BMÄ.
Zwar erbringt der Kläger ambulant an sich zuschlagsfähige Anästhesieleistungen nach den Nrn 485 bzw 487 BMÄ. Er erfüllt jedoch nicht die Voraussetzungen der Zuschlagsberechtigung. Hierzu ist in der Präambel zu Kapitel B Abschnitt VII in der hier maßgeblichen, im wesentlichen unverändert gebliebenen Fassung des Abs 1 aaO bestimmt:
„Bei ambulanter Durchführung von Anästhesien/Narkosen in der Praxis eines niedergelassenen Arztes kann der Arzt für Anästhesiologie einen Zuschlag nach den Nrn 90 oder 91 berechnen …”.
Abs 1 der Präambel zu B VII des BMÄ stellt, wie das LSG unter Hinweis auf Wortlaut und Sinnzusammenhang zutreffend ausgeführt hat, für die Gewährung des Zuschlages nicht allein auf die ambulante Durchführung von Anästhesien in der Praxis eines niedergelassenen Arztes ab. Als weitere Voraussetzung wird gefordert, daß die Anästhesieleistung von einem Arzt für Anästhesiologie durchgeführt worden ist (vgl zB auch die GebNr 496, deren Leistung auch nur von einem Arzt für Anästhesiologie erbracht werden kann). Damit ist der Arzt gemeint, der nach der Weiterbildungsordnung zum Führen der gebietsärztlichen Bezeichnung „Arzt für Anästhesiologie” berechtigt ist (ebenso Wezel/Liebold, Handkomm zum BMÄ, E-GO und GOÄ, B VII, Anm 1; Kölner Komm zum EBM, B VII, Anm 3).
Der Kläger hat nicht die gebietsärztliche Qualifikation eines Arztes für Anästhesiologie, so daß er in unmittelbarer Anwendung der Zuschlagsregelungen der Nrn 90/91 BMÄ keinen Vergütungsanspruch ableiten kann.
Entgegen der von ihm vertretenen Auffassung können die Zuschlagsregelungen auch nicht im Wege einer analogen Anwendung auf ihn bezogen werden; denn diese scheidet schon aus grundsätzlichen Erwägungen aus, ohne daß im einzelnen geprüft werden müßte, ob die weiteren Voraussetzungen einer Analogie erfüllt wären. Den Gerichten ist nämlich, wie der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, bei der Auslegung von Vorschriften über die Vergütung kassenärztlicher Leistungen grundsätzlich Zurückhaltung auferlegt. Sie sind in der Regel nicht befugt, mit punktuellen Entscheidungen zu einzelnen Leistungen in die Bewertungen des Bewertungsmaßstabes einzugreifen und unter Annahme einer Regelungslücke diese durch Analogie zu schließen (BSGE 46, 140, 143 = SozR 5533 Nr 45 Nr 1; BSGE 58, 35, 37 = SozR 5557 Nr 1 Nr 1; BSG SozR 5535 Nr 12 Nr 1; BSG – Urteil vom 5. Mai 1988 – 6 RKa 13/87 = USK 88162; BSG SozR 3-2500 § 87 Nr 1; SozR 3 – aaO Nr 2). Die gebotene Zurückhaltung bei der Auslegung sowohl des BMÄ als auch des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) für ärztliche Leistungen beruht auf deren rechtlichem Charakter. Bei dem BMÄ als kassenärztlicher Abrechnungsgrundlage wie bei dem ihm zugrunde liegenden EBM handelt es sich um vertragliche Regelungen mit normativer Wirkung, deren Vorschriften nicht ohne weiteres auf andere Sachverhalte übertragen werden können. So vereinbaren die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen mit den Bundesverbänden der Krankenkassen den allgemeinen Inhalt der Gesamtverträge (§ 368g Abs 3 der Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫ aF; nunmehr § 82 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch – ≪SGB V≫). Als deren Bestandteil vereinbaren die Vertragspartner durch die Bewertungsausschüsse einen einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche bzw zahnärztliche Leistungen (§ 368g Abs 4 Satz 1 RVO aF; § 87 Abs 1 Satz 1 SGB V). In dem EBM legt der Bewertungsausschuß im Wege einer wertenden Entscheidung den Inhalt der abrechnungsfähigen kassenärztlichen Leistungen und ihr wertmäßiges Verhältnis zueinander fest (§ 368g Abs 4 Satz 2 RVO aF § 87 Abs 2 Satz 1 SGB V). Durch die Besetzung des Bewertungsausschusses mit Vertretern der Kassenärzte und der Krankenkassen (§ 368i Abs 8 RVO aF/§ 87 Abs 3 Satz 1 SGB V) soll gewährleistet werden, daß die unterschiedlichen Interessen der an der kassenärztlichen Versorgung beteiligten Gruppen zum Ausgleich kommen. Zwar entfalten BMÄ und EBM aufgrund ihrer normativen Wirkung Verbindlichkeit auch gegenüber Dritten, die an dem Vertrag nicht unmittelbar beteiligt sind (zum Wesen des Normsetzungsvertrages s mwN: I. Ebsen, VSSR 1990, S 57, 65; zur Normqualität des EBM für kassenzahnärztliche Leistungen: BSG-Urteil vom 1. Juli 1992 – 14a/6 RKa 1/90 –). Im Vordergrund steht aber bei beiden Regelungswerken ihr auf dem Ausgleich unterschiedlicher Interessen beruhender vertraglicher Charakter. Dieser läßt – anders als bei Normsetzungen durch den formellen Gesetz- oder den Verordnungsgeber – die analoge Anwendung der vertraglichen Regelung auf nicht geregelte Sachverhalte regelmäßig nicht zu. Schon aus diesem Grunde scheidet eine entsprechende Anwendung der Gebührenordnungsnummern 90 bzw 91 auf die Anästhesien des Klägers, der gerade kein Gebietsarzt für Anästhesiologie ist, aus.
Allerdings erstreckt sich in Abrechnungsstreitigkeiten die gerichtliche Kontrolle auch auf den EBM und den BMÄ insoweit, als zu prüfen ist, ob der Bewertungsausschuß den ihm für den Bewertungsmaßstab zustehenden Regelungsspielraum überschritten oder die Bewertungskompetenz mißbräuchlich ausgenutzt hat (zur Unzulässigkeit einer unmittelbar gegen den EBM erhobenen Anfechtungsklage s BSG-Urteil vom 1. Juli 1992 – 14a/6 RKa 1/90 –). Ungeachtet dessen, daß der Kläger, sofern die fragliche Zuschlagregelung rechtswidrig wäre, daraus keinen Vergütungsanspruch herleiten könnte, bestehen keine Anhaltspunkte für die fehlerhafte Ausübung des Bewertungsspielraumes. So ist zunächst angesichts entgegenstehender Erkenntnisse oder Hinweise davon auszugehen, daß mit den Punktwerten des EBM für Anästhesien, wie hier der Anästhesieleistungen nach den Nrn 485 oder 487 BMÄ, eine angemessene Vergütung der ärztlichen Leistung erreicht wird. Es hält sich weiterhin innerhalb des Bewertungsspielraumes des Bewertungsausschusses, wenn er ambulante Anästhesien durch Gebietsärzte für Anästhesiologie im Wege einer Zuschlagsregelung zusätzlich vergütet. Das Anknüpfen der genannten Zuschläge an die gebietsärztliche Qualifikation findet seine sachliche Berechtigung darin, daß die Ärzte für Anästhesiologie im Gegensatz zu anderen Gebietsärzten, die – soweit das berufsrechtlich zulässig ist (vgl dazu Narr, Ärztliches Berufsrecht, 2. Aufl, RdNr 898), in aller Regel nur gebietsgebundene Anästhesien erbringen können und dürfen – in allen ärztlichen Gebieten, in denen Operationen ambulant durchgeführt werden, tätig sein können. Erst eine ausreichende Anzahl niedergelassener Gebietsärzte für Anästhesiologie gewährleistet die vom EBM erstrebte Ausweitung des ambulanten Operierens. Die zusätzliche Vergütung von Anästhesieleistungen, die durch die Gebietsärzte für Anästhesiologie bei ambulanten Operationen erbracht worden sind, stellt sich damit als eine das ambulante Operieren fördernde flankierende Maßnahme dar (vgl dazu das Schreiben der beigeladenen Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom 5. Juli 1988), die sich innerhalb der dem Bewertungsausschuß zustehenden Bewertungskompetenz hält.
Der Kläger kann sich des weiteren nicht mit Erfolg auf die Verfassungswidrigkeit der Zuschlagsregelung nach den Nrn 90/91 BMÄ berufen. Auch insoweit gilt wiederum, daß er aus ihrer etwaigen Verfassungswidrigkeit für seinen Anspruch nichts herleiten könnte. Die nach seiner Meinung erforderliche verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift dahin, daß – unabhängig von der jeweiligen gebietsärztlichen Qualifikation des ausführenden Arztes – das Erbringen bestimmter ambulanter Anästhesien die Vergütung nach den Nrn 90/91 BMÄ auslöst, ist schon deswegen nicht geboten, weil der von ihm gerügte Verstoß der Regelung gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG, der auch die Vertragspartner des BMÄ bindet (BSGE 53, 247, 250 = SozR 5557 Anl 1 Nr 1), nicht vorliegt. Der Gleichheitssatz ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) nicht verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung finden läßt, die Bestimmung also nicht als willkürlich bezeichnet werden kann (vgl zB BVerfGE 1, 14, 52; 61, 138, 147). Für die unterschiedliche Vergütung ambulanter Anästhesieleistungen je nachdem, ob sie von einem Gebietsarzt für Anästhesiologie oder von anderen Ärzten erbracht worden sind, gibt es einen sachbezogenen Differenzierungsgrund. Wie bereits angedeutet, steht die Zuschlagsregelung des Kapitels B Abschnitt VII des BMÄ im sachlichen Zusammenhang mit den Zuschlagsregelungen der Gebührenordnungs-Nrn 80 bis 84 (Abschnitt VI aaO) für die Durchführung ambulanter Operationen, deren verstärkte Förderung auch im Hinblick auf die finanzielle Sicherung der Grundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung ein erklärtes Ziel des zum 1. Oktober 1987 in Kraft getretenen neuen EBM war. Es erweist sich danach als sachgerecht, wenn über die Gewährung zusätzlicher Vergütungsanreize die Niederlassung von Gebietsärzten für Anästhesiologie gefördert werden soll. Daß eine differenzierende Vergütungsregelung grundsätzlich auch geeignet ist, einen Anreiz zur vermehrten Niederlassung von Gebietsärzten für Anästhesiologie zu bieten, kann angesichts der von der Beigeladenen zu 1) mitgeteilten Entwicklung der Zahlen von niedergelassenen Anästhesisten nicht in Frage gestellt werden.
Die Revision war nach allem zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen