Leitsatz (redaktionell)
1. Ein wegen Arbeitslosigkeit gemäß AVG § 25 Abs 2 (RVO § 1248) vorzeitig bezogenes Altersruhegeld berechtigt bei Vollendung des 65. Lebensjahres nicht dessen Umwandlung in ein solches gemäß AVG § 25 Abs 1 (= RVO § 1248).
2. Nur die Wiedergewährung des Altersruhegeldes gemäß RVO § 1248 Abs 2 S 3, nachdem es vorher wegen Eintritts in eine Beschäftigung weggefallen war und diese Beschäftigung wieder geendet hat, beruht auf einem neuen Versicherungsfall, so daß bei der Berechnung die zu diesem Zeitpunkt geltende neue Rechtslage maßgebend ist.
Orientierungssatz
Zusagen und Auskünfte mit gesetzwidrigem Inhalt verpflichten den Versicherungsträger nicht, einen entsprechenden rechtlich falschen Bescheid zu erteilen.
Das Vertrauen eines Versicherten auf die Einhaltung einer Zusage oder Auskunft kann schutzwürdig sein, wenn er entsprechende Dispositionen mit konkret feststellbaren versicherungsrechtlichen Folgen getroffen oder unterlassen hat.
Normenkette
AVG § 25 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1248 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; AVG § 25 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1248 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 103 Fassung: 1953-08-07; RVO § 1324 Fassung: 1960-02-25
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 3. Dezember 1969 aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 10. April 1968 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob der Kläger die Umwandlung seines vorzeitigen Altersruhegeldes in ein Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres verlangen kann; er erstrebt damit die Berücksichtigung einer anderen Rentenbemessungsgrundlage und weiterer Ausfallzeiten (§ 25 Abs. 1 und 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -, § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AVG idF des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes - RVÄndG -).
Der am 8. Juni 1901 geborene Kläger erhielt 1961 das vorzeitige Altersruhegeld wegen Arbeitslosigkeit nach § 25 Abs. 2 AVG (Bescheid vom 21.8.1961). Er beanstandete damals, daß die Zeit seiner kaufmännischen Lehre ohne Beitragsentrichtung in den Jahren 1915 bis 1918 nicht als Ausfallzeit berücksichtigt sei. Seine Rechtsmittel waren ohne Erfolg. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) entschied, daß die Lehrzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG in der bis zum Inkrafttreten des RVÄndG vom 9. Juni 1965 geltenden Fassung nicht als Ausfallzeit angerechnet werden könne; erst nach der Neufassung dieser Vorschrift durch das RVÄndG sei bei Versicherungsfällen, die seit 1. Juli 1965 eintreten, die nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegende versicherungsfreie Lehrzeit als Ausfallzeit anzurechnen (Urteil vom 3.5.1966). Während jenes Berufungsverfahrens hatte der Kläger mit Schreiben vom 10. Oktober 1965 die Beklagte "um baldige Mitteilung" gebeten, ob sie die von Rauschenbach in "Die Angestelltenversicherung" 1965, 102 geäußerte Auffassung teile, daß eine versicherungsfreie Lehrzeit nur bei Versicherungsfällen angerechnet werde, die nach dem 30. Juni 1965 eintreten. Die Beklagte hatte mit Schreiben vom 20. Oktober 1965 geantwortet, sie vertrete die Auffassung,
"daß eine Anrechnung von einer versicherungsfreien Lehrzeit als Ausfallzeit nur bei Versicherungsfällen in Betracht kommt, die nach dem 30. Juni 1965 eingetreten sind ... Da Sie das 65. Lebensjahr am 8. Juni 1966 vollenden werden, können Sie das Ihnen bisher gewährte vorgezogene Altersruhegeld auf Antrag in ein Altersruhegeld nach § 25 Abs. 1 AVG wegen Vollendung des 65. Lebensjahres umwandeln lassen. Damit tritt ein neuer Versicherungsfall nach dem 30. Juni 1965 ein und es wäre Ihnen mit diesem Zeitpunkt die Lehrlingszeit als Ausfallzeit anzurechnen. Aus der Gesetzesänderung können Sie andererseits entnehmen, wie wir in unserem Schriftsatz vom 11.8.1965 an das Bayer. LSG bereits ausgeführt haben, daß Ihre Berufung nicht begründet ist".
Nach Abschluß jenes Berufungsverfahrens beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung des Altersruhegeldes wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Die Beklagte lehnte den Antrag mit dem jetzt angefochtenen Bescheid vom 5. Juli 1966 ab; sie wies auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. April 1965 - 5 RKn 114/62 - hin; danach sehe das Gesetz einen solchen Anspruch auf Umwandlung nicht vor; ihr "Angebot" vom 20. Oktober 1965 sei damit gegenstandslos geworden; die betreffenden Zeiten könnten nicht angerechnet werden.
Der Kläger war der Auffassung, die Beklagte habe ihn bis zum Erlaß des Bescheids vom 5. Juli 1966 in dem Glauben gelassen, daß ihm die Lehrzeit bei der Umwandlung in ein Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres angerechnet werde. Deshalb sei sie an ihr "Angebot" gebunden. Er hätte sonst wieder eine Beschäftigung aufgenommen; die einjährige Arbeitslosigkeit wäre kein Hinderungsgrund gewesen, denn er sei freiwillig aus seinem Dienst beim Arbeitsamt ausgeschieden.
Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen. Das LSG hat die Beklagte verurteilt, das vorzeitige Altersruhegeld in ein Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres umzuwandeln; die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 3. Dezember 1969).
Das LSG hat im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte sei an die Zusage, das vorzeitige Altersruhegeld in ein Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres umzuwandeln, gebunden.
Die Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG zurückzuweisen. Der Kläger habe keinen im Gesetz begründeten Anspruch auf die begehrte Umwandlung. Bei dem Schreiben vom 20. Oktober 1965 handele es sich nicht um einen den Kläger begünstigenden bindenden Verwaltungsakt. Aus § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) lasse sich eine bindende Wirkung dieses Schreibens nicht herleiten. Es handele sich dabei nicht um eine Zusage. Aber selbst wenn das Schreiben als Zusage beurteilt würde, sei sie nicht daran gebunden, weil es dann eine mit dem materiellen Recht nicht übereinstimmende Zusage wäre. Rechtswidrige Zusagen seien nicht bindend. Zwar könne der Grundsatz des Vertrauensschutzes im Einzelfall verwehren, sich auf die Fehlerhaftigkeit zu berufen; jedoch seien an die Umstände, die ein schutzwürdiges Vertrauen begründen sollten, strenge Anforderungen zu stellen (BVerwG in DVBl 1966, 857). Solche Voraussetzungen seien hier nicht gegeben. Eine Bindung bestehe auch dann nicht, wenn das Schreiben vom 20. Oktober 1965 als Auskunft zu werten sei; denn Rechtsauskünfte seien grundsätzlich unverbindlich. Das Vertrauen des Betroffenen auf eine ihm nicht erkennbar unrichtige Auskunft werde im Rahmen der Amtshaftung geschützt. Dafür seien die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nicht zuständig.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er ist der Auffassung, es handele sich bei dem Schreiben vom 20. Oktober 1965 um eine Zusage.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das vorzeitige Altersruhegeld des Klägers ist nicht in ein Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres umzuwandeln.
Das BSG hat bereits mehrmals entschieden, daß das vorzeitige Altersruhegeld, das ein Arbeitsloser nach § 25 Abs. 2 AVG bezieht, nicht in das allgemeine Altersruhegeld nach § 25 Abs. 1 AVG umzuwandeln ist, wenn der Arbeitslose 65 Jahre alt wird, weil damit kein neuer Versicherungsfall eintritt (SozR Nr. 2 zu § 48 RKG und Entscheidung des erkennenden Senats vom 28.9.1967 in BSG 27, 167). Nur die Wiedergewährung des Altersruhegeldes gemäß § 25 Abs. 2 Satz 3 AVG, nachdem es vorher wegen Eintritts in eine Beschäftigung weggefallen war und diese Beschäftigung wieder geendet hat, beruht auf einem neuen Versicherungsfall, so daß bei der Berechnung die zu diesem Zeitpunkt geltende neue Rechtslage maßgebend ist (BSG 29, 236). Der Senat hält an seiner Entscheidung fest. Der Antrag des Klägers ist nach § 25 AVG nicht begründet.
Die Beklagte ist auch nicht auf Grund ihres Schreibens vom 20. Oktober 1965 verpflichtet, das Altersruhegeld so zu berechnen, als wäre mit der Vollendung des 65. Lebensjahres des Klägers ein neuer Versicherungsfall mit den Rechtsfolgen eines solchen für die Rentenberechnung eingetreten.
Es kann offen bleiben, ob das Schreiben der Beklagten vom 20. Oktober 1965 eine Zusage oder eine konkret gefaßte Rechtsauskunft oder vielleicht Anregungen für einen Vergleich in dem damaligen Berufungsverfahren enthält; auch braucht hier nicht entschieden zu werden, unter welchen Voraussetzungen die Äußerung einer Behörde eine Auskunft oder Zusage darstellt, so daß der Empfänger der Äußerung daraus Ansprüche auf ein bestimmtes künftiges Handeln der Behörde herleiten könnte (vgl. BVerwG in DVBl 1966, 857; Pieper, Zur öffentlich-rechtlichen Zusage, Verwaltungsarchiv, 59. Band, 1968, 217 ff; BGH in DÖV 70, 680); denn in keinem dieser Fälle ist hier die Beklagte verpflichtet, den gewünschten Bescheid zu erteilen.
Das BSG hat sich bereits mehrfach mit Zusagen und Auskünften und ihren Rechtsfolgen befaßt. Danach ist die Erteilung der Zusage einer Behörde über ihr künftiges Verhalten durch das dringende Bedürfnis des Staatsbürgers, der jetzt schon Entscheidungen treffen muß, gerechtfertigt. Die Verpflichtung der Verwaltung zu einer bestimmten künftigen Entscheidung ist jedoch nur im Rahmen des gesetzlich Erlaubten zulässig. Zusage und Auskunft sind unverbindlich, wenn ihre Erfüllung dem Gesetz widerspricht (vgl. BSG 14, 104, 107 f; 23, 248, 252; 25, 219; 32, 60; SozR Nr. 12 zu § 1302 RVO). Das schließt nicht aus, daß der Bürger in seinem Vertrauen auf die Äußerung der Behörde geschützt wird. Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen Amtspflichtverletzung, der vor den Zivilgerichten geltend gemacht werden müßte, können hier dahinstehen (BSG 25, 219, 221). Unter gewissen Voraussetzungen kann auch im sozialgerichtlichen Verfahren das Vertrauen in die Richtigkeit einer Zusage oder Auskunft geschützt sein (BSG 23, 248, 252). Ein solcher Fall liegt hier indes nicht vor.
In BSG 32, 60 hat der 1. Senat entschieden, daß der Rentenantrag als in dem Zeitpunkt gestellt gilt, in dem er bei richtiger Auskunft vernünftigerweise gestellt worden wäre. Die Hinterbliebene hatte von der Treuhandverwaltung der stillgelegten Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA) die falsche Auskunft erhalten, für den Versicherten bestehe kein Beitragskonto, und deshalb zunächst keinen Antrag gestellt. Der 1. Senat ist davon ausgegangen, daß sich nach Treu und Glauben derjenige nicht auf die Versäumung einer Frist berufen kann, der durch eigenes rechtswidriges Verhalten die Versäumung der Frist durch den Berechtigten verursacht hat. Der 1. Senat hat betont, daß damit der Versicherungsträger nicht verpflichtet wird, den Leistungsanspruch gesetzeswidrig zu regeln, sondern nur gehalten ist, die Hinterbliebenen so zu stellen, als wenn die Auskunft richtig erteilt worden wäre und sie dementsprechend ihren Antrag rechtzeitig gestellt hätten. In einem anderen Fall, in dem die Treuhandverwaltung der RfA einen falschen Kontoauszug mit zu hohen Beitragsangaben erstellt hatte, ging es darum, ob der Versicherte dessen Berücksichtigung bei der Rentenberechnung statt der richtigen niedrigeren Beitragsleistung verlangen kann. Der erkennende Senat hat dort entschieden, daß sich zwar der Berechtigte auf den Schutz seines Vertrauens berufen kann, wenn er nach der unrichtigen Auskunft gehandelt hat, daß jedoch der Vertrauensschutz versagt, wenn der Versicherte aus der unrichtigen Auskunft keine Folgerungen gezogen hat, und daß im übrigen der Versicherte bei Beachtung des Vertrauensschutzes nur so zu stellen wäre, als wenn die unrichtige Auskunft nicht erteilt worden wäre (Urteil vom 21.9.1971 - 12/11 RA 166/70). Danach ist wesentlich, welche versicherungsrechtlich bedeutsamen Handlungen der Versicherte bei richtiger Auskunft oder Zusage vorgenommen hätte bzw. wie er sich verhalten hätte, wenn die unrichtige Auskunft oder Zusage nicht erteilt worden wäre.
Der vorliegende Fall unterscheidet sich von den beiden genannten Fällen. Es ist hier kein Anhalt dafür vorhanden, daß der Kläger im Vertrauen auf das Schreiben der Beklagten vom 20. Oktober 1965 genau bestimmbare Handlungen unterlassen hat, die den Eintritt eines neuen späteren Versicherungsfalles und die Gewährung des Altersruhegeldes nach § 25 Abs. 1 AVG in bestimmter Höhe ermöglicht hätten. Es kann nicht konkret gesagt werden, was der Kläger bei richtiger Auskunft getan hätte. Aus seiner Anfrage vom 10. Oktober 1965, mit der er nur eine Rechtsauffassung der Beklagten erfahren wollte, ist in dieser Richtung nichts zu entnehmen. Sein Vorbringen im Rechtsstreit, er hätte sonst wieder eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen, kann nicht berücksichtigt werden. Es ist zu unbestimmt, um daraus eindeutige versicherungsrechtliche Folgen entnehmen zu können. Auch steht es im Widerspruch zu den Tatsachen: Der Kläger bezog das vorzeitige Altersruhegeld. Dieses setzt voraus, daß der Empfänger weiterhin - unfreiwillig - arbeitslos ist, d.h., daß er subjektiv und objektiv dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, jedoch aus Gründen des Arbeitsmarktes keine Beschäftigung finden kann. Was der Kläger in diesem Rechtsstreit über die Wiederaufnahme einer Beschäftigung vorgebracht hat, besagt im Grunde, daß er nicht "arbeitslos" und damit zum Bezug des vorzeitigen Altersruhegeldes nicht berechtigt gewesen wäre. Wenn die Beklagte dem Kläger die Mitteilung vom 20. Oktober 1965 nicht gegeben hätte, stände er nicht anders da, als es jetzt nach Erhalt der unrichtigen Mitteilung der Fall ist. Für die Berücksichtigung eines Vertrauensschutzes bei Anwendung der rentenversicherungsrechtlichen Vorschriften, wie in dem vom 1. Senat entschiedenen Fall, ist daher hier kein Raum.
Der Revision der Beklagten war somit stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen