Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 20.10.1992) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen vom 20. Oktober 1992 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um einen Anspruch auf Konkursausfallgeld (Kaug) für die Abgeltung von Urlaub auch für einen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses liegenden Zeitraum.
Der Kläger war seit 1982 bei der Z. …-GmbH, D. … (ZGD) beschäftigt. Diese zahlte ihren Arbeitnehmern ab Mai 1987 den Lohn nicht mehr aus und stellte sie ab 11. Juni 1987 von der Arbeit frei. Zum 3. Juli 1987 kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis fristlos; am 7. Juli 1987 wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der ZGD eröffnet. Der Kläger beruft sich auf § 10 Nr 4 des Manteltarifvertrages (MTV) für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen vom 30. April 1980 idF vom 15. Mai 1987; hiernach ist „in dem auf das Eintrittsjahr folgenden Kalenderjahren der volle Jahresurlaub zu gewähren, wenn das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers nach dem 1. April beendet wird”. Mit rechtskräftigem Urteil des Arbeitsgerichts (ArbG) Detmold vom 17. August 1988 wurde der Konkursverwalter verurteilt, dem Kläger eine neue Verdienstbescheinigung für das Arbeitsamt zu erteilen, in welcher als Urlaubsabgeltungsanspruch ein dem vollen Jahresurlaub entsprechender Betrag eingetragen ist: In entsprechender Anwendung des § 10 Nr 4 MTV stehe dem Arbeitnehmer der volle Jahresurlaub auch dann zu, wenn dieser das Arbeitsverhältnis wegen vertragswidrigen Verhaltens der Arbeitgeberseite gekündigt habe; dies entspreche dem Grundsatz des § 628 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
Die Beklagte bewilligte dem Kläger Kaug für den vom 1. Mai bis 3. Juli 1987 ausgefallenen Lohn einschließlich einer Urlaubsabgeltung für den ihm für das erste Halbjahr 1987 zustehenden Resturlaub von 12 Tagen. Mit seinem weitergehenden Begehren, Kaug auch für den Anspruch auf Abgeltung des restlichen Jahresurlaubs zu erhalten, blieb der Kläger im Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren erfolglos.
Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung ausgeführt, dem Kläger stehe der fragliche Urlaubsabgeltungsanspruch schon deshalb nicht zu, weil er selbst und nicht der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis gekündigt habe. Der geltend gemachte Kaug-Anspruch ergebe sich auch nicht aus dem Urteil des ArbG. Dieses binde die Beklagte nicht und entfalte keine Tatbestandswirkung, weil es dem Kläger keine Urlaubsabgeltung in bestimmter Höhe zuspreche. Ebensowenig ergebe sich ein Anspruch auf Kaug aus Zusagen des Sequesters oder der Beklagten (Urteil vom 20. Oktober 1992).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 141b Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Die fragliche tarifvertragliche Regelung sei der Auslegung durch das Bundessozialgericht (BSG) zugänglich, da es außerhalb des Landes Nordrhein-Westfalen mehrere Tarifverträge gebe, die in allen maßgeblichen Punkten bewußt und gewollt inhaltlich übereinstimmend gestaltet seien. Nach § 10 Nr 4 MTV aber stehe – wie vom ArbG entschieden – dem Kläger Urlaubsabgeltung in Höhe des vollen Jahresurlaubs 1987 zu. Im übrigen binde das Urteil des ArbG Detmold auch die Beklagte.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 20. Oktober 1992 sowie das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 11. Juli 1990 aufzuheben und 2. die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 10. September 1987 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 2. Februar 1988 sowie des Bescheides vom 7. Januar 1992 zu verurteilen, dem Kläger Konkursausfallgeld unter Berücksichtigung eines Urlaubsabgeltungsanspruchs für den vollen Jahresurlaub 1987 abzüglich drei genommener Urlaubstage zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Der Senat hat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Die zulässige Revision ist nicht begründet. Dem Kläger steht kein Kaug für den geltend gemachten Abgeltungsanspruch wegen des Urlaubs für die zweite Hälfte des Kalenderjahres 1987 zu.
Zwar kann auch der Anspruch auf Urlaubsabgeltung iS des § 141b Abs 2 AFG ein Anspruch auf Arbeitsentgelt sein, der durch Kaug abzugelten ist (vgl hierzu die näheren Ausführungen und Nachweise im Urteil 10 RAr 6/93 vom heutigen Tage). Der im vorliegenden Fall streitige Anspruch auf Abgeltung eines noch nicht „erarbeiteten” Urlaubs gehört jedoch nicht zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt für die letzten dem Insolvenzereignis vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses (Kaug-Zeitraum; § 141b Abs 1 Satz 1 AFG). Dies gilt unabhängig davon, ob dieser Anspruch auf § 628 Abs 2 BGB (1) oder auf eine entsprechende Anwendung der tariflichen Vorschrift des § 10 Nr 4 MTV (2) gestützt wird. Anders als der Urlaubsabgeltungsanspruch hinsichtlich bereits erarbeiteten Urlaubs ist ein solcher Abgeltungsanspruch konkursrechtlich nicht den letzten Tagen des Arbeitsverhältnisses zuzuordnen (hierzu ebenso das Urteil 10 RAr 6/93 vom heutigen Tage).
(zu 1) Nach § 628 Abs 2 BGB ist derjenige zum Schadensersatz verpflichtet, der durch sein vertragswidriges Verhalten die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses veranlaßt. Die Vorschrift stellt den Kündigenden so, als wäre das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß durch eine fristgerechte Kündigung beendet worden (BAG vom 9. Mai 1975, BAGE 27, 137, 143 f = AP Nr 8 zu § 628 BGB, zu II 2a der Gründe). Der Senat kann – wie bereits im Urteil vom 29. Februar 1984 (BSGE 52, 201, 204 = SozR 4100 § 141b Nr 31) – offenlassen, ob derartige Schadensersatzansprüche schon deshalb aus der Kaug-Versicherung ausgeschlossen sind, weil sie nicht Masseschulden iS von § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst a Konkursordnung (KO) sind und daher auch nicht zu den kaug-fähigen Arbeitsentgeltansprüchen iS der Verweisungsvorschrift des § 141b Abs 2 AFG gehören (s aaO mwN; für die Einordnung des Schadensersatzanspruchs nach § 628 Abs 2 BGB als Masseforderung gemäß § 59 Abs 1 Nr 3a KO neuerdings wieder ArbG Herne vom 28. Juli 1993, ZIP 1993, 1487 – nicht rechtskräftig – mit kritischer Anmerkung Griebeling EWiR 1994, 171). Denn der genannte Schadensersatzanspruch entstand nicht im Kaug-Zeitraum, sondern erst mit der fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Kläger zum 3. Juli 1987. Er kann auch nicht kaug-rechtlich der Zeit vorher zugeordnet werden, wie etwa bereits erarbeitete Urlaubsabgeltungsansprüche (hierzu das Urteil 10 RAr 6/93 vom heutigen Tage).
Sinn und Zweck des Kaug-Rechts nötigen nicht zu einer vor Entstehung des Schadensersatzanspruchs liegenden Zuordnung. Sein Gegenstand ist der Ersatz für Vorteile, die erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verwirklicht worden wären, wenn der Arbeitnehmer noch über diesen Zeitpunkt hinaus weitergearbeitet hätte. Dann aber scheidet eine Kompensation durch das Kaug auch insoweit aus, als – wie hier – das Ende des Arbeitsverhältnisses vor dem Insolvenzzeitpunkt liegt (vgl BSG vom 29. Februar 1984, BSGE 56, 201, 204 ff = SozR 4100 § 141b Nr 31 mwN).
(zu 2) Nichts anderes ergibt sich, wenn man den fraglichen Urlaubsabgeltungsanspruch mit einer entsprechenden Anwendung der Vorschrift des § 10 Nr 4 MTV begründet. Denn auch dann werden mit dem Anspruch auf Abgeltung noch nicht erarbeiteten Urlaubs Sachverhalte kompensiert, die erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses liegen. Dies aber schließt – ebenso wie für die Ansprüche nach § 628 Abs 2 BGB (siehe oben ≪zu 1≫) – eine Zuordnung zum Kaug-Zeitraum aus.
Zwar entnimmt die Rechtsprechung des BAG der Vorschrift des § 10 Nr 4 MTV nicht nur einen Anspruch auf Gewährung, sondern auch auf Abgeltung des vollen Jahresurlaubs (BAG vom 3. Mai 1984, AP Nr 17 zu § 7 Bundesurlaubsgesetz ≪BUrlG≫ Abgeltung; ebenso BAG vom 14. März 1989 – 8 AZR 507/87, nicht veröffentlicht, zu 3. der Entscheidungsgründe). Es mag auch einiges dafür sprechen, diese für die ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber getroffene Regelung auf eine durch Fehlverhalten des Arbeitgebers bedingte außerordentliche Kündigung durch den Arbeitnehmer auszudehnen (so das ArbG Detmold im Urteil vom 17. August 1988). Ein derartiger Anspruch ist jedoch jedenfalls nicht durch Kaug auszugleichen. Denn auch mit der Begründung aus § 10 Abs 4 MTV entfällt er nicht auf den Kaug-Zeitraum, sondern bezieht sich auf die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Dem Kläger blieb nämlich möglich, den noch nicht „erarbeiteten” Anspruch auf bezahlten Urlaub – anderweit – zu verwirklichen. In einem in der zweiten Jahreshälfte angetretenen Arbeitsverhältnis erwirbt der Arbeitnehmer zwar grundsätzlich keinen Anspruch für den bereits verstrichenen Teil des Jahres. Er hat jedoch zumindest Anspruch auf 1/12 des Jahresurlaubs für jeden vollen Monat des Bestehens des Arbeitsverhältnisses (§ 5 Abs 1 Buchst a iVm § 4 BUrlG). Damit aber hatte der Kläger bei seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis – unterstellt, daß bei außerordentlicher Kündigung durch den Arbeitnehmer die Regelung des § 10 Nr 4 MTV entsprechend anzuwenden ist – die Wahl, für den noch nicht „erarbeiteten” Teil des Jahresurlaubs die Urlaubsabgeltung des § 9 Nr 3 Satz 1 MTV zu verlangen oder ihn in einem neuen Arbeitsverhältnis zu verwirklichen.
Dabei kann auch keine Rolle spielen, daß nach § 5 Abs 1 BUrlG der Anspruch auf 1/12 des Jahresurlaubs nur für jeden vollen Monat des Bestehens des Arbeitsverhältnisses entsteht. Denn dies bedeutet nicht, daß der Kläger auch bei nahtloser Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses bereits am 4. Juli 1987, also einen Tag nach seiner fristlosen Kündigung, im Monat Juli keinen neuen Urlaubsanspruch hätte beanspruchen können. Vielmehr stellt § 5 Abs 1 BUrlG nicht auf den Kalendermonat ab, sondern auf den Beschäftigungsmonat (BAG vom 26. Januar 1989, BAGE 61, 52, 53 f = AP Nr 13 zu § 5 BUrlG). Zudem ist diese Regelung zB auch in § 10 Nr 3 Satz 2 MTV zugunsten des Arbeitnehmers dahingehend abbedungen, daß ein angefangener Monat voll gerechnet wird, wenn die Beschäftigung mindestens 10 Kalendertage bestanden hat.
Dagegen steht dem Kläger in einem neuen Arbeitsverhältnis kein restlicher Jahresurlaub mehr zu, da er stattdessen die Urlaubsabgeltung gewählt hat (§ 6 Abs 1 und 2 BUrlG; ebenso auch § 10 Nr 7 MTV). Dies aber macht deutlich, daß der Anspruch auf Abgeltung noch nicht erarbeiteten Urlaubs kaug-rechtlich nur der Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses und damit nicht dem Kaug-Zeitraum zugeordnet werden kann.
Hieran ändert das Urteil des ArbG Detmold vom 17. August 1988 nichts. Dieses führt zum einen selbst aus, daß es für den Anspruch auf Kaug keine Bindung entfalte. Der Inhalt der Verdienstbescheinigung des Konkursverwalters, zu deren Erteilung das ArbG verurteilt hat, ist überdies, wie bereits vom Senat entschieden, im Rahmen des § 141b Abs 1 AFG ohne Bedeutung (BSG vom 17. März 1993, SozR 3-4100 § 141b Nr 6 S 27).
Da dem Kläger kein Anspruch auf Kaug für die noch streitige Urlaubsabgeltung zusteht, erübrigen sich Ausführungen zum evtl Einfluß seiner Freistellung ab 11. Juni 1987 auf den Urlaubsabgeltungsanspruch (siehe hierzu das Urteil 10 RAr 6/93 vom heutigen Tage).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1064860 |
ZIP 1994, 1968 |