Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Urteil vom 21.03.1989) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 21. März 1989 wird zurückgewiesen, soweit sie einen Anspruch auf Verzinsung ab 13. Mai 1982 betrifft. Im übrigen wird festgestellt, daß die Hauptsache erledigt ist; insoweit wird die Revision als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die im Revisionsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt die Verzinsung eines ihm von der Beklagten durch außergerichtlichen Vergleich zugesprochenen Anspruchs auf höheren Ausgleich gemäß § 85 Soldatenversorgungsgesetz (SVG). Die Beklagte gewährt dem Kläger seit 1980 einen Ausgleich wegen Folgen einer Wehrdienstbeschädigung. Während des Vorprozesses vor dem Sozialgericht (SG) Münster – S 11(1) V 61/82 –, in dem die Klage am 13. Mai 1982 erhoben wurde, hat die Beklagte in einem außergerichtlichen Vergleich einen Anspruch des Klägers auf Ausgleich nach einem höheren Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) anerkannt. Der Kläger hat mit der Annahme des Vergleichsvorschlages „die Klage insoweit für erledigt” erklärt. Die Beklagte hat eine Verzinsung des erst nachträglich gezahlten höheren Ausgleichs abgelehnt (Bescheid vom 7. Mai 1987, Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 1987). Das SG hat die Beklagte zur Verzinsung des höheren Ausgleichs unter Beachtung des § 44 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) verurteilt (Urteil vom 24. September 1987). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 21. März 1989). Es hält die Verzinsungsvorschrift des § 44 SGB I auch auf den Ausgleich nach § 85 SVG für anwendbar.
Mit der vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 88 Abs 5 Satz 1 SVG. Diese Vorschrift schließt nach ihrer Rechtsauffassung die Gewährung von Verspätungszinsen gemäß § 44 SGB I aus, weil nur die dort genannten Vorschriften des SGB I auf Ausgleichsansprüche nach den §§ 85 und 86 SVG anwendbar seien. Auch ein Anspruch auf Prozeßzinsen nach der neuen Rechtsprechung des BSG sei für den Kläger nicht gegeben. Die Rechtshängigkeit des Hauptanspruches sei nach dem hier heranzuziehenden zivilprozeßrechtlichen Grundsatz (§ 269 Abs 3 Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫) mit der Klagerücknahme durch den Kläger rückwirkend entfallen. Für einen Zinsanspruch fehle außerdem als Voraussetzung eine gerichtliche Verurteilung in der Hauptsache. Der von der Beklagten abgeschlossene außergerichtliche Vergleich sei nicht einer gerichtlichen Entscheidung über den Anspruch in der Hauptsache gleichzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger hat im Revisionsverfahren seinen Anspruch auf eine Verzinsung der nachgezahlten Ausgleichsbeträge ab Rechtshängigkeit des Verfahrens S 11(1) V 61/82 des SG Münster mit 4 vH beschränkt.
Er beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist teilweise unzulässig, im übrigen unbegründet.
Soweit die Beklagte sich gegen eine nach § 44 SGB I durch Fälligkeit und Antrag bestimmte Verzinsung des Anspruchs aus § 85 SVG wendet, ist ihre Revision infolge der zeitlich begrenzten Klagerücknahme durch den Kläger unzulässig geworden (§ 102 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Er verlangt nunmehr nur noch Prozeßzinsen ab Rechtshängigkeit des Vorprozesses und hat damit die Urteile der Vorinstanzen, soweit sie die vorhergehende Zeit betreffen, gegenstandslos werden lassen und den Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Insoweit ist die Beklagte nicht mehr beschwert.
Im übrigen ist die Revision unbegründet. Die angefochtene Entscheidung stellt sich im Umfang des jetzigen Begehrens des Klägers aus anderen Gründen als richtig dar (§ 170 Abs 1 Satz 2 SGG).
Dem Kläger stehen Prozeßzinsen entsprechend § 291 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) seit Rechtshängigkeit des Verfahrens S 11(1) V 61/82 vor dem SG Münster – 13. Mai 1982 – für den Anspruch zu, den die Beklagte für diese Zeit anerkannt hat.
Nach der Entscheidung des Senats vom 14. Dezember 1988, die während des Berufungsverfahrens ergangen ist (BSGE 64, 225 = SozR 7610 § 291 Nr 2) und an der der Senat festhält, sind auf Ansprüche auf Ausgleich gemäß § 85 SVG zwar keine Verspätungszinsen nach § 44 SGB I, wohl aber Prozeßzinsen entsprechend § 291 BGB zu entrichten. Wegen Besonderheiten im öffentlichen Recht muß in der Hauptsache nicht direkt auf eine Geldschuld geklagt worden sein; es genügt – wie im Fall des Klägers – eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, die einen Verwaltungsakt über die Zahlung von Geld anstrebt (BSGE 64, 231 f). Der zuverzinsende Anspruch war auch schon vor der Rechtshängigkeit fällig, wie im Vergleich festgestellt worden ist (BSGE 64, 232 f).
Der Anspruch auf Prozeßzinsen ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Beklagte nicht vom SG Münster in der Hauptsache verurteilt worden ist, sondern sich in einem außergerichtlichen Vergleich vertraglich dazu verpflichtet hat, den Ausgleich des Klägers nach einer höheren MdE zu bemessen. Wenn der Senat für den Zinsanspruch vorausgesetzt hat, daß „grundsätzlich auf Zahlung eines Geldbetrages geklagt und dazu verurteilt worden sein” müsse (BSGE 64, 231), so ist dies lediglich auf den Gegenstand der Verzinsung, eine „Geldschuld” (§ 291 Abs 1 Satz 1 BGB), bezogen, wodurch die Voraussetzung für Prozeßzinsen bestimmt wird. Die Klage, die den Streitgegenstand rechtshängig gemacht hat, muß auf eine Geldschuld gerichtet sein, die verzinst werden soll (BSG aaO). Der Rechtsgrund für Prozeßzinsen ist unabhängig davon, ob der Rechtsstreit, in dem der zu verzinsende Anspruch geltend gemacht worden ist, durch ein Urteil oder auf andere Weise zu Lasten des Beklagten beendet worden ist. In jedem Fall muß die Klageerhebung zum Erfolg für den Kläger geführt haben, wenn auch nur teilweise. Das war hier der Fall. Nach § 291 BGB ist der Gläubiger einer Geldschuld für das Vorenthalten von Kapital zu entschädigen. Prozeßzinsen sind somit als ein Risikozuschlag zu verstehen, den der einen Rechtsstreit riskierende Schuldner stets dann zu tragen hat, wenn und weil er im Prozeß unterliegt (BSGE 64, 230). Ein Schuldner wird zwar im Regelfall im Prozeß kraft einer gerichtlichen Verurteilung zur Leistung unterliegen. Jedoch obsiegt der Kläger in der erforderlichen Weise auch dann, wenn der Schuldner nach Rechtshängigkeit, zu der er es hat kommen lassen, durch Erfüllung oder durch ein materiell-rechtliches Anerkenntnis im Rahmen eines Vergleichs eine Verurteilung vermeidet. Auch in einem solchen Fall kann der Gläubiger seinen Anspruch erst nach Klageerhebung, durch die er gerichtlich einen Rechtsschutz in Anspruch nimmt, und daher nur mit der durch das Gerichtsverfahren bedingten zeitlichen Verzögerung durchsetzen. Der Schuldner konnte dann ebenso wie im Falle einer Verurteilung erst im Wege der Klage zur Erfüllung der streitigen Forderung bewegt werden. Damit ist in allen diesen Fällen ein Anspruch auf Prozeßzinsen gerechtfertigt. Das gilt allerdings nur, wenn – wie hier – im Vergleich ein Anspruch für die Zeit vor der Rechtshängigkeit geregelt worden ist.
Der Zinsanspruch scheitert auch nicht an dem Umstand, daß die Beteiligten keinen den Rechtsstreit unmittelbar beendenden Prozeßvergleich geschlossen (§ 101 Abs 1 SGG), sondern sich außergerichtlich geeinigt haben. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat die Erledigungserklärung durch den Kläger nicht etwa rückwirkend die Rechtshängigkeit beseitigt, so daß der Anspruch auf Prozeßzinsen ausgeschlossen worden wäre. Ob die Erklärung des Klägers bei der Annahme des Vergleichsangebotes als Klagerücknahme gemäß § 102 Satz 1 SGG oder als Erklärung, die Hauptsache sei erledigt, zu verstehen ist, kann dahingestellt bleiben. Die Klagerücknahme hat die gleiche Erledigungswirkung (§ 102 Satz 2 SGG). In jedem der beiden Fälle wird die Rechtshängigkeit nur mit Wirkung für die Zukunft beendet (BSGE 48, 164, 167 = SozR 5310 § 6 Nr 1; vgl auch zur Wirkung: BSG SozR 1500 § 102 Nr 5), während die Rücknahme der Berufung den Verlust des Rechtsmittels bewirkt (§ 156 Abs 2 Satz 1 SGG; BSGE 19, 120, 122 = SozR Nr 4 zu § 156 SGG). Insoweit ist nicht auf den zivilprozeßrechtlichen Grundsatz abzustellen, nach dem infolge Klagerücknahme der Rechtsstreit als nicht anhängig geworden anzusehen ist (§ 269 Abs 3 Satz 1 Halbs 1 ZPO), also die Rücknahme rückwirkend die Rechtshängigkeit beseitigt. Da über Ansprüche auf Ausgleich nach § 85 SVG, obwohl sie keine Sozialleistungen iS des SGB I sind (BSGE 64, 226 ff), gemäß § 88 Abs 7 SVG die Sozialgerichte zu entscheiden haben (BSGE 64, 229), sind auch die Verfahrensvorschriften des SGG uneingeschränkt anzuwenden. Wenn ein Kläger im Zivilprozeß die Klage zurücknimmt,ist er in der Regel von der Aussichtslosigkeit der Klage in der Hauptsache und damit auch wegen der Prozeßzinsen überzeugt. Im Falle der Befriedigung der Forderung durch den Schuldner wird er die Klage selbst dann nicht zurücknehmen, wenn auch der Zinsanspruch erfüllt worden ist; er wird sinnvollerweise den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erkären, um die mit der Klagerücknahme verbundene zwingende Folge der Tragung der Prozeßkosten zu vermeiden (vgl § 269 Abs 3 Satz 2 ZPO). Die Rechtshängigkeit entfällt dann nicht rückwirkend. Ein Kläger, der einen Ausgleich gemäß § 85 SVG begehrt und im Verfahren nach dem SGG, die Klage zurücknimmt, ist bezüglich der Prozeßzinsen nur scheinbar bessergestellt. Denn im sozialgerichtlichen Verfahren hat er nicht die Möglichkeit, die Hauptsache für erledigt zu erklären. Stattdessen wirkt die Klagerücknahme wie die Erklärung der Erledigung der Hauptsache (§ 102 SGG) und ist nicht mit der zwingenden Folge der Tragung von Prozeßzinsen verbunden. Wegen der unterschiedlichen prozessualen Folgen der Klagerücknahme in den Verfahrensgesetzen verstößt die Zuerkennung von Prozeßzinsen trotz Klagerücknahme im sozialgerichtlichen Verfahren auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 Grundgesetz). Im Vergleich mit anderen Klägern, die sozialrechtliche Ansprüche iS des SGB I geltend machen, steht er sich sogar ungünstiger insoweit, als er keine Verspätungszinsen nach § 44 SGB I für Zeiten vor der Klageerhebung verlangen kann, die von einer Klagerücknahme nicht rückwirkend berührt würden. Unterschiede zwischen allen Klägern in der Sozialgerichtsbarkeit gegenüber allen in der Zivilgerichtsbarkeit hat der Gesetzgeber aber wegen grundlegender Unterschiede der Verfahrensarten und der geltend zu machenden Ansprüche schaffen dürfen.
Schließlich begründet der zwischen den Beteiligten geschlossene Vergleich auch keine neue, von dem rechtshängigen Anspruch unabhängige Verpflichtung der Beklagten, deren Fälligkeit erst mit Abschluß des Vergleichs eingetreten wäre und die den Anspruch auf Prozeßzinsen ab Rechtshängigkeit der ursprünglichen Ausgleichszahlungspflicht ausschlösse. Eine derartige umschaffende Wirkung eines Vergleichs (vgl Staudinger/ Marburger, Komm zum BGB, 12. Aufl 1986, § 779 Rz 33) kam dem außergerichtlichen Vergleich zwischen den Beteiligten nach dem Wortlaut und den näheren Umständen nicht zu. Vielmehr haben die Beteiligten in diesem Fall – wie üblicherweise bei Vergleichen in einem Sozialrechtsprozeß oder im Zusammenhang mit ihm – einen Streit über einen rechtshängigen Anspruch durch gegenseitiges Nachgeben beendet (vgl § 54 SGB X) und dadurch gerade dieses Rechtsverhältnis rückwirkend geregelt und nicht eine Verzinsung des rechtshängigen Anspruchs für die Vergangenheit ausgeschlossen (BSG SozR 1200 § 44 Nr 14; BSG USK 86107).
Es gibt auch keinen Anhalt dafür, daß der Zinsanspruch stillschweigend ausgeschlossen werden sollte. Die Beklagte mag davon ausgegangen sein, daß Zinsen für den Anspruch des Klägers nicht zu zahlen seien, weil sie – insoweit zutreffend – die Auffassung vertrat, daß für den Ausgleich gemäß § 85 SVG die Zinsvorschrift des § 44 SGB I nicht anwendbar sei, und weil nach der damaligen Rechtsprechung ein Anspruch auf Prozeßzinsen im Sozialrecht noch nicht anerkannt war (BSGE 56, 116, 120 f = SozR 1200 § 44 Nr 10). Für vertragliches Ausschließen eines Zinsanspruches, an den auch der Kläger damals nicht gedacht haben mag, müßten aber Tatsachen bekannt sein, die darauf schließen lassen, daß beide Beteiligte stillschweigend übereinstimmend einen Zinsanspruch im Vergleich hätten ausschließen wollen. Anträge und Regelungen über Zinsen waren damals in der Sozialgerichtsbarkeit, wenn kein bestimmter Geldbetrag streitig war, allgemein nicht üblich. Ein Zinsanspruch kann auch in einem gesonderten Verfahren geltend gemacht werden (BSGE 64, 233).
Der Senat war nicht daran gehindert, die für die Auslegung des Vergleichs maßgeblichen Tatsachen und den Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit im Vorprozeß selbst festzustellen, weil es aus dringenden Gründen der Prozeßökonomie geboten war. Die Befugnis des Revisionsgerichts zu eigenen tatsächlichen Feststellungen aus einem solchen Grund ist anerkannt (BSGE 58, 49, 51 = SozR 1300 § 45 Nr 15). Die erforderlichen Tatsachen waren unmittelbar aus den vom BSG angeforderten Akten des SG Münster zu entnehmen. Den typischen Vergleich konnte das Revisonsgericht auslegen (BSGE 52, 82, 83 = SozR 2200 § 189 Nr 2; SozR 3900 § 41 Nr 6; für typische Formulare: BSGE 63, 167, 171 ff = SozR 5870 § 10 Nr 9). Im übrigen bestreitet keiner der Beteiligten die tatsächlichen Voraussetzungen dieser Auslegung und der Rechtshängigkeit. Streitig sind allein Rechtsfragen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen