Verfahrensgang
Hessisches LSG (Urteil vom 07.05.1986) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 7. Mai 1986 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt höheres Arbeitslosengeld (Alg). Er war von Januar 1961 bis zum 30. Juni 1983 bei der Firma E. AG in K. … beschäftigt. Seit dem 14. Februar 1983 war er unter Fortzahlung seines Entgelts von der Arbeit freigestellt und erhielt auch die laut Arbeitsplan anfallenden Zuschläge für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit in Höhe von 755,76 DM monatlich weiter. Für diese Zuschläge zahlte er Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge. Im Mai 1983, dem letzten abgerechneten Monat vor seinem Ausscheiden, betrug sein Bruttoarbeitsentgelt außer den vorstehend genannten Zuschlägen 2.738,44 DM. Diesem Entgelt entsprechend bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 1. Juli 1983 Alg unter Zugrundelegung eines wöchentlichen Arbeitsentgelts von 630,– DM (Bescheid vom 12. Juli 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 1983).
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 8. Mai 1985 den Bescheid vom 12. Juli 1983 sowie den Änderungsbescheid vom 2. Januar 1984, mit dem der Leistungssatz des Klägers bei gleichbleibender Bemessungsgrundlage ab 2. Januar 1984 geändert wurde, abgeändert, sowie den Widerspruchsbescheid vom 30. August 1983 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. Juli 1983 Alg nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 805,– DM zu zahlen. Das SG hat die Berufung zugelassen.
Das von der Beklagten eingelegte Rechtsmittel hatte keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat in seinem Urteil vom 7. Mai 1986 ausgeführt, daß das für die Bemessung des Alg maßgebliche Arbeitsentgelt grundsätzlich gemäß § 14 Abs 1 Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB 4) zu ermitteln sei. Danach seien Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen bestehe, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet würden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt würden. Ausnahmen hiervon könnten allerdings durch Rechtsverordnung bestimmt werden, was durch die Arbeitsentgeltverordnung (ArEV) vom 6. Juli 1977 geschehen sei. Nach deren § 1 seien einmalige Einnahmen, laufende Zulagen, Zuschläge sowie ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen und Gehältern gewährt würden, nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen, soweit sie lohnsteuerfrei seien. Aus § 3b des Einkommensteuergesetzes (EStG) ergebe sich, daß die dem Kläger gewährten Zuschläge steuerpflichtig seien, wenn, wie im Falle der Freistellung, die Arbeit tatsächlich nicht geleistet werde. Deshalb seien sie auch als Arbeitsentgelt zu berücksichtigen. Sie seien keine einmaligen Zuwendungen. Der Kläger habe auf sie einen Anspruch gehabt. Sie seien für längere Zeit regelmäßig gezahlt worden. Ihre Höhe und Fälligkeit sei von vornherein bestimmt gewesen.
Mit der Revision macht die Beklagte geltend, bei den dem Kläger gewährten Zuschlägen handele es sich zumindest um wiederkehrende Zuwendungen, die bei der Bemessung des Alg gemäß § 112 Abs 2 Satz 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) nicht zu berücksichtigen seien. Im übrigen würde die Berücksichtigung der Zuschläge dem Sinn und Zweck des § 112 Abs 2 AFG widersprechen. Das Alg solle es dem Empfänger ermöglichen, mit gewissen Einschränkungen seinen Lebensstandard beizubehalten, soweit dieser an dem bisher erzielten Einkommen aus versicherungspflichtiger Beschäftigung ausgerichtet war. Wollte man die nur wegen der Freistellung von der Arbeit beitragspflichtig gewordenen Zuschläge berücksichtigen, würde der Durchschnittsverdienst des Klägers verfälscht werden, da derartige Zuschläge für tatsächlich zu entsprechenden Zeiten geleistete Arbeiten nicht der Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit (BA) unterlägen. Ein derartiges Ergebnis könne vom Gesetzgeber nicht gewollt sein. Dadurch würden diejenigen unangemessen begünstigt, die, wie der Kläger, für nicht geleistete Arbeit in den Genuß eines höheren Alg kommen, und andererseits diejenigen Leistungsberechtigten benachteiligt, die tatsächlich die zuschlagsfähigen Arbeitsleistungen erbracht hätten. Wenn hiernach das Leistungsrecht und das Beitragsrecht auseinanderfielen, lasse sich dies sachlich rechtfertigen.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend, was er ausführlich darlegt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Der Kläger hat, wie die Vorinstanzen im Ergebnis zutreffend entschieden haben, Anspruch auf das von ihm geltend gemachte höhere Alg.
Der dem Kläger dem Grunde nach zustehende Anspruch auf Alg für die Zeit ab 1. Juli 1983 ergibt sich der Höhe nach aus den Regelungen des § 111 AFG idF des seit dem 1. Januar 1982 geltenden Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes -AFKG- vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) und ab dem 1. Januar 1984 idF des Haushaltsbegleitgesetzes (HBegleitG) 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I 1532, 1556), in Kraft ab 1. Januar 1984 (s § 242b Abs 1 AFG) sowie aus den Regelungen des § 112 AFG idF des AFKG. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG beträgt das Alg des Klägers nach beiden hier in Betracht kommenden Fassungen des § 111 Abs 1 AFG 68 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts nach § 112 AFG. Arbeitsentgelt in diesem Sinne ist das im Bemessungszeitraum durchschnittlich erzielte Arbeitsentgelt ohne Mehrarbeitszuschläge, vervielfacht mit der Zahl der Arbeitsstunden, die sich als Durchschnitt der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum ergibt. Arbeitsentgelt, das nach Monaten bemessen ist, gilt als in der Zahl von Arbeitsstunden erzielt, die sich ergibt, wenn die Zahl der vereinbarten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitsstunden mit dreizehn vervielfacht und durch drei geteilt wird. Einmalige und wiederkehrende Zuwendungen bleiben außer Betracht; dies gilt auch für Zuwendungen, die anteilig gezahlt werden, wenn das Arbeitsverhältnis vor dem Fälligkeitstermin endet.
Für den Anspruch des Klägers ist gemäß § 112 Abs 3 AFG maßgebend das Arbeitsentgelt, das er im Mai 1983 erzielt hatte. Dieses Entgelt war das letzte, das vor seinem Ausscheiden abgerechnet war. Er hatte in diesem Monat wenigstens 20 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt erworben. Aus den Feststellungen des LSG folgt weiter, daß der Kläger im Mai 1983 ein regelmäßiges Monatsgehalt von 2.738,44 DM hatte. Hinzu kamen noch 755,76 DM an Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschlägen. Auch diese Zuschläge sind als Arbeitsentgelt iS von § 112 Abs 2 AFG zu berücksichtigen.
Sie sind keine Mehrarbeitszuschläge. Letztere werden vom Arbeitgeber allein deshalb gezahlt, weil Arbeit über die Arbeitszeit hinaus erbracht worden ist, die die Arbeitsvertragsparteien als die gewöhnliche regelmäßige ansehen (BSG SozR 4100 § 112 Nr 29). Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge werden dagegen im allgemeinen deshalb gewährt, um Erschwernisse auszugleichen, die der Arbeitnehmer auf sich nehmen muß, wenn er an den vorgenannten Tagen arbeitet (BSG SozR 2200 § 182 Nr 49).
Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei den hier im Streit stehenden Zuschlägen auch nicht um einmalige oder wiederkehrende Zuwendungen, die seit der Neufassung des § 112 Abs 2 durch das AFKG bei der Berücksichtigung des Arbeitsentgelts gänzlich außer Betracht bleiben. Das ist schon deshalb nicht der Fall, weil es sich um Bezüge handelt, die dem Kläger normalerweise regelmäßig, nämlich monatlich, gewährt worden sind. Damit wird der vom Gesetzgeber mit dieser Regelung verfolgte Zweck erreicht, der dahin geht, daß das Alg 68 vH des vom Arbeitnehmer regelmäßig erzielten Nettoarbeitsentgelts grundsätzlich nicht übersteigen und seiner Bemessung deshalb nur dasjenige laufende Arbeitsentgelt zugrunde gelegt werden soll, mit dem der Arbeitnehmer bei jeder Lohnabrechnung rechnen kann, soweit es im Bemessungszeitraum erzielt worden ist. Hierbei wird, wie der Senat bereits entschieden hat (BSG SozR 4100 § 112 Nrn 8, 25), ausschließlich auf die Art der Entgeltzahlung in Form des regelmäßigen laufenden Zuflusses abgestellt.
Wenn hiernach die streitbefangenen Zuschläge keine Zuwendungen sind, so hat dies noch nicht zur Folge, daß sie damit automatisch zum Arbeitsentgelt iS von § 102 Abs 2 AFG gehören. Daß sie diesem Begriff entsprechen, ergibt erst die Auslegung des Gesetzes. Zwar enthält das Gesetz keine Regelung darüber, wie er auszulegen ist. Im Gegensatz dazu sind für das Beitragsrecht entsprechende Regelungen getroffen worden (§ 173a AFG; §§ 14 und 17 SGB 4). Es bietet sich daher an, die für das Beitragsrecht bestimmten Regelungen auch für das Leistungsrecht heranzuziehen, wie es seit jeher in der Arbeitslosenversicherung der Fall war, sofern dort nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist. Die Bestimmungen des § 173a AFG iVm §§ 14 und 17 SGB 4 enthalten bisherige Regelungen ablösende Bestimmungen über den sozialversicherungsrechtlichen Begriff des Arbeitsentgelts, die allgemeingültigen Charakter haben und daher für die Auslegung dieses Begriffes im Leistungsrecht heranzuziehen sind, wie der Senat bereits entschieden hat (BSG SozR 4100 § 68 Nr 3; BSG SozR § 112 Nr 30). Zum früheren Recht hatte bereits das Reichsversicherungsamt zum damaligen § 105 des Gesetzes über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG), der keine Bezugnahme auf die Reichsversicherungsordnung (RVO) enthielt, entschieden, daß für die Arbeitslosenversicherung die Auslegung des Begriffes Arbeitsentgelt in der übrigen Sozialversicherung heranzuziehen war (GrE 3252 – AN 1928, S 299). In der vor dem 1. Dezember 1959 geltenden Fassung des AVAVG war in seinem § 90 ausdrücklich hinsichtlich des Begriffes Arbeitsentgelt auf den Entgeltbegriff des § 160 RVO verwiesen worden. Dieser Hinweis war in § 90 AVAVG idF des 2. Änderungsgesetzes vom 7. Dezember 1959 (BGBl I 705) nicht mehr enthalten. Weder das Gesetz noch die Gesetzesmaterialien lassen indessen erkennen, daß von der grundsätzlichen Identität des Arbeitsentgeltbegriffes im Leistungs- und Beitragsrecht abgegangen werden sollte. Hiervon ist auch das BSG in seinem Urteil vom 15. September 1966 (Breithaupt 1967, 246) ausgegangen. Die Bestimmungen, die aufgrund von § 160 RVO zur Ausfüllung des Arbeitsentgeltbegriffes im Beitragsrecht ergangen sind, sind durch die in § 173a AFG idF des SGB 4 genannten Regelungen (§§ 14 und 17 SGB 4) abgelöst worden. Indessen ergeben auch hier weder der Wortlaut des Gesetzes, sein Sinn und Zweck noch die Gesetzesmaterialien einen Anhalt dafür, der Gesetzgeber habe die grundsätzlich einheitliche Beurteilung des Arbeitsentgeltbegriffs im Leistungs- und Beitragsrecht aufgeben wollen, sofern er nicht ausdrücklich etwas anderes bestimme. Letzteres ist hier nicht der Fall.
Nach § 1 der ArEV vom 6. Juli 1977 idF vom 9. Dezember 1982 (BGBl I 1625), die aufgrund der Ermächtigung in § 17 SGB 4 erlassen wurde und gemäß § 173a AFG für die Beitragspflicht zur BA entsprechend gilt, sind zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gewährte Zuschüsse, soweit sie lohnsteuerfrei sind und sich aus den §§ 2 und 3 nichts Abweichendes ergibt, was hier zutrifft, nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen. Nach § 3b EStG sind Zuschläge, die für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit neben dem Grundlohn gezahlt werden, steuerfrei. Umgekehrt folgt daraus, daß Zuschläge, die für tatsächlich nicht geleistete Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit gewährt worden sind, nicht steuerfrei und daher beitragspflichtiges Arbeitsentgelt sind. Daraus ergibt sich, daß wegen der grundsätzlichen Identität des Begriffes Arbeitsentgelt im Leistungs- und Beitragsrecht diese Zuschläge auch bei der Bemessung des Alg zu berücksichtigen sind.
Entgegen der Auffassung der Beklagten führt die Berücksichtigung der Zuschläge bei der Bemessung des Alg nicht zu einem dem Sinn und Zweck des § 112 Abs 2 AFG widersprechenden Ergebnis. Zunächst einmal verlangen die Regelungen des § 112 Abs 2 bis 4 AFG nicht, wie der Senat bereits entschieden hat (BSG SozR 4100 § 112 Nr 30), daß lediglich auf Arbeitsleistung beruhendes Arbeitsentgelt dem Bemessungsentgelt zugrunde zu legen ist. Darüber hinaus ist entscheidend für die Zuordnung zum Arbeitsentgelt, daß nach der der Zahlung von Alg zugrundeliegenden Idee des anteiligen Ersatzes eines regelmäßig zufließenden Nettolohnes, der den darauf beruhenden Lebensstandard bestimmt, das Entgelt für diesen Zweck zur Verfügung gestanden hätte (BSG SozR 4100 § 112 Nr 25). Das hat zur Folge, daß Zuschläge zum Arbeitsentgelt, die zum Ausgleich besonderer Belastungen gewährt werden, wie das bei den hier in Betracht kommenden Zuschlägen grundsätzlich der Fall ist, nicht zum Arbeitsentgelt iS von § 112 Abs 2 AFG gehören. Sie bezwecken nach den Intentionen des Gesetzgebers primär den Ausgleich von Nachteilen und nicht eine Verbesserung der Einkommensverhältnisse (BSG SozR 2200 § 182 Nr 49). Deshalb sind sie auch steuerfrei, sofern diese Arbeiten tatsächlich geleistet worden sind. Anders ist es dann, wenn die Leistung eine dauerhafte Verbesserung der Einkommensverhältnisse zur Folge hat, wie das hier der Fall ist. Nachdem der Kläger von der Arbeit freigestellt worden ist, dienten die Zuschläge nicht mehr dem Ausgleich besonderer Belastungen, weshalb sie auch zu versteuern sind. Die Zahlungen führten jetzt zu einer Hebung des Lebensstandards. Dieser soll mit der Zahlung des Alg in einem bestimmten Rahmen aufrechterhalten bleiben. Deshalb ist es auch gerechtfertigt, in diesem Falle die Zuschläge dem übrigen Arbeitsentgelt zuzurechnen. Daraus rechtfertigt es sich ferner, den Kläger anders zu behandeln als die Arbeitnehmer, die die Arbeitsleistungen erbracht haben, für die die Zuschläge gedacht sind.
Wie das LSG zutreffend erkannt hat, hat hiernach das SG zu Recht die Beklagte zur Zahlung von Alg nach einem wöchentlichen Arbeitsentgelt von 805,– DM verurteilt. Der Kläger hatte im Mai 1983, dem letzten abgerechneten insgesamt 20 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt umfassenden Lohnabrechnungszeitraum, ein Bruttoarbeitsentgelt von 3.494,20 DM (2.738,44 DM + Zuschläge in Höhe von 755,76 DM), was zu einem wöchentlichen Arbeitsentgelt von 806,50 DM führt (3.494,20 × 3: 13), das gemäß § 112 Abs 9 AFG auf 805,– DM zu runden ist.
Die Revision der Beklagten kann somit keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen