Leitsatz (amtlich)
An der bisherigen Auffassung (BSG 1960-02-11 4 RJ 211/58 = BSGE 12, 1-6), daß unter "Bestreiten des Unterhalts" im Sinne des RVO § 1258 Abs 3 aF nur das Zurverfügungstellen von Unterhaltsmitteln für das Kind zu verstehen ist, nicht dagegen dessen Betreuung, ist festzuhalten.
RVO § 1258 Abs 3 Halbs 1 verstößt weder gegen GG Art 3 Abs 1 oder GG Art 3 Abs 2 noch gegen GG Art 6.
Normenkette
RVO § 1258 Abs. 3 Hs. 1 Fassung: 1955-12-23; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Abs. 2 Fassung: 1949-05-23, Art. 6 Fassung: 1949-05-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 24. November 1958 aufgehoben.
Unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Hamburg vom 27. Juli 1956 wird die Klage abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der Kläger ist ... 1937 geboren. Am 1. Oktober 1943 starb seine Mutter. Sie war zuletzt Garderobenfrau in einem Café gewesen und hatte dort etwa 130,- RM im Monat verdient. Sein Vater ist am 23. Dezember 1950 gestorben. Seitdem erhielt der Kläger Waisenrente aus dessen Invalidenversicherung.
Am 30. März 1954 beantragte der Kläger durch seinen Vormund auch die Zahlung von Waisenrente aus der Invalidenversicherung seiner Mutter. Die beitragsmäßigen Voraussetzungen für einen solchen Hinterbliebenenrentenanspruch waren gegeben. Gleichwohl lehnte die Beklagte den Rentenantrag durch Bescheid vom 13. Juli 1954 mit der Begründung ab, nach § 1258 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) könne Waisenrente nur dann gewährt werden, wenn die Verstorbene den Unterhalt der Kinder überwiegend bestritten habe. Der Vergleich des Einkommens der versicherungspflichtigen Mutter mit dem des Vaters ergebe jedoch, daß die Verstorbene ihren Sohn nicht überwiegend unterhalten habe.
Darauf erhob der Kläger Klage vor dem Sozialgericht (SG.) Hamburg. Da er am 25. Juni 1955 das 18. Lebensjahr vollendet hatte, beantragte er,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Juli 1954 zu verurteilen, ihm Waisenrente aus der Invalidenversicherung seiner verstorbenen Mutter für die Zeit vom 1. April 1954 bis 30. Juni 1955 zu zahlen.
Er behauptete, seine Mutter habe mehr als die Hälfte für den Unterhalt der Familie beigetragen, da sein Vater häufig krank und arbeitsunfähig gewesen sei.
Nach der vorhandenen Versicherungskarte der Mutter hatte diese vom 1. Juli 1942 bis 31. Dezember 1942 im Café "G-Palast" als Garderobenfrau 630,- RM und vom 1. Januar 1943 bis 1.Oktober 1943 763,27 RM verdient (also durchschnittlich wöchentlich 23,- RM im Jahre 1942 und 19,50 RM im Jahre 1943). Der versicherte Ehemann hatte nach der vorliegenden Sammelkarte vom 29. Juni 1942 bis 20. Dezember 1942 in 25 Wochen 1.111,39 RM und vom 21. Dezember 1942 bis 19. Dezember 1943 in 43 Wochen 1.864,42 RM verdient, was einen durchschnittlichen Wochenlohn von etwa 44,- RM ergab. Mit Rücksicht hierauf machte die Beklagte geltend, es sei einwandfrei ersichtlich, daß der Durchschnittsverdienst des Vaters erheblich höher als derjenige der Mutter gewesen sei. Damit fehle es an der Voraussetzung, daß die Mutter bis zu ihrem Tode den überwiegenden Unterhalt des Klägers bestritten habe. Damals sei der Vater des Klägers auch nicht krank gewesen. Erst vom 13. August 1943 bis 23. Oktober 1943, also nach dem Tode der versicherten Mutter, sei er arbeitsunfähig gewesen.
Durch Urteil vom 27. Juli 1956 gab das SG Hamburg der Klage statt. Es ließ dahingestellt, ob die Mutter den überwiegenden Unterhalt des Klägers bestritten habe, da es die einschränkende Vorschrift des § 1258 Abs. 3 RVO a.F., bei der es sich um sogenanntes vorkonstitutionelles Recht handele, wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes (GG) für verfassungswidrig hielt. In den Entscheidungsgründen ist die Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Rechtsstreits zugelassen worden.
Die hiergegen von der Beklagten eingelegte Berufung wies das Landessozialgericht (LSG) Hamburg nach Vernehmung der Schwester des Klägers durch Urteil vom 24. November 1958 als unbegründet zurück, weil das angefochtene Urteil im Ergebnis richtig sei. Durch die Beweisaufnahme sei geklärt, daß die Mutter des Klägers unter Berücksichtigung ihrer häuslichen Arbeiten vor ihrem Tode mehr als die Hälfte des für ihren Sohn notwendigen Unterhalts getragen habe. Damit stehe diesem auf jeden Fall ein Waisenrentenanspruch aus der Invalidenversicherung der Mutter zu, so daß die Frage der Vereinbarkeit der einschränkenden Bestimmungen des § 1258 Abs. 3 RVO mit dem GG dahingestellt bleiben könne. Zwar sei das Einkommen des Vaters höher gewesen als dasjenige der Mutter. Im Regelfalle bestehe jedoch der Unterhalt für ein Kind nicht nur in Geldleistungen. Nach der Erfahrung des täglichen Lebens sei davon auszugehen, daß für den zur Zeit des Todes seiner Mutter kaum 6 Jahre alten Kläger die persönlichen Dienstleistungen gegenüber den für den Unterhalt erforderlichen Geldleistungen noch den breiteren Raum eingenommen hätten. Zwar sei die Mutter des Klägers in den letzten Jahren vor ihrem Tode nahezu ständig berufstätig gewesen. Infolgedessen habe sich der Kläger, wie seine Schwester als Zeugin bekundet habe, wochentags im Kindergarten aufgehalten, wo er betreut und verpflegt worden sei. Nach der Aussage der Zeugin habe jedoch die Mutter, bevor sie zur Arbeit ging, den Kläger versorgt und den Kindern das Frühstück gegeben und das Mittagessen vorbereitet. Sie habe ferner nach Beendigung ihrer Berufstätigkeit auch noch Hausarbeiten gemacht, insbesondere sämtliche anfallenden Näh- und Flickarbeiten erledigt. Auch wenn sich der Kläger tagsüber im Kindergarten aufgehalten habe, so sei deshalb doch bei seiner Mutter der Hauptteil der Betreuungslast verblieben. Damit hätte diese vor ihrem Tode mehr als die Hälfte zum Unterhalt des Klägers beigetragen und ihn überwiegend unterhalten. Im Urteil ist die Revision zugelassen worden.
Mit der von ihr fristgerecht eingelegten und rechtzeitig begründeten Revision rügt die Beklagte Verletzung des § 1258 Abs. 3 RVO. Zunächst sei dieser nicht verfassungswidrig. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 GG scheide aus, weil es sich nicht darum handele, ob ein Geschlecht gegenüber dem anderen benachteiligt werde, sondern um die Frage, ob die ehelichen Kinder nach dem Tode der Mutter gegenüber den ehelichen Kindern nach dem Tode des Vaters rechtlich benachteiligt würden. Aber auch ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG sei nicht gegeben. Der Gesetzgeber habe in § 1258 Abs. 3 RVO verschiedene Tatbestände unterschiedlich geregelt, ohne die ihm durch Art. 3 Abs. 1 GG gesetzten Grenzen zu überschreiten. Erfahrungsgemäß bestreite auch unter den heutigen Umständen in der Regel der Vater den Unterhalt für die ehelichen Kinder. Er stelle durch seine Erwerbstätigkeit deren Unterhalt nach dem Tode der Mutter ebenso sicher wie vorher. Diese Verschiedenheit der Tatbestände rechtfertige die angeordnete Benachteiligung der Halbwaise, deren Mutter gestorben ist.
Im übrigen sei der Schluß des LSG, die Frage der Vereinbarkeit des § 1258 Abs. 3 RVO mit dem GG könne dahingestellt bleiben, weil auf jeden Fall die Mutter den überwiegenden Unterhalt bestritten habe, rechtsirrig. Bei der Prüfung dieser Frage sei das Gericht zu Unrecht nicht von den Einkommensverhältnissen der Ehegatten ausgegangen. Die Mitberücksichtigung der Unterhaltsleistungen in Gestalt von Betreuung und Wartung entspreche nicht dem Sinn und Zweck des Gesetzes.
Die Beklagte und Revisionsklägerin beantragt,
die Urteile des LSG Hamburg vom 24. November 1958 und des SG Hamburg vom 27. Juli 1956 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und Revisionsbeklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er meint, den Nachweis der Voraussetzungen für den Bezug einer Waisenrente nach § 1258 Abs. 3 RVO erbracht zu haben. Berücksichtige man die persönliche Fürsorge seiner Mutter, die sie neben ihrem reinen Wochenlohn für ihn aufgebracht habe, dann habe sie mehr zu seinem Unterhalt beigetragen als sein Vater. Ihre Leistungen in Form von Haushaltsführung, Pflege und Sorge für die Kinder entsprächen einem finanziellen Beitrag von 250,- RM monatlich. Hiernach habe seine Mutter gegenüber seinem Vater mit einem Wochenlohn von 44,- RM gleich monatlich 198,- RM bei einem wöchentlichen Arbeitseinkommen von 23,- RM monatlich 353,50 RM und bei einem wöchentlichen Arbeitseinkommen von 19,- RM monatlich 336,75 RM zum Unterhalt der Familie beigesteuert.
Abgesehen hiervon verstoße die Beschränkung der Waisenrente in § 1258 Abs. 3 RVO auch gegen Art. 3 GG, wie das SG mit Recht angenommen habe.
Entscheidungsgründe
Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision der Beklagten ist begründet.
Streitig ist der Waisenrentenanspruch des Klägers aus der Versicherung seiner Mutter für die Zeit vom 1. April 1954 bis 30. Juni 1955. Damit ist nach Art. 2 § 5 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) allein § 1258 Abs. 3 RVO a.F. maßgebend. Zwar gilt § 1267 Abs. 2 RVO n.F. in der Fassung des ArVNG nach Art. 2 § 20 ArVNG auch für Versicherungsfälle, die vor dem 1. Januar 1957 eingetreten sind. Diese Übergangsvorschrift besagt jedoch nichts darüber, von wann ab der Anspruch nach neuem Recht zu beurteilen ist. Vielmehr ergibt sich aus Art. 2 § 44 ArVNG im Wege des Umkehrschlusses, da Art. 2 § 20 ArVNG nicht aufgeführt ist, daß hier das neue Recht noch nicht angewendet werden kann, weil es sich um eine beim Inkrafttreten des ArVNG (1.1.1957) vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit schwebende Sache handelt (BSG 5 S. 276).
Nach § 1258 Abs. 3 RVO a.F. erhielten nach dem Tode einer versicherten Ehefrau deren Kinder, die eheliche Kinder des hinterbliebenen Ehemannes sind oder deren rechtliche Stellung haben, Waisenrente nur dann, wenn die Verstorbene den Unterhalt der Kinder überwiegend bestritten hatte.
Hierzu hat der Senat bereits ausgesprochen, daß unter "Bestreiten des Unterhalts" im Sinne des § 1258 Abs. 3 RVO a.F. nur das Zurverfügungstellen von Unterhaltsmitteln für das Kind zu verstehen ist, d.h. das Erbringen von Geld- und Sachleistungen für den Lebensbedarf eines Kindes, nicht dagegen dessen Betreuung (vgl. BSG 12 S. 1 ff.), An dieser Auffassung ist festzuhalten. Die Entscheidung des 3. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11. März 1960 (BSG 12 S. 38) bietet keine Veranlassung zu einer anderen Beurteilung. Dort handelt es sich ausschließlich um die Frage, wann eine nicht erwerbstätige, freiwillig versicherte Mutter Familienkrankenhilfe für ihr Kind beanspruchen kann, weil dieses ihr gegenüber "unterhaltsberechtigt" ist. Im Gegensatz zu § 1258 Abs. 3 RVO a.F. ist damit in § 205 RVO nicht darauf abgestellt, daß die Mutter für ihre Kinder, die eheliche Kinder des hinterbliebenen Ehemannes sind oder deren rechtliche Stellung haben, den Unterhalt überwiegend bestritten hat. Dieser Unterschied dürfte den 3. Senat veranlaßt haben, die von ihm entschiedene Rechtsfrage ohne Anrufung des Großen Senats anders zu beurteilen als das bereits in BSG 12 S. 1 behandelte und jetzt erneut zu erörternde Problem der Auslegung des § 1258 Abs. 3 RVO a.F. Für die Frage, wer den Unterhalt der Kinder überwiegend bestritten hat, müssen, wie der Senat in seiner erwähnten Entscheidung näher ausgeführt hat, die Haushaltsführung und die Sorge für die Kinder ausscheiden. Zu einer dem Wortlaut des Gesetzes widersprechenden Auslegung dahin, daß für eine Ehefrau die Wahrnehmung ihrer Pflichten im häuslichen Wirkungskreis als "Mitbestreiten des Unterhalts" zu werten sei, besteht kein Anlaß. Denn es ist keineswegs die Regel, daß in der Ehe der Mann sich um die Kindererziehung nicht kümmert, im Haushalt keinerlei Arbeiten verrichtet und die hier anfallenden Arbeiten ausschließlich von der Ehefrau erledigt würden. Man könnte deshalb niemals, ohne nicht wiederum gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz zu verstoßen, diese Nebenleistungen des Mannes völlig unberücksichtigt lassen, sondern müßte sie seinem Barverdienst zurechnen. Die damit notwendige kommerzielle Betrachtungsweise würde jedoch nicht nur dem Wesen der Familie und der Ehe widersprechen, sondern sie wäre praktisch undurchführbar. Sie käme u.U. sogar darauf hinaus, daß die häuslichen Arbeiten einer Frau je nach ihrer Tüchtigkeit und ihrer Ausbildung verschieden bewertet werden müßten.
Die entgegengesetzte Auffassung würde sich überdies keineswegs immer zugunsten des Kindes auswirken, sondern dieses mitunter auch benachteiligen können. So erhöht sich z.B. nach § 269 Abs. 2 des Lastenausgleichsgesetzes (LAG) die Unterhaltshilfe für jedes - auch das uneheliche - Kind, wenn es von dem Beteiligten "überwiegend unterhalten wird". Würde hier die "Personensorge" bei einer unehelichen Mutter oder bei einer geschiedenen Frau, die erwerbstätig ist, mitbewertet, so würde der zur Unterhaltshilfe berechtigte Vater in der Regel keinen Unterhaltszuschuß für sein Kind, wenn es sich bei der Mutter befindet, bekommen können. Deshalb hat das Bundesverwaltungsgericht (Nachrichtendienst des deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge 1959 S. 115) für § 269 Abs. 2 LAG ebenfalls mit Recht ausgeführt, daß ein Kind von demjenigen überwiegend unterhalten wird, der mehr als die wertmäßige Hälfte des Unterhalts trägt.
Nach allem kann es, da die Rentenversicherung nur einen Schutz gegen die Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Wegfall des Ernährers (Grundsatz der Unterhaltsersatzfunktion der Hinterbliebenenrenten) bieten will, nicht aber, wie z.B. § 845 BGB, eine Entschädigung für entgangene Dienste, allein darauf ankommen, wer die für den Unterhalt des Klägers erforderlichen sachlichen Unterhaltsmittel überwiegend aufgebracht hat, d.h. aus wessen Verdienst die Ausgaben für seine Ernährung und Bekleidung sowie die Unkosten seiner sonstigen Lebensbedürfnisse überwiegend bezahlt worden sind.
Nach den vom LSG getroffenen unstreitigen, und für das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen hat der Vater des Klägers bis zum Tode der Mutter aber stets mehr als diese verdient, und zwar im Durchschnitt etwa das Doppelte. Damit ist - entgegen der Auffassung des LSG -, da die Haushaltsführung der Mutter nach den obigen Ausführungen nicht mitberücksichtigt werden kann, mangels anderer Anhaltspunkte für die tatsächlich geleisteten Aufwendungen der Eltern dargetan, daß die Mutter des Klägers nicht überwiegend dessen Unterhalt bestritten hat, so daß die Voraussetzungen für einen Waisenrentenanspruch aus der Versicherung der Mutter nicht gegeben sind. Zugleich erübrigen sich damit alle Ausführungen darüber, ob der Wert der Dienstleistungen der Mutter im Haushalt überhaupt mit 250,- DM monatlich hätte bewertet werden können, wie der Kläger meint.
§ 1258 Abs. 3 RVO a.F. verstieß auch nicht gegen das GG. In diesem Zusammenhang ist zusätzlich zu den in BSG 12 S. 1 ff. enthaltenen Ausführungen weiter darauf hinzuweisen, daß das alte Recht der Rentenversicherung einmal nicht die ausschließlich beitragsgerechte Rente kannte, sondern im erheblichen Umfang soziale Mindestrenten.
Dementsprechend war z.B. der Kinderzuschuß völlig unabhängig von der Zahl und der Höhe der geleisteten Beiträge (§ 1271 Abs. 2 RVO a.F.). Weiter verlangte das alte Recht zur Erhaltung der Anwartschaft für jedes Kalenderjahr die Entrichtung von mindestens 26 Wochenbeiträgen (§ 1264 RVO a.F.). Frauenarbeit wurde aber früher in der Regel ohnehin schlechter bezahlt als entsprechende Männerarbeit. Ferner fanden sich unter den weiblichen verheirateten Versicherten besonders viele, die sich nach den §§ 1243, 1244 RVO a.F. freiwillig versicherten. Für sie waren die Beiträge gering, wenn sie kein eigenes Einkommen hatten (§ 1440 RVO a.F.). Frauen konnten deshalb häufig mit besonders niedrigen Beiträgen nicht nur ihre Anwartschaft erhalten, sondern bereits in den Genuß der sozialen Mindestrente kommen. Darüber hinaus waren sie außerdem noch bei der Gewährung von Versicherungsleistungen bevorzugt (vgl. z.B. § 1253 Abs. 2 RVO a.F. sowie § 1256 im Gegensatz zu § 1257 RVO a.F.).
Mit Rücksicht auf dieses erheblich unterschiedliche Beitragsaufkommen, das im Durchschnitt auf die männlichen und die weiblichen Versicherten entfiel, und wegen der Begünstigung der weiblichen Versicherten bei den Versicherungsleistungen stellte es keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 oder 2 des GG dar, wenn § 1258 Abs. 3 RVO a.F. die Gewährung von Hinterbliebenenrenten für Kinder einer Versicherten an erschwerte Voraussetzungen geknüpft hat.
Schließlich scheidet ein Verstoß gegen Art. 6 GG ebenfalls aus. Zwar benachteiligt § 1258 Abs. 3 RVO a.F. die Kinder einer versicherten Ehefrau, da die dort vorgesehenen Beschränkungen der Waisenrente für Kinder von geschiedenen oder ledigen Frauen nicht gelten. Hierfür waren aber wiederum soziale Erwägungen maßgebend. Die Lage der Kinder von ledigen oder geschiedenen Frauen wird nach deren Tod in der Regel erheblich schlechter sein als die der Kinder von verheirateten Frauen nach deren Tod, wenn deren Ehemann "hinterblieben" ist, also noch lebt, da er in der Regel schon vorher für den Unterhalt aufgekommen ist und auch weiter aufkommen wird. Deswegen verstößt die im Rahmen der sozialen Daseinsfürsorge vom Staate durch die Rentenversicherung gewährte unterschiedliche Behandlung der Kinder einer versicherten und verheirateten Frau auch insoweit weder gegen Art. 3 oder gegen Art. 6 GG. Sie ist vielmehr mindestens solange sachgemäß und nicht willkürlich, als die Sozialversicherung entsprechend ihrer sozialpolitischen Zielsetzung einen sozialen Ausgleich innerhalb der Versichertengemeinschaft mit nach sozialen Gesichtspunkten gestalteten Beiträgen und Leistungen kennt und der Bund in Erfüllung seiner Verpflichtungen nach Art. 120 GG erhebliche Zuschüsse zur Sozialversicherung leistet. Der zu ordnende soziale Lebenstatbestand ist nicht vergleichbar mit den übrigen, da er, wenn vom Geschlecht der betroffenen Versicherten abgesehen wird sowie von der Tatsache, daß sie verheiratet ist, weitere wesentliche Elemente vorhanden sind, die ihrerseits nicht gleich sind (Bundesverfassungsgericht, NJW 1957 S. 865) und die es rechtfertigen, die Hinterbliebenenversorgung, wie in § 1258 Abs. 3 RVO a.F. geschehen, unterschiedlich zu regeln.
Der entgegenstehenden Auffassung des SG und des LSG und u.a. von Krüger (MDR 1957 S. 69) und des SG Köln (Breithaupt 1955 S. 1160) für den ähnlich lautenden § 559 b Abs. 4 RVO (siehe auch Wetterer Soz. Vers. 1955 S. 195) konnte daher mit dem Bundesgerichtshof (BGH) für die ähnlich liegende Frage der Vereinbarkeit des § 6 Abs. 2 der Ersten Durchführungsverordnung zum Bundesentschädigungsgesetz mit dem GG (Ehe und Familie 1960 S. 62) nicht gefolgt werden.
Die Entscheidung des BGH über die Unvereinbarkeit des § 14 Abs. 8 des Reichsbesoldungsgesetzes mit dem GG (NJW 1955 S. 1280) kann nicht herangezogen werden, da es sich dabei um wesentlich anders gelagerte Rechtsfragen handelt.
Damit mußten auf die Revision der Beklagten die angefochtenen Urteile aufgehoben und die Klage abgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1983329 |
MDR 1961, 180 |