Leitsatz (amtlich)

Der für die Beitragsberechnung maßgebende Grundlohn bemißt sich bei freiwillig der Krankenversicherung beigetretenen Selbständigen (RVO § 176 Abs 1 Nr 3) nach dem Brutto- Arbeitseinkommen aus der Erwerbstätigkeit, die die Versicherungsberechtigung begründet.

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Grundlohn für versicherungsberechtigte Selbständige (RVO § 176 Abs 1 Nr 3) bemißt sich nach dem Arbeitseinkommen aus der Tätigkeit, auf der die Versicherungsberechtigung beruht; das Einkommen des Ehegatten ist daher bei der Grundlohnberechnung nicht zu berücksichtigen.

Der Vorstand kann nach RVO § 180 Abs 4 den Grundlohn nur für solche Versicherungsberechtigten bestimmen, die über ein dem Arbeitsentgelt iS des RVO § 180 Abs 1 - 3 entsprechendes Einkommen nicht verfügen.

 

Orientierungssatz

Bei dem Einkommen der Selbständigen gilt das Brutto- Prinzip. Es ist also das gesamte Einkommen aus der Tätigkeit, auf der die Versicherungsberechtigung beruht, ohne Abzug von steuerlich begünstigten Sonderausgaben oder Freibeträgen maßgebend. Dagegen sind Werbungskosten und Betriebsausgaben die zur Erzielung der Einkommens aufgewendet werden, abzusetzen.

 

Normenkette

RVO § 176 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1957-07-27, § 180 Abs. 4 Fassung: 1927-07-15, § 385 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1956-06-12, § 180 Abs. 1 Fassung: 1952-08-13, Abs. 2 Fassung: 1927-07-15, Abs. 3 Fassung: 1927-07-15

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Juli 1968 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, nach welcher Lohnstufe der Kläger als freiwillig Versicherter Beiträge an die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse zu entrichten hat, insbesondere darüber, ob dabei das Arbeitseinkommen seiner Ehefrau zu berücksichtigen ist.

Der im Jahre 1907 geborene Kläger ist freiberuflicher Maler und Graphiker. Er ist bei der Beklagten, der er im Jahre 1945 als Versicherungsberechtigter freiwillig beitrat (§ 176 der Reichsversicherungsordnung - RVO -), für den Fall der Krankheit versichert. Seine Ehefrau war bei der Stadt L als Energieberaterin beschäftigt und bei der Deutschen-Angestellten-Krankenkasse für den Fall der Krankheit versichert. Nach den Einkommensteuerbescheiden des Finanzamtes M betrugen die Einkünfte

des Mannes

der Frau

im Jahre 1961

5.442,- DM

6.819,- DM

im Jahre 1962

3.577,- DM

7.434,- DM

im Jahre 1963

1.997,- DM

8.198,- DM

im Jahre 1964

3.930,- DM

im Jahre 1965

2.130,- DM

im Jahre 1966

1.535,- DM.

Für das Jahr 1962 forderte die Beklagte und entrichtete der Kläger Mitgliedsbeiträge nach der Lohnstufe 13, die einem Monatslohn von 375,- bis 405,- DM entspricht. Im März 1963 beantragte der Kläger seine Versetzung in die Lohnstufe 9 (255,- bis 285,- DM monatlich), wobei er auf seine geringen Einkünfte im Jahre 1962 hinwies. Nach einer Besprechung des Klägers mit einem Abteilungsleiter der Beklagten am 11. März 1963 teilte die Beklagte mit Bescheid vom 12. März 1963 den Kläger mit Wirkung vom 1. April 1963 der Lohnstufe 15 (435,- bis 465,- DM) zu. Den Widerspruch des Klägers wies die Widerspruchsstelle mit Bescheid vom 15. April 1964 zurück.

Der Kläger hat daraufhin Klage erhoben mit dem Ziel festzustellen, daß die Beklagte nicht berechtigt sei, das Einkommen seiner Ehefrau in seine Beitragsberechnung einzubeziehen, und die Beklagte zu verurteilen, die in den Jahren 1961 bis 1964 zuviel gezahlten Beiträge in Höhe von 247,04 DM zu erstatten und für 1965 nur Beiträge nach der Lohnstufe 6 (165,- bis 195,- DM) zu verlangen. Mit Bescheid vom 26. Februar 1965 teilte die Beklagte den Kläger mit Wirkung vom 1. April 1965 der Lohnstufe 17 (495,- bis 525,- DM) zu. Das Sozialgericht (SG) hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, daß der Kläger die Beiträge vom 1. April 1963 nach Lohnstufe 14 zu leisten hat. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) die Bescheide der Beklagten dahin geändert, daß für die Zeit vom 1. April 1963 an die Krankenversicherungsbeiträge des Klägers nur nach der seinen Einkünften aus eigener Tätigkeit entsprechenden Lohnstufe zu bemessen seien und daß die Beklagte dem Kläger die danach zuviel gezahlten Beiträge zurückzuzahlen habe. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger sei verpflichtet, einen Beitrag von 6,8 v.H. des Grundlohnes zu zahlen, der nach der Satzung der Beklagten nach Lohnstufen festgelegt worden sei. Bei freiwillig Versicherten, die weder Gehalt noch Lohn bezögen, sei der Vorstand nach § 180 Abs. 4 RVO ermächtigt, den Grundlohn zu bestimmen, wenn er sich nicht ermitteln lasse. Eine solche Bestimmung sei nicht in den Bescheiden vom 12. März 1963 und 26. Februar 1965 getroffen. Denn eine solche Bestimmung dürfe keine Regelung im Einzelfall sein, sondern müsse genereller Natur sein und allgemein und grundsätzlich erfolgen; darüber hinaus sei sie Sache des Vorstandes und nicht Angelegenheit der laufenden Verwaltung. Mangels einer wirksamen Bestimmung des Grundlohnes sei davon auszugehen, daß sich dieser nach den Einkünften bestimme, die dem Arbeitsentgelt der abhängig Beschäftigten entsprächen. Das seien hier nur die Einkünfte des Klägers aus seiner freiberuflichen Tätigkeit. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Sie trägt vor: Die Ermächtigung des § 180 Abs. 4 RVO über die Bestimmung des Grundlohnes komme nur dann zum Zuge, wenn sich nicht nach § 180 Abs. 1 und 2 RVO ein Grundlohn ermitteln lasse. Da der Kläger aber über Einkommen verfüge, sei sein Grundlohn nach § 180 Abs. 1 und 2 RVO festzusetzen. Diese Vorschrift regele, auch wenn lediglich von Arbeitsentgelt bzw. von Arbeitsverdienst die Rede sei, nicht nur die Festsetzung des Grundlohnes für pflichtversicherte Arbeiter, er gelte vielmehr auch für solche Versicherte, die nicht oder nicht ausschließlich Arbeitsentgelt bezögen. Bei Weiterversicherten richte sich die Höhe der Lohnstufe nach den Einkommensverhältnissen; dabei seien nicht nur die Einkünfte aus unselbständiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit, sondern auch die Einnahmen aus den übrigen in § 2 Abs. 3 des Einkommenssteuergesetzes genannten Einkunftsarten in Ansatz zu bringen. Für freiwillig Beigetretene, die freiberuflich tätig seien, gelte nichts anderes. Aus dem Gesetz lasse sich nichts darüber entnehmen, daß bei einem freiberuflich Tätigen der Grundlohn sich nur nach den Einkünften aus seiner eigenen Tätigkeit richte; vielmehr sei das Gesamteinkommen der Berechnung des Grundlohnes zugrunde zu legen, wie es sich insbesondere aus § 313a RVO ergäbe. Auch wenn diese Vorschrift nach ihrem Wortlaut nur für Weiterversicherte gelte, dürften keine Bedenken bestehen, diese Regelung auch für freiwillig Beigetretene entsprechend anzuwenden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 19. Juli 1968 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Mannheim vom 12. Mai 1965 zurückzuweisen.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

II

Die Revision ist nicht begründet.

Nach § 385 Abs. 1 Satz 2 RVO sind die Beiträge in Hundertsteln des Grundlohnes festzusetzen. Der an dieser Stelle verwendete Begriff des Grundlohnes ist nicht näher umschrieben; er wird als rechtstechnischer Begriff vorausgesetzt. Zur Erfassung seines Inhalts müssen sinngemäß die entsprechenden Vorschriften des § 180 RVO über die Berechnung des Grundlohnes bei den Kassenleistungen herangezogen werden (vgl. BSG vom 29. Oktober 1968, SozR RVO § 180 Nr. 3). Hiernach gilt als Grundlohn der auf den Kalendertag entfallende Teil des Arbeitsentgelts (§ 180 Abs. 1 Satz 2 RVO). Nach Absatz 2 setzt die Satzung den Grundlohn fest nach dem wirklichen Arbeitsverdienst, nach Lohnstufen oder nach Mitgliederklassen. Schließlich hat nach Absatz 4 der Vorstand den Grundlohn für freiwillig beigetretene Versicherte festzusetzen, wenn sich nach den vorgehenden Vorschriften für diese Personen kein Grundlohn ermitteln läßt. In erster Linie ist also sowohl bei Versicherungspflichtigen als auch bei freiwillig beigetretenen Versicherten der Arbeitsverdienst maßgebend.

Nach dem "Arbeitsentgelt" läßt sich jedoch für Personen wie der Kläger, die als Selbständige (§ 176 Abs. 1 Nr. 3 RVO) beitrittsberechtigt sind, kein Grundlohn bestimmen, weil sie kein Arbeitsentgelt beziehen. Dieser Begriff ist in § 180 RVO wie auch sonst (vgl. §§ 160, 189 Abs. 1 RVO) auf die Bezüge abhängig Beschäftigter beschränkt. Bei ihnen bestimmt sich der Grundlohn unmittelbar nach ihrem Arbeitsentgelt gemäß einer der in § 180 Abs. 2 und 3 RVO vorgesehenen Berechnungsarten.

Bei versicherungspflichtigen Selbständigen (§ 166 RVO) kann der Grundlohn wegen Fehlens eines Arbeitsentgelts nicht auf diese Weise ermittelt werden. Wie aus § 180 Abs. 4 RVO, der nur für freiwillig Beigetretene subsidiär eine Bestimmung des Grundlohnes durch den Vorstand zuläßt, deutlich zu ersehen ist, geht das Gesetz davon aus, daß für die versicherungspflichtigen Selbständigen der Grundlohn nach § 180 Abs. 1 bis 3 RVO zu bestimmen ist. Dies ist aber nur möglich, wenn man den Begriff des "Arbeitsentgelts" sinngemäß für diesen Personenkreis abwandelt und darunter das Einkommen aus der Tätigkeit versteht, die die Versicherungspflicht begründet.

Auch aus Sonderregelungen für die Bemessung des Grundlohns bei selbständigen Versicherungspflichtigen ergibt sich, daß das Arbeitseinkommen dieser Personen als Grundlohn anzusehen ist. Bei Hausgewerbetreibenden (§ 166 Abs. 1 Nr. 1 RVO) wird der Grundlohn in Vergleich zum Ortslohn (§ 149 RVO), d.h. zu einem aus Arbeitsentgelten abgeleiteten Durchschnittslohn (§ 475 Abs. 2 RVO), gesetzt. Für Hebammen (§ 166 Abs. 1 Nr. 4 RVO) bemißt sich der Grundlohn nach dem durchschnittlichen Jahreseinkommen aus der Hebammentätigkeit (§ 475d Abs. 2 RVO). Entsprechendes gilt nach § 475d Abs. 3 RVO für Personen, die in der Kranken-, Wochen-, Säuglings- und Kinderpflege selbständig tätig sind (§ 166 Abs. 1 Nr. 5 RVO). Hieraus geht klar hervor, daß sich der Grundlohn für versicherungspflichtige Selbständige nach ihrem Arbeitseinkommen aus der ihre Versicherungspflicht begründenden Tätigkeit richtet.

Mit Ausnahme der subsidiären Regelung des § 180 Abs. 4 RVO richtet sich die Grundlohnbemessung bei freiwillig Versicherten nach denselben Grundsätzen wie bei den Versicherungspflichtigen. Daher ist auch bei freiwillig beigetretenen Selbständigen das Arbeitseinkommen aus der Tätigkeit, aus der die Versicherungsberechtigung hergeleitet wird, für die Berechnung des Grundlohnes maßgebend. Die gleiche Regelung für versicherungspflichtige und für beitrittsberechtigte Selbständige ist auch der Sache nach gerechtfertigt. Allein die Erwerbstätigkeit ist bei beiden die Grundlage ihres Versicherungsverhältnisses. Die Bedeutung, die die Erwerbstätigkeit bei den beitrittsberechtigten Selbständigen für die Begründung des Versicherungsverhältnisses hat, erklärt auch den Unterschied gegenüber den Weiterversicherten, bei denen die "Einkommensverhältnisse" bzw. das "Gesamteinkommen" (§ 313a Abs. 1 Satz 1 und 2 RVO) für die Einstufung maßgebend sind. Bei diesen Versicherten besteht keine Beziehung zwischen dem Versicherungsverhältnis und der Erwerbstätigkeit; ihnen soll nur ein versicherungsmäßiger Besitzstand gewahrt bleiben. Daher ist es gerechtfertigt, von verschiedenen Bemessungsgrundlagen bei der Beitragsberechnung der beitrittsberechtigten Versicherten und der Weiterversicherten auszugehen.

Wenn freiwillig beigetretene Versicherte ein Arbeitseinkommen haben, ist demnach dieses für die Bemessung des Grundlohnes maßgebend; § 180 Abs. 4 RVO ist nicht anzuwenden. Anderes Einkommen als das aus der die Versicherungsberechtigung begründenden Tätigkeit bleibt unberücksichtigt, damit auch das des Ehegatten.

Bei dem Einkommen der Selbständigen gilt das Brutto-Prinzip wie bei dem Einkommen aus abhängiger Beschäftigung. Zutreffend sieht Hauck (DOK 1966, S. 113, 115 ff) darin einen für die Sozialversicherung allgemein geltenden Grundsatz, wie er besonders in den Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetzen zum Ausdruck gekommen ist (z.B. §§ 1255 Abs. 1, 3 und 6, 1385 Abs. 3 Buchst. a und b RVO). Es ist also das gesamte Einkommen aus der Tätigkeit, auf der die Versicherungsberechtigung beruht, ohne Abzug von steuerlich begünstigten Sonderausgaben oder Freibeträgen maßgebend. Dagegen sind Werbungskosten und Betriebsausgaben, die zur Erzielung des Einkommens aufgewendet werden, abzusetzen (vgl. BSG 22, 173, 181; Hauck aaO S. 116). Mit dieser Maßgabe hat die Beklagte die Beiträge des Klägers für die streitige Zeit festzusetzen; insoweit mußte der Urteilstenor des LSG klargestellt werden.

Die Revision der Beklagten ist daher zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2284766

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