Leitsatz (amtlich)
Das vorzeitige Altersruhegeld, das ein Arbeitsloser bezieht (RVO § 1248 Abs 2), ist nicht in das Altersruhegeld gemäß RVO § 1248 Abs 1 umzuwandeln, wenn er das 65. Lebensjahr vollendet (Anschluß an BSG 1965-04-28 5 RKn 114/62 = SozR Nr 2 zu § 48 RKG).
Normenkette
RVO § 1248 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, Abs. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Sprungrevision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 8. Dezember 1965 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob das vorzeitige Altersruhegeld (§ 1248 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) bei Vollendung des 65. Lebensjahres in das Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 1 RVO umzuwandeln und deshalb nach der zu diesem Zeitpunkt geltenden allgemeinen Rentenbemessungsgrundlage neu zu berechnen ist.
Der am 10. März 1900 geborene Kläger beantragte am 2. Februar 1965 das von ihm bereits seit 1963 bezogene vorzeitige Altersruhegeld für Arbeitslose (§ 1248 Abs. 2 RVO) in das Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres (§ 1248 Abs. 1 RVO) umzuwandeln, was die Beklagte mit Bescheid vom 1. April 1965 ablehnte.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 8. Dezember 1965 abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das SG hat einen neuen Versicherungsfall des Alters bei Vollendung des 65. Lebensjahres, wenn bereits das vorzeitige Altersruhegeld bezogen wird, verneint; ein neuer Versicherungsfall des Alters sei gemäß § 1248 Abs. 2 RVO nur bei einer Unterbrechung der Arbeitslosigkeit durch Aufnahme von Arbeit und nach Wegfall des vorzeitigen Altersruhegeldes möglich. Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift des § 1248 Abs. 2 RVO ergebe sich, daß die Leistung nach § 1248 Abs. 2 RVO bewußt als Altersruhegeld unter Vorwegnahme des Versicherungsfalles des Alters gestaltet worden sei. Das bereits gewährte Altersruhegeld sei bei Vollendung des 65. Lebensjahres nicht in das Altersruhegeld des § 1248 Abs. 1 RVO umzuwandeln.
Der Kläger hat mit Einwilligung der Beklagten als Rechtsmittelgegner gegen das Urteil des SG Sprungrevision eingelegt, mit der er sein Begehren auf Umwandlung und Neuberechnung des Altersruhegeldes bei Vollendung des 65. Lebensjahres weiter verfolgt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Duisburg vom 8. Dezember 1965 und den Bescheid der Beklagten vom 1. April 1965 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Erteilung eines neuen Bescheides Altersruhegeld gemäß § 1248 Abs. 1 RVO zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden erklärt.
II
Die Sprungrevision des Klägers ist unbegründet. Entgegen der Auffassung des Klägers ist das vorzeitige Altersruhegeld für Arbeitslose (§ 1248 Abs. 2 RVO) nicht in das Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 1 RVO umzuwandeln, wenn der Rentner das 65. Lebensjahr vollendet; es ist deshalb auch nicht neu zu berechnen.
Für eine Umwandlung des vorzeitigen Altersruhegeldes in das allgemeine Altersruhegeld des § 1248 Abs. 1 RVO und eine darauf beruhende Neuberechnung des Altersruhegeldes fehlt jede gesetzliche Regelung. Eine solche ist weder in § 1248 RVO noch an sonstiger Stelle der RVO enthalten, obschon dem Gesetz der Begriff der Rentenumwandlung bekannt war und ist. So bestimmte § 1254 Abs. 2 Satz 1 RVO aF, daß Renten wegen Berufsunfähigkeit oder wegen Erwerbsunfähigkeit dann in das Altersruhegeld umzuwandeln waren, wenn ein solcher Rentenempfänger das 65. Lebensjahr vollendet hatte und die Wartezeit für das Altersruhegeld erfüllt war. Im geltenden Recht regelt § 1253 Abs. 2 Satz 2 RVO die Umwandlung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit in eine solche wegen Erwerbsunfähigkeit; der durch das Rentenversicherungsänderungsgesetz geänderte und mit Wirkung vom 1. Januar 1966 in Kraft getretene § 1254 Abs. 2 Satz 1 RVO bestimmt Näheres zur Umwandlung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit oder wegen Erwerbsunfähigkeit in das Altersruhegeld; § 1286 Abs. 1 Satz 2 und 3 RVO behandelt den Fall der Rückumwandlung einer höherwertigen in eine geringerwertige Rente. Den genannten Vorschriften der RVO ist ersichtlich der Gedanke gemeinsam, daß die bisherige auf einem bestimmten Versicherungsfall beruhende Rente dann in eine andere Rente umzuwandeln ist, sobald ein anderer Versicherungsfall eingetreten ist. Der Begriff der Umwandlung kennzeichnet den Übergang von einem Leistungsanspruch zu einem anderen (vgl. Jantz/Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 2. Aufl., 1966, Einführung S. 15). Umwandlung bedeutet, daß ein neuer, auf einem anderen Versicherungsfall beruhender Leistungsanspruch entstanden und festzustellen ist, wobei der alte Anspruch nach bindender Feststellung in dem neuen aufgeht. Maßgebend für die Feststellung der neuen Leistung ist grundsätzlich der Zeitpunkt des neuen Versicherungsfalles. Die neue Rente ist deshalb auf der Grundlage der für den Zeitpunkt des neuen Versicherungsfalles maßgebenden allgemeinen Bemessungsgrundlage zu berechnen (vgl. Jantz/Zweng, aaO und 1. Aufl., Einführung S. 11 ff sowie § 1253 Anm. IV).
Da das Gesetz zur Umwandlung des vorzeitigen in das allgemeine Altersruhegeld schweigt, könnte der Kläger mit seinem Begehren nur durchdringen, wenn das Gesetz insoweit lückenhaft und einer Lückenfüllung zugänglich wäre. Das aber setzt voraus, daß die Lücke nicht vom Gesetzgeber gewollt ist. Das positive Recht ist nämlich nur dort lückenhaft, wo eine erwartete Gesetzesregelung planwidrig nicht vorhanden ist. Sobald eine Regelung gewollt lückenhaft ist, die Lücke also auf einen Plan des Gesetzgebers zurückgeht, fehlt es an einer der Ergänzung fähigen Gesetzeslücke (vgl. Englisch, Einführung in das juristische Denken, 2. Aufl., 1959 S. 136 ff). Gerade dies ist hier der Fall, wie die Entstehungsgeschichte zu § 1248 RVO lehrt.
Das Recht der Rentenversicherung der Angestellten sah bereits vor dem Inkrafttreten der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze am 1. Januar 1957 in § 387 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) aF iVm § 1 des Gesetzes zur einheitlichen Anwendung des § 397 des AVG vom 25. Dezember 1954 (BGBl I 506) ein Ruhegeld für seit mindestens einem Jahr ununterbrochen arbeitslose Angestellte, die das 60. Lebensjahr vollendet hatten, für die weitere Dauer der Arbeitslosigkeit vor, wobei Berufsunfähigkeit fingiert wurde (vgl. hierzu Koch/Hartmann/von Altrock/Fürst, Das Angestelltenversicherungsgesetz, Bd. I, 3. Aufl. § 397 Anm. 2 a). Dem gegenüber kannte die Invalidenversicherung eine derartige Rente für ältere, arbeitslose Versicherte nicht. Im Zuge der Beratungen zu dem von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten (Rentenversicherungsgesetz - RtVG -) - BT-Drucks. 2437, 2. Wahlperiode -, der für die Rentenversicherung der Arbeiter keine dem § 397 AVG aF entsprechende Regelung enthielt, sprach sich der Bundesrat dafür aus, nicht nur den Angestellten, wie in Art. 2 § 11 des Entwurfes vorgesehen, sondern wegen der einheitlichen Behandlung von Arbeitern und Angestellten auch den Arbeitern die Möglichkeit einzuräumen, die Invalidenrente nach Vollendung des 60. Lebensjahres und mindestens einjähriger ununterbrochener Arbeitslosigkeit zu erhalten (Anlage 1 zu BT-Drucks. 2437, 2. Wahlperiode, S. 6 Nr. 30, Änderungsvorschläge und Stellungnahme des Bundesrats zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten). Am 30. Oktober 1956 beschloß der Ausschuß für Sozialpolitik (28. Ausschuß) des Deutschen Bundestages das Wort "Altersrente" durch "Altersruhegeld" zu ersetzen und dem damaligen § 1253 RVO, wie von den Regierungsparteien gewünscht, einen Absatz 2 einzufügen, der im wesentlichen dem entspricht, was in § 1248 Abs. 2 RVO Gesetz geworden ist (vgl. Protokoll des Ausschusses für Sozialpolitik Nr. 112 S. 13 ff; Bericht des Bundestagsabgeordneten Schüttler, Verhandlungen des Deutsches Bundestages, 2. Wahlperiode 1953, Stenographische Berichte Bd. 34, 184. Sitzung vom 16. Januar 1957, S. 10 252 f). Aus dem genannten Bericht des Bundestagsabgeordneten Schüttler sind folgende Ausführungen erwähnenswert: "Die Voraussetzungen für den Bezug des Altersruhegeldes hat der Ausschuß in zweierlei Hinsicht beträchtlich verbessert. Nunmehr erhält auch der Versicherte nach Vollendung des 60. Lebensjahres Altersruhegeld, der die Wartezeit erfüllt hat und seit mindestens einem Jahr ununterbrochen arbeitslos ist. Damit wird auch für die Rentenversicherung der Arbeiter eine Regelung eingeführt, der der Bundestag für das Recht der Angestelltenversicherung bereits 1954 zugestimmt hat. Der Bundesrat hatte dazu vorgeschlagen, unter gleichen Bedingungen eine Invalidenrente, nicht eine Altersrente zu gewähren. Der Ausschuß für Sozialpolitik hat sich nach einer Erörterung schon in der ersten Lesung nicht für diese Lösung entscheiden können, sondern die Leistung bei einjähriger Arbeitslosigkeit nach dem 60. Lebensjahr als Altersruhegeld gestaltet" (aaO S. 10 253).
Die Entstehungsgeschichte des § 1248 Abs. 2 RVO belegt also, daß das vorzeitige Altersruhegeld für Arbeitslose nicht als Rente wegen unterstellter Berufsunfähigkeit, wie in § 397 Abs. 1 AVG aF aufzufassen ist, sondern seinem Wesen nach ein echtes Altersruhegeld ist, wenn es auch an die in § 1248 Abs. 2 RVO aufgeführten besonderen Voraussetzungen geknüpft und insofern eigener Art ist (vgl. Brockhoff, in RVO-Gesamtkommentar, § 1248 Anm. 2; Verbandskommentar, § 1248 Anm. 10; Koch/Hartmann/von Altrock/Fürst, aaO Bd. III, § 25 C I; a. M. Söchting, Sozialversicherung, 1962, 336, 338). Nach dem Willen des Gesetzgebers steht das vorzeitige Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 2 RVO dem Altersruhegeld nach Vollendung des 65. Lebensjahres gemäß § 1248 Abs. 1 RVO gleich (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. III S. 684 f I; vgl. auch BSG in SozR Nr. 1 und 2 zu § 87 AVAVG); freilich ist es bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres des Versicherten verlierbar, sobald der Versicherte eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufnimmt; mit Vollendung des 65. Lebensjahres wird es jedoch unverlierbar (Koch/Hartmann/von Altrock/Fürst, aaO, C III). Es gibt demnach nach dem Willen des Gesetzgebers nur einen Versicherungsfall des Alters und daher nur ein Altersruhegeld.
Wegen dieser eindeutigen Vorstellungen des Gesetzgebers der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze schied aus der Natur der Sache eine Regelung über eine Umwandlung des vorzeitigen Altersruhegeldes für Arbeitslose (§ 1248 Abs. 2 RVO) in das Altersruhegeld des § 1248 Abs. 1 RVO bei Vollendung des 65. Lebensjahres des Versicherten aus. In das Gesetz ist also bewußt keine Vorschrift über eine Umwandlung des vorzeitigen Altersruhegeldes in das allgemeine Altersruhegeld aufgenommen worden. Das Gesetz ist damit nicht planwidrig lückenhaft, so daß sich eine Lückenfüllung mit dem Ziel der Rentenumwandlung und -neuberechnung verbietet.
Zu demselben Ergebnis ist der 5. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Urteil vom 28. April 1965 - 5 RKn 114/62 - (SozR RKG § 48 Nr. 2) für das Recht der knappschaftlichen Rentenversicherung gelangt, wenngleich dieser Senat nicht auf die Entstehungsgeschichte des vorzeitigen Ruhegeldes eingegangen ist. Er hat u. a. ausgesprochen, daß das Reichsknappschaftsgesetz als Alterssicherung nur eine Leistung, nämlich das nach Erreichung der Altersgrenze gewährte Knappschaftsruhegeld, kennt; die Möglichkeit einer Umwandlung des vorzeitigen Ruhegeldes in das Knappschaftsruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres hat er verneint (ebenso: Ludwig, WzS 1967, 230; LSG München, Breithaupt 1967, 757).
Unter Berücksichtigung der vorstehend entwickelten Grundsätze hat der Kläger kein Recht, von der Beklagten zu verlangen, daß sie das vorzeitige Altersruhegeld für Arbeitslose (§ 1248 Abs. 2 RVO) in das allgemeine Altersruhegeld (§ 1248 Abs. 1 RVO) umwandelt und das Altersruhegeld neu berechnet. Zutreffend hat das SG in diesem Sinne entschieden, so daß sich die Sprungrevision des Klägers als unbegründet erweist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen