Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Kindergeld für Enkel. überwiegender Unterhalt. Bewertung der Betreuungsleistungen. Schätzung der Betreuungsleistungen
Leitsatz (amtlich)
1. Die Schätzung des Wertes von Betreuungsleistungen ist Teil der Tatsachenfeststellungen, so daß das Revisionsgericht sie nur auf Rüge eines Beteiligten überprüfen darf.
2. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, die Tatsacheninstanzen bei einer Schätzung auf bestimmte Berechnungsmethoden zu verpflichten oder ihnen die Berücksichtigung bestimmter Schätzungsgrundlagen aufzuerlegen (Anschluß an BGH vom 18.5.1971 - VI ZR 52/70 = BGHZ 56, 214, 218).
Orientierungssatz
1. Zur Bewertung der Betreuungsleistungen bei Feststellung des überwiegenden Unterhalts iS von § 2 Abs 1 S 1 Nr 7 BKGG.
2. Eine vertretbare Schätzung des Werts der in Betracht kommenden Betreuungsleistungen setzt voraus, daß Alter und Gesundheitszustand des Kindes, der Lebenszuschnitt der Familie und alle sonstigen ins Gewicht fallenden Umstände festgestellt werden, die sich auf die Dauer der täglichen Betreuungsleistungen auswirken können.
3. Wenn der Antragsteller mehr als die Hälfte zum Unterhalt des Kindes beisteuert, sind die Voraussetzungen des überwiegenden Unterhalts iS des § 2 Abs 1 S 1 Nr 7 Alt 2 BKGG erfüllt. Das BKGG enthält keine eigene Begriffsbestimmung des "Unterhalts". Insoweit ist auf die Regelung des bürgerlichen Rechts zurückzugreifen. Der Unterhalt umfaßt gemäß § 1610 Abs 2 BGB den gesamten Lebensbedarf. Hierzu gehören bei einem Kind auch die Betreuungs- und Erziehungskosten.
Soweit das Gesetz Ansprüche von der Gewährung des überwiegenden Unterhalts an eine bestimmte Person abhängig macht, kommt es nur auf das Verhältnis der beiderseitigen tatsächlich erbrachten Unterhaltsleistungen an.
4. Durch die BSG-Rechtsprechung zum Kindergeldrecht ist bisher nicht im einzelnen festgelegt worden, wie die Bewertung von Betreuungsleistungen zu erfolgen hat, desgleichen nicht zu den Vorschriften der RVO und des AVG, in denen als Tatbestandsvoraussetzung die Leistung des überwiegenden Unterhalts verlangt wird. Der Wert solcher Leistungen ist letztlich nur im Wege der Schätzung möglich. Sie ist Teil der Tatsachenfeststellungen und muß deshalb den Tatsacheninstanzen vorbehalten bleiben. Ihre Zulässigkeit folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 287 Abs 2 ZPO iVm § 202 SGG.
Normenkette
BKGG § 2 Abs 1 S 1 Nr 7; SGG § 128 Abs 1, §§ 163, 164 Abs 2 S 3, § 202; ZPO § 287 Abs 2; BGB § 1610 Abs 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger für seinen Enkel Jan Kindergeld zu gewähren ist.
Jan, geb. am 11. Juni 1982, stammt aus der Ehe des Beigeladenen zu 1.) mit der Beigeladenen zu 2.). Das Kind lebte von Geburt an im Haushalt seiner Eltern, die beide studierten. Es wurde aber regelmäßig an mindestens zwei Tagen in der Woche nicht von den Eltern, sondern im Haushalt des Klägers betreut. Daran hat sich auch nichts geändert, nachdem der Beigeladene zu 1.) im März 1984 sein Studium als Diplom-Sozialpädagoge beendet und mit dem einjährigen Anerkennungspraktikum begonnen hat.
Der Kläger zahlte seinem Sohn, dem Beigeladenen zu 1.), während des Studiums monatlich 500,-- DM und seinem Enkel Jan monatlich 320,-- DM Unterhalt. Jans Mutter, die Beigeladene zu 2.), erhielt von ihren Eltern monatlich 300,-- DM. Sie hatte daneben ein sonstiges Einkommen von 250,-- DM monatlich. Überstiegen die Gesamtkosten der Haushaltsführung die Summe der genannten Beträge, kam der Kläger für die unabweisbaren Mehrkosten auf. Außerdem erbrachte er in der streitigen Zeit für seinen Sohn und für Jan Sachleistungen, die er mit insgesamt 140,-- DM monatlich bewertet.
Einen Antrag des Klägers, ihm ab 3. Dezember 1982 für Jan Kindergeld zu zahlen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18. Oktober 1982 ab und zahlte das Kindergeld für Jan weiter an dessen Vater. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Bescheid vom 30. Dezember 1982 zurück.
Das Sozialgericht (SG) hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte antragsgemäß verurteilt, dem Kläger ab 1. Juni 1982 für seinen Enkel Kindergeld zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß das Kindergeld für das Kind Jan in der Zeit von Juni 1982 bis einschließlich März 1984 an den Kläger unter Anrechnung des bereits an den beigeladenen Vater geleisteten Kindergeldes zu zahlen ist. Das Berufungsgericht hat zur Begründung ua ausgeführt, dem Kläger stehe das Kindergeld für seinen Enkel Jan zu, weil er ihn überwiegend unterhalten habe. Die Tatsache, daß das Kind im Haushalt seiner leiblichen Eltern gelebt habe, ändere daran nichts. Für die Berücksichtigung von Enkeln beim Kindergeldanspruch der Großeltern genüge wahlweise, daß der Berechtigte sie entweder in seinen Haushalt aufgenommen habe oder sie, ohne daß eine Aufnahme in den Haushalt erfolgt sein müsse, überwiegend unterhalte. Der Kläger habe seinem Sohn vor und nach der Geburt des Enkels den vollen Unterhalt gezahlt. Schon damit stehe fest, daß die von ihm nach der Geburt des Enkels zusätzlich geleisteten weiteren Zahlungen von monatlich 320,-- DM ausschließlich für den Unterhalt des Enkels erbracht würden. Die Eltern des Kindes leisteten neben der persönlichen Betreuung keinen eigenen finanziellen Beitrag zu dessen Unterhalt. Der überwiegende Unterhalt eines Kindes, soweit er als Tatbestandsvoraussetzung für Ansprüche nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) bedeutsam sei, umfasse neben dem rein finanziellen Aufwand für den Lebensunterhalt auch die notwendigen Betreuungs- und Erziehungsleistungen, die dem Kind zugewendet würden. Um festzustellen, wer den Enkel des Klägers überwiegend unterhalten habe, müßten deshalb alle von den Eltern und vom Kläger erbrachten Betreuungsleistungen sowie alle für den Unterhalt des Kindes bestimmten Geld- und Sachleistungen zueinander in Beziehung gesetzt werden. Dies sei nur möglich, wenn zunächst der objektive Geldwert der nicht finanziellen Leistungen ermittelt würde. Er ergebe sich, wenn man von dem Pflegegeld, das vom Staat Pflegeeltern gezahlt werde, den finanziellen Aufwand für Ernährung, Bekleidung, Körperpflege und sonstige materielle Bedürfnisse des Kindes abziehe. Das Pflegegeld habe 1982 monatlich 456,-- DM und 1983 und 1984 monatlich 470,-- DM betragen. Der Regelunterhaltsbedarf für Kinder im Alter des Enkels des Klägers habe nach der sogenannten Regelunterhaltsverordnung von Anfang 1982 bis Ende 1984 bei monatlich 207,-- DM gelegen. Die im Pflegegeld enthaltenen Betreuungskosten hätten somit 1982 monatlich 249,-- DM sowie 1983 und 1984 monatlich 263,-- DM ausgemacht. Mit dem von ihm für den Enkel Jan gezahlten Unterhalt von monatlich 320,-- DM habe der Kläger mehr als die Hälfte des Betrages aufgebracht, der für die Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie erforderlich gewesen wäre. Im übrigen müsse auch berücksichtigt werden, daß Jan an zwei Tagen in der Woche im Haushalt des Klägers betreut worden sei. Deshalb überstiegen seine gesamten Unterhaltsleistungen die der leiblichen Eltern selbst dann, wenn man als Wert der Betreuung nicht 263,-- DM, sondern 742,-- DM annehme. Dann entfielen von den insgesamt geleisteten 1.062,-- DM noch immer 532,-- DM auf den Kläger und nur 530,-- DM auf die Eltern.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 7 iVm § 3 Abs 2 Nr 1 BKGG und macht geltend, das LSG habe einen völlig ungeeigneten Maßstab zur Bewertung der Betreuungsleistungen von Pflegeeltern gewählt. Nach der im Berufungsverfahren eingeholten Auskunft des Landesjugendamtes Rheinland-Pfalz und dessen Empfehlungen an die Jugendämter umfasse das Pflegegeld lediglich die finanziellen Aufwendungen für den Lebensbedarf des Pflegekindes. Eine Abgeltung der immateriellen Leistungen, insbesondere auch des enormen Zeit- und Kraftaufwandes der Pflegeeltern für Pflege, Erziehung und Betreuung sei hierin nicht enthalten. Der Ansatz des LSG, durch Abzug des Regelunterhalts für nichteheliche Kinder einen angeblichen Anteil eines Betreuungsentgelts im Pflegegeld zu errechnen, sei daher verfehlt. Bei Anrechnung des nach den Grundsätzen des Bundessozialgerichts (BSG) ermittelten objektiven wirtschaftlichen Wertes der dem Kind Jan von seinen Eltern und dem Kläger zugewandten Betreuungsleistungen ergebe sich, daß der Kläger nicht den überwiegenden Unterhalt geleistet habe.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. Mai 1985 und das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 22. April 1983 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beigeladenen haben sich im Revisionsverfahren nicht vertreten lassen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich übereinstimmend damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG, weil dessen Tatsachenfeststellungen zur Entscheidung über den streitigen Anspruch nicht ausreichen.
Nach § 1 Nr 1 BKGG hat Anspruch auf Kindergeld für seine Kinder, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Als Kinder iS des BKGG werden gemäß § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 7 BKGG ua Enkel berücksichtigt, die der Berechtigte in seinen Haushalt aufgenommen hat oder überwiegend unterhält.
Das LSG hat angenommen, der Kläger unterhalte seinen Enkel Jan überwiegend. Diese Annahme beruht indessen teils auf einer unrichtigen Anwendung des § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 7 zweite Alternative BKGG, teils auf tatsächlichen Feststellungen, die die Beklagte mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen hat (§§ 163 und 164 Abs 2 Satz 3 SGG).
Die Voraussetzung überwiegenden Unterhalts ist erfüllt, wenn der Antragsteller mehr als die Hälfte zum Unterhalt des Kindes beisteuert (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1984 - 10 RKg 12/83 - unveröffentlicht; vgl ferner BSGE 14, 203, 205 zu § 589 RVO aF; BSG 25, 157, 159 zu § 1241 RVO aF; BSG, Urteil vom 19. März 1970 - 5 RKn 59/67 - USK 7033 zu § 182 Abs 4 Satz 2 RVO aF; BSG, Urteil vom 25. Januar 1979 - 8a RU 26/78 - SozR 2200 § 593 Nr 1). Das BKGG enthält keine eigene Begriffsbestimmung des "Unterhalts". Insoweit ist auf die Regelung des bürgerlichen Rechts zurückzugreifen (BSG, Urteil vom 29. Oktober 1981 - 10/8b RKg 8/80 - SozR 5870 § 3 Nr 3; s. ferner BSG, Urteil vom 25. Januar 1979, aaO). Nach § 1610 Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) bestimmt sich das Maß des zu gewährenden Unterhalts nach der Lebensstellung des Bedürftigen (angemessener Unterhalt). Der Unterhalt umfaßt gemäß § 1610 Abs 2 BGB den gesamten Lebensbedarf. Hierzu gehören bei einem Kind auch die Lebensstellung des Bedürftigen (angemessener Unterhalt). Der 27. April 1978 - 8/12 RKg 14/77 - SozR 5870 § 2 Nr 10; Palandt, BGB, Kommentar, 45. Aufl, § 1610 Anm 1). Soweit das Gesetz Ansprüche von der Gewährung des überwiegenden Unterhalts an eine bestimmte Person abhängig macht, kommt es nur auf das Verhältnis der beiderseitigen tatsächlich erbrachten Unterhaltsleistungen und nicht auf die Unterhaltsberechtigung an (vgl dazu BSGE 20, 148, 151; 29, 1, 2; BSG, Urteile vom 30. April 1971 - 1 RA 101/70 - SozR Nr 9 zu § 1266 RVO und vom 13. Februar 1969 - 12 RJ 30/68 - unveröffentlicht). Ob auch Leistungen, die nicht dem Unterhalt dienen oder über den Unterhaltsbedarf hinausgehen, im Rahmen des § 2 Abs 1 Nr 7 BKGG zugunsten desjenigen, der sie erbringt, berücksichtigt werden dürfen, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Die für das Enkelkind des Klägers aufgewendeten finanziellen Mittel und die Betreuungsleistungen stellen jedenfalls Unterhaltsleistungen iS des § 1610 BGB dar; denn weder die finanziellen Aufwendungen noch die Leistungen für Erziehung und Betreuung überschreiten den angemessenen Unterhaltsbedarf.
Ob der Unterhalt des Enkels Jan überwiegend von dem Kläger bestritten worden ist, läßt sich nur sagen, wenn zunächst der objektive Wert der Betreuungsleistungen ermittelt wird und dann die Leistungen des Klägers den Unterhaltsleistungen der Eltern gegenübergestellt werden. Wie die Bewertung von Betreuungsleistungen zu erfolgen hat, ist durch die Rechtsprechung des BSG zum Kindergeldrecht bisher nicht im einzelnen festgelegt worden. Auch zu den Vorschriften der RVO und des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), in denen als Tatbestandsvoraussetzung die Leistung des überwiegenden Unterhalts verlangt wird oder früher verlangt wurde, hat das BSG bisher nur ausgesprochen, daß dabei auch die Haushaltsarbeit und die Betreuung der Kinder zu berücksichtigen sind (vgl dazu BSG, Urteile vom 14. Februar 1964 - 1 RA 203/60 - SozR Nr 4 zu § 1266 RVO, vom 17. März 1970 - 11 (12) RJ 478/67 - BSGE 31, 90, 95 ff, vom 30. April 1971, aaO, vom 16. Februar 1968 - 7 RKg 6/68 - BSGE 28, 1, 2 und vom 27. April 1978 - 8/12 RKg - aaO). In den Urteilen vom 29. Oktober 1981 - aaO, und vom 23. Oktober 1984 hat der erkennende Senat unter Hinweis auf BVerfGE 17, 1, 16 hervorgehoben, daß der wirtschaftliche Wert der Betreuungsleistungen in voller Höhe anzurechnen ist und daß sich ein natürlicher Anhaltspunkt für die Bewertung aus den Mitteln ergebe, die üblicherweise für häuslichen oder außerhäuslichen Ersatz der fortgefallenen Leistungen aufgewandt werden müßten.
Die Bewertung der Arbeiten, die im Haushalt für die Familie erbracht werden, bereitet erhebliche Schwierigkeiten: Die Hausarbeit läßt sich nur bedingt mit Arbeiten vergleichen, die auf dem Arbeitsmarkt angeboten werden. Jeder Haushalt, jede Familie weist Besonderheiten auf, die die Hausarbeit teils erschweren, teils erleichtern. Auch der individuelle Zeitaufwand für die Hausarbeit einschließlich der Betreuung der Kinder differiert erheblich. Deshalb ist die Bewertung solcher Arbeiten letztlich nur im Wege der Schätzung möglich (vgl. dazu BGH, Urteil vom 8. Juni 1982 - VI ZR 314/80 - NJW 1982, 2866; BSGE 31, 90, 97). Auch wenn das LSG hier den Wert der Betreuungsleistungen durch eine "Rechenoperation" ermittelt hat, liegt ihrem Wesen nach eine Schätzung vor. Sie ist Teil der Tatsachenfeststellungen und muß deshalb den Tatsacheninstanzen vorbehalten bleiben (BSG 31, 90, 97). Das Revisionsgericht kann sie daher nur auf Rüge eines Beteiligten - und zwar in engen Grenzen - überprüfen (zum Umfang der Prüfung durch das Revisionsgericht s BGHZ 3, 162, 175 f; 6, 62, 63; 97, 37, 41 und 163, 168 f). Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, die Tatsacheninstanzen auf bestimmte Berechnungsmethoden zu verpflichten (BGHZ 56, 214, 218) oder ihnen die Berücksichtigung bestimmter Schätzungsgrundlagen aufzuerlegen.
Gegen die Schätzung des Werts erbrachter Unterhaltsleistungen durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit bestehen rechtlich keine Bedenken (im Ergebnis wie hier BSGE 31, 90, 97; vgl auch BSGE 23, 129, 134 zur Schätzung des Jahresarbeitsverdienstes in der Sozialversicherung). Ihre Zulässigkeit folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 287 Abs 2 der Zivilprozeßordnung -ZPO- iVm § 202 SGG (Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 3. Aufl, § 128 Anm. 3a). Bei einer Schätzung entscheidet das Gericht zwar - wie bei einer sonstigen Tatsachenfeststellung - nach freier Überzeugung; es hat aber alle Umstände des Einzelfalles zu würdigen (vgl § 287 Abs 1 Satz 1 iVm § 287 Abs 2 ZPO). Seine Schätzung ist rechtsfehlerhaft, wenn es die Schätzungsgrundlagen nicht richtig festgestellt oder nicht alle wesentlichen in Betracht kommenden Umstände hinreichend gewürdigt hat bzw wenn die Schätzung selbst auf falschen oder unsachlichen Erwägungen beruht (vgl hierzu BGHZ 3, 162, 176 unter Hinweis auf RG JW 1936, 3457 und RG, Urteil vom 5. Dezember 1907 - VI 398/07 -; BGHZ 6, 62, 63; 92, 85, 90 ff; 97, 37, 41 unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 24. Januar 1975 - I ZR 106/73 -, GRUR 1975, 323, 234; BGZ 97, 163, 168 f; zu Schätzungsfehlern des Gerichts s auch BGH, Urteil vom 8. Juni 1982, aaO; BSGE 11, 102, 118 und 43, 53, 56 zur Schätzung durch kassenärztliche Prüfungsinstanzen bzw Versicherungsträger). Das Gericht muß fachliche Erkenntnisse, die nach Sachlage unerläßlich sind, heranzuziehen (Thomas/Putzo, ZPO, Kommentar, 13. Aufl, § 287 Anm 3).
Die Beklagte rügt, daß das LSG bei der von ihm vorgenommenen Bewertung der Betreuungsleistungen Umstände herangezogen habe, auf die die Schätzung nicht gestützt werden dürfe. Das Berufungsgericht sei bei seiner Schätzung von dem staatlichen Pflegegeld ausgegangen und habe hiervon die jeweiligen Sätze der Regelunterhaltsverordnung abgezogen, um einerseits den Wert der persönlichen Betreuungsleistungen und andererseits den finanziellen Aufwand für Ernährung, Bekleidung, Körperpflege und sonstige materielle Bedürfnisse des Kindes zu ermitteln. Die Rüge der Beklagten ist - jedenfalls teilweise - begründet. Das LSG hätte sich mit der im Berufungsverfahren eingeholten Auskunft des Landesjugendamtes auseinandersetzen und insbesondere der Frage nachgehen müssen, ob das staatliche Pflegegeld auch die gesamten Betreuungskosten für ein Kind abdecken soll oder ob in dieser Leistung nur ein Beitrag zu den Betreuungskosten zu sehen ist. Da diese Auseinandersetzung unterblieben ist, liegt ein Verstoß gegen die den Prinzipien des § 128 Abs 1 SGG entsprechende Vorschrift des § 287 ZPO vor. Das LSG hat die für die Schätzung maßgeblichen Umstände unrichtig gewürdigt.
Eine vertretbare Schätzung des Werts der in Betracht kommenden Betreuungsleistungen setzt voraus, daß Alter und Gesundheitszustand des Kindes, der Lebenszuschnitt der Familie und alle sonstigen ins Gewicht fallenden Umstände festgestellt werden, die sich auf die Dauer der täglichen Betreuungsleistungen auswirken können. Ist dies geschehen, so ist es für eine rechtsfehlerfreie Schätzung weiter erforderlich, daß das Gericht den durchschnittlichen Zeitaufwand nebst Zu- und Abschlägen für Besonderheiten durch Hinzuziehung von Sachverständigen ermittelt oder bereits vorhandenen Unterlagen entnimmt, etwa aus den Tabellen von Schulz-Borck/Hofmann, Schadensersatz bei Ausfall von Hausfrauen und Müttern im Haushalt, 2. Aufl, 1983. Wenn auch diese Tabellen für das zivilrechtliche Schadensersatzrecht aufgestellt worden sind und bisher vornehmlich von den Zivilgerichten angewendet werden (vgl zB BGHZ 86, 372, 374), bestehen keine Bedenken, die in den Tabellen enthaltenen Erkenntnisse auch bei der Bewertung der Betreuungsleistungen durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zu nutzen. Dies gilt sowohl für die Feststellung des durchschnittlichen Zeitaufwandes als auch für die Bewertung dieser Arbeit unter Heranziehung der Monatsvergütungen nach dem Bundesangestelltentarif -BAT- (s dazu Schulz-Borck/Hofmann, S 15 Tabelle 3 und S 18 f Tabelle 5). Dabei muß allerdings beachtet werden, daß bei der Ermittlung, wer den Enkel überwiegend unterhält (§ 2 Abs 1 Satz 1 Nr 7 BKGG), nur Nettolöhne zugrunde gelegt werden dürfen. Denn es handelt sich um eine hypothetische Berechnung. Die Tätigkeit, die objektiv bewertet werden soll, nämlich die sich in der Familie vollziehende Betreuungsleistung, wird weder sozialversicherungsrechtlich noch steuerrechtlich erfaßt (vgl dazu auch BGHZ 86, 372, 377).
Soweit der Enkel Jan an zwei Tagen in der Woche im Haushalt des Klägers betreut wird, hat das LSG zunächst festzustellen, ob die Betreuung dort alle Aufgaben umfaßt, die sonst auch von den Eltern des Kindes übernommen werden (zB Reinigen der Kleidung). Ist dies nicht der Fall, so kann für den Aufenthalt des Kindes im Haushalt der Großeltern möglicherweise nicht der gleiche Zeitaufwand pro Tag wie bei der Bewertung der Betreuungsleistungen der Eltern zugrunde gelegt werden.
Außerdem wird sich das Berufungsgericht mit der Frage befassen müssen, ob es bei der Anwendung des § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 7 BKGG nur die vom Kläger selbst erbrachten Betreuungsleistungen berücksichtigen darf (so BSG, Urteil vom 28. August 1969 - 11/12 RJ 232/67 - NJW 1970, 111) oder ob es ihm die gesamte Betreuung zurechnen muß, die Jan im Haushalt seines Großvaters erhalten hat. Für das letztere spricht die Regelung des § 3 Abs 2 Nr 1 BKGG. Die dort für den Fall, daß für ein Kind mehrere Personen die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, festgelegte Rangfolge nennt - im Gegensatz zu § 2 Abs 1 Nr 7 BKGG, wo die Einzahl ("der Berechtigte") verwendet ist - als mögliche Anspruchsinhaber "Pflegeeltern, Großeltern und Geschwister". Daraus könnte eventuell geschlossen werden, daß es für den "überwiegenden Unterhalt" iS von § 2 Abs 1 Nr 7 BKGG nicht auf die von einem Großelternteil, nämlich dem Antragsteller, erbrachten Unterhaltsleistungen allein ankommt, sondern auf die Leistungen des Großvaters und der Großmutter, jedenfalls dann, wenn sie einen gemeinsamen Haushalt führen. Der erkennende Senat läßt die aufgeworfene Frage offen, weil sich erst nach der weiteren Sachaufklärung herausstellen wird, ob es hierauf im vorliegenden Falle ankommt. Sollte das LSG sich bei entsprechendem Beweisergebnis der im Urteil des 11. Senats vom 28. August 1969 vertretenen Rechtsauffassung anschließen, so wird es feststellen müssen, welche Betreuungsleistungen der Kläger selbst erbracht hat.
Schließlich wird auch zu beachten sein, daß sich der Wert der Betreuungsleistungen in der hier streitigen Zeit nicht nur im Hinblick auf die Änderung der Löhne für Ersatzkräfte, sondern auch hinsichtlich des erforderlichen Zeitaufwandes (unterschiedliche Entwicklungsphasen des betreuten Kindes) geändert haben kann.
Sollte das LSG erneut zu dem Ergebnis kommen, daß der Kläger während des gesamten streitigen Zeitraums einen Anspruch auf Kindergeld hatte, so wird es zu berücksichtigen haben, daß eine Anrechnung des an den beigeladenen Vater geleisteten Kindergeldes nicht zu erfolgen hat. Ist der Kläger kindergeldberechtigt, so hat die Beklagte an den Vater zu Unrecht geleistet (vgl § 3 Abs 1 BKGG). Der Beklagten bleibt in diesem Falle nur die Möglichkeit zu prüfen, ob die dem Beigeladenen zu 1) erteilte Kindergeldbewilligung gemäß §§ 45 ff des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) rückwirkend aufgehoben werden darf und ob sie dann die erbrachten Leistungen nach § 50 SGB X zurückverlangen kann. Der Anspruch des Klägers ist hiervon aber rechtlich unabhängig.
Auf die Revision der Beklagten waren nach alledem das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen