Leitsatz (amtlich)
Eine Verpflichtung des Gerichts, in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung die Bundesrepublik beizuladen, besteht gemäß SGG § 75 Abs 1 S 2 nur dann, wenn diese selber den Antrag auf Beiladung gestellt hat. Bei einem Antrag anderer Beteiligter steht es dagegen im Ermessen des Gerichts, die Bundesrepublik gemäß SGG § 75 Abs 1 S 1 beizuladen.
Normenkette
SGG § 75 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1953-09-03, S. 2 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision der Klägerinnen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. März 1963 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Ehemann und Vater der Klägerinnen ist am 2. September 1943 als Angehöriger einer Polizeieinheit im Osten gefallen. Mit dem am 4. Mai 1959 beim Versorgungsamt (VersorgA) eingegangenen Schreiben vom 27. April 1959 stellten die in Polen lebenden Klägerinnen den Antrag auf Gewährung von Witwen- und Waisenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Durch Bescheid vom 22. Februar 1960 bewilligte das VersorgA S den Klägerinnen ab 1. Mai 1959 Versorgungsbezüge nach Nr. 28 der Richtlinien über die Versorgung von Kriegsopfern im Ausland vom 24. Juli 1959. Gegen diesen Bescheid legten die Klägerinnen Widerspruch ein und beantragten die Gewährung einer Witwen- und Waisenrente schon vom 1. Februar 1945 an, weil die ihnen früher gewährten Versorgungsbezüge infolge der Besetzung der Ostgebiete seit diesem Zeitpunkt nicht mehr gezahlt worden seien. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid des LVersorgA Baden-Württemberg vom 5. Dezember 1960).
Mit der Klage haben die Klägerinnen insbesondere geltend gemacht, daß von den Richtlinien für die Auslandsversorgung, nach denen die Zahlung mit dem ersten des Antragsmonats, frühestens jedoch ein Jahr rückwirkend vom Monat der Bescheiderteilung an erfolgen könne, nur solche Versorgungsberechtigte erfaßt würden, welche die Möglichkeit hatten, ihren Versorgungsanspruch rechtzeitig anzumelden, nicht dagegen Versorgungsberechtigte, die durch besondere Verhältnisse an einer früheren Anmeldung ihrer Ansprüche gehindert waren. Die Klägerinnen haben ferner die Beiladung der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA), nach § 75 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beantragt, damit durch den BMA die Frage geklärt werde, ob im vorliegenden Falle nach § 8 BVG die Rente rückwirkend ab 1. Mai 1955 gewährt werden könnte. Das Sozialgericht (SG) hat daraufhin den Klägerinnen mit Verfügung vom 8. September 1961 mitgeteilt, daß die Beiladung nach § 75 SGG eine Kannvorschrift sei, von der das Gericht im vorliegenden Falle keinen Gebrauch machen wolle, "weil das grundsätzliche Antragserfordernis des Gesetzes der Rentengewährung für die vergangene Zeit entgegenstehe". Durch Urteil vom 24. November 1961 hat das SG Stuttgart die Klage abgewiesen. Es hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt, daß die Versorgungsrenten ohne Rücksicht darauf, ob sich der Versorgungsempfänger im In- oder Ausland befindet, grundsätzlich vom Antragsmonat an zu gewähren seien, weil der Rentenanspruch von den Klägerinnen erst ein Jahr nach dem Tode ihres Ehemannes und Vaters geltend gemacht worden sei. Es könne hierbei dahingestellt bleiben, ob dessen Tod bereits nach früheren versorgungsrechtlichen Vorschriften als Schädigungsfolge festgestellt worden sei, weil auch dann die Rente nach § 86 Abs. 2 BVG frühestens mit dem Monat beginne, in dem der Antrag auf Wiedergewährung gestellt worden ist.
Die Klägerinnen haben gegen das Urteil des SG Berufung eingelegt und hierzu vorgetragen, daß die Berufung zwar im vorliegenden Falle nach § 148 Nr. 2 SGG grundsätzlich ausgeschlossen, aber nach § 150 Nr. 2 SGG wegen Vorliegens eines wesentlichen Verfahrensmangels zulässig sei. Der Verfahrensmangel sei darin zu erblicken, daß das SG die Bundesrepublik Deutschland nicht auf Antrag der Klägerinnen nach § 75 Abs. 1 Satz 2 SGG beigeladen habe. Durch diese Vorschrift sei die Beiladung der Bundesrepublik Deutschland auf Antrag - hier auf den Antrag der Klägerinnen in ihrem Schriftsatz vom 11. Juli 1961 - zwingend vorgeschrieben. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung durch Urteil vom 22. März 1963 als unzulässig verworfen; es hat die Revision zugelassen. Es hat die Auffassung vertreten, § 75 Abs. 1 Satz 2 SGG sei dahin auszulegen, daß das Antragsrecht nur der Bundesrepublik Deutschland selbst zustehe, wobei es unerheblich sei, ob der sie vertretende BMA sich auf eine entsprechende Anregung des Gerichts oder eines der Beteiligten in das Verfahren einschalte oder ob er von sich aus tätig werde. Eine derartige "enge" Auslegung dieser Vorschrift erscheine deshalb gerechtfertigt, weil die Bundesrepublik als wesentlicher Kostenträger der Kriegsopferversorgung die Möglichkeit haben müsse, selbst darüber zu entscheiden, in welchen Fällen sie ihre Mitwirkung in einem Versorgungsverfahren für geboten halte. Die hiervon abweichende Ansicht des Hessischen LSG in seiner Entscheidung vom 30. April 1959 (Breith. 1959, 959), nach der sämtlichen Beteiligten das Recht eingeräumt werde, die Beiladung der Bundesrepublik Deutschland zu beantragen, stelle eine nicht gerechtfertigte, dem Zweck des § 75 Abs. 1 Satz 2 SGG zuwiderlaufende Ausdehnung des Antragsrechts dar. Da die Bundesrepublik Deutschland im vorliegenden Falle keinen Antrag auf Beiladung, die im übrigen auch nach Lage der Dinge nicht erforderlich sei, gestellt habe, liege ein wesentlicher Mangel im Verfahren des SG nicht vor; die Berufung der Klägerinnen sei daher unzulässig.
Gegen dieses am 22. April 1963 zugestellte Urteil des LSG haben die Klägerinnen mit Schriftsatz vom 29. April 1963, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) an demselben Tage, Revision eingelegt und diese gleichzeitig begründet. Sie beantragen,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Klägerinnen rügen eine Verletzung der §§ 75 Abs. 1 Satz 2, 150 Nr. 2 SGG und tragen hierzu vor, daß der Auffassung des Hessischen LSG in seinem Urteil vom 30. April 1959 beizupflichten sei. Das Hessische LSG habe seine Entscheidung im wesentlichen auf den im Gesetzeswortlaut objektivierten Willen des Gesetzgebers abgestellt. Danach erlaube der Wortlaut des § 75 Abs. 1 Satz 2 SGG keine einschränkende Auslegung in dem Sinne, daß nur die Bundesrepublik Deutschland selbst antragsberechtigt ist. Hätte ein derartiger Wille des Gesetzgebers bestanden, dann hätte dies im Wortlaut des Gesetzes sehr einfach dahin zum Ausdruck gebracht werden müssen, daß die Bundesrepublik Deutschland auf "ihren" Antrag beizuladen ist. Der Fassung des Gesetzes sei der Vorzug vor der Auslegung des § 75 Abs. 1 Satz 2 SGG durch das Berufungsgericht zu geben, das insbesondere die Entstehungsgeschichte des Gesetzes in Betracht ziehe. Jedenfalls könne jeder Beteiligte sehr wohl ein rechtliches Interesse daran haben, daß die Bundesrepublik zum Verfahren beigeladen wird, weil er etwa der Auffassung ist, daß diese in einer streitigen Rechts- oder Tatfrage einen anderen Standpunkt als das beklagte Land vertritt.
Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision als unbegründet; er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Klägerinnen haben die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 164, 166 SGG). Ihre Revision ist somit zulässig, aber nicht begründet.
Die Klägerinnen rügen eine Verletzung der §§ 75 Abs. 1 Satz 2, 150 Nr. 2 SGG und tragen hierzu vor, das LSG hätte ihre Berufung nicht als unzulässig verwerfen dürfen, sondern in der Sache selbst entscheiden müssen. Im vorliegenden Falle sind den Klägerinnen durch Bescheid des VersorgA Stuttgart vom 22. Februar 1960 ab 1. Mai 1959 Versorgungsbezüge nach Nr. 28 der Richtlinien über die Versorgung von Kriegsopfern im Ausland vom 24. Juli 1959 bewilligt worden. Sie begehren jedoch die Gewährung von Versorgungsbezügen schon von einem früheren Zeitpunkt an, und zwar nach ihrem Antrag vor dem Berufungsgericht vom Zeitpunkt des möglichen Transfers nach Polen an. Es handelt sich somit um einen Streit über den Beginn der Versorgung, in dem die Berufung nach § 148 Nr. 2 SGG grundsätzlich nicht zulässig ist. Sie wäre aber nach § 150 Nr. 2 SGG dann zulässig, wenn vor dem LSG ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt worden ist, der auch vorliegt. Das trifft jedoch nicht zu.
Mit Schriftsatz vom 15. Mai 1962 haben die Klägerinnen vor dem Berufungsgericht gerügt, das SG habe gegen die Vorschrift des § 75 Abs. 1 Satz 2 SGG verstoßen, nach der in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung die Bundesrepublik Deutschland "auf Antrag" beizuladen ist. Einen solchen Antrag auf Beiladung der Bundesrepublik hätten sie mit Schriftsatz vom 11. Juli 1961 vor dem SG gestellt. Das LSG hat in der Nichtbeiladung der Bundesrepublik durch das SG keinen wesentlichen Verfahrensmangel i. S. des § 150 Nr. 2 SGG erblickt und daher die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des SG als unzulässig verworfen.
Die Revision der Klägerinnen wäre nur dann begründet, wenn das Berufungsgericht in der Sache selbst hätte entscheiden müssen, weil ein wesentlicher Mangel im Verfahren des SG infolge der Nichtbeiladung der Bundesrepublik vorliegt. Das BSG hat zu § 75 Abs. 2 SGG bereits entschieden (BSG 13, 217, 219), daß eine das Verfahren betreffende Vorschrift, auf deren Befolgung ein Beteiligter wirksam nicht verzichten kann, verletzt ist, wenn im Fall einer notwendigen Streitgenossenschaft (§ 62 Zivilprozeßordnung - ZPO -) die nach § 75 Abs. 2 SGG erforderliche Beiladung unterblieben ist. Im vorliegenden Falle handelt es sich allerdings nicht um eine notwendige Beiladung nach dieser Vorschrift, weil die Bundesrepublik in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung nicht "notwendiger" Streitgenosse i. S. des § 62 ZPO ist (vgl. hierzu auch BSG in BVBl 1960, 29). In § 75 Abs. 1 Satz 2 SGG ist jedoch ein weiterer Fall einer notwendigen Beiladung geregelt (vgl. Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur SGb Anm. 4 zu § 75; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung Bd. I S. 234 x), so daß die Verletzung dieser Vorschrift einen wesentlichen Verfahrensmangel i. S. des § 150 Nr. 2 SGG darstellen würde.
Die Parteien streiten darüber, ob im vorliegenden Falle § 75 Abs. 1 Satz 2 SGG deswegen verletzt ist, weil das SG die Bundesrepublik nicht auf den von den Klägerinnen gestellten Antrag beigeladen hat. Die Entscheidung dieser prozessualen Frage hängt davon ab, ob die Bundesrepublik nach § 75 Abs. 1 Satz 2 SGG in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung nur auf ihren eigenen Antrag oder auch auf Antrag eines anderen am Verfahren Beteiligten zwingend beizuladen ist. Das LSG hat in dem angefochtenen Urteil die Auffassung vertreten, daß das Antragsrecht nur der Bundesrepublik selbst zustehe, wobei es unerheblich sei, ob der sie vertretende BMA sich auf eine entsprechende Anregung des Gerichts oder eines der Beteiligten in das Verfahren einschalte oder ob er von sich aus tätig werde. Eine enge Auslegung der Vorschrift des § 75 Abs. 1 Satz 2 SGG über die notwendige Beiladung der Bundesrepublik sei deshalb gerechtfertigt, weil diese als wesentlicher Kostenträger der Kriegsopferversorgung die Möglichkeit haben müsse, selbst darüber zu entscheiden, in welchen Fällen sie ihre Mitwirkung in einem Versorgungsverfahren für geboten halte. Die gegenteilige Ansicht, die sämtlichen Beteiligten das Recht einräumen will, die Beiladung der Bundesrepublik zu beantragen, stelle eine nicht gerechtfertigte, dem Sinn der Vorschrift zuwiderlaufende Ausdehnung des Antragsrechts dar (ebenso im Ergebnis Peters/Sautter/Wolff aaO; Brackmann aaO; Thannheiser/Wende/Zech, Begründung zu § 75; Dapprich, Das sozialgerichtliche Verfahren, S. 62 oben). Demgegenüber sind die Klägerinnen der Meinung, daß der Wortlaut des § 75 Abs. 1 Satz 2 SGG eine derartige Einschränkung des Antragsrechts nicht zulasse. Wenn der Gesetzgeber den Willen gehabt hätte, daß nur die Bundesrepublik selbst antragsberechtigt ist, hätte er dies im Wortlaut des Gesetzes dadurch zum Ausdruck bringen müssen, daß die Bundesrepublik Deutschland auf "ihren" Antrag beizuladen ist (ebenso Hess. LSG in Breith. 1959, 959; Erlaß des BMA vom 29. Juli 1954 in SGb 1954, 147). Rohwer-Kahlmann (Aufbau und Verfahren der SGb, § 75 Anm. 3 b aa) und Miesbach/Ankenbrank (Sozialgerichtsgesetz, § 75 Anm. 4) wollen der Bundesrepublik und dem im einzelnen Rechtsstreit passiv legitimierten Land das Antragsrecht nach § 75 Abs. 1 Satz 2 SGG einräumen.
Die Klägerinnen sind unter Bezugnahme auf das Urteil des Hessischen LSG vom 30. April 1959 (Breith. 1959, 959) der Auffassung, daß dem Wortlaut des § 75 Abs. 1 Satz 2 SGG, nach dem die Bundesrepublik in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung "auf Antrag" beizuladen ist, der Vorzug zu geben ist. Das Hessische LSG ist in dem angeführten Urteil sogar der Meinung, der Wortlaut dieser Vorschrift sei eindeutig und gebe zu Zweifeln keinen Anlaß, so daß - zur Beseitigung von Zweifeln oder Unklarheiten - nicht auf die Begründung des Gesetzes oder auf die systematische Stellung der Vorschrift im Gesetz zurückgegriffen werden könne. Dieser Ansicht kann jedoch nicht beigepflichtet werden. Es mag den Klägerinnen und dem Hessischen LSG zugegeben werden, daß der Wortlaut des § 75 Abs. 1 Satz 2 SGG die von ihnen vertretene Ansicht wiedergeben kann. Der Wortlaut ist aber nicht so eindeutig, daß eine entgegenstehende Auslegung nicht mehr in Betracht käme. Das Wort "auf Antrag" kann sowohl auf die allein in Satz 2 des § 75 Abs. 1 SGG aufgeführte Bundesrepublik bezogen werden als auch bedeuten, daß das Antragsrecht allen am Verfahren Beteiligten zustehen soll. Der Wortlaut des Gesetzes allein führt somit nicht zu einer unbedingt eindeutigen Entscheidung der Frage, wem das Antragsrecht des § 75 Abs. 1 Satz 2 SGG mit der zwingenden Folge zusteht, daß die Bundesrepublik vom Gericht beigeladen werden muß. Diese Vorschrift bedarf daher entgegen der Auffassung des Hessischen LSG der Auslegung. Ihre Entstehungsgeschichte und ihre Stellung im Gesetz sowie ihr Sinn und Zweck lassen aber nur die Auslegung zu, daß die Bundesrepublik allein auf ihren Antrag hin beigeladen werden muß.
Die amtliche Begründung zu § 24 des Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit (SGO) - jetzt § 75 SGG - (BT-Drucks. Nr. 4357, 1. Wahlp., 1949) enthält zu der hier zu entscheidenden Frage allerdings nichts. Der Bundesrat hat jedoch die dem § 75 Abs. 1 Satz 2 SGG entsprechende Vorschrift für überflüssig gehalten (vgl. Materialien zum SGG, Vorschlag des Bundesrats Nr. 12 zu § 24 Abs. 1 Satz 2 SGO), weil "in allen Fällen, in denen ein solches Bedürfnis besteht, das Gericht ohnehin von der Ermächtigung des Satzes 1 Gebrauch machen wird". Die Bundesregierung hat zu diesem Änderungsvorschlag des Bundesrats dahin Stellung genommen: "Dem Bund muß als Träger der Versorgungslast in der Kriegsopferversorgung die Entscheidung überlassen werden, ob er sich in einem Einzelfall zur Wahrung seiner Rechte am Verfahren beteiligen will. Darum ist es notwendig, die Beiladung des Bundes in Streitigkeiten aus diesem Sachgebiet auf seinen Antrag zwingend vorzuschreiben und nicht in das Ermessen des Gerichts zu stellen." Nach der Entstehungsgeschichte hat somit der Satz 2 des § 75 Abs. 1 SGG lediglich den Zweck, der Bundesrepublik das Recht einzuräumen, daß auf "ihren" Antrag hin das Gericht die Beiladung vornehmen muß, weil eine solche Verpflichtung des Gerichts sonst weder nach § 75 Abs. 1 Satz 1 noch nach § 75 Abs. 2 SGG bestände.
Auch die Stellung der Vorschrift im Gesetz spricht für die vom LSG in dem angefochtenen Urteil vertretene Auffassung. Die notwendige Beiladung der Bundesrepublik nach § 75 Abs. 1 Satz 2 SGG gehört systematisch zu den Beiladungen i. S. des Abs. 1, die allerdings im Ermessen des Gerichts stehen. Der § 75 Abs. 2 SGG betrifft demgegenüber lediglich die Fälle, in denen an einem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derartig beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Die Bundesrepublik ist jedoch in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung nicht i. S. dieser Vorschrift am Verfahren beteiligt, weil die Länder nach Art. 84 des Grundgesetzes (GG) die Kriegsopferversorgung als eigene Angelegenheit durchführen. Die Beiladung der Bundesrepublik kann daher nach § 75 Abs. 1 SGG nur deswegen in Betracht kommen, weil ihre berechtigten Interessen als endgültige Kostenträgerin der Kriegsopferversorgung durch die Entscheidung des Gerichts berührt werden.
Der § 75 Abs. 1 Satz 2 SGG ist somit nur eine Ausnahmevorschrift in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung gegenüber Satz 1, in dem die Beiladung nicht zwingend vorgeschrieben ist. Als Ausnahmevorschrift ist aber § 75 Abs. 1 Satz 2 SGG eng auszulegen (vgl. hierzu auch Peters/Sautter/Wolff aaO). Obwohl der Fall der notwendigen Beiladung i. S. des § 75 Abs. 2 SGG nicht vorliegt, weil allein die Länder die Kriegsopferversorgung durchführen, sollte über § 75 Abs. 1 Satz 1 SGG hinaus durch Satz 2 die notwendige Beiladung der Bundesrepublik sichergestellt werden, weil diese letztlich die Kosten für die Kriegsopferversorgung trägt. Daraus ergibt sich bei sachgerechter Auslegung, daß das Gesetz es der Bundesrepublik überlassen will, ob sie am Verfahren beteiligt sein will, wenn sie die zu entscheidende Frage für so grundsätzlich und bedeutsam hält, daß ihr eine Beteiligung an dem einzelnen Streitverfahren geboten erscheint. Anderenfalls könnte jeder Beteiligte, insbesondere auch die Versorgungsberechtigten, in jedem Streitverfahren der Kriegsopferversorgung durch seinen Antrag die Beiladung der Bundesrepublik erzwingen. Dies würde zu einer unnötigen, nicht sachgerechten Verzögerung der Verfahren und einer durch § 75 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht beabsichtigten Beteiligung der Bundesrepublik in zahlreichen Verfahren führen, ohne daß diese selbst ein Interesse an der Beteiligung hat. Das war jedoch mit der Einführung dieser Vorschrift nicht beabsichtigt, wie sich eindeutig aus der oben angeführten Stellungnahme der Bundesrepublik zu dem Streichungsvorschlag des Bundesrats und aus der Stellung der Vorschrift im Gesetz ergibt. Die Auslegung des § 75 Abs. 1 Satz 2 SGG dahin, daß die Bundesrepublik lediglich auf "ihren" Antrag beigeladen werden muß, läßt es im übrigen ohne weiteres zu, daß andere Beteiligte die Beiladung der Bundesrepublik beantragen oder das Gericht ohne Antrag die Beiladung beschließt. In solchen Fällen ist die Beiladung aber nicht zwingend vorgeschrieben, sie steht vielmehr im Ermessen des Gerichts. Dem von den Klägerinnen angeführten Beispiel, daß die am Verfahren Beteiligten sehr wohl ein rechtliches Interesse daran haben könnten, daß die Bundesrepublik zum Verfahren beigeladen wird, weil diese etwa einen anderen Standpunkt in einer streitigen Rechts- oder Tatfrage als das beklagte Land vertritt, kann und wird somit das Gericht durch Beiladung der Bundesrepublik im Rahmen seines Ermessens Rechnung tragen. Selbst wenn der Standpunkt der Bundesrepublik in einem Rechtsstreit für einen Beteiligten von Interesse sein sollte, wie die Klägerinnen es von sich behaupten, so ist damit noch kein Grund gegeben, der eine Vorschrift über die "notwendige" Beiladung der Bundesrepublik auf Antrag anderer Beteiligter in jedem Fall erfordert hätte. Das muß auch für die Fälle gelten, in denen eine Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vorgesehen ist (§§ 6, 8, 89 BVG), die aber keinesfalls notwendig erst im Prozeß und dann nur im Wege der Beiladung zum Ausdruck kommen kann oder gar kommen muß.
Da demnach das SG nicht verpflichtet war, die Bundesrepublik Deutschland nach § 75 Abs. 1 Satz 2 SGG auf Antrag der Klägerinnen beizuladen, und daher ein wesentlicher Mangel im Verfahren des SG i. S. des § 150 Nr. 2 SGG nicht vorliegt, hat das LSG mit der angefochtenen Entscheidung zutreffend die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des SG Stuttgart vom 24. November 1961 als unzulässig verworfen. Die Revision der Klägerinnen mußte daher als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen