Orientierungssatz
Unter "Gewährung" (von Übergangsgeld) iS des RVO § 1244a Abs 6 ist nicht die Erfüllung des Anspruchs (auf Übergangsgeld) zu verstehen, dieser Begriff bedeutet lediglich die Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale, von deren Vorliegen nach dem Gesetz die Entstehung des Rechts abhängig ist (vergleiche auch BSG 1968-08-29 4 RJ 299/66 = BSGE 28, 214).
Normenkette
RVO § 1244a Abs. 6 Fassung: 1959-07-23
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 4. Juli 1968 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin führt den Rechtsstreit als Rechtsnachfolgerin ihres im Laufe des Verfahrens gestorbenen Ehemannes (des Versicherten). Die Beteiligten streiten im wesentlichen darüber, ob die Beklagte zur Gewährung der Versichertenrente an den Ehemann der Klägerin auch für die Zeit verpflichtet war, für die Anspruch auf Übergangsgeld nach § 1244 a Abs. 6 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zwar bestanden, dieser Anspruch im Hinblick auf die Gewährung von Krankengeld jedoch geruht hat.
Das Landessozialgericht (LSG) hat - in Übereinstimmung mit dem Sozialgericht - SG - (Urteil vom 3. November 1964) und der Beklagten (Bescheid vom 4. Oktober 1963) - den Rentenanspruch des Versicherten für die Zeit vom 31. August 1962 bis zum 31. Dezember 1966 verneint (Urteil vom 4. Juli 1968). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bezog der Versicherte im Anschluß an eine stationäre Behandlung wegen Lungentuberkulose vom 31. August 1962 an für die Dauer der weiteren Krankenpflege (bis zum 13. Juli 1963) Krankengeld von der zuständigen Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK). Während dieser Zeit, so hat das LSG ausgeführt, sei er zwar - abgesehen von den letzten Wochen (vom 1. Juni bis zum 13. Juli 1963) - erwerbsunfähig gewesen, ein Rentenanspruch habe jedoch nicht bestanden (§ 1244 a Abs. 6 RVO). Weil vor der Durchführung der stationären Heilbehandlung noch keine Rente bewilligt gewesen sei (§ 1242 RVO), komme als von der Beklagten zu erbringende Geldleistung die Gewährung von Übergangsgeld in Betracht. Dieser Anspruch habe aber geruht, weil der Versicherte Krankengeld bezogen habe. Der Umstand, daß das Ruhen des Anspruchs auf Übergangsgeld eingetreten sei, die Beklagte diese Leistung also nicht erbracht habe, sei nicht geeignet gewesen, statt dessen einen Rentenanspruch entstehen zu lassen. - Nach Einstellung der Krankengeldzahlung durch die AOK habe bei dem Versicherten eine - im Rahmen der Rentenversicherung bedeutsame - Einschränkung der Erwerbsfähigkeit zunächst nicht mehr bestanden. Dies ergebe sich aus einer Würdigung der medizinischen Sachverständigengutachten. Insbesondere habe der Tuberkulosefürsorgearzt, dessen Gutachten der Senat gefolgt sei, angenommen, daß der Versicherte erst wieder im Januar 1967 berufsunfähig und im Februar 1967 erwerbsunfähig geworden sei. Dem habe die Beklagte Rechnung getragen. Durch die Annahme eines von ihr abgegebenen Teilanerkenntnisses sei der Rechtsstreit für die Zeit vom 1. Januar 1967 an erledigt.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die - zugelassene - Revision der Klägerin. Sie ist der Meinung, daß ihrem Ehemann für die Zeit vom 31. August 1962 bis 30. September 1963 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und sodann bis zum 31. Dezember 1966 eine solche wegen Berufsunfähigkeit zugestanden habe. Für die Zeit, in der Krankengeld gewährt worden sei, bestehe auch ein Rentenanspruch. Gemäß § 1244 a Abs. 6 RVO habe nämlich der Anspruch auf Übergangsgeld geruht, von einer Gewährung von Übergangsgeld könne daher nicht die Rede sein. Nur dann, wenn die Beklagte diese Leistung tatsächlich erbracht hätte, wäre der Rentenanspruch nicht entstanden. - Bei der Entscheidung über die Folgezeit sei das angefochtene Urteil verfahrensrechtswidrig zustande gekommen. Das LSG habe nämlich seine Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 103 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) verletzt. Aus dem Gutachten des Chefarztes der Lungenheilstätte K. vom 9. Juli 1964 folge, daß ihr Ehemann in der Zeit bis zum 31. Dezember 1966 erwerbs- bzw. berufsunfähig gewesen sei. Das LSG hätte von dieser Beurteilung auch dann nicht abweichen dürfen, wenn insoweit Zweifel aufgetaucht wären. Für diesen Fall hätte es der Einholung eines weiteren Gutachtens bedurft.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und des Bescheides der Beklagten diese zu verurteilen, Versichertenrente für die Zeit vom 31. August 1962 bis 30. September 1963 wegen Erwerbsunfähigkeit und vom 1. Oktober 1963 bis 31. Dezember 1966 wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren,
hilfsweise,
den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie stützt sich auf die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), nach der ein Rentenanspruch in Fällen der vorliegenden Art auch dann nicht bestehe, wenn im Hinblick auf die Gewährung von Krankengeld der Anspruch auf Übergangsgeld ruhe. - Ein wesentlicher Mangel im Verfahren vor dem LSG liegt ihrer Auffassung nach nicht vor; das Berufungsgericht habe die ärztlichen Gutachten richtig gewürdigt, zu einer weiteren Aufklärung habe kein Anlaß bestanden.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Revision hat keinen Erfolg. Das LSG hat den Rentenanspruch für die Zeit, für die dem Kläger nach stationärer Heilbehandlung wegen Lungentuberkulose Krankengeld gewährt wurde, mit Recht verneint.
In dem vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen des § 1244 a Abs. 6 Buchst. b RVO erfüllt. Hiernach erhalten Versicherte, die an aktiver Lungentuberkulose erkrankt und arbeitsunfähig sind, für die Dauer der Krankenpflege nach vorausgegangener stationärer Heilbehandlung längstens für zwei Jahre Übergangsgeld. Eine andere, von der Beklagten zu erbringende Geldleistung kommt für diese Zeit nicht in Betracht, insbesondere ist ein Anspruch auf Rente ausgeschlossen. Anders könnte es nur dann sein, wenn die Rente bereits vorher bewilligt gewesen wäre (§ 1242 RVO); an dieser Voraussetzung fehlt es jedoch.
Der Versicherte hat zwar während der in Rede stehenden Zeit kein Übergangsgeld erhalten; wegen der Gewährung von Krankengeld hat dieser Anspruch geruht (§ 1244 a Abs. 6 Satz 4 RVO). Diese Tatsache ist jedoch nicht geeignet, den Rentenanspruch auszulösen. Dies hat der erkennende Senat bereits in seiner Entscheidung vom 29. August 1968 (BSG 28, 214) ausgesprochen. In diesem Urteil hat er sich mit der Auslegung des § 1244 a Abs. 6 RVO befaßt und insbesondere dargetan, daß unter "Gewährung" nicht die Erfüllung des Anspruchs auf Übergangsgeld zu verstehen sei, sondern daß dieser Begriff lediglich die Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale bedeute, von deren Vorliegen nach dem Gesetz die Entstehung des Rechts abhängig sei. Diese Interpretation entspreche dem Zweck des Gesetzes. Der Senat hält an dieser Rechtsauffassung fest. Die von der Klägerin dagegen vorgetragenen Bedenken sind nicht geeignet, ein anderes Ergebnis zu rechtfertigen.
Das angefochtene Urteil muß auch nicht wegen eines Verfahrensmangels aufgehoben werden. Es ist nicht ersichtlich, daß - wie die Revision annimmt - das Berufungsgericht seine Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 103 SGG), verletzt hat. Dem LSG lagen mehrere ärztliche Gutachten vor. In einem solchen Fall besteht keine Verpflichtung des Gerichts, dem für den Versicherten günstigsten Gutachten zu folgen. Der Umstand, daß die Gutachten im Ergebnis voneinander abwichen, war für sich allein noch kein zwingender Anlaß, ein weiteres Gutachten einzuholen. Das Gericht hat vielmehr die einzelnen Gutachten zu würdigen, sie gegeneinander abzuwägen und sodann zu entscheiden, ob einem der Gutachten der Vorzug zu geben ist. Dies ist hier geschehen. Das LSG ist nach Abwägung aller Umstände der Auffassung des Tuberkulosefürsorgearztes gefolgt, insbesondere deshalb, "weil dessen Beurteilung auf dem Ergebnis einer damals (im Anschluß an die stationäre Krankenhausbehandlung) durchgeführten Untersuchung erfolgt ist und der Ehemann der Klägerin damals auch noch von einem anderen Arzt für arbeitsfähig erachtet wurde". Die Revision hat nicht deutlich gemacht, aus welchen Gründen eine Verpflichtung des LSG bestanden haben könnte, sich dem von dem Chefarzt der Heilstätte K. erstatteten Gutachten anzuschließen.
Einer von Anfang 1967 an eingetretenen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Versicherten hat die Beklagte durch ihr Teilanerkenntnis, das die Klägerin angenommen hat, Rechnung getragen. Die Entscheidung des LSG, daß ein weitergehender Rentenanspruch nicht bestehe, ist nicht zu beanstanden.
Die Revision der Klägerin ist hiernach unbegründet, sie muß zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen